Die Kan­di­da­ten der pro-rus­si­schen Opposition

Bei den anste­hen­den Prä­si­dent­schafts­wah­len treten mehrere Kan­di­da­ten an, die mal mehr, mal weniger offen, pro­rus­si­sche Posi­tio­nen ver­tre­ten und daher in der öffent­li­chen Debatte oftmals als »pro-rus­si­sche Kan­di­da­ten« zusam­men­ge­fasst werden. Denis Tru­bets­koy por­trä­tiert die drei Wichtigsten

Für die pro-rus­si­schen Kan­di­da­ten spielt der mili­tä­ri­sche Kon­flikt mit Russ­land eine beson­dere Rolle, nicht nur, weil sie durch ihre (ver­meint­li­che) Nähe zu Russ­land bei großen Teilen der Wäh­ler­schaft als dis­kre­di­tiert gelten, sondern auch, weil die rus­si­sche Anne­xion der Krim sowie der Krieg im ost­ukrai­ni­schen Donbas die Struk­tur der ukrai­ni­schen Wäh­ler­schaft stark ver­än­dert hat. Man kann davon aus­ge­hen, dass rund vier Mil­lio­nen Wäh­ler­stim­men fak­tisch weg­ge­fal­len sind, die tra­di­tio­nell vor allem für die pro­rus­si­sche (ehe­ma­lige) »Partei der Regio­nen« des Ex-Prä­si­den­ten Wiktor Janu­ko­wytsch und die »Kom­mu­nis­ti­sche Partei« von Petro Sym­o­nenko abge­stimmt haben. Dennoch haben es bereits bei der vor­ge­zo­ge­nen Prä­si­dent­schafts­wahl 2014 gleich vier pro-rus­si­sche Kan­di­da­ten unter die ersten zehn geschafft (von ins­ge­samt 21 Kandidaten).

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

Gemein­sam kamen sie auf zwölf Prozent, was nicht nur wegen der dama­li­gen schwe­ren Gesamt­lage bemer­kens­wert war. Bedenkt man, dass dieses poli­ti­sche Lager 2014, als sich der Kon­flikt mit Moskau extrem zuspitzte, respek­ta­ble Ergeb­nisse erzielte, dann ist das Poten­zial für sie 2019 viel­leicht größer als von vielen wahr­ge­nom­men – auch wenn ein pro-rus­si­scher Prä­si­dent wegen des Kon­flikts mit Russ­land als äußerst unwahr­schein­lich gilt. Zusam­men­ge­nom­men kommen die als pro-rus­sisch gel­ten­den Kan­di­da­ten in aktu­el­len Umfra­gen auf bis zu 20 Prozent der Stimmen. Da keiner der aktuell in Umfra­gen füh­ren­den Kan­di­da­ten mit großer Mehr­heit führt und damit ein Sieg in der ersten Runde als unwahr­schein­lich gilt, war lange Zeit unklar, ob nicht sogar ein pro-rus­si­scher Kan­di­dat in die Stich­wahl ein­zie­hen könnte. Nun, da der Fern­seh­ko­mi­ker Wolo­dymyr Selen­skyj beson­ders in den rus­sisch­spra­chi­gen Regio­nen der Ost­ukraine gute Umfra­ge­werte vor­wei­sen kann, sind die Chancen der drei aus­sichts­reichs­ten pro-rus­si­schen Kan­di­da­ten, die im Fol­gen­den vor­ge­stellt werden, jedoch gesunken.

Jurij Bojko

Der aktuell füh­rende pro-rus­si­sche Kan­di­dat ist der 1958 gebo­rene Jurij Ana­to­li­jo­wytsch Bojko, der während der Prä­si­dent­schaft Wiktor Janu­ko­wytschs Vize­pre­mier der Regie­rung von Mykola Asarow war. Bojko stammt aus der Donez­ker Oblast und war in der Ener­gie­bran­che tätig (u. a. leitete er von 2002–2005 den staat­li­chen Ener­gie­kon­zern »Naf­to­haz«), bevor Janu­ko­wytsch ihn in die Politik holte. 2003 war er zunächst stell­ver­tre­ten­der Ener­gie­mi­nis­ter; nach der Orangen Revo­lu­tion 2006 und, nachdem er diesen Posten 2007 wieder verlor, wieder ab 2010, war er Energieminister.

Bojko trat bereits bei der Prä­si­dent­schafts­wahl 2014 an, unter anderem mit den For­de­run­gen, Rus­sisch als Staats­spra­che durch­zu­set­zen und die wirt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen mit Moskau zu ver­bes­sern, was aller­dings nicht zu Lasten der euro­päi­schen Inte­gra­tion der Ukraine gesche­hen sollte. Doch er blieb mit Rang 14 und nur 0,19 Prozent der Stimmen voll­kom­men erfolgs­los. Umso bemer­kens­wer­ter ist, wie stark seine Beliebt­heit gewach­sen ist. In der jüngs­ten Umfrage von »Socis« kommt er auf 8,3 Prozent, andere Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tute wie das Raz­um­kow-Zentrum oder das Kiewer Inter­na­tio­nale Insti­tut für Sozio­lo­gie schät­zen Bojko bei 6 Prozent ein. In all diesen Umfra­gen ran­giert er nach Wolo­dymyr Selen­skyj, Petro Poro­schenko und Julia Timo­schenko auf dem vierten Platz. Ende des letzten Jahres haben sich die Partei »Sa Schyttja« (»Auf das Leben«) des Olig­ar­chen Wadym Rabi­no­wytsch und ein großer Teil des hinter Bojko ste­hen­den »Oppo­si­ti­ons­blo­ckes« vereint – so ist die poli­ti­sche For­mie­rung »Die Oppo­si­ti­ons­platt­form – Sa Schyttja« ent­stan­den, die Bojko ins Rennen schickt. Die Politik der Partei, die laut Umfra­gen zwi­schen 5,5–7 Prozent liegt und damit gute Chancen hätte, bei der Wahl im Herbst ins Par­la­ment ein­zu­zie­hen, wird aller­dings nicht von Bojko, sondern vom Olig­ar­chen und Putin-Freund Wiktor Med­wedt­schuk bestimmt, der als Vor­sit­zen­der des Par­tei­ra­tes sich stark für den Wie­der­auf­bau der Russ­land-Bezie­hun­gen ein­setzt und keinen Hehl aus seiner Kreml-Nähe macht.

Olex­an­der Wilkul

Bei der Viel­zahl an unter­schied­li­chen Umfra­gen, die aktuell kur­sie­ren, gibt es auch solche, bei denen Olex­an­der Juri­jo­wytsch Wilkul, der sich deut­lich zurück­hal­ten­der in Bezug auf Russ­land äußert, bis auf 5 Prozent kommt. Die seriö­sen Studien sehen ihn aller­dings eher zwi­schen 1,5 und 2 Prozent. Wilkul wurde 1974 in Krywyj Rih geboren; sein Vater war Rektor der ört­li­chen Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät (an der Wilkul ein Studium als Berg­bau­in­ge­nieur abschloss) und ist aktuell Bür­ger­meis­ter der Indus­trie­stadt. Ab 2006 saß Wilkul für die »Partei der Regio­nen« im Par­la­ment und wurde 2012 vom dama­li­gen Prä­si­den­ten Wiktor Janu­ko­wytsch zum stell­ver­tre­ten­den Minis­ter­prä­si­den­ten ernannt. Außer­dem war er von 2010–2012 Gou­ver­neur der Oblast Dni­pro­pe­trowsk und trat 2015 als Bür­ger­meis­ter­kan­di­dat in der wich­ti­gen Finanz­me­tro­pole Dnipro an, unter­lag jedoch knapp. Wilkul werden enge Ver­bin­dun­gen zum Olig­ar­chen Rinat Ach­me­tow nach­ge­sagt. Nach der fak­ti­schen Teilung des Oppo­si­ti­ons­blocks wurde Wilkul trotz seiner pro-rus­si­schen Ansich­ten auf die Sank­ti­ons­liste Russ­lands gesetzt, was ver­mut­lich darauf zurück­zu­füh­ren ist, dass er sich dem neuen Polit­pro­jekt von Med­wedt­schuk nicht anschlie­ßen wollte.

Jewhen Murajew

Auch der pro-rus­si­sche Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat Jewhen Wolo­dym­y­ro­vych Murajew kämpft vor allem um die Stimmen im Süd­os­ten der Ukraine. Murajew wurde 1976 in der Char­ki­wer Oblast geboren, stu­dierte Wirt­schaft und Finanz­we­sen an der renom­mier­ten Natio­na­len Karazin-Uni­ver­si­tät in Charkiw und ist seit 2014 Eigner des Nach­rich­ten­sen­ders »NewsOne«. 2006 stieg er in die Kom­mu­nal­po­li­tik ein und zog 2012 für die »Partei der Regio­nen« ins Par­la­ment. Bei der vor­ge­zo­ge­nen Par­la­ments­wahl 2014 kan­di­dierte er für den »Oppo­si­ti­ons­block«, kehrte diesem jedoch 2016 den Rücken und trat »Sa Schyttja« bei. Er über­warf sich jedoch anschei­nend mit den Par­tei­grö­ßen Wiktor Med­wedt­schuk und Wadym Rabi­no­wytsch, verließ »Sa Schyttja« und grün­dete 2018 seine eigene Partei »Naschi« (»Unsere«), die ihn als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat nomi­nierte. Seither posi­tio­niert sich Murajew deut­lich Ukraine-freund­li­cher und zählt zu den schärfs­ten Kri­ti­kern des ehe­ma­li­gen Oppo­si­ti­ons­blocks. 2018 eröff­nete die Gene­ral­staats­an­walt­schaft ein Ver­fah­ren wegen »Lan­des­ver­rats« gegen Murajew, weil er den in Russ­land ver­ur­teil­ten und inhaf­tier­ten ukrai­ni­schen Regis­seur Oleh Senzows als »Ter­ro­rist« bezeich­net haben soll. Murajew kommt mit etwa 1,5–2 Prozent auf ähn­li­che Umfra­ge­werte wie Wilkul. Beide ver­lie­ren somit klar gegen Bojko – und vor allem pro­fi­tiert keiner von diesem Trio davon, dass sie alle gegen­ein­an­der antre­ten und den anderen die Stimmen wegnehmen.

Update: Am 7. März kün­digte Murajew bei einer gemein­sa­men Pres­se­kon­fe­renz mit Wilkul an, seine Kan­di­da­tur zurück­zu­zie­hen und Wilkul zu unterstützen.

Der Artikel ist als Teil einer Koope­ra­tion mit den Ukraine-Ana­­ly­­sen (Nr. 213) ent­stan­den, wo er par­al­lel ver­öf­fent­licht wurde.

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