West­li­che Ener­gie­sank­tio­nen gegen Russ­land:
die nächs­ten Schritte

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Der Westen muss Ver­stöße kon­se­quent ahnden, die Preis­ober­grenze für rus­si­sches Öl senken und sich von der rus­si­schen Atom­in­dus­trie unab­hän­gig machen – Sergiy Petuk­hov über Wirkung und Zukunft der Sank­tio­nen gegen Russland.

Die rus­si­sche Aggres­sion gegen die Ukraine hat globale Dimen­sio­nen, eine davon ist der hybride Angriff auf die euro­päi­sche Ener­gie­si­cher­heit. Während die rus­si­sche Armee am 24. Februar 2022 mit der Bom­bar­die­rung fried­li­cher ukrai­ni­scher Städte begann, setzte der Kreml seine hybride Kriegs­füh­rung gegen Europa fort, um die Unter­stüt­zung der EU für die Ukraine zu unter­gra­ben und Europa zu spalten.

Gazprom kün­digte seine Gas­lie­fer­ver­träge mit den euro­päi­schen Ver­brau­chern und hoffte, dass Europa im Winter „ein­frie­ren“ würde. Der rus­si­sche Pro­pa­gan­da­sen­der RT strahlte sogar einen Wer­be­spot aus, in dem eine ver­armte euro­päi­sche Familie ihren Hamster kochen musste, um nicht zu verhungern.

Der Plan des Kremls ist nicht aufgegangen

Die abrupte Unter­bre­chung der Gas­lie­fe­run­gen zielte ein­deu­tig darauf ab, den euro­päi­schen Ener­gie­markt zu desta­bi­li­sie­ren. Russ­land hoffte, dass die Gas­preise für Pri­vat­haus­halte in die Höhe schie­ßen und die Indus­trie mit einer Ratio­nie­rung kon­fron­tiert werden würde. Dies sollte in der EU zu mas­si­ven Pro­tes­ten bei Bevöl­ke­rung und Unter­neh­men führen und die Bereit­schaft zur Unter­stüt­zung der Ukraine unter­gra­ben – so der Plan des Kremls. Er ist nicht aufgegangen.

Europa erwies sich als wider­stands­fä­hig und blieb ange­sichts der rus­si­schen Aggres­sion geeint. Jetzt sollten wir Bilanz ziehen, wie die EU-Sank­tio­nen im Ener­gie­be­reich wirken und wie gut wir auf künf­tige rus­si­sche Aktio­nen vor­be­rei­tet sind.

Die gegen­sei­tige Abhän­gig­keit durch die Ener­gie­ver­sor­gung mit rus­si­schem Öl und Gas wurde lange Zeit als ein Garant der Sta­bi­li­tät der Bezie­hun­gen der EU zu Russ­land ange­se­hen. Der Handel wurde als Brücke betrach­tet, die nicht nur die Bezie­hun­gen sta­bi­li­sie­ren, sondern auch zur Demo­kra­ti­sie­rung Russ­lands führen würde. „Wandel durch Handel“: ein Prinzip, das sich als falsch erwie­sen hat, spä­tes­tens als Putin beschloss, es zu durchbrechen.

Rück­gang der rus­si­schen Ein­nah­men aus Energieexporten

Die rus­si­schen Ein­nah­men aus Ener­gie­ex­por­ten sind im Zeit­raum Januar bis Februar 2023 um 46 Prozent zurück­ge­gan­gen – was die Fähig­keit des Kremls, seine Mili­tär­aus­ga­ben zu finan­zie­ren, erheb­lich beein­träch­tigt. Ohne die Mili­tär­aus­ga­ben zu redu­zie­ren, würde selbst eine Senkung der Sozi­al­aus­ga­ben nicht aus­rei­chen, um den Haus­halt aus­zu­glei­chen. Und obwohl die Öls­ank­tio­nen erst im Dezem­ber in Kraft getre­ten sind, haben sie bereits eine deut­li­che Wirkung ent­fal­tet. Wären sie unmit­tel­bar nach dem 24. Februar 2022 beschlos­sen und ein­ge­führt worden, hätten wir ein stark geschwäch­tes Russ­land gesehen, das bereit gewesen wäre, zu verhandeln.

Die euro­päi­sche Abhän­gig­keit von rus­si­scher Energie ließ dies jedoch nicht zu. Infol­ge­des­sen erhielt Russ­land im Jahr 2022 mehr als 200 Mil­li­ar­den Dollar aus Öl- und Gas­ex­por­ten und stei­gerte seine Pro­duk­tion um zwei Prozent. Die euro­päi­schen Ver­brau­cher zahlten einen erheb­li­chen Teil dieses Betrags. Der Kreml nutzte das Geld, um einen Krieg in der Ukraine zu führen, die Oppo­si­tion inner­halb Russ­lands zu unter­drü­cken und seine Pro­pa­ganda und Nar­ra­tive in der ganzen Welt zu verbreiten.

Die Preis­ober­grenze für rus­si­sches Öl senken

Die Ein­füh­rung einer Preis­ober­grenze für Öl und Ölpro­dukte aus Russ­land ist eine wirk­same Maß­nahme, um die rus­si­schen Ein­nah­men aus dem inter­na­tio­na­len Verkauf seiner fos­si­len Brenn­stoffe zu ver­rin­gern und gleich­zei­tig sicher­zu­stel­len, dass wei­ter­hin die gleiche Menge rus­si­schen Öls auf die inter­na­tio­na­len Märkte gelangt. Mit ihrer vor­sich­ti­gen Vor­ge­hens­weise haben die west­li­chen Regie­run­gen dafür gesorgt, dass die Sank­tio­nen keine Schock­wel­len in der Welt­wirt­schaft auslösen.

Jetzt ist es an der Zeit, die Preis­ober­grenze auf ein Niveau zu senken, das dem rus­si­schen Staats­haus­halt keine Gewinne mehr ermög­licht und ledig­lich die Pro­duk­ti­ons­kos­ten in Russ­land deckt. Offen­bar liegen die durch­schnitt­li­chen Pro­duk­ti­ons­kos­ten für Öl in Russ­land bei etwa 40 US-Dollar pro Barell. Mit der der­zei­ti­gen Preis­ober­grenze von 60 US-Dollar pro Barrel kann Russ­land also immer noch Gewinne erzie­len. Bereits im März ist eine Senkung der Preis­ober­grenze auf 50 US-Dollar machbar. Dies wäre ein deut­li­ches Signal an die rus­si­sche Regie­rung, dass sie nicht weiter in den Krieg gegen die Ukraine inves­tie­ren kann.

Die Sank­tio­nen gegen Russ­land sind in Zahl und Ausmaß bei­spiel­los. Nie zuvor wurde ein Land von der Größe Russ­lands mit Sank­tio­nen belegt, die darauf abzie­len, es von west­li­chen Tech­no­lo­gien, Finanz­märk­ten und dem inter­na­tio­na­len Handel auszuschließen.

Russ­land hat in der Ver­gan­gen­heit Sank­tio­nen erfolg­reich umgangen

Was wir in den letzten neun Jahren gelernt haben (die ersten Sank­tio­nen gegen Russ­land wurden 2014 wegen der Anne­xion der Krim und des Angriffs auf den Donbass ver­hängt), ist, dass Russ­land die Sank­tio­nen geschickt umgeht. Ver­mö­gens­werte werden mit­hilfe undurch­sich­ti­ger Rechts­ord­nun­gen auf neu gegrün­dete Unter­neh­men über­tra­gen. Intrans­pa­rente Geschäfte über Dritte sorgen für die Lie­fe­rung der not­wen­di­gen Werk­zeuge und Ersatz­teile. Die Russen sind bereit, den dop­pel­ten Preis für Dinge, die sie benö­ti­gen, zu bezah­len oder die Preise für ihre Roh­stoff­ex­porte zu senken, um Kunden dazu zu bringen, die Sank­tio­nen zu umgehen.

Sekun­där­sank­tio­nen sind entscheidend

Auch wenn nicht der gesamte rus­si­sche Handel mit Dritt­län­dern direkt kon­trol­liert werden kann, ver­fü­gen EU und G7 doch über wirk­same Instru­mente zur Durch­set­zung der Sank­tio­nen. Sei es durch die Regu­lie­rung von Finanz- oder Ver­si­che­rungs­dienst­leis­tun­gen oder durch sowohl für EU und G7 als auch für Dritt­län­der vor­teil­hafte Ver­ein­ba­run­gen: Wir können sicher­stel­len, dass niemand seine Posi­tion miss­braucht, um Russ­land bei der Umge­hung der Sank­tio­nen zu helfen.

Sekun­där­sank­tio­nen, das heißt Sank­tio­nen gegen die­je­ni­gen, die bei der Umge­hung von Pri­mär­sank­tio­nen helfen, sind ein wirk­sa­mes Instru­ment, das bisher nicht richtig ein­ge­setzt wurde. So ließen sich bei­spiels­weise Sank­tio­nen umgehen, indem rus­si­sches Rohöl und Ölpro­dukte mit denen aus anderen Ländern ver­mischt und dann unter einer neuen Her­kunfts­an­gabe auf dem EU-Markt ver­kauft werden. Erst ein reales Risiko, auf­grund von Sekun­där­sank­tio­nen den Zugang zum lukra­ti­ven EU-Markt zu ver­lie­ren, wird Unter­neh­men von diesen Prak­ti­ken abhalten.

Die EU muss eine Ver­let­zung der Sank­tio­nen kon­se­quent ahnden

Ent­schei­dend ist, dass die Ver­let­zung von Sank­tio­nen eine Straf­tat ist und die Täter straf­recht­lich ver­folgt werden müssen – unab­hän­gig davon, ob es sich um Unter­neh­men bzw. Ein­zel­per­so­nen aus der EU oder um solche aus Dritt­län­dern handelt.

Die Durch­set­zung war lange eine Schwach­stelle der EU-Sank­tio­nen, vor allem wegen der Kom­ple­xi­tät der Ermitt­lun­gen und der man­geln­den Bereit­schaft der euro­päi­schen Länder, ihre eigenen Staats­an­ge­hö­ri­gen zu ver­fol­gen. Die Tat­sa­che, dass die Kon­trolle über die Umset­zung bei den Mit­glied­staa­ten und nicht bei der EU liegt, trägt jedoch nicht zu ihrer Effi­zi­enz bei. Dies sollte geän­dert werden und alle EU-Mit­glieds­staa­ten sollten die bewähr­ten Ver­fah­ren zur Durch­set­zung von Sank­tio­nen ana­ly­sie­ren und anwenden.

Sank­tio­nen gegen die rus­si­sche Atomindustrie

Russ­land hat zu Beginn der groß ange­leg­ten Inva­sion die Kern­kraft­werke Tscher­no­byl und Sapo­rischschja, die größte in Betrieb befind­li­che Anlage ihrer Art in Europa, unter seine Kon­trolle gebracht. Unge­ach­tet dieser Ver­let­zung des huma­ni­tä­ren Völ­ker­rechts, das besagt, dass bewaff­nete Akti­vi­tä­ten in oder in der Nähe von Kern­kraft­wer­ken nicht zuläs­sig sind, machte Russ­land die Beset­zung der Kraft­werke zu einem Eck­pfei­ler seines Besat­zungs­plans für die Ukraine. Russ­land brachte die Kern­kraft­werke nicht nur unter seine Kon­trolle, sondern es sta­tio­nierte dort auch schwere Waffen und bedrohte und schi­ka­nierte das ukrai­ni­sche Personal.

Eine wich­tige Rolle bei diesem Plan spielte die staat­li­che rus­si­sche Atom­ener­gie­ge­sell­schaft Rosatom. Mit­ar­bei­ter von Rosatom wurde in die Ukraine ent­sandt, um das ukrai­ni­sche Per­so­nal zu erset­zen, das sich wei­gerte, rus­si­schen Befeh­len Folge zu leisten.

Die Abhän­gig­keit von Rosatom

Rosatom ist in der ganzen Welt, auch in der EU, tätig und das Unter­neh­men verfügt über eine exklu­sive Tech­no­lo­gie, von der die EU abhän­gig ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Kreml sie gegen west­li­che Länder ein­set­zen wird. Russ­land verfügt über acht Prozent der welt­wei­ten Uran­res­sour­cen und – was noch ent­schei­den­der ist – welt­weit sind Atom­un­ter­neh­men von der rus­si­schen Uran­an­rei­che­rung abhän­gig. Im Jahr 2021 erbrach­ten die Toch­ter­ge­sell­schaf­ten von Rosatom 31 Prozent der Dienst­leis­tun­gen für die Anrei­che­rung von Kern­brenn­stof­fen für euro­päi­sche und 28 Prozent derer für US-ame­ri­ka­ni­sche Atomunternehmen.

Die EU-Sank­tio­nen gegen die rus­si­sche Atom­in­dus­trie wurden kürz­lich von einigen Ländern blo­ckiert, die eine stra­te­gi­sche Zusam­men­ar­beit mit Rosatom pflegen. Vor allem Ungarn lehnt die Sank­tio­nen ab. Das Land ist in hohem Maße von der Ener­gie­ver­sor­gung durch das Kern­kraft­werk von Rosatom abhän­gig, darüber hinaus hat Rosatom auch eine Bau­ge­neh­mi­gung für zwei neue Kraft­werks­blö­cke in Ungarn erteilt.

Vor diesem Hin­ter­grund muss die EU ihre Nukle­ar­stra­te­gie über­den­ken und sicher­stel­len, dass diese mit den aktu­el­len Sicher­heits­be­dro­hun­gen durch Russ­land in Ein­klang steht.

Die ersten Schritte könnten indi­vi­du­elle Sank­tio­nen gegen wich­tige Beamte und Mit­ar­bei­ter von Rosatom sein, die in dem ukrai­ni­sche Kern­kraft­werk tätig waren und dadurch die nukleare Sicher­heit gefähr­de­ten, gefolgt von einem Import­s­top von Rohuran aus Russland.

Europa hat sich aus der Abhän­gig­keit rus­si­scher Ener­gie­im­porte befreit

Der hybride Ener­gie­krieg Russ­lands gegen Europa hat gezeigt, wie abhän­gig die EU von rus­si­schen Öl- und Gas­lie­fe­run­gen ist. Ent­ge­gen ihrer eigenen Diver­si­fi­zie­rungs­po­li­tik gerie­ten einige EU-Länder in kri­ti­sche Abhän­gig­keit von rus­si­schen Lieferungen.

Der letzte Winter war jedoch ein Wen­de­punkt, als es der EU gelang, diese Abhän­gig­keit zu über­win­den, wenn auch zu einem hohen Preis.

Ener­gie­wende in Europa und Wis­sens­trans­fer in den glo­ba­len Süden

Europa muss die Ener­gie­wende beschleu­ni­gen. Dies würde die Abhän­gig­keit von rus­si­scher Energie ver­rin­gern und sicher­stel­len, dass der Aus­schluss von rus­si­schem Öl und Gas die Preise auf dem Welt­markt nicht in die Höhe schie­ßen lässt und damit den Ent­wick­lungs­län­dern schadet, deren Wirt­schaft nach wie vor auf Ölim­porte ange­wie­sen ist. Der Wis­sens­trans­fer nach­hal­ti­ger Tech­no­lo­gien in die Länder des glo­ba­len Südens wird außer­dem diese zugleich resi­li­en­ter, aber auch nach­hal­ti­ger machen und deren Außen­po­li­tik von der Unter­stüt­zung auto­ri­tä­rer ölex­por­tie­ren­der Regime abkoppeln.

Ins­ge­samt wird eine öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion also nicht nur dazu bei­tra­gen, das Klima zu schüt­zen, sondern die Welt auch siche­rer und gerech­ter machen, indem den ölrei­chen Regimen ihre wirt­schaft­li­che Macht genom­men wird.

Sicher­heits­ga­ran­tien für die Ukraine

Mit­tel­fris­tig sollten zukünf­tige rus­si­sche Gas- und Öllie­fe­run­gen aus­schließ­lich über die Ukraine erfol­gen, wobei die EU den Kauf an der rus­sisch-ukrai­ni­schen Grenze aus­han­deln, und die unter­ir­di­schen Spei­cher­ka­pa­zi­tä­ten auf ukrai­ni­schem Boden nutzen sollte. Dies wäre eine wich­tige Sicher­heits­ga­ran­tie für die Ukraine gegen etwaige künf­tige rus­si­sche Angriffe.

Eine Kom­bi­na­tion aus einer diver­si­fi­zier­ten EU-Ener­gie­ver­sor­gung, einer Preis­ober­grenze für rus­si­sches Öl und Gas und der Auf­recht­erhal­tung stren­ger Sank­tio­nen dürfte Russ­land dazu zwingen, die Mani­pu­la­tion der Märkte für seine poli­ti­schen Zwecke einzustellen.

Auch wenn die Sank­tio­nen allein Russ­land nicht dazu bringen können, seine Truppen aus der Ukraine abzu­zie­hen, können sie die Finan­zie­rung des Krieges doch ernst­haft unter­gra­ben – und so der Ukraine zu helfen, den Krieg zu gewinnen.

Textende

Portrait Petukhov

Sergiy Petuk­hov ist Leiter des Ana­ly­ti­schen Zen­trums an der Kyiv Mohyla Academy und war stell­ver­tre­ten­der Jus­tiz­mi­nis­ter (2015 – 2019).

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