Die Ukraine zwi­schen Refor­men, Beset­zung und Krieg

©Sergey Galy­on­kin, CC BY-SA 2.0

2018 wird ein ent­schei­den­des Jahr für die Ukraine. Eine Abkehr vom Reform­weg würde sich negativ Aus­wir­ken. Die ukrai­ni­sche Zivil­ge­sell­schaft braucht eine kon­se­quente und ent­schie­dene Beglei­tung der EU.

Noch vor den Weih­nachts­fe­rien hatte ich mit Kol­le­gen aus dem Euro­päi­schen Par­la­ment ver­ein­bart, gleich Anfang des Jahres 2018 nach Kiew zu reisen, um zu Beginn der Sit­zun­gen in der Rada und in der Regie­rung über akute Streit­punkte zur Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung zu reden. Nachdem Prä­si­dent Poro­schenko im Dezem­ber gegen die Ver­zö­ge­rung durch die Mehr­heit im Par­la­ment selbst ein Gesetz zum Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts­hof (High Anti-Cor­rup­tion Court/​HACC) ein­ge­bracht hatte, wollten wir unsere Unter­stüt­zung für ein Gesetz, aber auch unsere Kritik am Entwurf klarstellen.

Die Ukraine hat im Laufe der letzten beiden Jahre mit der Schaf­fung von Insti­tu­tio­nen wie der neuen Polizei, dem Natio­na­len Anti­kor­rup­ti­ons­büro (NABU), dem Gesetz für „E‑declarations“, der Regu­lie­rung öffent­li­cher Aus­schrei­bun­gen (Pro­Zorro) oder auch Refor­men im Ener­gie­sek­tor, im Gesund­heits­sys­tem und zur Dezen­tra­li­sie­rung wich­tige Vor­aus­set­zun­gen für die sys­te­ma­ti­sche Bekämp­fung der Kor­rup­tion geschaf­fen. Was bisher gemacht wurde, ist sehr viel. Jetzt muss garan­tiert werden, dass die Gesetz­ge­bung wei­ter­geht, dass die Umset­zung nicht blo­ckiert oder die Unab­hän­gig­keit der neuen Insti­tu­tio­nen beschnit­ten wird.

Den Blo­ckie­rern geht es um die Pflege der eigenen Interessen

Bevor meine Kol­le­gen aus dem Euro­pa­par­la­ment in Kiew ein­tra­fen, habe ich ver­sucht, mir in Gesprä­chen mit Bot­schaf­tern, NGOs, in poli­ti­schen Stif­tun­gen und Think Tanks, mit Abge­ord­ne­ten der Rada und mit Freun­den ein Bild von der poli­ti­schen Lage zu machen. Ende letzten Jahres waren die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen der Regie­rung und Teilen der Zivil­ge­sell­schaft, inner­halb der pro-euro­päi­schen Par­teien, rund um Micheil Saa­ka­schwili, um kon­kur­rie­rende Staats­an­wälte und ihre Ermitt­lungs­me­tho­den, um die Abset­zung Egor Sobo­lews als Vor­sit­zen­den des Anti­kor­rup­ti­ons­aus­schus­ses der Rada eska­liert. Auch beim Gipfel der Öst­li­chen Part­ner­schaft im Novem­ber 2017 in Brüssel hatte es erheb­li­che Span­nun­gen gegeben. Die EU-Kom­mis­sion hatte, unter­stützt vom Euro­päi­schen Par­la­ment, Zah­lun­gen an die Ukraine ver­scho­ben. Ein wich­ti­ger Grund waren die Blo­cka­den bei der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung. Eine Schwä­chung des NABU wird von den Part­nern nicht akzep­tiert. NABU, HACC und gesetz­li­che Garan­tien für deren Unab­hän­gig­keit zählen zu den Bedin­gun­gen, die durch das Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men, das Visa-Abkom­men oder den Vertrag mit dem Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fond (IWF) ver­an­kert sind.

In meinen Gesprä­chen zeich­nete sich nun ab, dass über Weih­nach­ten die Signale aus der EU und aus den USA in Kiew ange­kom­men sind. Sobolew zum Bei­spiel ist heute zwar sauer, dass er nicht mehr Vor­sit­zen­der des Anti­kor­rup­ti­ons­aus­schus­ses ist. Aber er war recht opti­mis­tisch, dass der Druck und die kon­se­quente Posi­tion der Partner der Ukraine eine Wirkung haben und dass die Ukraine ab 2019 auch einen funk­ti­ons­tüch­ti­gen HACC haben wird. Sobolew und andere appel­lier­ten, den Gesetz­ge­bungs- und Reform­pro­zess durch Präsenz und Zusam­men­ar­beit weiter zu unter­stütz­ten. Mei­nun­gen darüber, ob die Anti-Reform­kräfte stärker in der Rada oder mehr über Regie­rung und Prä­si­di­al­ver­wal­tung arbei­ten, gingen wie immer aus­ein­an­der. Einig waren sich alle, dass es den Blo­ckie­rern um die Pflege der eigenen Inter­es­sen geht. Deshalb wurde auch darauf gedrängt, die Wahl­rechts­re­form vor­an­zu­trei­ben. Es bleibt jetzt noch aus­rei­chend Zeit dieses Gesetz zu beraten und recht­zei­tig vor den Wahlen zu beschließen.

Kritik an Poro­schen­kos Geset­zes­vor­schlag zum Antikorruptionsgericht

Im Mit­tel­punkt unserer Gesprä­che mit stand der Geset­zes­vor­schlag Prä­si­dent Poro­schen­kos zur Ein­rich­tung eines Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts­ho­fes vom Dezem­ber und die unmit­tel­bar bevor­ste­hende erste Lesung. Der IWF und die Welt­bank äußer­ten par­al­lel zu unserem Besuch ihre Kritik am Gesetz­ent­wurf auch öffent­lich. Im Mit­tel­punkt unserer Kritik aus Brüssel und der aus Washing­ton steht die über­bor­dende Zustän­dig­keit des Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts in Berei­chen der orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät. Die Zustän­dig­kei­ten gehen weit über die des NABU hinaus. Das würde die Arbeit gegen Kor­rup­tion belas­ten und nicht beför­dern. Kein Ein­ver­ständ­nis gibt es außer­dem zu dem vor­ge­schla­ge­nen Aus­wahl­ver­fah­ren für die Richter.

Wichtig wäre, das Kri­te­rium der Inte­gri­tät zukünf­ti­ger Richter am HACC höher zu bewerten 

Die inter­na­tio­na­len Partner würden auch ent­ge­gen den Emp­feh­lun­gen der Venedig-Kom­mis­sion nur eine schwa­che bera­tende Rolle bekom­men. Im Aus­wahl­pro­zess für das NABU-Büro spiel­ten die inter­na­tio­na­len Partner eine ent­schei­dende Rolle. Die Unab­hän­gig­keit des NABUs und seines Chefs sind Ergeb­nis der inter­na­tio­na­len Betei­li­gung. An diese Erfah­run­gen wollen wir bei der Auswahl der HACC-Richter anknüp­fen. Kri­tisch sehen wir auch die Bewer­bungs­vor­aus­set­zun­gen für die Kan­di­da­ten, die unrea­lis­tisch hoch und restrik­tiv sind und einen viel zu kleinen Bewer­ber­kreis zur Folge hätten. Wichtig wäre statt­des­sen, das Kri­te­rium der Inte­gri­tät zukünf­ti­ger Richter am HACC höher zu bewerten.

Restrik­tive Trans­pa­renz­re­geln für NGOs sollen an EU-Stan­dards ange­passt werden

Wir haben außer über Ände­run­gen des Geset­zes­vor­schlags zur Errich­tung eines Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts­hofs auch wieder über „E‑declarations“ gespro­chen. Die Bear­bei­tung der vielen Daten, die das Ein­kom­men von Poli­ti­kern und ein­fluss­rei­chen Beamten trans­pa­rent machen sollen, muss endlich sys­te­ma­tisch statt­fin­den. Die Soft­ware steht zur Ver­fü­gung. Wir haben auch den andau­ern­den Druck the­ma­ti­siert, der auf die­je­ni­gen aus­ge­übt wird, die in den NGOs für die Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung arbei­ten. Wir bekamen erneut das Ver­spre­chen, Rege­lun­gen zurück­zu­ho­len, mit denen ein­zelne Aktive als Kor­rup­ti­ons­ver­däch­tige an den Pranger gestellt wurden und statt­des­sen Trans­pa­renz­re­geln für NGOs den Regeln in EU-Staaten anzu­pas­sen. Meiner Meinung nach ist das eine Vor­aus­set­zung dafür, dass wieder kon­struk­tive Debat­ten und pro­duk­ti­ver Streit zwi­schen Zivil­ge­sell­schaft, Regie­rung und Par­la­ment möglich sind.

Bei unseren Gesprä­chen mit Sytnyk und Lut­senko schien mir die destruk­tive Aus­ein­an­der­set­zung, die Ende des Jahres zwi­schen den beiden und ihren Insti­tu­tio­nen eska­lierte, nicht erle­digt, aber ein­ge­hegt. Auch hier scheint ange­kom­men zu sein, dass Brüssel und Washing­ton hinter dem NABU stehen und diese Behörde als unver­zicht­bare Errun­gen­schaft sehen und unterstützen.

Kon­se­quente, soli­da­ri­sche und gleich­zei­tig kri­ti­sche Beglei­tung der EU ist nötig

Wenn das ukrai­ni­sche Par­la­ment es jetzt schafft, ein gutes Gesetz für einen Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts­hof zu ver­ab­schie­den, der ab 2019 effek­tiv arbei­ten kann, dann ist mehr pas­siert als in den aller­meis­ten anderen Ländern, die sich mit Kor­rup­tion her­um­schla­gen. Die Kritik, die meine Kol­le­gen und ich in Kiew in jedem Gespräch auch denen vor­tru­gen, die sie nicht hören wollten, scheint aber Früchte zu tragen und mein Ein­druck nach unserer Reise ist vor­sich­tig opti­mis­tisch. In den Tagen nach der Reise gab es Erklä­run­gen aus der Rada, Ände­run­gen an dem HACC Gesetz vor­neh­men zu wollen.

Wir dürfen nicht das Bewusst­sein für die Dimen­sion der Her­aus­for­de­run­gen verlieren 

Die Support Group der EU-Kom­mis­sion, die EU-Bot­schaft und die Bot­schaf­ten der Mit­glied­staa­ten arbei­ten gemein­sam mit den ukrai­ni­schen Kol­le­gen und Insti­tu­tio­nen sehr sys­te­ma­tisch an der Umset­zung der Ver­pflich­tun­gen aus dem Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men und der Visare­ge­lung. Ich denke, dass es auch so wei­ter­ge­hen muss mit Zusam­men­ar­beit und Kritik. Wir dürfen aber auch nicht das Bewusst­sein für die Dimen­sion der Her­aus­for­de­run­gen ver­lie­ren. Und allen Betei­lig­ten muss auch klar sein, dass nach der Gesetz­ge­bung die Imple­men­tie­rung nicht immer einfach ist.

Die ukrai­ni­schen Poli­ti­ker, aber auch die wich­ti­gen Akteure aus der Zivil­ge­sell­schaft gehen in ein wei­te­res for­dern­des Jahr. Eine Abkehr von Refor­men zuguns­ten der Inter­es­sen aus dem Olig­ar­chen­tum wird in der Ukraine sehr negativ wirken. Viele Ukrai­ner denken nicht, dass der Euro­mai­dan falsch war. Aber die Hoff­nung auf Ver­än­de­rung wird schwer. Der Krieg im Donbas und die Beset­zung der Krim ver­ur­sa­chen ein Gefühl der Aus­sichts­lo­sig­keit, das auf die Politik und die Lage im Land ins­ge­samt über­tra­gen wird. Auch gegen das Gefühl der Aus­sichts­lo­sig­keit sollte die EU eine kon­se­quente, ver­ant­wor­tungs­volle Beglei­tung setzen. Mir ist völlig klar, dass der Prozess der Ver­än­de­run­gen von den Ukrai­nern geschul­tert werden muss und auch schon wird. Aber sicht­bar für die Ziele des Euro­mai­dan in Kiew ein­zu­tre­ten, stärkt auch das Ver­trauen in die Euro­päi­sche Union und in die Zukunft.

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