Ukrainisches Parlament kämpft für traditionelle Familienwerte
Im ukrainischen Parlament wurde ein großes konservatives Bündnis für die Verteidigung der traditionellen Familienwerte gegründet. Vertreter der Regierungspartei Diener des Volkes, der Europäischen Solidarität des Ex-Präsidenten Poroschenko und der prorussischen Oppositionsplattform kämpfen dabei überraschend an einer gemeinsamen Front.
“Endlich hat etwas das ukrainische Parlament vereint“, schrieb Swjatoslaw Jurasch, der 23-jährige Abgeordnete der Präsidentenpartei Diener des Volkes, als er in einem größeren Facebook-Post die Gründung der überfraktionellen Parlamentsgruppe „Werte. Würde. Familie“ verkündete. Jurasch, der jüngste Abgeordnete in der Geschichte der Werchowna Rada und Sohn eines berühmten Kirchenpolitikers, schrieb, er habe in „seiner Jugend“ eigene Position zu diesem Thema mehrmals geändert, sei nun jedoch bereit, „daran zu arbeiten, um den ewigen Begriff der Familie und der Werte zu verteidigen sowie zu verstärken.“
Interfraktionelle Vereinigung mit Verfassungsmehrheit
Nun, die neue Abgeordnetengruppe, die eine konservative Agenda inklusive einer Orientierung auf die traditionellen Familienwerte verfolgt, ist nicht „irgendeine“ Gruppe, sondern die größte in der Geschichte des ukrainischen Parlamentarismus. 268 Abgeordneten – und damit die potentielle Verfassungsmehrheit – sind dieser vorerst beigetreten. Zuerst wurde über die Mitgliedschaft von 307 Abgeordneten berichtet. Alle Fraktionen bekamen die Möglichkeit, einen Vertreter in der Rolle des Co-Vorsitzendes in die Gruppe zu schicken. Neben Jurasch von der Fraktion Diener des Volkes sind dies nun unter anderem der Oligarch Serhij Taruta von der Vaterlandspartei der zweifachen Ministerpräsidenten Julia Tymoschenko, Mychajlo Bondar von der Europäischen Solidarität und, was besonders bemerkenswert ist, Oleh Woloschyn, außenpolitischer Sprecher der pro-russischen Oppositionsplattform.
Fraktion Golos nicht dabei
Bemerkenswert ist dabei die Abwesenheit der nationalliberalen Partei Stimme um den Rocksänger Swjatoslaw Wakartschuk. Erst berichtete Jurasch, Stimme würde etwas später ihren Co-Vorsitzenden in die Vereinigung schicken. Kurz danach haben Stimme-Mitglieder wie Jaroslaw Jurtschyschyn die Gruppe hart kritisiert. “Ich verstehe nicht, wie man gemeinsame Werte mit Kräften haben kann, bei denen Grundwerte wie Nächstenliebe fehlen“, schreibt er dazu auf Facebook. „Denn es sind Abgeordnete, die die russische Okkupation und die Verprügelung von Menschen auf dem Maidan unterstützen.“ Gleichzeitig warnte Jurtschyschyn aber davor, die Gruppe im Voraus zu kritisieren: „Wenn diese Gruppe etwas vorschlagen wird, dann sollten wir das analysieren und kritisieren. Sonst würden wir einfach deren Gründer motivieren und die Illusion stärken, in der Ukraine laufe ein Angriff auf die traditionelle Familie.“
Mehr als Symbolik?
Die Vereinigung „Werte. Würde. Familie“ soll eigenen Angaben zufolge „den Versuchen, das fundamentale, natürliche Recht der Ukrainer im Namen der politischen Mode zu zerstören, widerstehen“ – eine Formulierung, die sich besonders komisch liest. Zu den Hauptarbeitsfeldern gehören Treffen und reguläre Kommunikation mit nationalen und internationalen religiösen Anführern sowie mit Aktivisten und die Verteidigung der Institution der traditionellen Familie als Grundlage der Gesellschaft. Die Gruppe soll ein eigenes Büro bekommen, in dem Gesetzentwürfe zum Thema erarbeitet werden sollen. Dieses soll von Olexander Wassjuk, dem Abgeordneten der Regierungspartei Diener des Volkes, geleitet werden.
“Die LGBT-Gemeinschaft hat die gleichen Rechte wie andere Gemeinschaften in unserem Land. Damit werden sich andere Organisationen beschäftigten“, betont Swjatoslaw Jurasch gegenüber der Zeitschrift NV. Im vorherigen Parlament existierte etwa die Gruppe „Gleiche Möglichkeiten“, die sich mit Fragen der Gendergerechtigkeit beschäftigte. Jurasch hat aber eine kleine Vorstellung davon, was eine Familie in der Ukraine bedeuten sollte: “Die Familie ist ein Bund einer Frau mit einem Mann, so ist das auch in unserer Verfassung vorgeschrieben.“ Dem 23-Jährigen zufolge herrsche in der Ukraine ein katastrophales Niveau des Alkoholismus. „Es gibt auch ein fürchterliches Problem mit Waisenkindern und eine schwierige Situation mit Scheidungen”, sagt Jurasch. “Daher ist unser Ziel berechtigt, die ukrainische Familie mit allen Mitteln zu stärken.“
Gezielt gegen LGBT-Rechte?
Oleh Woloschyn von der Oppositionsplattform wählte für seinen Facebook-Beitrag etwas andere Worte. “Mich freut der Aufschrei der LGBT-Gemeinschaft. Noch vor der Parlamentswahl sagte ich meinen US-amerikanischen und europäischen konservativen Kollegen, wir würden eine solche Abgeordnetengruppe gründen. Ich habe aber selbstverständlich nicht erwartet, wie viele Mitglieder es geben wird“, sagt Woloschyn, einst Sprecher des ukrainischen Außenministeriums. „Das zeigt, dass wir in der Dunkelheit der „Sorosokratie“ (und der Großvater Soros ist ein bekannter Sponsor der Erweiterung der LGBT-Rechte) nicht alles verloren haben.” Woloschyn würde gerne auch den Weltkongress der Familien in die Ukraine einladen, eine konservative Veranstaltung mit Sitz in den USA, die unter anderem durch ihr Lob des russischen Gesetzes zum Verbot der „homosexuellen Propaganda“ bekannt wurde.
Doch es sind nicht nur prorussische Politiker wie Woloschyn, sondern auch Schwergewichte wie Julia Tymoschenko, die sich mit zweifelhaften Aussagen prominent in die Debatte einmischen. Tymoschenko ist auf der Liste der Gruppenmitglieder zwar noch nicht zu finden. „Meine Einstellung zur gleichgeschlechtlichen Ehe ist aber, dass in der Verfassung nur die traditionelle Familie vorgeschrieben werden soll, die eine Frau und ein Mann gemeinsam bilden sollten“, sagte sie dennoch im ukrainischen Sender ICTV. „Wenn jemand eine andere Sichtweise darauf hat, ist das eine Privatsache. Aber so etwas zum Teil der Verfassung zu machen ist eine komische Geschichte.“ Unter anderem deswegen, weil die ukrainische Gesellschaft zu 90 Prozent aus Christen und anderen Gläubigen bestehe.
progressiven versus konservative Kräfte
Gleichzeitig rückt die erst nach dem Machtwechsel in Kyjiw angekündigte Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wieder in weite Ferne. „Die Chancen, das Übereinkommen in der jetzigen Form zu ratifizieren, sind sehr klein“, gab Olexander Kornijenko, Parteichef des Diener des Volkes, gegenüber der Internet-Zeitung LB.ua zu. „Denn wir verstehen, dass die Kirche großes Vertrauen genießt, auch unter den Abgeordneten.“ Der ukrainische Kirchenrat kritisiert das Dokument, weil dieses angeblich „den natürlichen Begriff des biologischen Geschlechts“ durch die „Genderideologie“ ersetzt. Die Ukraine hat das Übereinkommen noch 2011 unterschrieben, seitdem aber nie ratifiziert. Der letzte Ratifizierungsversuch ist vor vier Jahren gescheitert. „Wir haben aber Verpflichtungen und müssen diese durch Verhandlungen erfüllen“, meint Kornijenko, der selbst der Gruppe „Werte. Würde. Familie“ beigetreten ist. Das sollte den Ratifizierungsprozess wohl nur begrenzt beschleunigen.
Im Endeffekt überrascht es niemanden, dass in der Ukraine, deren Gesellschaft mehrheitlich skeptisch gegenüber LGBTI eingestellt ist, sich eine solche Parlamentsgruppe bildet. Deren Größe überraschte aber auch Experten. „Die sogenannten „Progressiven“ versuchen immer, entweder die strafrechtliche Verantwortung für die Diskrimierung sexueller Minderheiten einzuführen oder das Übereinkommen des Europarates zu ratifizieren. Wir brauchen ein Netzwerk, das als Abwehr gegen solche Initativen dient“, sagte Oleh Woloschyn der von der Oppositionsplattform kurz nach der Gründung zu den Zielen der Vereinigung. Jetzt wird es spannend zu beobachten sein, welcher Flügel bei dieser Auseinandersetzung die Oberhand gewinnt und wie tolerant die Ukrainer gegenüber Minderheiten tatsächlich sind.
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