Es lohnt sich um die Ukraine zu kämpfen
Der Reformprozess in der Ukraine stockt. Aber das ist kein Grund, die Unterstützung für das Land einzustellen. Im Gegenteil: Die reformorientierten Kräfte brauchen mehr Unterstützung denn je, doch diese muss an klare Konditionen gebunden werden.
Die derzeitig gängige Meinung ist, dass die Reformen vier Jahre nach dem Majdan ins Stocken geraten sind und die Führung des Landes von Korruption vereinnahmt wurde. Aber dieses Bild stimmt nur zum Teil und ist komplexer.
Die Wirtschaft hat sich stabilisiert, aber das Wirtschaftswachstum kam letztes Jahr nicht über 2,1 Prozent. Es läuft eine umfassende Reformagenda, aber alles ist umstritten. Das ist auch der augenscheinlichste Eindruck nach einer Woche Kyjiw und vielen intensiven Treffen mit führenden Entscheidungsträgern und Unternehmern: Es wird um jedes Thema gerungen. Die vielen Konflikte verlangsamen die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge vorwärts bewegen, aber sie verhindern auch Rückschritte.
Offenheit und Transparenz
Die Ukraine ist eine bemerkenswert offene und transparente Gesellschaft, die es einem leicht macht herauszufinden was vor sich geht, während das Drama facettenreich und komplex ist. Niemand scheint Angst zu haben. Eine lebendige und kompetente Zivilgesellschaft wirft Kritik auf und bietet zugleich konkrete Lösungsvorschläge.
Das Ministerkabinett ist in fast jeder Frage gespalten zwischen Reformern und denjenigen die es vorziehen, weiterhin lieber Kapital aus ihrem politischen Mandat zu schlagen. Wohlhabende Unternehmer dominieren das Parlament, aber dennoch verkündet die Regierung überraschend reformorientierte Gesetze. Die Ukraine bleibt nicht stehen. Sie kämpft einen internen Kampf zwischen Reformen und Korruption.
Politische Optionen bleiben offen. Die Präsidentschaftswahlen sind für März 2019 angesetzt und die Parlamentswahlen für Oktober 2019, wobei letztere vorgezogen werden könnten. Präsident Poroschenko strebt eine weitere Amtszeit an, aber die jüngsten Umfragen sehen ihn bei miserablen 7,6 Prozent, während die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko die Umfragen mit 13,3 Prozent anführt. Abgesehen vom Militär und der Kirche genießen alle öffentlichen Institutionen in der Ukraine nur ein geringes Ansehen.
Kyjiw ist eine lebendige Stadt. Nur an wenigen Orten gibt es mehr Proteste – weil es hier so viel zu protestieren gibt. Im vergangenen Oktober setzte eine große öffentliche Kundgebung die politische Agenda für die aktuelle Debatte: Die Ukrainer sind gegen Korruption und fordern Rechtsstaatlichkeit. Die wichtigste politische Forderung ist die Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts. Weitere Forderungen beinhalten die Einführung eines Verhältniswahlrechts sowie die Aufhebung der parlamentarischen Immunität.
Die Kluft ist klar
Am 15. September vergangenen Jahres hielt Präsident Poroschenko eine eindrucksvolle außenpolitische Rede auf der jährliche YES-Konferenz in Kyjiw. Aber als er auf eine Frage zur Bildung eines unabhängigen Antikorrutionsgerichts einging, erklärte er, dies sei nicht notwendig. Er bevorzuge ein für Korruption zuständiges Kammergericht innerhalb des bestehenden Gerichtssystems, aber gegenwärtig sind die Gerichte durchdrungen von Korruption. Am nächsten Tag verkündete Premierminister Wolodymyr Hrojsman leise, das er nicht gegen ein unabhängiges Antikorruptionsgericht sei. Die Kluft war allen klar.
Parallel dazu verfolgte die Ukraine eine komplexe Justizreform. Ein Gremium aus zivilgesellschaftlichen Vertretern stellte die Integrität von einem Viertel der 114 Richter des neuen Obersten Gerichtshofs infrage, aber dennoch hat der Präsident im vorigen November alle bis auf einen vereidigt. Anscheinend hat eine korrupte Vorgeschichte niemanden davon ausgeschlossen, zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt zu werden.
Die verpfuschte Justizreform hat die ukrainischen Reformer und die internationale Gemeinschaft davon überzeugt, dass die Schaffung eines wirklich unabhängigen Antikorruptionsgerichts von entscheidender Bedeutung ist. Kurz vor den Weihnachtsferien brachte Poroschenko seinen arg verspäteten Vorschlag in das Parlament ein. Drei Wochen später haben der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Europäische Union ihre jeweils sehr ähnliche Kritik am Gesetzesentwurf vorgebracht. Die Richter wären nicht wirklich unabhängig und sie erhielten nicht die benötigten rechtlichen Zuständigkeiten. Poroschenko übertrug die Verantwortung auf das Parlament. Am 28. Februar stimmte das Parlament mit großer Mehrheit für den Gesetzesentwurf. Die Frage ist nun, ob das Parlament durch Nachbesserungen das Gericht wirklich unabhängig machen wird.
Reformen sind möglich
Zur allgemeinen Überraschung verabschiedete die Rada im November 2017 in erster Lesung einen Gesetzesentwurf über ein neues Wahlrecht und zeigte damit, das Reformen möglich sind. Der Grund für die strikte Forderung nach Aufhebung der parlamentarischen Immunität sind die vielen dubiosen Unternehmer, die sich im Parlament der Strafverfolgung entziehen.
Die internationale Gemeinschaft übt weiterhin starken Einfluss auf die Ukraine aus. Wenn das Land keine IWF-Kredite mehr erhält, wird es im laufenden Jahr kaum ohne eine gravierende Abwertung der Hrywnja auskommen, was sich verheerend auf die Wahlen 2019 auswirken würde. Die Ukraine braucht auch die politische Unterstützung des Westens in ihrem Kampf gegen die militärische Aggression Russlands. Das versteht man in Kyjiw.
Wie üblich hat der IWF eine überschaubare, aber knackige Reformagenda. Die wichtigste Forderung ist ein unabhängiges Antikorruptionsgericht, gefolgt von der Anpassung der inländischen Gastarife an internationale Preise und der Legalisierung privater Verkäufe bereits privater landwirtschaftlicher Flächen. Die makroökonomische Politik, der traditionelle Fokus der IWF, ist weitaus weniger umstritten, da die Zentralbank und das Finanzministerium weiterhin zu den Bastionen der Reformer gehören.
Die Stabilität greift
Der Kampf für und gegen Reformen geht täglich weiter. Die makroökonomische Stabilisierung wirkt und die Ukraine hat gezeigt, dass sie gegen die militärische Intervention Russlands widerstandsfähig ist. Aber die Erfolge werden nicht sicher sein, solange keine Rechtsstaatlichkeit sichergestellt ist und die Ukrainer ihren Eigentumsrechten auf ihr Land und ihre Häuser vertrauen können.
Der Westen kann kein Land ohne Unterstützung vor Ort reformieren, aber in der Ukraine gibt es eine starke Unterstützung der Bevölkerung für sinnvolle Reformen. Der Westen muss ausreichend Unterstützung und Engagement anbieten und an Konditionen koppeln, so dass die reformorientierten Kräfte die Oberhand gewinnen.
In der Ukraine können Europa und der Westen für ihre Werte einstehen und liefern – oder scheitern. Dabei geht es um die gemeinsame Front gegen Korruption, State capture und russische Aggression.
Der Westen sollte diese Schlacht lieber gewinnen. Aber dafür muss er sich konsequent engagieren und mehr finanzielle Unterstützung anbieten – gekoppelt an strikte Auflagen.
Wir danken Emerging Europe, wo der Artikel zuerst auf Englisch erschienen ist, für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. Übersetzung aus dem Englischen von Eduard Klein.
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