Asowsche Meer: Wer profitiert von der Eskalation?
Am Sonntag eskalierte die Lage im Asowschen Meer und die Meerenge von Kertsch. Einschätzung und Einordnung der Lage von Manuel Sarrazin.
Seit Monaten hat die russische Marine und vor allem so genannte Speznats-Einheiten des FSB eine faktische Blockade der ukrainischen Häfen im Asowschen Meer eingeführt. Regelmäßig wurden Schiffe, die die ukrainischen Häfen verlassen haben, geentert und durchsucht und willkürlich festgesetzt. Die Ukraine hat daraufhin einige Militärschiffe ins Asowsche Meer entsandt und die Errichtung eines Marine-Stützpunktes angekündigt. Beides spielt aber eher eine symbolische Rolle vor dem Hintergrund einer vielfachen militärischen Übermacht der russischen Seite im Asowschen Meer.
Begonnen hat der Konflikt mit dem illegalen Bau der Brücke über die Meerenge von Kertsch, die die illegal annektierte Krim mit dem russischen Festland verbindet. Die Durchfahrtshöhe der Brücke hat bereits den Seeverkehr zu den ukrainischen Häfen, vor allem nach Mariupol und Berdjansk eingeschränkt. Die weiteren Maßnahmen umso mehr. Beide Städte sind vom Seeverkehr abhängig, um die Getreide- bzw. Schwerindustrieprodukte der lokalen Firmen auf den Weltmarkt zu transportieren. Mariupol hat dabei eine besondere Bedeutung, hier wurde letztlich der russische Vormarsch 2014 von organisierten Selbstverteidigungstruppen des lokalen Stahlwerk gestoppt. Es gibt deswegen die Vermutung, dass Russland mit den bisherigen Maßnahmen bewusst dieses Stahlwerk ausbluten lassen und die Stadt politisch destabilisieren will.
Das Asowsche Meer wurde im Jahr 2003 als gemeinsames Binnengewässer Russlands und der Ukraine festgelegt. Damit dürfen Schiffe beider Staaten das gesamte Meer frei benutzen und die Kontrolle der Seefahrt wird geteilt ausgeführt. Die ukrainischen Schiffe haben am Sonntag die 12-Meilen-Zone des ukrainischen Territoriums nie verlassen. Die Behauptung einer Grenzverletzung beruht also auf der russischen Behauptung, dass die Krim russisches Territorium sei, was internationalem Recht widerspricht. Die Blockade vom Sonntag widersprach also klar sowohl dem bilateralen Vertrag über das Asowsche Meer als auch dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.
Die Lage ist also klar: Es handelte sich um Machtdemonstration des FSB gegenüber dem Versuch der Ukraine, die eigene Präsenz im Asowschen Meer auf geringem Niveau auszubauen und selber Kontrollen der Seefahrt durchführen zu können. Für Russland ist das Kalkül klar: selbst mit der Aufhebung der absoluten Blockade und der Rückkehr zur vorherigen faktischen Blockade hat man die absolute Kontrolle über den Wirtschaftsverkehr im Asowschen Meer. Das heißt auch, dass wer ökonomisch überleben will seine Absprache mit russischen Kreisen treffen muss. Das stärkt die informelle russische Position in den wichtigsten regierungskontrollierten Gebieten der Ostukraine. Gleichzeitig hat man sichergestellt, dass die Ukraine keine eigene Präsenz im Asowschen Meer aufbaut. Und ganz nebenbei hat man noch einmal den Anspruch auf die Krim unterstrichen, vor allem gegenüber der eigenen Bevölkerung.
Cui bono?
Die öffentliche Überlegung eines Nutzens des Konflikts für Präsident Poroschenko halte ich für absurd. Tatsächlich zeigt der Konflikt vor allem die Hilflosigkeit und Machtlosigkeit der Zentralregierung im Asowschen Meer. Vor dem Hintergrund massiver Hackerangriffe zeitgleich zum Vorfall und des Problems von regelmäßigigen Bombendrohungen und anderen Zwischenfällen in den letzten Jahren in vielen Regionen des Landes, vor allem in Odessa, muss die Regierung in Kiew mit einer Eskalation rechnen, ebenso mit einem möglichen Versuch bspw. der neuen Führungsfigur der so genannten Donezker Volksrepublik die Lage für sich zu nutzen. Gerade in Odessa ist die Lage dabei besonders angespannt. Schon seit langem nutzt Russland seine Kontrolle über Transnistrien dafür illegal störende Elemente in die Ukraine einzuschmuggeln. Zudem haben seit längerer Zeit Speznats-Einheiten auf ukrainischen Gebiet befindliche Ölplattformen russischer Unternehmen illegal besetzt.
Das ukrainische Parlament hat für die Verhängung des Kriegsrechts gestimmt. Mit “Ja” stimmten 276 Abgeordnete. Das Kriegsrecht wird für 30 Tage verhängt, aber nicht auf dem gesamten Territorium der Ukraine, sondern nur in den Regionen, die an die Russische Föderation und Transnistrien grenzen. Gleichzeitig stimmten die Abgeordneten für die Festlegung der nächsten Präsidentschaftswahlen am 31. März 2019.
Bei einer Überlegung des Cui bono könnte man ebenso argumentieren, dass Wladimir Putin aufgrund der Rentenreform und der wirtschaftlichen Lage im Land so unbeliebt ist wie nie zuvor in seiner Amtszeit. Gleichzeitig ist die Nachfolgefrage zum Ende seiner Präsidentschaft weiterhin absolut ungeklärt. Das sogenannte „Krim-Moment“ im Zutrauen der Russen zu Putin ist verflogen. Eine kürzliche Umfrage ergab auch, dass die Speznats-Einheiten ein außergewöhnliches Vertrauen bei der russischen Bevölkerung genießen. Gerade nach den krachenden Misserfolgen des militärischen Geheimdienstes GRU in letzter Zeit und vor dem Hintergrund des Konkurrenzkampfes der Dienste untereinander profitiert sicherlich der FSB von dieser aus russischer Sicht erfolgreichen Aktion.
Für die Bundesregierung ist die Eskalation der Lage aus meiner Sicht ein Armutszeugnis. Sie setzte auf ein „niedrig hängen“ des Konflikts und eine Lösung im Rahmen von technischen seerechtlichen Gremien und wollte eine Politisierung vermeiden, die eine Behandlung des Themas bspw. im Rahmen der Normandie-Gespräche aus ihrer Sicht bedeutet hätte. Damit hat Berlin es verpasst von Anfang an der russischen Seite klipp und klar zu sagen, dass die freie Passage zu den ukrainischen Häfen aus deutscher Sicht ein absolutes Muss ist und aus meiner Sicht eher den Eindruck der Gleichgültigkeit erweckt. Das muss sich jetzt ändern!
Klar ist, der Konflikt lässt sich nur lösen, wenn künftig die ukrainischen Häfen wieder ohne willkürliche und gängelnde Kontrollen angelaufen werden können.
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