Die schwierigen Beziehungen der Ukraine mit internationalen Kreditgebern
Um neue Hilfskredite zu erhalten, muss die Ukraine umfangreiche Reformen umsetzen. Aufgrund schleppender Implementierung wurden internationale Kredite eingefroren. Wie geht es weiter im Ringen um Geld und Reformen?
Die ukrainische Zivilgesellschaft verfolgt mit großem Interesse den Besuch einer Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF), die vom 12. bis zum 16. Februar in Kyjiw ist. Eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen um frisches Geld nimmt die Forderung westlicher Geldgeber nach der Gründung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts (HACC) sein. Viele Beobachter erhoffen sich von der Einrichtung des HACC, dass dadurch die Arbeit des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) ergänzt wird und nicht (wie bisher) nur gegen Korruption ermittelt wird, sondern Verantwortliche auch endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Analyse zeichnet den Streit um das HACC im Kontext der laufenden Verhandlungen mit dem IWF nach und fragt, welche Rolle dabei das Konditionalitätsprinzip einnehmen kann.
Internationale Hilfskredite an die Ukraine
Konditionalität meint, dass Staaten, die auf internationale Hilfe angewiesen sind, auch konkreten Forderungen nachkommen müssen, um Kredite zu erhalten. Seit „der Revolution der Würde“ 2014 hat die Ukraine vom IWF insgesamt 13 Milliarden US-Dollar in Niedrigzins-Krediten für makroökonomische Stabilisierungsmaßnahmen erhalten. Der IWF spielt nicht nur wegen der Größe der Kredite eine besondere Rolle, sondern auch, weil Kredite weiterer Geldgeber häufig an die Kreditvergabe des IWF gekoppelt sind.
Von der Weltbank kamen weitere 5,5 Milliarden US-Dollar für spezielle Reformbemühungen. Und die EU stellte der Ukraine bis 2020 bis zu zwölf Milliarden Euro in Aussicht. Davon flossen bereits 3,41 Milliarden Euro in drei Tranchen – die mit Abstand größten Kredite, die die EU jemals an Nichtmitgliedsstaaten gezahlt hat.
Das Antikorruptionsgericht als zentrales Streitobjekt
Bei fast allen Vereinbarungen, die die Ukraine mit internationalen Geldgebern schloss, war der Kampf gegen die Korruption zentraler Bestandteil. Ohne unabhängiges Antikorruptionsgericht stößt dieser jedoch an seine Grenzen. So wurden beispielsweise dreiviertel der Fälle gegen hochrangige Politiker und Staatsdiener, die das NABU seit 2015 vor Gericht brachte, verschleppt.
Die letzte IWF-Tranche in Höhe von einer Milliarde US-Dollar erhielt die Ukraine im April 2017. Damals wurde im dazugehörigen Letter of Intent festgehalten, dass die notwendigen Gesetze zur Errichtung des unabhängigen Antikorruptionsgerichts bis Mitte Juni 2017 verabschiedet werden müssen, damit das neue Gericht bis Ende März 2018 seine Arbeit aufnehmen kann. Dagegen wehrte sich die ukrainische Politik vehement.
Doch der internationale Druck wuchs. Im Oktober 2017 sprach sich die Venedig-Kommission des Europarates nach Prüfung zweier ukrainischer Gesetzesentwürfe für die Gründung eines Antikorruptionsgerichts aus. Nach langem Zögern brachte Präsident Poroschenko schließlich am 22. Dezember 2017 einen Gesetzesentwurf zur Gründung des HACC ins Parlament ein.
Doch die ukrainische Zivilgesellschaft wies den Entwurf als unzureichend zurück, unter anderem, weil internationalen Experten bei der Auswahl der Richter lediglich eine beratende Funktion eingeräumt würde. Der IWF-Delegationsleiter in Kiew schloss sich im der Kritik in einem Brief an die Präsidialverwaltung im Januar 2018 an. Die Weltbank griff die Kritik des IWF ebenfalls auf und machte eine Auszahlung von 800 Millionen Euro für weitere Reformhilfen davon abhängig, ob die Änderungsvorschläge im Sinne der Venedig-Kommission umgesetzt werden. Auch die EU, die im Dezember 2017 auf eine Auszahlung einer Tranche von 600 Millionen Euro unter anderem wegen des stockenden Kampfs gegen die Korruption verzichtete, schloss sich der Kritik an.
IWF-Ukraine Beziehungen 2018
Bei den laufenden Gesprächen in Kyjiw zwischen der ukrainischen Regierung und dem IWF ist die entscheidende Frage, ob der IWF auf seine bisherigen Forderungen pocht. Zu den zentralen, bis dato unerfüllten Forderungen des IWFs zählen: Die Schaffung des HACC, die Anpassung der Gaspreise, Land- und Pensionsreformen sowie Anpassungen der Fiskalpolitik. Die jüngsten Signale von IWF und weiteren westlichen Geldgebern deuten darauf hin, dass die Geduld in Sachen Korruptionsbekämpfung begrenzt ist. Nach politischen Attacken gegen das NABU Ende vergangenen Jahres, die massive Kritik hervorriefen, scheinen sich die internationalen Geldgeber keine falschen Illusionen zu machen. Sie knüpfen die Bereitschaft zu weiteren Krediten an strikte Bedingungen, wie die Gründung des HACC. Daraus ergibt sich die wichtige Frage, wie sehr die Ukraine angesichts der makroökonomischen Erholung auf internationale Hilfskredite angewiesen sein wird.
2017 kam die Regierung fast ohne Finanzhilfen aus. Die Ukrainische Nationalbank teilte im Januar 2018 mit, dass für das laufende Jahr zur Beibehaltung der makroökonomischen Stabilität mindestens zwei Milliarden US-Dollar an IWF-Krediten notwendig seien. Ukrainische Finanzexperten gehen davon aus, dass das Land ohne IWF-Gelder nicht überleben würde. Die Folgen eines ukrainischen Exits aus dem IWF-Programm wären verheerend für die ukrainische Wirtschaft. Ohne Finanzhilfen sei der Wechselkurs kaum zu stabilisieren, die Inflation würde in die Höhe schießen und dringend benötigte ausländische Direktinvestitionen ausbleiben.
Immense Schuldenlast
Nach Einschätzungen verschiedener Experten muss die Ukraine zwischen 2018 und 2021 jährlich mindestens sieben Milliarden US-Dollar an Schulden begleichen. Alleine 2018 sind nach Angaben des ukrainischen Finanzministeriums 10,9 Milliarden US-Dollar an Krediten fällig – das entspricht rund zehn Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Gleichzeitig verfügt die Ukraine über vergleichsweise schmale Fremdwährungsreserven von knapp 19 Milliarden US-Dollar (Stand Dezember 2017). Und als ob das noch nicht genug wäre hat die Staatsverschuldung der Ukraine, die 2013 noch 40% des BIP betrug, mittlerweile 90% erreicht. Ende Februar wird außerdem von einem Londoner Gericht entschieden, ob die Ukraine umstrittene drei Milliarden US-Dollar an Russland zurückzahlen muss. Allein dadurch würden sich die Schulden um weitere drei Prozent des BIPs erhöhen.
Alternative Finanzierungsquellen?
Trotz des stabilen Wirtschaftswachstums von rund zwei Prozent sieht es daher alles andere als rosig aus für die ukrainische Regierung. Die Frage nach alternativen Finanzierungsquellen ist ebenfalls schnell beantwortet: Im September 2017 konnte die Ukraine noch Eurobonds in Höhe von rund drei Milliarden US-Dollar mit einem Zinssatz von 7,375 Prozent an den internationalen Märkten platzieren. Dieses Jahr plant die Ukraine weitere zwei bis drei Milliarden US-Dollar an Eurobonds zu emittieren. Der Zinssatz der Bonds ist jedoch hoch, verglichen mit den knapp zwei Prozent der IWF-Kredite. Dass die Ukraine bei einem Ausbleiben der IWF-Gelder oder gar einem Ausscheiden aus dem IWF-Programm genug Geld an internationalen Finanzmärkten leihen könnte, um die Schulden zu bedienen, wird bezweifelt. Das Scheitern der Gespräche mit dem IWF und anderen Geldgebern würde ein fatales Signal an mögliche andere Kreditgeber und Investoren senden. Andere denkbare Kreditgeber wie China, die in strategische Ressourcen und Infrastruktur investieren, könnten der Ukraine nicht in ausreichendem Umfang unter die Arme greifen.
Ausblick
Die Ukraine ist auch 2018 auf internationales Geld angewiesen. Die Gründung des HACC ist eine zentrale Forderung aller westlichen Geldgeber. Daher muss die Ukraine einen Kompromiss mit ihnen finden. Andere IWF-Forderungen wie die Pensions- oder Landreform sind innenpolitisch besonders heikel – speziell in Anbetracht der miserablen Umfragewerte von Präsident Poroschenko und der anstehenden Präsidentschaftswahl 2019. Sie fallen deshalb als Verhandlungsmasse aus. Deswegen ist davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten Bewegung in die Gründung des HACC kommt – obwohl große Teile der politischen Elite kein Interesse daran haben, da es ihre Möglichkeiten, sich auf Kosten des Staates zu bereichern beschneidet und korrupte Politiker zur Rechenschaft ziehen könnte.
Fast wichtiger als die Frage, wann das Gericht kommt, ist die Frage, mit welchem Personal, Mandat und mit welchen Mitteln es ausgestattet sein wird. Hier werden sich der IWF und die internationalen Geldgeber wenig nachgiebig zeigen und auf die Umsetzung der Empfehlungen der Venedig-Kommission pochen. Wie ein neues Gericht ohne politische Unterstützung gegen Teile der Elite vorgehen wird, wird mit Spannung verfolgt werden. So viel scheint sicher: Die Auseinandersetzung um das Gericht und die komplizierte Beziehung der Ukraine zu ihren internationalen Geldgebern wird sich fortsetzen.
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