Grass­roots-Initia­ti­ven gegen Korruption

Die Euro­pa­par­la­men­ta­rie­rin Rebecca Harms und weitere Teil­neh­mer des Anti-Cor­rup­­tion Walks

Trotz aller Refor­men bleibt Kor­rup­tion ein großes Problem in der Ukraine. Aber es ent­ste­hen auch neue Initia­ti­ven, die sich gegen Kor­rup­tion enga­gie­ren. Spe­zi­elle Stadt­füh­run­gen klären nun über beson­ders ekla­tante Kor­rup­ti­ons­fälle auf.

Die Ukraine gilt als kor­rup­tes­tes Land Europas. Laut dem Cor­rup­tion Per­cep­tion Index von Trans­pa­rency Inter­na­tio­nal behaup­tet das Land diesen trau­ri­gen Titel seit 2010 zusam­men mit Russland.

Kaum etwas sym­bo­li­siert die gras­sie­rende Kor­rup­tion vor 2014 so gut wie das Anwesen des ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten Wiktor Janu­ko­wytsch vor den Toren Kyjiws, im Volks­mund besser bekannt als Meschy­hirja. Früher her­me­tisch abge­rie­gelt, können sich Besu­cher ins­zwi­schen selbst ein Bild davon machen, wie aus­ufernd die Kor­rup­tion und Raff­gier des Prä­si­den­ten waren.

Relikte der Kor­rup­tion prägen das Stadt­bild Kyjiws – und sind Sta­tio­nen einer neuen Stadtführung

Vier Jahre nach den Majdan-Pro­tes­ten muss man aber nicht nach Meschy­hirja fahren, um Symbole der Kor­rup­tion zu sehen. Denn zahl­rei­che Relikte von Kor­rup­tion, Amts­miss­brauch und Vet­tern­wirt­schaft sind fest im Stadt­bild der pul­sie­ren­den Metro­pole ver­an­kert. Das große, nie fer­tig­ge­stellte Park­haus am Flug­ha­fen Borys­pil, die eben­falls brach­lie­gende rostige Brücke über den Dnipro, zahl­rei­che Gebäude in der Innen­stadt und sogar die Kas­ta­ni­en­bäume auf dem Chres­cht­scha­tyk, der Pracht­meile Kyjiws, sym­bo­li­sie­ren die gras­sie­rende Korruption.

Genau daran knüpfen die Anti-Cor­rup­tion Walks Kyiv an. In Klein­grup­pen wird auf Ukrai­nisch oder Eng­lisch durch Kyjiw zu solchen Orten der Kor­rup­tion geführt. Anhand prak­ti­scher Fälle und sorg­fäl­tig recher­chier­ter Geschich­ten werden ein­zelne Kor­rup­ti­ons­fälle ver­ständ­lich gemacht. Die Initia­tive ent­stand im Sommer 2017 aus einer ukrai­nisch-deut­schen Jugend­be­geg­nung und wurde von den Lob­by­Con­trol-Füh­run­gen in Berlin und ähn­li­chen Touren in London, Bogota und Mexico-Stadt inspiriert.

Janu­ko­wytsch-Helipad steht für Kor­rup­tion und Machtmissbrauch

Eine Station der Tour ist das Parkowy Busi­ness Centre, im Volks­mund besser bekannt als Janu­ko­wytsch-Helipad: Um seinen Arbeits­weg zu ver­kür­zen, ließ der ehe­ma­lige Prä­si­dent 2010 unweit des Par­la­ments in bester Hang­lage mitten in einem UNESCO-Welt­kul­tur­erbe geschütz­ten Areals einen Hub­schrau­ber­lan­de­platz samt Busi­ness Center errich­ten. Gelan­det ist Janu­ko­wytsch hier nur wenige Male.

© Parkovy

Unter dem Helipad befin­det sich das Kon­gress­zen­trum, das einen weiten Blick über Kyjiw bietet. Rechts im Hin­ter­grund ist die unfer­tige Brücke über den Dnipro zu sehen, eben­falls ein stadt­be­kann­tes Symbol für Korruption.

Im Mai 2017 fand dort die offi­zi­elle After­party des Euro­vi­sion Song Con­tests statt. Mit dieser Party ver­dien­ten Ver­traute des ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten, die das Gebäude über eine Reihe von Man­tel­fir­men kon­trol­lier­ten, 50.000 US-Dollar aus dem Staats­bud­get. Nach mas­si­vem öffent­li­chen Druck wurde das Gebäude Ende 2017 ver­staat­licht. Ermitt­lun­gen über die genauen Umstände des Baus sind bis heute nicht erfolgt. Diese Station steht daher nicht nur für Kor­rup­tion und Macht­miss­brauch des alten Systems, sondern zeigt auch, wie schwer sich die Politik auch heute noch tut, mit der Kor­rup­tion aufzuräumen.

Die Stadt­füh­run­gen sollen sen­si­bi­li­sie­ren und aktivieren

Die Füh­run­gen the­ma­ti­sie­ren jedoch nicht nur Symbole der Kor­rup­tion. Viel­mehr geht es auch um Fort­schritte im Kampf gegen die Kor­rup­tion. So werden im Rahmen der Rund­gänge zahl­rei­che Initia­ti­ven und mutige Bür­ge­rin­nen und Bürger vor­ge­stellt, die sich der Kor­rup­tion ent­schie­den ent­ge­gen­stel­len. Das soll nicht nur die Sen­si­bi­li­tät für das Thema erhöhen, sondern auch ermu­ti­gend wirken, um selbst aktiv zu werden.

Die Füh­run­gen sind ein großer Erfolg. Bereits zahl­rei­che Bürger, aber auch Tou­ris­ten und Exper­ten nahmen daran teil. Ende Februar 2018 besuchte bei­spiels­weise Rebecca Harms, Mit­glied des Euro­päi­schen Par­la­ments, eine der Füh­run­gen. Auch die Deut­sche Welle berich­tete über das Projekt. Für 2018 planen die Akti­vis­ten, das Angebot ins­be­son­dere für ukrai­ni­sche Schüler und Stu­den­ten massiv aus­zu­bauen und die Füh­run­gen in Koope­ra­tion mit lokalen Initia­ti­ven in Odessa, Charkiw und Lemberg auch in diesen Städten anzubieten.

© Anti-Cor­rup­tion Walks

Selbst bei Minus­gra­den und Schnee finden die Füh­run­gen statt – und stoßen auf großes Interesse.

Trotz ver­schlepp­ter Refor­men ist ein gesell­schaft­li­cher Ver­än­de­rungs­pro­zess in Gang

Im jüngst vor­ge­stell­ten Cor­rup­tion Per­cep­tion Index 2017 konnte sich die Ukraine leicht ver­bes­sern und ist nun vor Russ­land „nur noch“ das zweit­kor­rup­teste Land Europas. Trotz einer aktiven und selbst­be­wuss­ten Zivil­ge­sell­schaft bleibt die Kor­rup­tion ein zen­tra­les Problem, das die Ukraine noch lange beschäf­ti­gen wird. Große Teile der poli­ti­schen Eliten stemmen sich gegen eine effek­tive Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung und ver­zö­gern z.B. die Schaf­fung eines unab­hän­gi­gen Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts. Aber die zahl­rei­chen gesell­schaft­li­chen Initia­ti­ven zeigen, dass in den Köpfen vieler Men­schen das Umden­ken bereits begon­nen hat und eine Ver­än­de­rung von unten schon längst im Gange ist.


Der Autor ist Pro­jekt­lei­ter der Anti-Cor­rup­tion Walks Kyiv, die im Sommer 2017 aus einem deutsch-ukrai­ni­schen Meet Up-Jugend­be­geg­nungs­pro­jekt ent­san­den sind. Heute ist das Projekt Teil des Anti-Cor­rup­tion Rese­arch and Edu­ca­tion Centre (ACREC) an der Natio­na­len Uni­ver­si­tät Kiew-Mohyla-Aka­de­mie und des deut­schen Vereins Young Initia­tive for Foreign Affairs and Inter­na­tio­nal Rela­ti­ons (IFAIR) e.V.

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