Präsidentschaftswahlen in der Ukraine: Wer gegen wen?
Am 31.03. finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Der Ausgang ist nach wie vor offen. Dem Land steht eine harte und schmutzige Wahlkampfzeit bevor. Eine Analyse von Sergej Sumlenny
Das Rennen um die Präsidentschaft in der Ukraine wird jetzt ernst. Anderthalb Monate vor den Präsidentschaftswahlen stehen die drei wichtigsten Kandidat*innen fest. Der amtierende Präsident Petro Poroschenko, die schon zum dritten Mal kandidierende Populistin Julia Tymoschenko sowie der politisch unerfahrene Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj.
Diffuse Wahlprogramme
Der Wahlkampf der führenden drei Kandidat*innen wird hoch emotional und wenig sachlich geführt. Am klarsten erscheinen noch die Botschaften des amtierenden Präsidenten. Petro Poroschenko, dessen Wahlplakate in dunkler Bordeaux-Farbe gefertigt sind, wirbt erzpatriotisch mit der Unabhängigkeit der ukrainischen orthodoxen Kirche von ihrer russischen Schwesterkirche, mit der wiedergewonnenen Stärke der Armee und mit der Förderung der ukrainischen Sprache. Damit hebt er sich erheblich von seiner Kampagne im Jahr 2014 ab. Damals präsentierte er sich als gemäßigter Kandidat, fast als Technokrat. Ein Politiker echter Taten, nicht bloßer Versprechungen, will er sein und grenzt sich von seinen Gegner*innen ab – nur eine Kontinuität der Politik ist für viele Wähler*innen zu langweilig. Eigentlich ist es in der Ukraine nicht üblich, dass ein amtierender Präsident wiedergewählt wird. Nur einmal ist dies in der Geschichte der unabhängigen Ukraine seit 1990 geschehen.
Die zwei wichtigsten Gegner*innen von Poroschenko sind Julia Tymoschenko, die einstige Heldin der Orangen Revolution und frühere Premierministerin, und der Komiker Wolodymyr Selenskyj, der in seiner populären Fernsehshow die Rolle eines zufällig zum Präsidenten gewählten Lehrers spielt, der Korruption bekämpft und für die „einfachen Leute“ einsteht. Laut der jüngsten Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) führt Selenskyi mit fast 27% Zustimmung vor Poroshenko mit 17,7% und Tymoschenko mit 15,8%. Die Ergebnisse von Befragungen unterscheiden sich aber teilweise erheblich, was eine seriöse Einschätzung unmöglich macht.
Tymoschenko und Selenskyj versuchen, einander mit populistischen Versprechungen zu überbieten. So verspricht Julia Tymoschenko von ihren Wahlplakaten, die Gaspreise für die Bevölkerung zu halbieren, und nennt bei einem öffentlichen Auftritt ihr Ziel, den Durchschnittslohn in der Ukraine binnen 5 Jahren auf bis zu 1000 US-Dollar fast zu verdreifachen –obwohl die Wirtschaftspolitik gar nicht in die Kompetenz des Präsidenten, sondern in die der Regierung fällt. Ihr Slogan bleibt ein „Neuer Kurs“, der eine tiefgreifende Verfassungsreform und ein rapides Wirtschaftswachstum in der Art von Nachkriegsdeutschland oder der USA während Roosevelts „New Deal“ vorsieht. Dabei gehören zu ihren treusten Unterstützer*innen vor allem die älteren und armen Menschen in der Provinz, die sich eher wenig durch solche Versprechen beeindrucken lassen.
Wolodymyr Selenskyj – ein ukrainischer Trump?
Der umstrittenste Kandidat bleibt der Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj. Politisch unerfahren stellt er sich bewusst als Querulant dar. Schon in seiner Fernsehshow, die viele als eine kluge und gut durchgedachte Wahlkampagne bewerten, präsentiert er sich als jemand, der dank seines gesunden Menschenverstandes und seiner Distanz zu verdorbenen und verlogenen Eliten das Land zur Ordnung bringt. Vor allem bei jungen Leuten genießt er eine große Unterstützung. Auch bei der russischsprachigen Bevölkerung hat er gute Chancen – da seine Show vor allem russischsprachig ist und sich sogar Witze auf Kosten der ukrainischsprachigen Menschen erlaubt. Nichts, was einem anderen Politiker schaden würde, mindert sein Rating – seien es seine in Russland ansässigen Firmen oder ein Video, auf dem er einen unabhängigen Journalisten verbal attackiert, als dieser Selenskyj über mögliche Korruption in seinem Umfeld befragen will. Sogar seine verdächtige Nähe zum Oligarchen Kolomijskyj, auf dessen Fernsehsender sogar die Neujahresansprache des Präsidenten Poroschenko kurzfristig gestrichen und durch eine Ansprache von Selenskyj ersetzt wurde, schadet diesem nicht.
Analyst*innen bezeichnen Selenskyj schon als einen ukrainischen Trump, der von jedem Skandal nur profitiert und sich bewusst als ein Gegner jeder politischen Elite präsentiert. Dabei bleibt sein Wahlprogramm inhaltslos, aber „volksnah“ – Selenskyj rief seine Anhänger*innen dazu auf, sein Programm mithilfe der Kommentare in sozialen Netzwerken zusammenbasteln. Gegen Selenskyj kann die Tatsache spielen, dass seine jungen Unterstützer*innen zu der mobilsten Gruppe in der ukrainischen Gesellschaft gehören und nicht dort leben, wo sie angemeldet sind. Dies wird ihnen die Teilnahme an der Abstimmung erschweren und Selenskyj wichtige Stimmen kosten.
Keine Kandidatur aus dem jungen demokratischen Lager
Dabei bleibt Selenskyj der einzige Kandidat, der tatsächlich die junge Menschen – auch wenn leider nur mit populistischen Slogans – mobilisieren kann. Die ehemaligen Stars des Maidan, die als Hoffnung der neuen ukrainischen Politik galten, haben keinen nennenswerten Einfluss mehr – zu viele innere Kämpfe, zu viele kleine Skandale und zu brisante Auftritte begleiteten sie in den letzten Jahren. Sie haben zu geringen politischen Einfluss errungen und keine entscheidenden Positionen besetzt, und so zweifeln die Wähler*innen an ihrer Fähigkeit, das Land zu transformieren. Nicht umsonst hat der Rock-Sänger Swjatoslaw Wakartschuk, der noch vor wenigen Monaten als ein potentieller gemeinsamer Kandidat der demokratischen Reformkräfte galt, vor kurzem auf seine Kandidatur endgültig verzichtet. Der einzige Kandidat, dem es gelungen ist, demokratische Reformkräfte aus den ersten Post-Maidan-Monaten um sich zu vereinigen, ist der ehemalige Verteidigungsminister Anatolij Hrytzenko. Um ihn versammelten sich einige v.a. im Westen bekannte Politiker*innen wie Switlana Salischtschuk oder Mustafa Najem. Ob Hrytzenko, der als Verteidigungsminister sowohl unter Tymoschenko als auch unter Wiktor Janukowitsch arbeitete, sich in der Tat als eine glaubwürdige Figur für die Antikorrutionsbewegung in der Ukraine darstellen kann, bleibt mehr als fraglich. Gerade das Verteidigungsministerium galt jahrelang als stark korruptionsverseuchte Struktur. Dass die früheren Hoffnungsträger des Maidan sich um Hrytzenko sammeln, kann man eher als ein Beweis des Mangels an politischer Führung innerhalb des Reformlagers interpretieren. Weitere Kandidaten, die sich den Antikorruptions- und Reformkräften zuordnen ließen, sind der Investigativjournalist Dmytro Hnap und der Lemberger Bürgermeister Andrij Sadowyj. Der erstere wird mittlerweile wegen vermuteter Veruntreuung von Spendengeldern für die Front im Osten von seiner eigenen Partei zum Rückzug aufgefordert. Sadowyi hat kaum Unterstützung außerhalb seiner Region.
Pro-EU gegen Pro-Russland Kandidat*innen?
Selenskyj und Tymoschenko wird vorgeworfen, wenn nicht pro-russisch, dann mindestens zu weich gegenüber Russland zu sein. So hat Wolodymyr Selenskyj sich schon vor einigen Jahren in einem Fernsehinterview geäußert, er wäre bereit, vor dem russischen Präsidenten Putin „niederzuknien“, wenn er „ausgerechnet dies braucht“, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen – keine gute Äußerung für einen möglichen Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Die damals offensichtlich freundlichen Verhältnisse zwischen Tymoschenko und Putin, die in den für die Ukraine höchst ungünstigen Gasdeal resultierten, sind hinlänglich bekannt. Dagegen gilt der amtierende Präsident Poroschenko mit seinem Wahlslogan „Wir gehen unseren eignen Weg!“ als Garant der ukrainischen Westorientierung zu sein.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass das Staatsoberhaupt in der Ukraine in seinen Kompetenzen begrenzt ist – das Parlament kann viele Entscheidungen des Präsidenten sehr einfach blockieren. Dabei ist die EU-Ausrichtung der Ukraine in vielen Dokumenten festgelegt und wird von der Bevölkerung weitgehend unterstützt. Nach fünf Jahren andauernder EU-Annäherung mit Abschaffung von Visa, mit einem rapiden Wachstum der ukrainischen Zivilgesellschaft und mit massiv gestiegenen wirtschaftlichen und politischen Kontakten mit der EU wäre eine plötzliche Kursänderung kaum denkbar. Das Parlament hat Anfang Februar das Ziel der EU- und NATO-Mitgliedschaft sogar in der Verfassung verankert. Ein/e Präsident/in, der/ die diesen Kurs ändern wollte, müsste mit enormem Gegenwind rechnen.
Schmutziger Kampf
Ob Poroschenko, Tymoschenko oder Selenskyj – entscheidend ist, wer in die Stichwahl einzieht, die drei Wochen nach der ersten Runde stattfinden wird. Im Duell mit Tymoschenko könnte Poroschenko knapp gewinnen. Gegen Selensky würden nach heutigen Umfragetrends beide verlieren.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der politische Kampf in den nächsten Wochen nicht ganz sauber bleiben wird. Von „schmutzigen Technologien“ ist die Rede, die den Gegner*innen Stimmen kosten sollen. Zum Beispiel sind unter den über 40 angemeldeten Kandidat*innen schon die sogenannten „Spoiler“ im Einsatz. So nennt man z.B. einen auch in Russland verbreiteten Trick, eine/n Kandidat/in mit einem ähnlichen Namen aufzustellen, der einem wichtigen Gegner Stimmen „absaugt“. So hat Anfang Februar der ansonsten unbedeutende Abgeordnete Jurij Wolodymyrowitsch Tymoschenko (Ju.W. Tymoschenko) von der Partei „Volksfront“ sich als Präsidentschaftskandidat angemeldet. Wahrscheinlich wird Jurij Wolodymyrowitsch Tymoschenko einige Stimmen von Julia Wolodymyrowna Tymoschenko (ebenso Ju. W. Tymoschenko) erhalten. Vor allem die ältere Stammwählerschaft von Julia Tymoschenko kann aus Versehen ein falsches Kästchen ankreuzen – und dies kann am Ende der ewigen Zweiten Julia ihre Chance kosten, in die zweite Runde zu kommen.
Auch bezahlte Unterstützer*innen werden massiv angeworben. In den großen Online-Portalen für Kleinanzeigen mehren sich die Angebote, für 10–30 Euro an einer Demonstration für einen der Kandidaten teilzunehmen. Vor allem junge arbeitslose Männer werden mit diesen Angeboten angesprochen und in bar ohne Quittung bezahlt. Um den grotesken Charakter dieser undemokratischen Praxis sichtbar zu machen, verbreiteten unbekannte Aktivisten solche Angebote in Odessa und in Charkiw und luden die käuflichen Demonstranten ein, in einem Fall für einen Fantasiekandidaten zu demonstrieren, in dem anderen Fall gar für einen verurteilten, mehrfachen Mörder aus den 90ern. In beiden Fällen kamen Dutzende Leute zur Demo in der Hoffnung, ihr Geld zu bekommen – ohne sich für den Namen des angeblichen Kandidaten zu interessieren und schienen gar beleidigt zu sein, als sie am Ende durch Aktivisten vor der Kamera mit solchen Fragen konfrontiert wurden.
Auch ohne inszenierte Unterstützungsdemos können die Wahlen vor allem in Gebieten mit hoher Armut leicht manipuliert werden – z.B. mit dem „Buchweizen-Trick“. So nennt man umgangssprachlich eine in der Ukraine verbreitete Praxis, bei der vor allem ältere Leute gegen eine Kilopackung Buchweizen ihre Stimme „verkaufen“. Sie kommen mit ihrem Wahlzettel aus dem Stimmlokal, kreuzen am „Buchweizenstand“ das richtige Kreuzchen an und bringen dann ihren Stimmzettel wieder hinein zur Wahlurne. Viele Leute glauben einfach nicht, dass ihre Stimme etwas ändern kann und sehen in ihrem Verkauf immerhin einen praktischen Nutzen.
Entscheidend wird auch die Wahlbeteiligung sein. Sehr viele Faktoren können die Wahlbeteiligung mindern. Werden etwa die über 2 Millionen in Polen arbeitenden Ukrainer*innen an die Wahlurnen kommen? Werden die Wähler*innen durch mögliche neue Skandale im Wahlkampf demobilisiert? Die Ukraine steht vor einer wichtigen Wahl, und es bleibt sogar unklar, ob der amtierende Präsident in die zweite Runde kommt – dies ist ein Zeichen einer volatilen politischen Situation, gleichzeitig aber auch einer lebendigen Demokratie.
Der Beitrag erschien zuerst bei der Heinrich-Boell-Stiftung und wurde zur Wiederverwendung autorisiert.
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