Grassroots-Initiativen gegen Korruption
Trotz aller Reformen bleibt Korruption ein großes Problem in der Ukraine. Aber es entstehen auch neue Initiativen, die sich gegen Korruption engagieren. Spezielle Stadtführungen klären nun über besonders eklatante Korruptionsfälle auf.
Die Ukraine gilt als korruptestes Land Europas. Laut dem Corruption Perception Index von Transparency International behauptet das Land diesen traurigen Titel seit 2010 zusammen mit Russland.
Kaum etwas symbolisiert die grassierende Korruption vor 2014 so gut wie das Anwesen des ehemaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch vor den Toren Kyjiws, im Volksmund besser bekannt als Meschyhirja. Früher hermetisch abgeriegelt, können sich Besucher inszwischen selbst ein Bild davon machen, wie ausufernd die Korruption und Raffgier des Präsidenten waren.
Relikte der Korruption prägen das Stadtbild Kyjiws – und sind Stationen einer neuen Stadtführung
Vier Jahre nach den Majdan-Protesten muss man aber nicht nach Meschyhirja fahren, um Symbole der Korruption zu sehen. Denn zahlreiche Relikte von Korruption, Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft sind fest im Stadtbild der pulsierenden Metropole verankert. Das große, nie fertiggestellte Parkhaus am Flughafen Boryspil, die ebenfalls brachliegende rostige Brücke über den Dnipro, zahlreiche Gebäude in der Innenstadt und sogar die Kastanienbäume auf dem Chreschtschatyk, der Prachtmeile Kyjiws, symbolisieren die grassierende Korruption.
Genau daran knüpfen die Anti-Corruption Walks Kyiv an. In Kleingruppen wird auf Ukrainisch oder Englisch durch Kyjiw zu solchen Orten der Korruption geführt. Anhand praktischer Fälle und sorgfältig recherchierter Geschichten werden einzelne Korruptionsfälle verständlich gemacht. Die Initiative entstand im Sommer 2017 aus einer ukrainisch-deutschen Jugendbegegnung und wurde von den LobbyControl-Führungen in Berlin und ähnlichen Touren in London, Bogota und Mexico-Stadt inspiriert.
Janukowytsch-Helipad steht für Korruption und Machtmissbrauch
Eine Station der Tour ist das Parkowy Business Centre, im Volksmund besser bekannt als Janukowytsch-Helipad: Um seinen Arbeitsweg zu verkürzen, ließ der ehemalige Präsident 2010 unweit des Parlaments in bester Hanglage mitten in einem UNESCO-Weltkulturerbe geschützten Areals einen Hubschrauberlandeplatz samt Business Center errichten. Gelandet ist Janukowytsch hier nur wenige Male.
Unter dem Helipad befindet sich das Kongresszentrum, das einen weiten Blick über Kyjiw bietet. Rechts im Hintergrund ist die unfertige Brücke über den Dnipro zu sehen, ebenfalls ein stadtbekanntes Symbol für Korruption.
Im Mai 2017 fand dort die offizielle Afterparty des Eurovision Song Contests statt. Mit dieser Party verdienten Vertraute des ehemaligen Präsidenten, die das Gebäude über eine Reihe von Mantelfirmen kontrollierten, 50.000 US-Dollar aus dem Staatsbudget. Nach massivem öffentlichen Druck wurde das Gebäude Ende 2017 verstaatlicht. Ermittlungen über die genauen Umstände des Baus sind bis heute nicht erfolgt. Diese Station steht daher nicht nur für Korruption und Machtmissbrauch des alten Systems, sondern zeigt auch, wie schwer sich die Politik auch heute noch tut, mit der Korruption aufzuräumen.
Die Stadtführungen sollen sensibilisieren und aktivieren
Die Führungen thematisieren jedoch nicht nur Symbole der Korruption. Vielmehr geht es auch um Fortschritte im Kampf gegen die Korruption. So werden im Rahmen der Rundgänge zahlreiche Initiativen und mutige Bürgerinnen und Bürger vorgestellt, die sich der Korruption entschieden entgegenstellen. Das soll nicht nur die Sensibilität für das Thema erhöhen, sondern auch ermutigend wirken, um selbst aktiv zu werden.
Die Führungen sind ein großer Erfolg. Bereits zahlreiche Bürger, aber auch Touristen und Experten nahmen daran teil. Ende Februar 2018 besuchte beispielsweise Rebecca Harms, Mitglied des Europäischen Parlaments, eine der Führungen. Auch die Deutsche Welle berichtete über das Projekt. Für 2018 planen die Aktivisten, das Angebot insbesondere für ukrainische Schüler und Studenten massiv auszubauen und die Führungen in Kooperation mit lokalen Initiativen in Odessa, Charkiw und Lemberg auch in diesen Städten anzubieten.
Selbst bei Minusgraden und Schnee finden die Führungen statt – und stoßen auf großes Interesse.
Trotz verschleppter Reformen ist ein gesellschaftlicher Veränderungsprozess in Gang
Im jüngst vorgestellten Corruption Perception Index 2017 konnte sich die Ukraine leicht verbessern und ist nun vor Russland „nur noch“ das zweitkorrupteste Land Europas. Trotz einer aktiven und selbstbewussten Zivilgesellschaft bleibt die Korruption ein zentrales Problem, das die Ukraine noch lange beschäftigen wird. Große Teile der politischen Eliten stemmen sich gegen eine effektive Korruptionsbekämpfung und verzögern z.B. die Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts. Aber die zahlreichen gesellschaftlichen Initiativen zeigen, dass in den Köpfen vieler Menschen das Umdenken bereits begonnen hat und eine Veränderung von unten schon längst im Gange ist.
Der Autor ist Projektleiter der Anti-Corruption Walks Kyiv, die im Sommer 2017 aus einem deutsch-ukrainischen Meet Up-Jugendbegegnungsprojekt entsanden sind. Heute ist das Projekt Teil des Anti-Corruption Research and Education Centre (ACREC) an der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie und des deutschen Vereins Young Initiative for Foreign Affairs and International Relations (IFAIR) e.V.
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