Walerij Salu­schnyj: Mensch und Militärstratege

Foto: Face­book

Walerij Salu­schnyj ist der erste Befehls­ha­ber des ukrai­ni­schen Mili­tärs, der seine Kar­riere erst nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union begann. In der Ukraine wird der General von so gut wie allen poli­ti­schen Kräften gefei­ert – für seine mili­tä­ri­schen Erfolge, aber vor allem für seine Menschlichkeit.

Im chao­ti­schen und hete­ro­ge­nen poli­ti­schen Leben der Ukraine pas­siert es sehr selten, dass unter­schied­li­che poli­ti­sche Kräfte sich einig sind. Zwar wird mitten im Ver­tei­di­gungs­krieg gegen Russ­land jeg­li­che direkte Kritik an Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj als unan­ge­bracht abge­stem­pelt. Direk­tes Lob für Selen­skyj, etwa von seinem Vor­gän­ger und Erz­ri­va­len Petro Poro­schenko, ist aber auch während der rus­si­schen Inva­sion nahezu unvorstellbar.

Umso erstaun­li­cher verlief der 8. Juli 2023. Der Befehls­ha­ber der ukrai­ni­schen Armee, General Walerij Salu­schnyj feierte an diesem Tag seinen 50. Geburts­tag – und wurde mit Gra­tu­la­ti­ons­wün­schen von sämt­li­chen poli­ti­schen Par­teien und aus allen erdenk­li­chen gesell­schaft­li­chen Schich­ten gera­dezu über­schüt­tet. Der „eiserne General“ – wie Salu­schnyj in der Ukraine genannt wird, weil sein Nach­name ähnlich klingt wie das ukrai­ni­sche Wort für „eisern“ („залізний“ bzw. in deut­scher Umschrift „salis­nyj“) – vereint das Land wie kaum eine Figur zuvor.

Über­ra­schungs­an­ruf am Geburts­tag seiner Frau

Dabei hatte Selen­skyjs Ankün­di­gung, Salu­schnyj zum Ober­be­fehls­ha­ber zu ernen­nen, ihn im Juli 2021 zunächst in einen Schock­zu­stand ver­setzt. Er erhielt den Anruf während der Geburts­tags­feier seiner Frau. Salu­schnyj beschreibt das Tele­fo­nat als „Knock-out“, so über­rascht sei er gewesen. Doch er nahm er die Ver­ant­wor­tung an, und das zu einem Zeit­punkt, als Russ­land bereits seit Monaten Truppen und Aus­rüs­tung an der ukrai­ni­schen Grenze zusammenzog.

Vieles deutet darauf hin, dass jener Schock für Salu­schnyj größer war als der vom 24. Februar 2022. „Wir Mili­tärs blicken anders auf diesen Tag“, sagte Salu­schnyj dem ukrai­ni­schen Jour­na­lis­ten Dmytro Komarow in einem Inter­view zum Jah­res­tag der umfas­sen­den rus­si­schen Inva­sion, „für uns dauert dieser Krieg schon seit 2014 – und er hat keinen ein­zi­gen Tag lang aufgehört.“

Die erfolg­rei­che Abwehr über­raschte die Welt – und die Ukrai­ner selbst

Die erfolg­rei­che Abwehr der rus­si­schen Aggres­sion über­raschte nicht nur die ganze Welt, sondern auch die Ukrai­ner selbst. Auch sie waren sich vor dem 24. Februar nicht sicher, ob ihre Armee gegen die Streit­kräfte des größten Landes der Welt schlag­kräf­tig genug sein würde. Der 50-jährige Salu­schnyj ist als schlauer Mili­tär­stra­tege bekannt, der oft völlig über­ra­schende Ent­schei­dun­gen trifft. Das erklärt aber nur einen Teil seiner Popu­la­ri­tät. Beliebt ist er vor allem als Mensch.

Salu­schnyj wird in der Ukraine als „unser Junge“ aus der Provinz der Region Schy­to­myr west­lich von Kyjiw gesehen, der sehr gern Scherze macht, Fan des Fuß­ball­klubs Dynamo Kyjiw ist, lustige T‑Shirts trägt – und sich nahe der Front mit einem Baby Yoda-Auf­nä­her auf seiner Schutz­weste zeigt. Ande­rer­seits ist Salu­schnyj ein Mann mit tiefer, nach­denk­li­cher Stimme, der selten Inter­views gibt. Wenn er es doch tut, spricht er den Ukrai­nern aus dem Herzen. Ein Bei­spiel dafür ist das Gespräch mit der Washing­ton Post vom Juni 2023, in dem sich Salu­schnyj genervt von den Dis­kus­sio­nen über die angeb­lich „zu lang­same“ ukrai­ni­sche Gegen­of­fen­sive zeigt, während die ukrai­ni­sche Armee von den west­li­chen Unter­stüt­zern nicht mit aus­rei­chend Luft­streit­kräf­ten ver­sorgt wird.

„Jeder Tag, jeder Meter wird mit Blut bezahlt“

„Das hier ist keine Show, die sich die ganze Welt anschaut und auf die man eine Wette abschließt. Jeder Tag, jeder Meter wird mit Blut bezahlt“, sagt Salu­schnyj. Er wird für seinen mensch­li­chen Umgang mit der Truppe gelobt. Im Inter­net ging bei­spiels­weise ein Post auf seinem pri­va­ten Face­book-Account viral, in dem Salu­schnyj einem Ser­gean­ten, der sich in der Region Sapo­rischschja in einem Video ohne Schutz­weste zeigt, anord­net, diese sofort anzu­zie­hen. Auch ein­fa­che Sol­da­ten und ihre Ver­wand­ten dürfen sich an Salu­schnyj wenden, und vielen Eltern von gefal­le­nen Kämp­fern hat er die trau­rige Nach­richt per­sön­lich am Telefon überbracht.

Pro­fes­sio­nelle Mili­tärs begin­nen den Krieg, Zivi­lis­ten beenden ihn

„Es ist traurig, dass viele Men­schen, die mit uns in den letzten Jahren im Donbas gekämpft haben und die ich auch per­sön­lich kannte, nun Opfer der rus­si­schen Aggres­sion gewor­den sind“, betont Salu­schnyj gegen­über Dmytro Komarow, „aber so läuft es in jedem Krieg. Am Anfang kommen pro­fes­sio­nelle Mili­tärs zum Einsatz. Beendet werden Kriege aber in der Regel von Schul­leh­rern.“ Ein bedeu­ten­der Teil der pro­fes­sio­nel­len Mili­tärs sei dann bereits gestor­ben oder ver­letzt. Salu­schnyj setzt sich dafür ein, dass in seiner Truppe einzig und allein der Mensch zählt – und dass wich­tige Ent­schei­dun­gen nicht nur in Kyjiw, sondern vor Ort an der Front getrof­fen werden.

Damit ori­en­tiert sich der 50-Jährige, der flie­ßend Eng­lisch spricht, am Vorbild der NATO. Salu­schnyj stammt aus einer Familie, in der viele Ange­hö­rige beim Militär dienten. Er selbst begann seine Kar­riere erst nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union. Dennoch sagt er im Gespräch mit Komarow: „Dass ich keinen Tag in der Sowjet­union gedient habe, stimmt nur auf dem Papier. Unsere Armee war auch in den Neun­zi­ger­jah­ren noch sowje­tisch geprägt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass keine Über­reste von diesem sowje­ti­schen Erbe geblie­ben sind.“ Und er fügt hinzu: „Meine Mission ist, der Armee diesen sowje­ti­schen Ein­fluss end­gül­tig auszutreiben.“

Zustim­mungs­werte beinah so hoch wie die von Selenskyj

Ein Neben­ef­fekt der Tätig­keit als „eiser­ner General“ ist Salu­schnyjs inter­na­tio­nale Bekannt­heit: Dank der Erfolge seiner Armee war er im letzten Jahr auf dem Cover des Maga­zins TIME und schaffte es auf dessen Liste der 100 ein­fluss­reichs­ten Per­sön­lich­kei­ten der Welt.

Über poli­ti­sche Ambi­tio­nen des Gene­rals ist bisher nichts zu ver­neh­men. Die Zustim­mungs­werte für Salu­schnyj liegen laut Umfra­gen aber beinahe so hoch wie die für Selen­skyj – und so ist nicht völlig aus­ge­schlos­sen, dass Salu­schnyj in Zukunft in die Politik gehen wird. Aktuell ist für ihn aber alles dem einen Ziel unter­ge­ord­net: dem Sieg über die rus­si­sche Invasionsarmee.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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