Dunkle Wolken über den Korruptionsbekämpfern
Die ukrainische Zivilgesellschaft gerät zunehmend unter Druck. Zum 01. April 2018 müssen alle Antikorruptionsaktivisten umfassende Vermögenserklärungen abgeben. Das hätte weitreichende Folgen.
Bereits im Frühjahr 2017 hatte das ukrainische Parlament ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das alle Antikorruptionsaktivisten dazu verpflichtet, so genannte E‑declarations auszufüllen. Dem Gesetz nach müssen ab dem 01. April 2018 Aktivisten ihre Einkommen, Vermögenswerte, Schulden und Besitztümer von sich selbst und der unmittelbaren Familie in einer elektronischen Datenbank offenlegen. Verstöße werden strafrechtlich geahndet.
Nach Angaben der Nationalen Agentur zur Prävention von Korruption (NAZK) müssen alle Organisationen solche Erklärungen ausfüllen, die sich gegen Korruption engagieren. Selbst Dienstleister wie Putzfrauen oder Teilnehmer jeglicher (kostenfreier) Schulungen und Seminare sowie jeder, der bloß Materialien von Antikorruptions-NGOs angenommen hat, wäre demgemäß zur Abgabe solcher Erklärungen verpflichtet. Praktisch wird die Erklärungspflicht die Arbeit vieler NGOs erschweren und zahlreiche Partner und Dienstleister von ihnen abrücken lassen.
Erklärungen als Druckmittel gegen Aktivisten?
Die Begründung zur Einführung der Erklärungen ist bestenfalls dürftig. Politiker verweisen zwar gerne darauf, dass auch sie strengen Rechenschaftspflichten unterliegen. Dass NGOs aber im Gegensatz zu ihnen größtenteils nicht aus öffentlichen ukrainischen Geldern finanziert werden und in der Regel im Sinne des Gemeinwohls agieren – im Unterschied zu vielen Politikern, die eher ihren Partikularinteressen nachgehen – lassen sie unerwähnt.
Viele Aktivisten fürchten, dass die umfassenden Vermögenserklärungen in Schmutzkampagnen gegen sie verwendet werden könnten. So wurde beispielsweise im Mai 2017 Oleksandra Ustinova, eine führende Antikorruptionsaktivistin, von Journalisten „verhört”, als sie aus dem Urlaub kam. Wie sie bloß Urlaub machen könne, während Soldaten an der Front sterben, lauteten die Vorwürfe gegen sie. Dieser Fall steht symptomatisch für den wachsenden Druck gegenüber Aktivisten und NGOs.
Agentur zur Prävention von Korruption in der Vertrauenskrise
Gleichzeitig steckt die für Vermögenserklärungen zuständige Nationale Agentur zur Prävention von Korruption in einer tiefen Vertrauenskrise. Im November 2017 hatten zwei ranghohe Mitarbeiterinnen der Agentur der Öffentlichkeit Beweise vorgelegt, die einen Einfluss der Präsidialverwaltung auf die Arbeit der Behörde nahelegen. Die zwei Whistleblowerinnen stehen seitdem unter enormen Druck und versuchen – bis dato erfolglos – gegen ihre Kündigungen vorzugehen. Und anstatt für eine schnelle und unabhängige Aufklärung durch das Nationale Antikorruptionsbüro zu sorgen, entzog die Generalstaatsanwaltschaft die Aufarbeitung des Falls dem NABU und übertrug die Ermittlungen an den direkt dem Präsidenten unterstehenden Inlandsgeheimdienst SBU.
Bis heute hat die NAZK nicht einmal 150 von mehr als einer Millionen Erklärungen überprüft. Kein einziges Verfahren wurde eingeleitet. Weil Fortschritte bei der Überprüfung der elektronischen Deklarationen ausbleiben, hat die EU zuletzt eine Kredittranche zurückgehalten.
Kritik aus dem Westen
Seit der Verabschiedung 2017 wurde das Gesetz von verschiedenen Seiten scharf kritisiert. Internationale Geldgeber wie die EU und die G7-Botschafter hatten mehrfach vergeblich auf die Aussetzung oder Änderung des Gesetzes gepocht. Im Juli 2017 hatte der Präsident zwei alternative Gesetzesentwürfe ins Parlament eingebracht. Diese beinhalteten zwar keine Vermögenserklärungen für Aktivsten, sahen aber dennoch umfassende Berichtspflichten für NGOs und Aktivsten vor, die weit über westliche Standards hinausgehen. Die Venedig-Kommission hat beide Gesetzesentwürfe scharf als Eingriffe in die demokratischen Grundfreiheiten kritisiert und umfassende Änderungen gefordert. Jedoch wurden sie bisher nicht einmal auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt. Einige ukrainische Aktivisten verglichen die Gesetzesentwürfe mit ähnlichen repressiven Gesetzen in Russland und Kasachstan. Zuletzt hatte Federica Mogherini bei ihrer Kyjiw-Visite im März 2018 auf Änderungen bestanden.
Ein drohender Showdown?
Trotz der massiven Kritik hat das Parlament in der vorigen Woche jegliche Versuche, die Vermögenserklärungen auszusetzen, abgelehnt. Damit begibt sich die Ukraine erneut auf Konfrontationskurs mit der eigenen Zivilgesellschaft und westlichen Partnern. Dieser „Kampf um den Antikorruptionskampf“ und die andauernde Vertrauenskrise der NAZK sowie die lähmend langsamen Fortschritte bei der Gründung des neuen Antikorruptionsgerichts verstärken die Zweifel am ernsthaften Reformwillen der ukrainischen Elite.
Ende letzter Woche kam ein weiterer Rückschlag hinzu, als der Public Integrity Council ankündigte, seine Arbeit einzustellen. Das zivilgesellschaftliche Organ, dessen Einrichtung einst als Erfolg gefeiert wurde, prüft bei der Auswahl neuer Richter die Integrität der Kandidaten. Bei der Besetzung des Obersten Gerichts hatte das Bündnis starke Bedenken bei 25 der 117 Richter angemeldet, die jedoch allesamt ignoriert wurden. Daraufhin gab das Bündnis bekannt, dass es die Justizreform für gescheitert halte und nicht mehr an dieser „fake Überprüfung“ teilnehmen werde. Das wirft die Frage auf, wie eine transparente Auswahl von integren Richtern für das noch zu schaffende Antikorruptionsgericht sichergestellt werden kann. Denn die politische Elite, angeführt von Präsident Poroschenko, stellt sich auch gegen die Beteiligung von internationalen Experten am Auswahlprozess.
Für die internationalen Geldgeber bedeutet dass, dass sie ihre nächsten Zahlungen an strikte Konditionen knüpfen müssen. Diese sollten neben der Gründung des unabhängigen Antikorruptionsgerichts auch die Rücknahme der Vermögenserklärungen für Aktivisten beinhalten.
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