„Mehr NATO, jetzt!“

Foto: shut­ter­stock

„Heute können wir ent­we­der bekla­gen, dass die Welt so insta­bil gewor­den ist, oder wir können handeln, um die Sta­bi­li­tät wie­der­her­zu­stel­len.“ Putins Ambi­tio­nen gehen weit über die Ukraine hinaus, argu­men­tie­ren der pol­ni­sche Außen­mi­nis­ter Rado­sław Sikor­ski und sein tsche­chi­scher Amts­kol­lege Jan Lipavský in einem Beitrag für das Magazin Ame­ri­can Purpose.

Nach dem Kalten Krieg war unsere gemein­same Vision im Westen ein „geein­tes und freies Europa“. Heute fordert Wla­di­mir Putin ein neues Jalta, mit einem schwa­chen und geteil­ten Europa und einer geschwäch­ten ame­ri­ka­ni­schen Macht. Ein Dik­ta­tor, der nicht davor zurück­schreckt, die­sel­ben abscheu­li­chen Ver­bre­chen zu begehen, die wir aus der Ver­gan­gen­heit kennen, zieht in Europa eine neue Grenze. Mitten in Europa werden Städte bom­bar­diert, Zivi­lis­ten getötet und Kinder entführt.

„Nie wieder“ sagten wir vor fast 80 Jahren, nachdem die Kanonen des Zweiten Welt­kriegs endlich ver­stummt waren. Heute schei­nen wir unsere Geschichte zu wie­der­ho­len, anstatt daraus zu lernen. Der deut­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter warnt, dass Russ­land die NATO in fünf bis acht Jahren angrei­fen könnte. Sein däni­scher Amts­kol­lege pflich­tet ihm bei, argu­men­tiert aber, dass wir sogar noch weniger Zeit hätten – drei bis fünf Jahre. His­to­ri­ker fragen, ob wir in einen zweiten Kalten Krieg oder in den Dritten Welt­krieg ein­tre­ten. Poli­ti­ker und Exper­ten sind der Meinung, dass Russ­land sogar eine „exis­ten­zi­elle Bedro­hung“ für Europa dar­stel­len könnte. Und doch tun wir noch immer nicht genug, um uns der Her­aus­for­de­rung zu stellen. Wir bewegen uns in die rich­tige Rich­tung, aber zu langsam und zu spät.

Auf der jüngs­ten Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz flehten ein­fa­che ukrai­ni­sche Sol­da­ten um Hilfe. Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj und seine Minis­ter warnten, dass die Luft­ver­tei­di­gungs­ka­pa­zi­tä­ten des Landes ohne neue mili­tä­ri­sche Hilfe in wenigen Wochen erschöpft sein könnten. Kyjiw und andere Groß­städte wären dann rus­si­schen Angrif­fen mit ira­ni­schen Drohnen oder nord­ko­rea­ni­schen Raketen schutz­los aus­ge­lie­fert. Die Folge wäre, dass das Leben von Mil­lio­nen ukrai­ni­scher Zivi­lis­ten der Gnade Wla­di­mir Putins aus­ge­lie­fert wäre.

Seit Monaten haben die ukrai­ni­schen Sol­da­ten ihre Muni­tion stark ratio­niert und sind derzeit im Ver­hält­nis acht zu eins unter­le­gen. So kann man diesen Krieg nicht führen – und nicht gewin­nen. Aber wir können die Dinge noch in Ordnung bringen. Wir müssen in unsere Sicher­heit inves­tie­ren, um eine Abschre­ckung zu schaf­fen, die so stark ist, dass sie alles in den Schat­ten stellt, was Putin und seinen Kum­pa­nen zur Ver­fü­gung steht. Wir müssen unsere Bünd­nisse ver­tie­fen und aus­wei­ten, um aus einer Posi­tion der Stärke heraus einen dau­er­haf­ten Frieden zu sichern. Es ist Zeit für eine neue Vision für eine siche­rere und sta­bi­lere Welt.

Der erste ent­schei­dende Schritt: Wir müssen zuerst den ukrai­ni­schen Ver­tei­di­gungs­streit­kräf­ten helfen – jetzt. Sie sind mutig und ent­schlos­sen, aber sie sind keine Über­men­schen. Ihre Ver­luste sind real.

Erstens: Wir müssen die Euro­päi­sche Frie­dens­fa­zi­li­tät in diesem Jahr um fünf Mil­li­ar­den Euro aufstocken.

Zwei­tens: Artil­le­rie­gra­na­ten aus den von der tsche­chi­schen Initia­tive genann­ten Quellen und Ländern kaufen. Jetzt ist nicht die Zeit, um wäh­le­risch zu sein. Die Ent­wick­lung lang­fris­ti­ger euro­päi­scher Ver­tei­di­gungs­ka­pa­zi­tä­ten und ‑indus­trien ist von ent­schei­den­der Bedeu­tung, aber die Ukraine braucht diese Geschosse sofort. Auf dem Schlacht­feld spielt es keine Rolle, woher sie kommen.

Drit­tens: Wir müssen die ein­ge­fro­re­nen rus­si­schen Ver­mö­gens­werte nutzen. Ent­we­der direkt oder indem man sie als Sicher­hei­ten für die Auf­nahme von Schul­den oder als Garan­tien für Kredite ver­wen­det. Wer sollte für die Kosten eines Krieges auf­kom­men – das Opfer und seine Ver­bün­de­ten oder der Ver­ur­sa­cher? Wir sollten nicht nach Aus­re­den suchen, wenn Hilfe so drin­gend benö­tigt wird und so leicht ver­füg­bar ist.

Lassen Sie uns diese Maß­nah­men ergrei­fen – nicht um den Kon­flikt zu eska­lie­ren, sondern um ihn zu beenden. Nicht um unsere Bürger zu gefähr­den, sondern um die Gefahr auf Distanz zu halten. Nicht um Putin zu „pro­vo­zie­ren“, sondern um seinem Opfer zu helfen. Und viel­leicht sogar Russ­land selbst.

Die unpro­vo­zierte Aggres­sion des Kremls ist nichts anderes als der letzte Kolo­ni­al­krieg in Europa. Zbi­gniew Brze­ziń­ski, der Natio­nale Sicher­heits­be­ra­ter von Prä­si­dent Jimmy Carter, sagte einmal, dass „Russ­land ohne die Ukraine aufhört, ein Impe­rium zu sein, aber mit einer unter­wor­fe­nen und dann unter­ge­ord­ne­ten Ukraine wird Russ­land auto­ma­tisch zu einem Impe­rium“. Das impe­ria­lis­ti­sche Russ­land wird niemals ein demo­kra­ti­sches Russ­land sein.

Es geht nicht nur um die Ukraine. Putins uner­sätt­li­che Ambi­tio­nen gehen viel weiter. Ver­ges­sen Sie nicht die For­de­run­gen des Kremls aus dem Jahr 2021, als Russ­land vorgab, mit dem Westen einen Deal aus­zu­han­deln: „Ziehen Sie Ihre Streit­kräfte auf die Posi­tio­nen zurück, die sie 1997 ein­ge­nom­men haben, oder es wird Kon­se­quen­zen geben.“ Mit anderen Worten: Drehen Sie die Geschichte zurück in eine Zeit, in der keiner der ehemals von Moskau unter­wor­fe­nen Staaten Teil der NATO war.

Die Risiken eines Nach­ge­bens gegen­über der rus­si­schen Aggres­sion reichen über Grenzen hinaus und erin­nern an die gespens­ti­sche Geschichte ver­gan­ge­ner Beschwich­ti­gun­gen. Mit jedem Tag, an dem Putin Teile der Ukraine besetzt, wächst der Appetit anderer auto­ri­tä­rer Macht­ha­ber, neue Grenzen ziehen zu wollen.

Die Alter­na­ti­ven sind klar: Ent­we­der haben wir es mit einer besieg­ten rus­si­schen Armee an der Ost­grenze der Ukraine zu tun oder mit einer sieg­rei­chen, ermu­tig­ten Armee direkt vor den Toren der NATO. Heute können wir ent­we­der bekla­gen, dass die Welt so insta­bil gewor­den ist, oder wir können handeln, um die Sta­bi­li­tät wiederherzustellen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. März 2024 bei Ame­ri­can Purpose, einer in Washing­ton, D. C., erschei­nen­den Publi­ka­tion. Wir bedan­ken uns bei Ame­ri­can Purpose für die Erlaub­nis zur Zweitveröffentlichung.

 

 

 

 

 

 

 

 

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