Watergate-Affäre auf Ukrainisch? Ein Korruptionsskandal, der für Poroschenko gefährlich werden kann
Eine investigative Recherche über die Korruption in der ukrainischen Rüstungsindustrie erschüttert das Land. Der Präsident Petro Poroschenko entlässt sogar einen engen Verbündeten. Wie wird das die Präsidentschaftswahl beeinflussen? Von Inga Pylypchuk
Wahlen sind ein Wundermittel für die Ukrainer. Zumindest scheint es manchmal so. Es werden Straßen renoviert, neue Spielplätze gebaut, plötzlich verwandeln sich alte Versprechen von Politikern zumindestens teilweise in reale Taten. So ähnlich ist es mit der Korruption, einem der größten Übel des Landes.
2017 kündigte der Präsident der Ukraine Petro Poroschenko an, er würde es nicht zulassen, dass in der Armee gestohlen wird. „Und wer bei der Armee klaut, dem werde ich die Hände abhacken,“ sagte Poroschenko. Die neue ukrainische Armee gilt als ein Verdienst und Vorzeigeprojekt des Präsidenten.
Vor fünf Jahren, als die Krim annektiert wurde und der Krieg im Donbas begann, war die ukrainische Armee in einem desolaten Zustand. Freiwillige haben für Munition, Helme, Uniformen und Fleischkonserven Geld gesammelt. Die Armee selbst war von russischen Agenten unterwandert und es galt als sicherer in einem Freiwilligenbataillon zu dienen, wenn man wirklich den ukrainischen Staat verteidigen wollte.
Inzwischen wurde die Armee aber so reformiert, dass Präsident Poroschenko sich traut, sie an erster Stelle auf seine Wahlplakate zu schreiben: „Armee! Sprache! Glaube!“
Ermittlungen führen ins Zentrum der Macht
Es ist also ein besonderer Schlag für Poroschenko, wenn wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl eine investigative Recherche auf dem Youtube Kanal des Journalistenprojekts „Bihus Info“ erscheint, in der ausführlich dokumentiert wird, wie vermutlich mehr als 8 Millionen Euro veruntreut wurden. Die Ukraine gab alleine 2018 rund 5 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes – also ca. 5,3 Milliarden Euro für Verteidigung aus. 2018 waren es mehr als rund 615 Millionen US-Dollar für Neuanschaffungen, die große Mehrheit der neuen Rüstungsprojekten wurde geheim vergeben. Laut Artem Sytnyk, dem Chef der Antikorruptionsbehörde, habe die Korruption im Rüstungssektor in den letzten 5 Jahren mindestens 32 Millionen Euro Schaden verursacht.
Laut Bihus verlief der letzte Korruptionsskandal so: Eine Gruppe von jungen Unternehmern schmuggelte Teile für Militärgerät aus Russland und verkaufte sie den ukrainischen Waffenfabriken über fiktive Firmen, zwei bis drei Mal teurer als sie tatsächlich kosteten. Dafür haben auch die Direktoren der Fabriken ihren Anteil gekriegt.
Das Finanzamt, die Staatsanwaltschaft und die neue Antikorruptionsbehörde (NABU) haben zwar ermittelt, doch die Ermittlungen verliefen zäh, während die Beschuldigten weiterhin am Krieg verdient haben sollen. Erst nach der Veröffentlichung der Enthüllungen rollten dann die ersten Köpfe.
Wohl durch Bestechung der Strafverfolgungsbehörden, unter anderem stehen auch Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörde NABU unter Verdacht, haben die Kriminellen es geschafft, dass ihre Hauptfirma „Optymumspezdetal“ aus der Liste der fiktiven Unternehmen entfernt wurde. Diese Liste enthält Firmen, die offensichtlich nur der Geldwäsche dienen. Gelisteten Unternehmen ist es verboten, an staatlichen Ausschreibungen teilzunehmen.
Dafür lieferte Bihus Beweise in Form von geleakten Chat-Protokollen und gescannten Dokumenten. Die Antikorruptionsbehörde dementierte zunächst ihre Beteiligung. Wer Recht hat, werden die Ermittlungen zeigen. Erstmal hat aber NABU zwei Mitarbeiter, deren Namen in den Enthüllungen auftauchen, suspendiert.
Poroschenko hat seinerseits den ersten stellvertretenden Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates der Ukraine, Oleh Gladkowskyj, entlassen. Es gibt Anzeichen, dass Gladkowskyj, ein langjähriger Freund und Verbündeter Poroschenkos, das Korruptionsmodell von oben protegierte, während sein Sohn Ihor die Schmuggelgeschäfte führte. Auch mehrere Direktoren von Waffenfabriken wurden abgesetzt.
Folgen des Skandals für die Ukraine
Was bedeutet also dieser Skandal für die Ukraine? Dass es im Land Korruption gibt, wundert niemanden. Im aktuellen Korruptionsindex von Transparency International ist die Ukraine auf Platz 120 von 180. Das ist zwar um 10 Positionen besser als im Vorjahr, aber dennoch läuft der Antikorruptionskampf laut Experten zu langsam. Deutschland steht im Ranking übrigens auf Platz 11.
Der Skandal traf einen Nerv in der ukrainischen Gesellschaft, weil er so direkt, so unmittelbar mit dem Krieg zu tun hat. Mustafa Najem, Serhij Leschtschenko und Switlana Zalischtschuk, drei Politiker*innnen, die zur überfraktionellen Vereinigung „Eurooptimisten“ gehören, haben nach dem Skandal sogar ihren Austritt aus dem Poroschenko-Block im Parlament verkündet.
Zwei Millionen Aufrufe haben die Recherchevideos erreicht. Das liegt auch an der Form, die die Journalisten gewählt haben: Die Sendung „Unser Geld“, die dem Skandal gewidmet war, ist in vier Folgen erschienen, wie eine Kurzserie auf Netflix. Das hat Spannung aufgebaut. In den Videos erklärten die Bihus-Reporter*innen Denys Bihus und Lesya Ivanova die Tricks interaktiv, indem sie die geleakten Chats zwischen den Teilnehmern nachgesprochen und diese emotional und persönlich kommentiert haben.
Als Folge wurden die Ukrainer mindestens zweier Mythen beraubt: Der eine war, dass die Ukraine seit 2015 ohne russische Militärausrüstung auskomme. Der andere betraf die neue Antikorruptionsbehörde. Bis zum Skandal galt sie als eine vorbildliche Institution. Es ist nicht so, dass die gesamte Institution nun komplett diskreditiert wäre. Aber die Recherche hat gezeigt, dass in der Ukraine offensichtlich niemand vor korrupten Einflüssen komplett geschützt ist, nicht mal Mitarbeiter einer neuen, durch den Reformprozess ins Leben gerufenen Struktur.
Folgen des Skandals für den Wahlkampf
Und was bedeutet der Skandal für den Präsident Poroschenko? Kann die Affäre ihm so gefährlich werden, wie Watergate einst für Richard Nixon? In der Ukraine ist man sich da uneinig: Die Zeitschrift „Novoe vremya“ vermutete, dass der Skandal Poroschenko seine Wiederwahl kosten könnte.
Andere vertreten die Meinung, dass die schnelle Reaktion des Präsidenten auf die Affäre ihm sogar helfen könnte, sein Image als „europäischer Politiker“ aufzupolieren.
Gleichzeitig zeigen die Umfragen, dass der Korruptionsskandal bisher keinen besonders starken Einfluss auf die Wählerstimmung hat. Zwar ist Poroschenko in manchen Umfragen von Platz 2 auf Platz 3 gefallen, aber das ist noch nicht das Ende des Wahlkampfes. Auf Platz 1 liegt nach wie vor der Komiker Wolodymyr Selenskyj, auf Platz 2 je nach Umfrage Julia Tymoschenko. Richtig groß ist die Wirkung dieser Enthüllungen also bis dato nicht, und doch können sie gefährlich werden, wenn Poroschenko auf Platz 3 bleibt und es nicht mehr zur Stichwahl schafft.
Vieles wird nun von der Reaktion und Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden abhängen. Eins ist aber klar: Die ukrainische Politik reagierte so konsequent wie nie auf die Korruptionsvorwürfe. Viele jedoch bezweifeln, dass der Eifer, auch im Militär mit den korrupten Stukturen aufzuräumen, nach den Wahlen anhalten wird.
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