Walerij Saluschnyj: Mensch und Militärstratege
Walerij Saluschnyj ist der erste Befehlshaber des ukrainischen Militärs, der seine Karriere erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann. In der Ukraine wird der General von so gut wie allen politischen Kräften gefeiert – für seine militärischen Erfolge, aber vor allem für seine Menschlichkeit.
Im chaotischen und heterogenen politischen Leben der Ukraine passiert es sehr selten, dass unterschiedliche politische Kräfte sich einig sind. Zwar wird mitten im Verteidigungskrieg gegen Russland jegliche direkte Kritik an Präsident Wolodymyr Selenskyj als unangebracht abgestempelt. Direktes Lob für Selenskyj, etwa von seinem Vorgänger und Erzrivalen Petro Poroschenko, ist aber auch während der russischen Invasion nahezu unvorstellbar.
Umso erstaunlicher verlief der 8. Juli 2023. Der Befehlshaber der ukrainischen Armee, General Walerij Saluschnyj feierte an diesem Tag seinen 50. Geburtstag – und wurde mit Gratulationswünschen von sämtlichen politischen Parteien und aus allen erdenklichen gesellschaftlichen Schichten geradezu überschüttet. Der „eiserne General“ – wie Saluschnyj in der Ukraine genannt wird, weil sein Nachname ähnlich klingt wie das ukrainische Wort für „eisern“ („залізний“ bzw. in deutscher Umschrift „salisnyj“) – vereint das Land wie kaum eine Figur zuvor.
Überraschungsanruf am Geburtstag seiner Frau
Dabei hatte Selenskyjs Ankündigung, Saluschnyj zum Oberbefehlshaber zu ernennen, ihn im Juli 2021 zunächst in einen Schockzustand versetzt. Er erhielt den Anruf während der Geburtstagsfeier seiner Frau. Saluschnyj beschreibt das Telefonat als „Knock-out“, so überrascht sei er gewesen. Doch er nahm er die Verantwortung an, und das zu einem Zeitpunkt, als Russland bereits seit Monaten Truppen und Ausrüstung an der ukrainischen Grenze zusammenzog.
Vieles deutet darauf hin, dass jener Schock für Saluschnyj größer war als der vom 24. Februar 2022. „Wir Militärs blicken anders auf diesen Tag“, sagte Saluschnyj dem ukrainischen Journalisten Dmytro Komarow in einem Interview zum Jahrestag der umfassenden russischen Invasion, „für uns dauert dieser Krieg schon seit 2014 – und er hat keinen einzigen Tag lang aufgehört.“
Die erfolgreiche Abwehr überraschte die Welt – und die Ukrainer selbst
Die erfolgreiche Abwehr der russischen Aggression überraschte nicht nur die ganze Welt, sondern auch die Ukrainer selbst. Auch sie waren sich vor dem 24. Februar nicht sicher, ob ihre Armee gegen die Streitkräfte des größten Landes der Welt schlagkräftig genug sein würde. Der 50-jährige Saluschnyj ist als schlauer Militärstratege bekannt, der oft völlig überraschende Entscheidungen trifft. Das erklärt aber nur einen Teil seiner Popularität. Beliebt ist er vor allem als Mensch.
Saluschnyj wird in der Ukraine als „unser Junge“ aus der Provinz der Region Schytomyr westlich von Kyjiw gesehen, der sehr gern Scherze macht, Fan des Fußballklubs Dynamo Kyjiw ist, lustige T‑Shirts trägt – und sich nahe der Front mit einem Baby Yoda-Aufnäher auf seiner Schutzweste zeigt. Andererseits ist Saluschnyj ein Mann mit tiefer, nachdenklicher Stimme, der selten Interviews gibt. Wenn er es doch tut, spricht er den Ukrainern aus dem Herzen. Ein Beispiel dafür ist das Gespräch mit der Washington Post vom Juni 2023, in dem sich Saluschnyj genervt von den Diskussionen über die angeblich „zu langsame“ ukrainische Gegenoffensive zeigt, während die ukrainische Armee von den westlichen Unterstützern nicht mit ausreichend Luftstreitkräften versorgt wird.
„Jeder Tag, jeder Meter wird mit Blut bezahlt“
„Das hier ist keine Show, die sich die ganze Welt anschaut und auf die man eine Wette abschließt. Jeder Tag, jeder Meter wird mit Blut bezahlt“, sagt Saluschnyj. Er wird für seinen menschlichen Umgang mit der Truppe gelobt. Im Internet ging beispielsweise ein Post auf seinem privaten Facebook-Account viral, in dem Saluschnyj einem Sergeanten, der sich in der Region Saporischschja in einem Video ohne Schutzweste zeigt, anordnet, diese sofort anzuziehen. Auch einfache Soldaten und ihre Verwandten dürfen sich an Saluschnyj wenden, und vielen Eltern von gefallenen Kämpfern hat er die traurige Nachricht persönlich am Telefon überbracht.
Professionelle Militärs beginnen den Krieg, Zivilisten beenden ihn
„Es ist traurig, dass viele Menschen, die mit uns in den letzten Jahren im Donbas gekämpft haben und die ich auch persönlich kannte, nun Opfer der russischen Aggression geworden sind“, betont Saluschnyj gegenüber Dmytro Komarow, „aber so läuft es in jedem Krieg. Am Anfang kommen professionelle Militärs zum Einsatz. Beendet werden Kriege aber in der Regel von Schullehrern.“ Ein bedeutender Teil der professionellen Militärs sei dann bereits gestorben oder verletzt. Saluschnyj setzt sich dafür ein, dass in seiner Truppe einzig und allein der Mensch zählt – und dass wichtige Entscheidungen nicht nur in Kyjiw, sondern vor Ort an der Front getroffen werden.
Damit orientiert sich der 50-Jährige, der fließend Englisch spricht, am Vorbild der NATO. Saluschnyj stammt aus einer Familie, in der viele Angehörige beim Militär dienten. Er selbst begann seine Karriere erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dennoch sagt er im Gespräch mit Komarow: „Dass ich keinen Tag in der Sowjetunion gedient habe, stimmt nur auf dem Papier. Unsere Armee war auch in den Neunzigerjahren noch sowjetisch geprägt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass keine Überreste von diesem sowjetischen Erbe geblieben sind.“ Und er fügt hinzu: „Meine Mission ist, der Armee diesen sowjetischen Einfluss endgültig auszutreiben.“
Zustimmungswerte beinah so hoch wie die von Selenskyj
Ein Nebeneffekt der Tätigkeit als „eiserner General“ ist Saluschnyjs internationale Bekanntheit: Dank der Erfolge seiner Armee war er im letzten Jahr auf dem Cover des Magazins TIME und schaffte es auf dessen Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt.
Über politische Ambitionen des Generals ist bisher nichts zu vernehmen. Die Zustimmungswerte für Saluschnyj liegen laut Umfragen aber beinahe so hoch wie die für Selenskyj – und so ist nicht völlig ausgeschlossen, dass Saluschnyj in Zukunft in die Politik gehen wird. Aktuell ist für ihn aber alles dem einen Ziel untergeordnet: dem Sieg über die russische Invasionsarmee.
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