Warum Russ­land den Krieg ver­lo­ren hat

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Die rus­si­sche Inva­sion in der Ukraine sollte zu einem schnel­len, deut­li­chen Sieg der rus­si­schen Truppen führen. Für das Schei­tern gibt es mehrere Ursa­chen. Eine Analyse von Valery Pekar

Zwi­schen dem Moment, in dem eine Kriegs­par­tei die Chance auf den Sieg vergibt, und dem Moment, in dem die andere Kriegs­par­tei gewinnt, gibt es ein Inter­vall. In diesem Moment eines Krieges gibt es keine Sieger. In einem Krieg gibt es immer einen Ver­lie­rer, aber nicht immer einen Gewin­ner – denn es ist möglich, einen Krieg zu führen, in dem alle Seiten verlieren.

Der rus­si­sche Krieg gegen die Ukraine befin­det sich genau in einer solcher Situa­tion. Ich glaube an den ukrai­ni­schen Sieg, aber er ist noch nicht da. Gleich­zei­tig hat Russ­land seine Chance auf einen Sieg bereits ver­spielt. Es kann aber noch pas­sie­ren, dass die ganze Welt ver­lie­ren wird.

Was schon fest­steht: ein rus­si­scher Sieg ist unmög­lich. Diese voll­endete Tat­sa­che ist schon in das Bewusst­sein der Ukrainer*innen ein­ge­drun­gen und nun erreicht sie auch die west­li­chen und öst­li­chen Eliten. Es ist die Zeit gekom­men, fest­zu­stel­len, warum Russ­land diesen Krieg ver­lo­ren hat. Eine solche Analyse wird nicht nur für Historiker*innen nütz­lich sein – sie wird den Sieg der Ukraine, der noch nicht gesi­chert ist, näher­brin­gen und dazu bei­tra­gen, dass zukünf­tige Kriege ver­hin­dert werden können.

1. KRIEG UM DIE VERGANGENHEIT ODER FÜR DIE ZUKUNFT

Der Haupt­grund für die Nie­der­lage Russ­lands ist, dass es einen Krieg um die Ver­gan­gen­heit, während die Ukraine einen Krieg für die Zukunft führt.

Nach dem Zusam­men­bruch des Sowjet­blocks began­nen die Länder Zentral- und Ost­eu­ro­pas, sich rasch zu moder­ni­sie­ren. Die neuen Staaten, die in der ehe­ma­li­gen Sowjet­union ent­stan­den sind, haben unter­schied­li­che Wege ein­ge­schla­gen – die bal­ti­schen Staaten haben sich schnell moder­ni­siert, die zen­tral­asia­ti­schen Länder sind im Auto­ri­ta­ris­mus ver­sun­ken. Die Ukraine steckt in einer Unge­wiss­heit, einem Mul­tivek­to­ris­mus, einer post­so­wje­ti­schen olig­ar­chisch-feu­da­len Wirt­schaft und einem brü­chi­gen Gleich­ge­wicht der regio­na­len Eliten fest.

Nach dem Jahr 2000 ist langsam deut­lich gewor­den, dass sich die Wege der Ukraine und der Rus­si­schen Föde­ra­tion aus­ein­an­der ent­wi­ckelt haben. Die Ukraine begann sich schritt­weise zu moder­ni­sie­ren. In dieser Zeit hat Russ­land nach Wegen gesucht, das soziale Trauma der Neun­zi­ger-Jahre zu heilen, indem es sich zurück­ent­wi­ckelt hat. Das Putin-Regime hat diesen Wunsch nach Sicher­heit und Sta­bi­li­tät ver­kör­pert. Und das Ölgeld bildete ein finan­zi­el­les Rück­grat. Nachdem dieses Regime fest ver­an­kert wurde, ist es zum Angriff gekommen.

2014 war eine Scho­ck­imp­fung für die Ukraine, die die Moder­ni­sie­rungs­re­for­men in einem noch nie dage­we­se­nen Tempo in Angriff genom­men hat (auch wenn es nach Ansicht der aktiven Zivil­ge­sell­schaft immer noch nicht aus­rei­chend war). Dies war ein zusätz­li­cher Anreiz für Russ­land, sich endlich mit der Ukraine aus­ein­an­der­zu­set­zen und eine „End­lö­sung der ukrai­ni­schen Frage“ zu finden (diese Rhe­to­rik ist nur eine der Par­al­le­len zwi­schen Putins und Hitlers Regime).

Die Ukraine kämpft für ihre Zukunft, es ist ein Krieg für die Unab­hän­gig­keit. Die Rus­si­sche Föde­ra­tion kämpft hin­ge­gen um ihre Ver­gan­gen­heit – um die Wie­der­her­stel­lung eines Impe­ri­ums, Ein­fluss­zo­nen und einen Platz im Club der mäch­tigs­ten Staaten, den sie schon vor langer Zeit und für immer ver­lo­ren hat. Jeder Stra­tege weiß, dass ein Krieg für die Ver­gan­gen­heit nicht zu gewin­nen ist. Nur einen Krieg um die Gegen­wart oder für die Zukunft kann man gewinnen.

2. DIE STRUKTUR DER GESELLSCHAFTEN

Der Haupt­grund für den ukrai­ni­schen Erfolg sowie für das rus­si­sche Schei­tern liegt im Unter­schied der ukrai­ni­schen und der rus­si­schen Gesellschaft.

Eine hier­ar­chisch zen­tra­li­sierte Gesell­schaft sowje­ti­schen Typs, in der die Men­schen unter der Herr­schaft eines all­mäch­ti­gen Systems stehen, das auf Angst, Gehor­sam und einer Abwer­tung des Indi­vi­du­ums beruht, trifft auf eine moderne Netz­werk­ge­sell­schaft freier Bürger*innen, die an Frei­heit, Selb­stän­dig­keit, Zusam­men­ar­beit und ein Gefühl der Über­le­gen­heit gegen­über jeg­li­cher Macht gewöhnt sind. Noch trifft das natür­lich nicht auf die gesamte ukrai­ni­sche Gesell­schaft zu, aber es gibt eine kri­ti­sche Masse. Viel wich­ti­ger ist aber, dass ein Krieg diese kri­ti­sche Masse schnell ver­grö­ßern wird.

Putin glaubte, dass die rus­si­sche Armee auf eine viel schwä­chere ukrai­ni­sche Armee treffen würde. Russ­land verfügt über ein viel grö­ße­res Mili­tär­bud­get, mit dem das Land in die Stär­kung seiner Armee und die neu­es­ten Waf­fen­sys­teme inves­tiert hat. Doch in Rea­li­tät ist die rus­si­sche Armee auf die ukrai­ni­sche Gesell­schaft getrof­fen. Und eine Gesell­schaft zu besie­gen ist quasi unmöglich.

Dies zeigt sich in den War­te­schlan­gen der mili­tä­ri­schen Rekru­tie­rungs­zen­tren, dem raschen Aufbau der Ter­ri­to­ri­al­ver­tei­di­gung, den groß ange­leg­ten Frei­wil­li­gen­be­we­gun­gen, der rie­si­gen Unter­stüt­zung durch die Dia­spora in der ganzen Welt, dem Gue­ril­la­krieg mit Jagd­ge­weh­ren oder im Cyber­space oder den beein­dru­cken­den fried­li­chen Pro­tes­ten in den von rus­si­schen Truppen besetz­ten Städten.

Ein wei­te­res wich­ti­ges Merkmal einer solchen Gesell­schaft ist die Dichte des sozia­len Gefüges, das für Wider­stands­fä­hig­keit sorgt. Erin­nern Sie sich an die „six hand­shake rule”? Der Abstand zwi­schen den Men­schen in einer hori­zon­tal ver­netz­ten Gesell­schaft ist viel gerin­ger. Dies ermög­licht einen schnel­le­ren Zugang zu Infor­ma­tio­nen und deren Veri­fi­ka­tion sowie eine bessere Koordination.

Eine Gesell­schaft freier Men­schen ist immer stärker als eine Gesell­schaft von Sklaven – nicht nur, weil freie Men­schen besser aus­ge­bil­det und moti­viert sind, sondern weil sie in der Lage sind, effi­zi­en­tere Systeme zu schaffen.

3. MENSCHLICHES KAPITAL

Es ist unmög­lich, dass sich ein Land rück­wärts ent­wi­ckelt und gleich­zei­tig seinen Verfall ver­hin­dert. Wenn man den Men­schen statt eines Zukunft­sze­na­rios ständig eine „große Ver­gan­gen­heit“ vor­gau­kelt, die es zurück­zu­ho­len gilt, wenn sich immer mehr archai­sche poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che, kul­tu­relle und reli­giöse Prak­ti­ken durch­set­zen – dann sollte es nicht über­ra­schen, dass Men­schen zu Wilden werden. Sie sind dann nicht in der Lage, eine normale Armee auf­zu­bauen, weil sie nicht den Ver­stand dafür haben. Sie sind nur dazu fähig, Frauen und Kinder zu töten, weil der ein­fachste Ver­stand dafür ausreicht.

Es braucht drei Gene­ra­tio­nen, um aus einem Wilden einen zivi­li­sier­ten Men­schen zu machen. Umge­kehrt reichen dafür ein paar Jahre aus.

Die Qua­li­tät des Per­so­nals, das ukrai­ni­sche Stel­lun­gen stürmt und ukrai­ni­sche Geschäfte und Häuser plün­dert, ist eine Sache. Die Trup­pen­füh­rung, die von Militär-Ana­lys­ten als sehr schwach bewer­tet wird, ist eine andere. Es gibt kein Haupt­quar­tier für die Ope­ra­tion, keine Grup­pen­ko­or­di­nie­rung, keine zen­trale Logis­tik­ver­wal­tung, keine Kom­mu­ni­ka­tion. Die Kom­man­deure der unteren und mitt­le­ren Ränge sind unfähig und haben keine Ent­schei­dungs­be­fug­nis, sodass viele ranhohe Offi­ziere in der Truppe kämpfen und auf dem Schlacht­feld sterben.

Folg­lich ist der Verfall der rus­si­schen Systeme, der durch den Sturz des Landes in die Ver­gan­gen­heit ver­ur­sacht wurde, viel weiter fort­ge­schrit­ten als viele dachten.

Die ukrai­ni­sche Armee, in deren Reihen junge Inge­nieure und Softwareentwickler*innen, MBA-Absolvent*innen und erfah­rene Veteran*innen aus den Jahren 2014 bis 2021 stehen, beweist die Qua­li­tät ihrer stra­te­gi­schen Planung, ihre tak­ti­schen Fähig­kei­ten und eine klare Koor­di­nie­rung und Zusam­men­ar­beit der ein­zel­nen Teilstreitkräfte.

4. UNTERSCHÄTZUNG DER UKRAINE

Putin und die rus­si­sche Führung sind zu Opfern ihres eigenen Mythos’ gewor­den. Sie sagen schon so lange, dass es keine eigen­stän­dige ukrai­ni­sche Nation gibt, dass sie vom öster­rei­chi­schen Gene­ral­stab, von Lenin oder der CIA erfun­den wurde, dass sie inzwi­schen selbst daran glauben. Sie selbst glauben, dass es kein ukrai­ni­sches Volk gibt, dass es ein künst­lich abge­trenn­tes Frag­ment des rus­si­schen Volkes ist (von dem einige Rus­sisch und einige einen künst­lich erfun­de­nen Dialekt spre­chen), das von zahl­rei­chen natio­na­lis­ti­schen Kräften als Geisel genom­men wurde.

Die Ukraine-Kom­pe­tenz in den höchs­ten Ebenen der rus­si­schen Führung ist extrem gering und das liegt auch an jenen, die die für die „Ukraine-Frage” bereit­ge­stell­ten Gelder ver­un­treut haben. Die Vor­stel­lung: Da es keine ukrai­ni­sche Nation gibt, kann sie auch keinen Staat haben. Es handelt sich um eine Art geschei­ter­ten Staat, den niemand ver­tei­di­gen will, in dem die Behör­den ver­ach­tet und kri­ti­siert werden.

An dieser Stelle sollte hin­zu­ge­fügt werden, dass die rus­si­sche Führung das Wesen der Demo­kra­tie im Grunde nicht ver­steht. Sie dachte, wenn der ukrai­ni­sche Prä­si­den­ten nicht beson­ders beliebt ist, kann er einfach gegen Janu­ko­witsch aus­ge­tauscht werden, und niemand wird sich daran stören. Sie ver­steht auch nicht, dass die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen schnell einen legi­ti­men Ersatz für den Prä­si­den­ten bereit­stel­len werden, wenn dieser aus irgend­ei­nem Grund zurück­tritt. Und noch weniger ver­ste­hen sie, dass der Staats­chef und sein Team über einen Kor­ri­dor von Mög­lich­kei­ten ver­fü­gen, der durch die öffent­li­che Meinung begrenzt wird.

Eine weitere Folge dieses Fehlers ist, dass die ukrai­ni­sche Armee, ihr Aus­bil­dungs­stand und ihre Moti­va­tion unter­schätzt werden. Aus Sicht der rus­si­schen Führung hätte die ukrai­ni­sche Armee ihre Waffen abgeben und sich zer­streuen sollen – so wie es die afgha­ni­sche Armee tat, als die Taliban anrückte. Und natür­lich hat der Kreml die ukrai­ni­sche Gesell­schaft, ihren Zusam­men­halt und die Unter­stüt­zung der Armee durch die Bevöl­ke­rung, das Fehlen von Kol­la­bo­ra­teu­ren (ohne die es die erober­ten Gebiete nicht regie­ren kann) und die Fähig­keit der Ukrainer*innen, in der Stunde der Not alle Strei­tig­kei­ten zu ver­ges­sen, unterschätzt.

5. UNTERSCHÄTZUNG DES WESTENS

Ein wei­te­rer großer geo­po­li­ti­scher Fehler war es, den Westen zu unter­schät­zen. Putin, der seine Mission in der Ent­lar­vung und Demü­ti­gung der Demo­kra­tie, des Libe­ra­lis­mus und anderer west­li­cher Erfin­dun­gen sah, betrach­tete alle west­li­chen Führer als schwach, ihre Staats­ap­pa­rate als lang­same, ent­schei­dungs­un­fä­hige Büro­kra­tien und den Westen ins­ge­samt als gierig und unfähig zum Zusam­men­halt. Dieses Nar­ra­tiv haben ehe­ma­lige (und manch­mal auch aktu­elle) kor­rum­pierte west­li­che Politiker*innen, zahl­rei­che Medien, Journalist*innen und Intel­lek­tu­elle verbreitet.

Die rus­si­sche Führung war scho­ckiert über die rasche, harte und ziem­lich ein­heit­li­che Haltung des Westens. Dies passte nicht in ihr Welt­bild. Doch es stellte sich heraus: Freie Werte sind wich­ti­ger als indi­vi­du­elle Inter­es­sen. Gleich­zei­tig kann der Verrat an pro­kla­mier­ten Werten in der heu­ti­gen Welt viel Geld kosten. Fast alle west­li­chen Politiker*innen sind sich bewusst, wie schreck­lich eine Welt ist, in der Werte und Prin­zi­pien keine Rolle spielen.

Der Kreml hat nicht nur die Poli­ti­ker im Westen sondern auch die west­li­chen Gesell­schaf­ten unter­schätzt. Das Ausmaß der Unter­stüt­zung für die Ukraine, das Inter­esse an ukrai­ni­schen Ange­le­gen­hei­ten und der Druck, den Mil­lio­nen Bürger*innen in den west­li­chen Ländern auf Politiker*innen ausüben, sind beacht­lich. Men­schen auf der ganzen Welt fühlen sich von den Werten ange­spro­chen, die die Ukrainer*innen jetzt ver­tei­di­gen, und sind von der Wider­stands­fä­hig­keit des ukrai­ni­schen Volkes inspiriert.

Diese Haltung der Zivil­ge­sell­schaft in den Staaten der freien Welt prägt die Haltung der Politiker*innen. Wir haben eine par­tei­über­grei­fende Einheit erlebt, von der man nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Darüber hinaus kon­kur­rie­ren poli­ti­sche Kräfte, die in Oppo­si­tion zuein­an­der stehen, mit anti­rus­si­scher Rhe­to­rik und Ideen zur Unter­stüt­zung der Ukraine. Selbst dort, wo jah­re­lang Neu­tra­li­tät herrschte, wurde sie zuguns­ten eines gemein­sa­men Stand­punkts des Westens aufgegeben.

Wir kennen die Folgen: Eine noch nie dage­we­sene finan­zi­elle und mili­tä­risch-tech­ni­sche Unter­stüt­zung (nicht nur Waffen, sondern auch sehr wich­tige Geheim­dienst­in­for­ma­tio­nen) und noch nie dage­we­sene Sank­tio­nen gegen den Aggressor.

6. ÜBERSCHÄTZUNG DER RUSSISCHEN ARMEE UND WIRTSCHAFT

Die rus­si­sche Führung hat die Ukraine unter­schätzt und ebenso hat sie ihr Land in min­des­tens zwei wich­ti­gen Aspek­ten überschätzt.

Erstens: Die rus­si­sche Armee. Der irr­sin­nige Mili­tär­haus­halt und die umfang­rei­chen geplan­ten Refor­men sollten die rus­si­sche Armee stärken, sie an die Stan­dards des 21. Jahr­hun­derts her­an­füh­ren und die neu­es­ten Waffen ent­wi­ckeln und ein­set­zen. Aber wahn­sin­nige Kor­rup­tion und die Tra­di­tion des „Potem­ki­ni­s­mus“ machten alle Kapi­tal­in­ves­ti­tio­nen und Regie­rungs­pro­gramme zu einem Flop. Es wurden enorme Mittel ver­un­treut, sodass die Leis­tungs­fä­hig­keit des rus­si­schen Mili­tär­ap­pa­rats nicht gestärkt werden konnte. Die zweit­stärkste Armee der Welt erwies sich als sehr groß, aber sehr schlecht orga­ni­siert, schlecht aus­ge­bil­det und von gerin­ger Moti­va­tion und Moral.

Zwei­tens: Die rus­si­sche Wirt­schaft. Anders als noch in der Sowjet­union war Russ­land zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts bereits eng an die Welt­wirt­schaft gebun­den. Ohne den Zugang zu glo­ba­len Kapi­tal­märk­ten, Absatz­märk­ten, Tech­no­lo­gien und Kom­po­nen­ten, Logis­tik und glo­ba­len elek­tro­ni­schen Diens­ten, Rei­se­mög­lich­kei­ten und inter­na­tio­na­len wis­sen­schaft­li­chen, geschäft­li­chen und kul­tu­rel­len Kon­tak­ten kann eine moderne Wirt­schaft nicht exis­tie­ren. Die plötz­li­che Abtren­nung von allem hat die Rus­si­sche Föde­ra­tion auf den Stand der späten Sowjet­union zurück­ge­wor­fen. Die Aut­ar­kie und Sicher­heit der rus­si­schen Wirt­schaft ist um mehrere Grö­ßen­ord­nun­gen über­schätzt worden.

Hier kommen wir zum Problem des Auto­ri­ta­ris­mus. Es wird ange­nom­men, dass der Auto­ri­ta­ris­mus es ermög­licht, große Res­sour­cen schnell zu sammeln und ein­zu­set­zen. Gleich­zei­tig führt der Auto­ri­ta­ris­mus aber auch zu qua­li­ta­tiv schlech­ten Ent­schei­dun­gen, da diese auf unzu­rei­chen­den Infor­ma­tio­nen beruhen. Niemand sagt die Wahr­heit, weil er dafür bestraft wird, sondern jeder sagt, was der Anfüh­rer hören will, weil er dafür belohnt wird. Eine solche Füh­rungs­kul­tur kul­ti­viert nicht nur Lügen, Angst und per­sön­li­che Loya­li­tät, sondern ver­drängt auch echte Fach­leute. Geschich­ten von der „ille­gi­ti­men Kyjiwer Junta“, „natio­na­lis­ti­schen Batail­lons“ und andere Erfin­dun­gen haben ein ver­zerr­tes Bild der Welt geschaf­fen, auf dessen Grund­lage unan­ge­mes­sene Ent­schei­dun­gen getrof­fen wurden.

7. STRATEGISCHER FEHLER DES JAHRES 2014

Um die Ukraine nach dem Maidan zu zügeln, hätte die rus­si­sche Führung das genaue Gegen­teil von dem, was sie gemacht hat, tun müssen: Die neue ukrai­ni­sche Regie­rung aner­ken­nen, gute Bezie­hun­gen zu ihr auf­bauen, ukrai­ni­sche Eliten kor­rum­pie­ren, das Land mit rus­si­schem Geld und rus­si­scher Kultur über­schwem­men, es mit bil­li­gem Gas fesseln und andere bewährte Metho­den der indi­rek­ten Ein­fluss­nahme anwen­den, um die Ukraine in zehn Jahren end­gül­tig zu ersti­cken und sie in so etwas wie ein zweites Belarus zu verwandeln.

Putin hin­ge­gen ent­schied sich für die Anne­xion der Krim. Dies war ein solcher Schock für die ukrai­ni­sche Gesell­schaft, dass er mentale, kul­tu­relle und insti­tu­tio­nelle Tren­nungs­pro­zesse aus­löste, die Bildung einer ukrai­ni­schen poli­ti­schen Nation beschleu­nigte und Refor­men in der Armee und der staat­li­chen Ver­wal­tung anregte. Acht Jahre waren für Armee, den Staat und die Gesell­schaft nicht umsonst – auch wenn in dieser Zeit viel mehr hätte getan werden können.

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Lässt sich die Liste der stra­te­gi­schen Fehler fort­set­zen? Natür­lich, vor allem im Rück­blick. Man könnte über den stra­te­gi­schen Fehler des Vor­mar­sches in langen, unor­ga­ni­sier­ten Kolon­nen oder die schlechte Logis­tik spre­chen. Aber das sind alles Folgen der bereits auf­ge­zähl­ten Fehler der rus­si­schen Führung.

Ich wie­der­hole noch einmal die zu Beginn des Arti­kels gemachte Fest­stel­lung; Ich glaube an einen ukrai­ni­schen Sieg, aber er ist noch nicht garan­tiert. Bereits am 24. Februar war die rus­si­sche Nie­der­lage sicher. Deshalb über­zeugte ich meine Kolleg*innen und Freunde davon, dass es keine rus­si­sche Inva­sion geben würde. Und ich hatte Unrecht.

Textende

Valery Pekar

Valery Pekar ist Autor, Unter­neh­mer, Mit­be­grün­der der „Nova Kraina“-Bürgerplattform, Dozent an der Kyiv-Mohyla Busi­ness School und arbei­tete zwi­schen 2014 und 2016 im Natio­na­len Reform­rat der Ukraine.

 

 

 

 

 

 

 

 

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