Der ukrainische Schattenpräsident?
Andrij Bohdan ist mehr als nur Chef des Büros des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der 42-jährige Anwalt und Verbündete des Oligarchen Ihor Kolomojskyj will demnächst die gesamte Politik des Landes prägen. Einiges klappt dabei schon jetzt. Von Denis Trubetskoy
Anfang August wurde es an einem ganz regulären Sommerabend im politischen Kiew plötzlich unruhig. Aus dem Nichts haben mehrere renommierten Medien die Meldung veröffentlicht, der mächtige Chef des Präsidentenbüros Andrij Bohdan, Ex-Anwalt des umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, habe Wolodymyr Selenskyj um Rücktritt gebeten. Als Beweis sollte die halb fotografierte Rücktrittserklärung Bohdans dienen, die jedoch kaum einer ernst nehmen konnte. „Ich bitte nach dem Rücktritt nach eigenem Willen ab dem Zeitpunkt des Willens“, hieß es im angeblichen Dokument, das, wie sich später herausstellte, vom Bohdans Stellvertreter Kyrylo Tymoschenko an die Medien geleakt worden ist. Der 42-jährige Bohdan ist heute immer noch im Amt, während Präsident Selenskyj am nächsten Tag erklärte, alle Mitglieder seines Teams hätten solche Rücktrittserklärungen mit offenen Datum geschrieben, die Dokumente sollen sich in Selenskyj Kabinett befindet.
Was der Sinn der Aktion gewesen sein soll, kann auch heute kaum einer genau sagen. Doch Andrij Bohdan selbst wies bereits darauf hin, was hinter seinem „Rücktritt“ stecken könnte. Im nicht gerade freundlichen Gespräch mit einer Journalistin meinte er nach dem Vorfall, das Team von Selenskyj brauche die Medien nicht um mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Man habe dafür auch direkte Kanäle, gemeint sind hier wohl Instagram, Telegram und YouTube, die das Team von Selenskyj in der Tat bereits seit dem Präsidentschaftswahlkampf erfolgreich nutzt. Wollten also Bohdan, Tymoschenko und Co durch die Verbreitung einer Falschmeldung bzw. Halbwahrheit bewusst traditionelle Medien wie unter anderem die Nachrichtenagentur Interfax Ukrajina oder die Zeitschrift NV diskreditieren? Darüber kann man nur spekulieren.
Doch der große Einfluss von Andrij Bohdan ist keine Spekulation, sondern Realität. Nicht nur ist der Rechtsanwalt überall zu sehen, wo Selenskyj auftaucht – völlig egal, ob der neue Präsident dabei Pause an der Tankstelle macht, um kurz einen Döner zu essen, oder im Schwarzen Meer vor Odessa badet. Vielmehr geht es tatsächlich um ernsthafte Sachen, etwa um den Kampf gegen den Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, der von Bohdan angeführt wird. Selenskyj kann zwar Klitschko in der praktisch bedeutungslosen Position des gewählten Bürgermeisters nicht entlassen, der Chef der Kiewer Stadtverwaltung, der die tatsächliche Macht in seinen Händen hat, wird allerdings vom Präsidenten ernannt und könnte von Selenskyj auf Vorschlag der Regierung abgesetzt werden. Genau das, also den Kündigungsvorschlag an Selenskyj zu machen, hat Bohdan vom ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Grojsman gefordert. Dabei hat der Chef des Präsidentenbüros noch Klitschko vorgeworfen, ein Hintermann hinter dem Bürgermeister habe Bohdan 20 Millionen US-Dollar angeboten, damit dieser im Amt bleibt.
Nun, trotz seiner anfänglicher Aussagen will Grojsman über das Schicksal von Vitali Klitschko nicht mehr entscheiden. Darum wird sich die neue Regierung kümmern, die nach der Auftaktsitzung des ukrainischen Parlaments am 29. August vermutlich von der absoluten Mehrheit der Selenskyj-Partei “Diener des Volkes“ gebildet wird. Dass Klitschko danach entmachtet wird, ist wahrscheinlich, aber nicht gesetzt. Bemerkenswert ist dabei, dass der Ex-Boxweltmeister sich nach den Vorwürfen von Bohdan mit dem Trump-Anwalt Rudolph Giuliani getroffen hat. Denn seit 2018 soll das FBI Gerüchten zufolge gegen den Oligarchen Kolomojskyj, für den Bohdan lange arbeitete, wegen Geldwäsche ermittelt haben. Deswegen hat Washington angeblich Selenskyj auch davor gewarnt, einen Vetrauten des umstrittenen Geschäftsmannes zum Bürochef zu machen. Immer wieder gibt es in ukrainischen Medien Gerüchte, dass das Treffen zwischen Trump und Selenskyj sich ausgerechnet aus diesem Grund verzögert. Beide Seiten bestreiten das – und dennoch ist die mediale Aufregung in dieser Frage groß.
Bohdan und seine Schritte werden von den ukrainischen Medien gelegentlich genauer verfolgt als die des Präsidenten selbst. Die renommierte Zeitschrift NV titelte eine ihrer letzten Ausgaben sogar mit der Überschrift „Andrij Bohdan: Der zweite Mann nach Selenskyj in der Ukraine.“ Der zweite oder sogar der erste? Denn auch der Begriff „Schattenpräsident“ wird stets im Zusammenhang mit dem 42-Jährigen genannt. Dabei wird oft nicht nur die Politik, sondern etwa auch die große Liebe des Chefs des Präsidentenbüros zu Schwänen thematisiert, dessen Privatleben eher im Schatten stattfinden und der nur in Ausnahmefällen mit Journalisten redet. Der berufliche Weg des gebürtigen Lwiwers ist allerdings an sich durchaus spannend.
In seiner Heimatstadt hat Bohdan an der Universität Lwiw Jura studiert, was durchaus logisch war, weil Bohdans Vater dort unterrichtete. Gleich danach folgte eine erfolgreiche Karriere als Rechtsanwalt, bis der künftige Präsidentenbürochef 2007 zum ersten Mal eng mit der damaligen Präsidialverwaltung zusammenarbeitete. Bohdan kandidierte sogar für die Präsidentenpartei „Unsere Ukraine“ bei der Parlamentswahl im gleichen Jahr, hatte aber keinen günstigen Listenplatz. Später hat Bohdan seinen Platz nicht nur in der Regierung von Julia Tymoschenko gefunden, wo er als stellvertretender Justizminister fungierte, sondern auch im Kabinett des Verbündeten des nach Russland geflohenen Ex-Präsidenten Wiktor Janukowytsch Mykola Asarow gefunden, Bohdan arbeitete dort als Beauftragter in Sachen Antikorruptionspolitik.
Ausgerechnet wegen dieser Funktion ist die Ernennung Bohdans zum Chef des Präsidentenbüros besonders umstritten. Denn in der Ukraine gilt nach wie vor das nach der Maidan-Revolution 2014 verabschiedete Lustrationsgesetz, das die Beteiligung der Beamten aus Janukowytsch-Zeit in höhen Ämtern einschränkt. In diesem Gesetz ist die Präsidialverwaltung namentlich genannt, deswegen ist die Ernennung Bohdans zum Chef der Präsidialverwaltung erst mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig gewesen. Die Präsidialverwaltung wurde jedoch schnell in das Präsidentenbüro umbenannt, dadurch wollen Selenskyj und sein Team das Problem Bohdan offenbar aus dem Weg schaffen. Doch der größte Kritikpunkt bleibt nach wie vor die Nähe zwischen Bohdan und Kolomohskyj, den der Anwalt in den wichtigsten Prozessen, etwa um die Verstaatlichung der Privatbank, der größten Bank der Ukraine, vertreten hat.
In einem Interview mit UV und der Internet-Zeitung Ukrajinska Prawda gab Andrij Bohdan zu, dass er bereits 2015 Selenskyj darauf angesprochen hat, mal als Präsident zu kandidieren. Der Schauspieler gab mit seiner Rolle als Präsident in der Serie „Diener des Volkes“ vielen Ukrainern große Hoffnung, die man nicht enttäuschen dürfe, so Bohdan. Dass der 42-Jährige Anwalt im Rennen um das Führungsamt im Präsidentenbüro gegen den Jugendfreund von Selenskyj, Iwan Bakanow, die Nase vorn hatte, sagt vieles aus über die Bedeutung Bohdans in diesem System. Kaum jemand zweifelt daran, dass Bohdan in den nächsten Jahren die Schlüsselrolle in der ukrainischen Politik spielen wird. Die Frage ist nur, wie groß diese Rolle wirklich sein wird. Die Antwort darauf wird lediglich die Zeit geben.
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