Womit die Ukraine zur Welt­kli­ma­kon­fe­renz fährt

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Die bri­ti­sche Außen­mi­nis­te­rin Liz Truss (rechts) begrüßt den ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Wolo­dymyr Selen­skyj auf dem Cop26-Gipfel auf dem Scot­tish Event Campus (SEC) in Glasgow. Foto: Alas­tair Grant /​ Imago Images

Zum Kli­ma­gip­fel COP26 fahren ukrai­ni­sche Regie­rungs­ver­tre­ter mit dem Ver­spre­chen, die Treib­hau­se­mis­sio­nen um bis zu 65 Prozent zu redu­zie­ren und im Euro­pean Green Deal vor­ge­se­hene Moder­ni­sie­run­gen wei­ter­zu­trei­ben. Doch die geo­po­li­ti­sche Situa­tion, knappe Finan­zen und eine sich anbah­nende Ener­gie­krise im Land machen der Ukraine den Weg zu einer grünen Trans­for­ma­tion nicht leicht. Kyjiw muss weiter seine Resi­li­enz stärken, schreibt Julia Eichhofer.

Am 1. Novem­ber 2021 trat Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj bei der Kli­ma­kon­fe­renz COP26 in Glasgow auf. Sein Plä­doyer: in den nächs­ten zehn Jahren wird die Ukraine 65% der CO2-Emis­sio­nen im Ver­gleich zu 1990 redu­zie­ren. 2060 soll das Land mit der ener­gie­in­ten­sivs­ten Wirt­schaft in Europa kli­ma­neu­tral werden.

Dafür sollen Energie- und Indus­trie­un­ter­neh­men moder­ni­siert, erneu­er­bare Ener­gie­quel­len ent­wi­ckelt und Gebäude ener­gie­ef­fi­zi­ent saniert werden. Der öko­lo­gi­sche Landbau soll aus­ge­wei­tet werden. Auf Selen­skyjs Initia­tive sollen in den nächs­ten drei Jahren eine Mil­li­arde neue Bäume gepflanzt werden. Ein Plas­tik­tü­ten­ver­bot wurde bereits im Sommer ver­ab­schie­det. Auch der Koh­le­ver­brauch soll schritt­weise ver­rin­gert werden.

Doch für eine rasche CO2-Redu­zie­rung in der Ukraine gibt es noch viele Hürden. An erster Stelle steht Energiesicherheit.

Wegen Koh­le­man­gel drohen Strom­aus­fälle im Winter

Vor dem Hin­ter­grund der von Koh­le­knapp­heit und stei­gen­den Ener­gie­prei­sen gepräg­ten glo­ba­len Ener­gie­krise geht die Ukraine in den Winter 2021–2022. Die Gas- und Koh­le­preise sind welt­weit in die Rekord­höhe geschnellt. Derzeit erzeu­gen mit fos­si­len Brenn­stof­fen betrie­bene Wär­me­kraft­werke etwa ein Drittel der Strom­ver­sor­gung des Landes. Während erneu­er­bare Ener­gie­quel­len 11 Prozent und Was­ser­kraft 7 Prozent der Energie erzeu­gen, liefern Kern­kraft­werke mit nicht fle­xi­bler Grund­er­zeu­gung mehr als die Hälfte des Stroms. Aktuell gibt es in der Ukraine vier Atom­kraft­werke mit ins­ge­samt 15 Ener­gie­blö­cken, davon werden zurzeit vier repa­riert. Laut Ener­gie­mi­nis­te­rium wurden die Repa­ra­tur­ar­bei­ten vor­ge­zo­gen, um bei Bedarf mit 14 Ener­gie­blö­cken Rekord­ka­pa­zi­tät gewähr­leis­ten zu können.

Während die Kern­kraft den Basis­strom erzeugt, glei­chen die Wär­me­kraft­werke den Ener­gie­be­darf aus. In frü­he­ren Jahren wurde der Koh­le­man­gel in Wär­me­kraft­wer­ken mit relativ güns­ti­gem Gas aus­ge­gli­chen, jetzt ist das nicht mehr der Fall. Gas­be­feu­erte Wär­me­kraft­werke haben die Strom­pro­duk­tion redu­ziert und damit die Belas­tung der Koh­le­er­zeu­gung erhöht. Doch nun ist wegen der wirt­schaft­li­chen Erho­lung Chinas und wach­sen­dem Welt­markt­be­darf auch Kohle zu Man­gel­ware geworden.

Als Folge sind die Koh­le­re­ser­ven in ukrai­ni­schen Wär­me­kraft­wer­ken derzeit viermal gerin­ger als geplant. Wenn der Winter sehr kalt wird, drohen Strom­aus­fälle und Kraft­werks­ab­schal­tun­gen – für die Ukraine eine Katastrophe.

Grafik: Міністерство енергетики України; Über­set­zung: LibMod

Unver­zicht­bare Kohle?

Ver­gan­ge­nen Winter impor­tierte die Ukraine in einer ähn­li­chen Ener­gie­de­fi­zit-Situa­tion Strom aus Russ­land und Belarus. Ende Mai wurde ein Import­ver­bot für rus­si­schen und bela­rus­si­schen Strom ver­hängt. Zwar ist dieses Verbot zum 1. Novem­ber aus­ge­lau­fen, die Ukraine wird aber nach Angaben von Andrij Herus, dem Vor­sit­zen­den des Rada-Ener­gie­aus­schus­ses, trotz­dem keine Energie aus Russ­land und Belarus importieren.

Gleich­zei­tig stellt Russ­land seit dem 1. Novem­ber die Lie­fe­run­gen von Kraft­werks­kohle an die Ukraine ein. Dabei impor­tiert die Ukraine 38 Prozent der benö­tig­ten Kohle; über die Hälfte davon aus Russ­land. Zwar ist die Abhän­gig­keit von Russ­land nicht mehr so krass wie noch 2014, aber der Lie­fer­stopp wirkt sich natür­lich auf den Preis aus: Die Ukraine muss jetzt teurere Kohle aus Ländern wie den USA, Kasach­stan, Polen und Süd­afrika importieren.

In dieser Situa­tion mehren sich Stimmen, die mehr inlän­di­sche Koh­le­för­de­rung und mehr Sub­ven­tio­nen für den Koh­le­sek­tor fordern. Die Ukraine besitzt die welt­weit siebt­größ­ten Koh­le­vor­kom­men. Tat­säch­lich hat die ukrai­ni­sche Regie­rung laut dem Think-Tank Dixi Group im letzten Jahr min­des­tens 1,35 Mil­li­ar­den Dollar für die Unter­stüt­zung fos­si­ler Brenn­stoffe, dar­un­ter unren­ta­bler Koh­le­berg­werke, bereit­ge­stellt. Gleich­zei­tig ist die finan­zi­elle För­de­rung erneu­er­ba­rer Ener­gien in der Ukraine gesunken.

Nach dem Willen der Ver­ein­ten Natio­nen sollen die 38 OECD-Staaten bis 2030 aus der Koh­le­ver­bren­nung aus­stei­gen, ärmere Länder wie die Ukraine sollen den Aus­stieg bis 2040 voll­zie­hen. Die anhal­tende Unter­stüt­zung der Koh­le­för­de­rung in der Ukraine steht im Wider­spruch zu ihren Ver­pflich­tun­gen im Pariser Abkom­men, doch breitet sich der Trend zurück zu fos­si­len Brenn­stof­fen aktuell in vielen Ländern aus, was auch die Welt­kli­ma­kon­fe­renz über­schat­tet. Inso­fern kon­zen­triert sich die Ukraine zuneh­mend auf die hei­mi­sche Gas­för­de­rung.

Nord Stream 2 bleibt die größte Herausforderung

Die Ukraine besitzt die zweit­größ­ten Gas­vor­kom­men in Europa und pro­du­ziert zwei Drittel ihres Bedarfs (ca. 20 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter pro Jahr) selbst­stän­dig. Seit der Krim-Anne­xion hat Kyjiw den Zugang zu seinen Schwarz­meer­vor­kom­men ver­lo­ren. Ein wei­te­res Drittel des Gas­be­darfs kauft die Ukraine auf euro­päi­schen Gasmärkten.

Außer­dem verfügt die Ukraine über eine der größten unter­ir­di­schen Gas­spei­cher­ka­pa­zi­tät Europas. In diesem Jahr sind dort 18,7 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter gespei­chert, deut­lich mehr als in ver­gan­ge­nen Wintern, als es durch­schnitt­lich etwas mehr als 17 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter waren, erklärte Ukrtransgaz.

Doch die größte Her­aus­for­de­rung bleibt Nord Stream 2. Wird die rus­sisch-deut­sche Gas­pipe­line in Betrieb genom­men, könnte der Transit durch die Ukraine massiv sinken. Wegen der redu­zier­ten Tran­sit­men­gen ver­liert die Ukraine nicht nur schät­zungs­weise drei Mil­li­ar­den Dollar oder zwei Prozent seiner jähr­li­chen Wirt­schafts­leis­tung, sie muss auch noch die daraus not­wen­dige Neu­op­ti­mie­rung des Gas­tran­sit­sys­tems finan­zie­ren. Auch die Preise für Gasim­porte aus der EU werden steigen. Und der soge­nannte reverse flow, bei dem die Ukraine rus­si­sches Gas von ihren west­li­chen Nach­bar­län­dern kauft, funk­tio­niert nicht mehr. Dadurch muss das Land tech­ni­sche Umrüs­tun­gen vor­neh­men, um phy­sisch wieder Gas zu importieren.

Der Wegfall des Gas­tran­sits durch die Ukraine birgt aber vor allem Sicher­heits­ri­si­ken. Die Nutzung bestehen­der Lei­tun­gen wirkt als Faktor zur Ein­däm­mung einer wei­te­ren mög­li­chen Eska­la­tion des Gas-Kon­flikts mit Russ­land. Exper­ten befürch­ten, dass nach einem Transit-Ende eine offene Aggres­sion des Kremls droht. Die „Washing­ton Post“ meldete zuletzt eine weitere Auf­sto­ckung rus­si­scher Truppen in der Nähe der ukrai­ni­schen Grenze, die in den Ver­ei­nig­ten Staaten und der EU Besorg­nis aus­ge­löst hat. Nach Angaben des Natio­na­len Sicher­heits­ra­tes beträgt die Zahl der rus­si­schen Truppen, die an der ukrai­ni­schen Grenze sta­tio­niert sind, 80.000 bis 90.000, und dabei sind Zehn­tau­sende auf der annek­tier­ten Krim sta­tio­nierte Sol­da­ten nicht ein­ge­rech­net. Die an der Grenze sta­tio­nier­ten rus­si­schen Truppen stellen für die Ukraine eine unmit­tel­bare Gefahr dar. Somit bedeu­tet für Ukraine Ener­gie­si­cher­heit gleich­zei­tig auch natio­nale Sicherheit.

Refor­men für mehr Resilienz

In dieser Situa­tion muss die Ukraine gleich­zei­tig auf meh­re­ren Ebenen arbei­ten und auf die Fragen der Ener­gie­si­cher­heit, Wirt­schafts­wachs­tums und Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels ein­ge­hen. Laut dem Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men soll das Land 2023 in das euro­päi­sche Strom­netz ENTSO‑E inte­griert werden. Das ukrai­ni­sche Ener­gie­sys­tem soll in den nächs­ten Jahren vom rus­si­schen und bela­ru­si­schen Ener­gie­netz abge­kop­pelt werden. Dafür müssen not­wen­dige Tests durch­ge­führt werden, die die Resi­li­enz und die Unab­hän­gig­keit des ukrai­ni­schen Ener­gie­sys­tems prüfen. Unter anderem steht der Ukraine und Moldau der Test­be­trieb im iso­lier­ten Modus im Februar 2022 bevor, bei dem die Selbst­ver­sor­gung der Ener­gie­sys­teme unter Beweis gestellt werden sollen.

Grafik: Euro­pean Network of Trans­mis­sion System Ope­ra­tors for Electricity

Wenn die Inte­gra­tion in das ENTSO‑E erfolg­reich ist, kann die Ukraine ihren (mit bil­li­ger Kern­kraft erzeug­ten) Strom in die EU ver­kau­fen und selbst den euro­päi­schen Strom kaufen, um kri­ti­sche Eng­pässe wie in diesem Winter zu ver­mei­den. Dies erfor­dert wie­derum die Schaf­fung eines trans­pa­ren­ten Ener­gie­mark­tes. Die Reform des Strom­mark­tes in der Ukraine ist somit überfällig.

Außer­dem muss es eine signi­fi­kante Erhö­hung der Ener­gie­ef­fi­zi­enz geben, sowie einen bes­se­ren Last­aus­gleich, um den Spit­zen­strom­ver­brauch zu redu­zie­ren. Tech­no­lo­gien wie vir­tu­elle Kraft­werke wären dafür eine viel­ver­spre­chende Lösung. Schließ­lich muss in die Ent­wick­lung von Was­ser­stoff­pro­duk­tion und anderer grüner Ener­gie­quel­len inves­tiert werden. Dafür sollen Finan­zie­rungs­mög­lich­kei­ten geschaf­fen werden, und der von Deutsch­land und den USA vor­ge­schla­gene „grüne Fonds“ würde solchen Pro­jek­ten einen Anfang geben. Doch dies alles kann nur funk­tio­nie­ren, wenn die Sicher­heit der Ukraine gewähr­leis­tet ist.

Textende

Portrait von Julia Eichhofer

Julia Eich­ho­fer ist Pro­gramm­di­rek­to­rin der Ukraine-Pro­jekte beim Zentrum Libe­rale Moderne. 

 

 

 

 

 

 

 

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