Das Gesetz zum Antikorruptionsgericht – Meilenstein oder Reformimitat?
Am 1. März hat die Werchowna Rada in erster Lesung ein Gesetz zur Schaffung eines Antikorruptionsgerichts verabschiedet. Kritiker sehen darin allerdings eher die Imitation einer Reform als einen echten Willen zur Bekämpfung der Korruption.
Über nichts ist wohl in den vergangenen Monaten zwischen der Führung in Kiew und zivilgesellschaftlichen sowie internationalen Organisationen so intensiv gerungen worden – nun wurde am 1. März in erster Lesung ein Gesetz zur Schaffung eines Antikorruptionsgerichtes (High Anti-Corruption Court, HACC) im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, mit 282 Ja-Stimmen verabschiedet. Das Gesetz folgt einem Entwurf von Präsident Petro Poroschenko, den dieser am 22. Dezember letzten Jahres nicht zuletzt infolge internationalen Drucks eingebracht hatte. Wäre der Entwurf aus der Intention geboren, der endemischen Korruption unter hohen Beamten und im Justizsystem tatsächlich wirksam zu Leibe zu rücken, könnte eines der größten Hemmnisse für eine positive Entwicklung der Ukraine aus dem Weg geräumt werden. Kritiker im In- und Ausland bezweifeln jedoch genau das und fordern grundlegende Nachbesserungen.
Deutliche Kritik am Gesetzentwurf
Die Schaffung eines Antikorruptionsgerichts wird seit Jahren nicht nur von zivilgesellschaftlichen Organisationen, liberalen und reformorientierten Politikern innerhalb der Ukraine, sondern auch von internationalen Partnern und Geldgebern wie der EU, den USA, der Venedigkommission des Europarats, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank gefordert. Sie ist im Assoziierungsabkommen und im Visaabkommen mit der EU sowie im Programm des IWF verankert. Bereits 2017 hatte die EU-Kommission, unterstützt vom Europäischen Parlament, Zahlungen verschoben, weil keine Fortschritte erkennbar waren, ebenso wurden IWF-Tranchen zurückgehalten. Nicht zuletzt war die Schaffung eines HACC eine der zentralen Forderungen mehrerer Tausend Demonstranten, die sich in der ersten länger andauernden Protestaktion seit 2014 ab dem 17. Oktober letzten Jahres vor dem Parlament versammelten.
Gleichwohl wurden der Einrichtung des Gerichts in den vergangenen Monaten zunehmend Steine in den Weg gelegt. So suchte Präsident Petro Poroschenko zunächst Zuflucht in einer Alternativlösung: Anstatt eines zentralen und unabhängigen Gerichts sollten Antikorruptionskammern bei allen bestehenden Gerichten angesiedelt werden – die diesen aber unterstellt und mit ihrem Personal bestückt wären, was den Sinn des Vorhabens voraussehbar konterkarieren würde. Entsprechend groß war der internationale Druck, der schließlich in den nun verabschiedeten Entwurf mündete.
Mag dies ein kleiner Schritt vorwärts sein, hat der vorgelegte Text dennoch harsche Kritik bei allen einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen und den internationalen Partnern hervorgerufen, verbunden mit der Forderung, den Entwurf vor der Behandlung im Parlament zu überarbeiten und dabei die im Herbst 2017 ausgesprochenen Empfehlungen der Venedigkommission zu beachten.
Fünf zentrale Kritikpunkte
- Erster und größter Kritikpunkt ist das Auswahlverfahren der Richter, für die die Beteiligung eines Internationalen Expertenrats vorgesehen ist. Der Poroschenko-Entwurf gesteht diesem lediglich beratende Funktion, nicht jedoch ein Vetorecht zu. In einer ähnlichen Situation – bei der Ernennung der Richter für den Obersten Gerichtshof – hatte es im Oktober 2017 bereits schlechte Erfahrungen gegeben, als der beratende Public Integrity Council gegen 30 der nominierten Richter substantielle Bedenken vorgetragen hatte, diese aber dennoch ernannt wurden.
- Zweitens stehen die vorgeschlagenen Anforderungen für die auszuwählenden Richter in der Kritik. So sollen die Kandidaten u.a. mehrjährige Erfahrung in der Korruptionsbekämpfung in internationalen Organisationen sowie substanzielle Arbeitserfahrung als Richter in der Ukraine sowie im wissenschaftlichen Bereich mitbringen. Ob sich in absehbarer Zeit genug Kandidaten mit diesem Profil finden lassen, darf bezweifelt werden, was eine volle Besetzung des Gerichts in weite Ferne rücken ließe.
- Drittens wird angemahnt, dass das HACC entsprechend der Forderung der Venedigkommission nur für Fälle zuständig ist, die das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) und die Spezielle Antikorruptionsstaatsanwaltschaft ermitteln, sprich die wirklich hochrangigen Fälle. Der Poroschenko-Entwurf sieht dagegen eine Befassung mit zahlreichen weiteren Fällen, etwa im Bereich Organisierte Kriminalität, vor, was absehbar zu einer völligen Überlastung führen würde.
- Viertens überlässt der Entwurf verschiedene Entscheidungen – etwa die Anzahl der Richter und die Bewertung ihrer Erfahrung – der staatlichen Justizverwaltung. Dies ist ein Türöffner für Einflussnahme und würde die zwingend notwendige Unabhängigkeit des Gerichtes einschränken.
- Fünftens ist schließlich die Empfehlung der Venedigkommission hinsichtlich der internationalen Organisationen missachtet worden, die beratende internationale Experten für die Richterauswahl nominieren dürfen. Der Entwurf bezieht nur solche Organisationen ein, die im Feld der Antikorruptionsbekämpfung mit der Ukraine zusammenarbeiten, nicht aber solche, die dafür technische und finanzielle Unterstützung bereitstellen.
Zu einer Überarbeitung oder Neufassung vor der ersten Lesung im Parlament kam es trotz dieser Kritik, die etwa von IWF und Weltbank im Januar in Briefen an Parlament und Präsidialverwaltung zum Ausdruck gebracht wurden, nicht. Parlamentspräsident Parubij kündigte allerdings eine Überarbeitung entsprechend den Empfehlungen der Venedigkommission zwischen erster und zweiter Lesung an.
Kampf um den Antikorruptionskampf
Im Ringen um ein Antikorruptionsgericht kristallisiert sich ein „Kampf um den Antikorruptionskampf“, der von Seiten der Behörden mit zunehmend harten Bandagen geführt wird. Ein Beispiel ist die Absetzung des Vorsitzenden des Antikorruptionsausschusses der Werchowna Rada Egor Sobolew, der seiner Aufgabe ernsthaft und unabhängig nachkam; ein weiteres Beispiel der Prozess gegen den Chef der Anti-Korruptions-NGO AntAC Vitaliy Shabunin, der vom Mitarbeiter eines Abgeordneten zu einer Tätlichkeit provoziert wurde und sich nun in einem von Unstimmigkeiten strotzenden und offensichtlich politisch beeinflussten Gerichtsprozess sieht, der ihn bis zu fünf Jahre ins Gefängnis bringen könnte. Nicht zuletzt gehört hierher das jüngst in Kraft getretene Gesetz, das von allen NGOs, die sich mit dem Kampf gegen Korruption beschäftigen, die Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse per e‑Deklaration verlangt; da dies nicht nur alle Mitarbeiter, sondern auch Dienstleister betrifft, müssen praktische Behinderungen der Arbeit erwartet werden, etwa indem Dienstleister sich von der Zusammenarbeit zurückziehen. Der Druck der europäischen Partner zielt derzeit auch darauf ab, dieses Gesetz rückgängig zu machen.
Trotz großem Widerstand gibt es auch Erfolgsmeldungen
Weitere Beispiele wären hinzuzufügen. Der Widerstand, der dadurch deutlich wird, weist allerdings auch darauf hin, dass bereits deutliche Erfolge gegen die tief verwurzelte Korruption erzielt wurden. So macht das zivilgesellschaftlich initiierte und entwickelte elektronische ProZorro-System die Vergabe staatlicher Aufträge transparent und hat bereits nachweislich zu Einsparungen öffentlicher Gelder geführt. Politiker und hohe Beamte müssen ihre Vermögensverhältnisse per e‑Deklaration offenlegen, um etwa Diskrepanzen zwischen Einkommen und Besitztum – oft ein Zeichen von Korruption im Amt – sichtbar zu machen. Die Reformen im Energiesektor, im Gesundheitssystem und zur Dezentralisierung wirken ebenfalls der Korruption entgegen. Vielleicht der wichtigste Erfolg war die Einrichtung des Nationalen Antikorruptionsbüros NABU, das unabhängig ermittelt und dadurch erheblich unter Druck steht bzw. durch die Nichtbehandlung der ermittelten Fälle in den zuständigen Gerichten ausgebremst wird. Genau hier würde durch das zu schaffende Antikorruptionsgericht die Lücke geschlossen.
In den Augen von Zivilgesellschaftsvertretern besteht die Gefahr, dass der Präsident dem Westen genau soviel gibt, wie notwendig ist, um dessen Unterstützung nicht zu verlieren, während ein effektives Arbeiten des Antikorruptionsgerichts verhindert oder zumindest auf absehbare Zeit verzögert wird. In der Ukraine kursiert dafür das Wort „Imitation“. Oleksandr Solontai, Vorsitzender des Politischen Rates der liberalen Partei „Kraft der Menschen“, sieht die Gefahr, dass im Windschatten der Einrichtung des HACC andere Reformen zum Stillstand kommen. Für Anatolij Gryzenko, Präsidentschaftskandidat für 2019 und Chef der liberalkonservativen „Bürgerposition“, hat dieses Vorgehen System: „Poroschenko hat alles dafür getan, dass dieses Gericht erst nach Ende seiner Amtszeit als Präsident zu arbeiten beginnt, damit gegen sein Regierungsteam keine Ermittlungen aufgenommen werden.“ Beide, Gryzenko und Solontai, fordern daher eine rasche Einrichtung des Gerichts noch in diesem Jahr.
Die nachhaltige Bekämpfung der Korruption ist essenzielle Voraussetzung für eine rechtsstaatliche und demokratische Ordnung wie auch für die Entwicklung eines prosperierenden Mittelstandes und die Ansiedlung ausländischer Unternehmen, mithin wirtschaftlicher Prosperität. Gelingt sie nicht, spielt das denen in die Hände, die Interesse an einer Destabilisierung des Landes haben. Europäische Politik muss sich daher die Mühe machen, genau hinzuschauen, und darf sich nicht mit formalen Schritten zufrieden stellen lassen.
Der Text ist eine leicht gekürzte Version eines Beitrags, der zuerst auf der Website der Friedrich-Naumann-Stiftung www.freiheit.org erschienen ist. Wir danken der Autorin für die Erlaubnis zum Nachdruck.
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