Asow­sches Meer: Das gefähr­li­che Muskelspiel

United States Coast Guard, Petty Officer Jona­than R. Cilley

Die Krise um das Asow­sche Meer spitzt sich zu. Russ­land hat kurz­zei­tig den Zugang für ukrai­ni­sche Schiffe geschlos­sen und erhöht seine mili­tä­ri­sche Präsenz deut­lich. In der Ukraine wird gleich­zei­tig heftig über eine mög­li­che Reak­tion diskutiert.

In Exper­ten­krei­sen war eine mög­li­che Eska­la­tion am Asow­schen Meer, dessen Zugang sich die Ukraine und Russ­land teilen, bereits seit der rus­si­schen Anne­xion der Halb­in­sel Krim im März 2014 ein großes Thema. Zwar sind die Hafen­städte Mariu­pol und Berdjansk für die Ukraine – gemes­sen am Umsatz – nicht ganz so wichtig wie Odessa oder Cherson. Trotz­dem war es für Kiew von Anfang an äußert pro­ble­ma­tisch, dass Moskau auf einmal beide Ufer der Straße von Kertsch unter seiner Kon­trolle hatte. So wuchs in der Ukraine bereits damals die Angst, Russ­land könne jeder­zeit nach Bedarf ein­grei­fen und den Schiffs­ver­kehr beein­träch­ti­gen oder gar unter­bre­chen. Zudem war gleich nach der Anne­xion klar, dass Russ­land eine Brücke über die Straße von Kertsch bauen würde, um eine Lan­des­ver­bin­dung mit der de facto iso­lier­ten Halb­in­sel zu schaffen.

Karte des Schwar­zen Meers 

Die Brücke von Kertsch ist nicht das ent­schei­dende Problem

Die Kertsch-Brücke ist nun Mitte Mai 2018 eröff­net worden – und ist nur einer der Gründe, warum die Lage am Asow­schen Meer in diesem Jahr ständig eska­liert. Denn die Brücke, eines der größten Pro­jekte in rus­si­scher Bau­ge­schichte, schließt wegen ihrer bau­li­chen Höhe die Durch­reise von Schif­fen, die höher als 35 Meter sind, aus. In der Theorie bedeu­tet das starke Han­dels­ver­luste für die Ukraine. In der Praxis wurden aller­dings in ver­gan­ge­nen Monaten meist ledig­lich Anten­nen gekürzt. Der große Fracht­rück­gang erfolgte bereits zu Beginn des Donbass-Krieges durch den fak­ti­schen Wegfall der beiden indus­tri­el­len Groß­städte Donezk und Luhansk. Die aktu­elle Eska­la­tion ist daher eher poli­ti­scher Natur.

Rus­si­sche Kon­trol­len als Schikane

Nach Angaben der ukrain­si­chen Regie­rung zufolge hat Russ­land in diesem Jahr bereits mehr als 150 Schiffe, die ukrai­ni­sche Häfen als Start- oder Endziel hatten, im Asow­schen Meer auf­ge­hal­ten und sie lang­at­mi­gen Kon­trol­len unter­zo­gen. Russ­land beruft sich dabei auf das ukrai­nisch-rus­si­sche Abkom­men über die gemein­same Nutzung des Meers von 2004. Diese Ver­ein­ba­rung erlaubt es den Grenz­schüt­zern beider Länder, Schiffe auf­zu­hal­ten und zu kon­trol­lie­ren. Nor­ma­ler­weise wird das Schiff selbst sowie per­sön­li­che Sachen der Crew­mit­glie­der durch­sucht. Die Kon­trolle und Fest­set­zung des Schif­fes kann sowohl wenige Stunden als auch mehrere Tage dauern. Die exzes­si­ven Kon­trol­len der rus­si­schen Küs­ten­wa­che führten dazu, dass im Zeit­raum zwi­schen dem 14. und dem 21. August kein ein­zi­ges Schiff mit den Ziel- oder Start­hä­fen Mariu­pol und Berdjansk die Straße von Kertsch pas­sie­ren konnte.

Fest­nahme eines Fischer­boots als Auslöser?

Die aktu­elle Aus­gangs­lage wurde aller­dings zum Teil auch durch eine Fest­nahme pro­vo­ziert. Ende März haben ukrai­ni­sche Grenz­schüt­zer das auf der Krim regis­trierte Fischer­boot „Nord“ im Asow­schen Meer fest­ge­setzt. Gegen den Kapitän wurde ein Ver­fah­ren wegen „ille­ga­ler Ein­reise auf das zwi­schen­zeit­lich okku­pierte Gebiet“ ein­ge­lei­tet. Russ­land pro­tes­tierte scharf und setzte die Grenz­po­li­zis­ten in diesem Fall auf die inter­na­tio­nale Fahn­dungs­liste. Zwei von neun Crew­mit­glie­dern durften bisher nach Russ­land zurück­keh­ren. Sieben weitere konnten mit ihren rus­si­schen Papie­ren nicht aus­rei­sen, weil die Ukraine diese als auf der Krim lebende Ukrai­ner betrach­tet. Mitt­ler­weile leben die Crew-Mit­glie­der in der rus­si­schen Bot­schaft in Kiew. Der Kapitän darf sich derzeit zwar frei bewegen, Besuche der annek­tier­ten Krim sind ihm jedoch unter­sagt. Der rus­si­schen Men­schen­rechts­be­auf­trag­ten Tetjana Moskal­kowa zufolge reagiert Kiew derzeit nicht auf Moskaus Ange­bote, die Krim-Fischer Teil eines Gefan­ge­nen­aus­tauschs zu machen.

Russ­land erhöht seine Mili­tär­prä­senz deutlich

Das aktu­elle Vor­ge­hen der Russen im Asow­schen Meer wird mit diesem Vorfall oft in Ver­bin­dung gebracht, recht­fer­tigt rus­si­sche Kano­nen­boot-Politik aber kaum. In der Tat werden ukrai­ni­sche Schiffe zwar erst seit der Fest­nahme von „Nord“ mas­sen­haft auf­ge­hal­ten. Doch damit hört Russ­land noch nicht auf. Im Juli sprach das ukrai­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium noch davon, dass Moskau die Mari­ne­prä­senz im Asow­schen Meer bis auf 40 Schiffe auf­ge­stockt hat. Das ehe­ma­lige Gene­ral­stabmit­glied Ihor Roma­nenko geht nun sogar von 60 rus­si­schen Mili­tär­schif­fen aus – ein Kon­tin­gent, mit dem die Ukraine beim besten Willen nicht mit­hal­ten kann. Kiew gesamte Marine beschränkt sich derzeit auf rund 50 Schiffe- wobei unklar ist, wie viele davon über­haupt ein­satz­be­reit sind. Bemer­kens­wert ist auch, dass die Ukraine sich seit Jahren weigert, zwei US-Patrouil­len­boote der Island-Klasse anzu­neh­men. Über eine kos­ten­lose Über­gabe wird bereits seit 2014 dis­ku­tiert, aller­dings sollen die Boote – Stand heute – erst Ende 2019 in der Ukraine ankom­men. Den Recher­chen der Anti­kor­rup­ti­ons­sen­dung „Schemy“ von Radio Svoboda zufolge könnte diese auf­fal­lende Ver­zö­ge­rung mit den Inter­es­sen einer spe­zia­li­sier­ten Werk­statt in Kiew zu tun haben, die mit dem ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Petro Poro­schenko und seinem Ver­trau­ten Ihor Kono­nenko in Ver­bin­dung gebracht wird.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

Ukrai­ni­sche Rei­se­be­schrän­kun­gen als Reaktion

Die Frage ist also, wie die Ukraine jen­seits des miloi­tä­ri­schen auf die Eska­la­tion im Asow­schen Meer ant­wor­ten kann. Derzeit scheint es auf Sank­tio­nen hin­aus­zu­lau­fen, die vom Infra­struk­tur­mi­nis­te­rium erar­bei­tet wurden und theo­re­tisch auf der nächs­ten Sitzung des Sicher­heits­ra­tes ver­ab­schie­det werden könnten. Unter anderem könnte es um die Abset­zung des Pas­sa­gier­ver­kehrs durch Züge und Busse zwi­schen der Ukraine und Russ­land gehen. Die Flug­ver­bin­dun­gen zwi­schen den beiden Nach­bar­län­dern wurden bereits Ende 2015 ein­ge­stellt. Nun könnten die Bedin­gun­gen für Reisen zwi­schen den Ländern noch einmal ver­schärft werden. Unklar ist jedoch, ob diese Maß­nahme mehr Russ­land oder den ukrai­ni­schen Staats­bür­gern im Nach­bar­land schaden würde.

Auf­kün­di­gung des bila­te­ra­len Abkom­mens mit Russ­land eine Möglichkeit?

Ein wei­te­rer Knack­punkt der auf­ge­reg­ten Dis­kus­sion in der Ukraine: soll das umstrit­tene Abkom­men über die gemein­same Nutzung des Asow­schen Meer gekün­digt werden?

Nein, scheint das ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­te­rium klar zu meinen. „Es ist eine wich­tige Sicher­heits­frage für die Ukraine“, sagt stell­ver­tre­tende Außen­mi­nis­te­rin Olena Serkal. „Von der Kün­di­gung kann doch keine Rede sein. Die könnte Russ­land die Grund­lage für einen ter­ri­to­ria­len Disput geben.“ Aller­dings sagte der ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­ter Pawlo Klimkin am Don­ners­tag, dass die Ukraine die Fragen rund um das Asow­sche Meer auf der nächs­ten UN-Gene­ral­ver­samm­lung bespre­chen wolle. Er fügte hinzu, dass Kiew klare Ant­wor­ten auf „mili­tä­ri­sche Pro­vo­ka­tio­nen“ Russ­lands geben müsse.

Vor­teile für die Ukraine durch die Aufkündigung?

Trotz­dem stieß die Posi­tion des Außen­mi­nis­te­ri­ums auf Kritik in ukrai­ni­schen Exper­ten­krei­sen. „Die Posi­tion gleicht einer Kapi­tu­la­tion und ist seltsam“, meint Mari­ne­ex­perte Andrij Kly­menko von Black­SeaNews. Die Kri­ti­ker betonen, das Abkom­men von 2004 sei ledig­lich dekla­ra­tiv, die recht­li­chen Normen seien nicht klar genug vor­ge­schrie­ben. Sollte die Ukraine das Abkom­men kün­di­gen, würde sich die Situa­tion im Asow­schen Meer durch eine UN-Kon­ven­tion regeln, die wie­derum den Groß­teil des Asow­schen Meers wegen der Länge der Ufer­li­nie Kiew zuschrei­ben würde. Aller­dings wird jenes recht­li­che Kalkül dadurch gefähr­det, dass Russ­land de facto die beiden Ufer der Straße von Kertsch kontrolliert.

Ver­ba­ler Schlag­ab­tausch zwi­schen Washing­ton und Moskau

Ein Gesetz­ent­wurf, der vor­sieht das Abkom­men von 2004 auf­zu­kün­di­gen, wurde bereits 2015 im ukrai­ni­schen Par­la­ment regis­triert. Damals hatten aber bereits das ukrai­ni­sche Außen­mi­nis­te­rium sowie einige Sicher­heits­be­hör­den aus­drück­lich vor mög­li­chen Blo­cka­de­ak­tio­nen Russ­lands in Rich­tung der Häfen Mariu­pol und Berdjansk gewarnt. Seit Juli 2018 gibt es einen neuen Gesetz­ent­wurf, der im Sep­tem­ber ver­ab­schie­det werden könnte. Welche Posi­tion sich dahin durch­setzt, ist heute noch nicht abzusehen.

Klar ist jedoch, dass das Thema Asow­sches Meer immer auch an inter­na­tio­na­len Bedeu­tung gewinnt. Am Don­ners­tag hat das US-Außen­mi­nis­te­rium die Hand­lun­gen Russ­lands am Asow­schen Meer in einem State­ment klar ver­ur­teilt: „Es ist ein wei­te­res Bei­spiel, wie Russ­land die Ukraine zu desta­bi­li­sie­ren ver­sucht.“ Die rus­si­sche Bot­schaft in Washing­ton reagierte gewohnt geär­gert: „Das Außen­mi­nis­te­rium ist wegen der Fest­hal­tun­gen, nicht wegen der Fest­nah­men oder Arreste, besorgt. Es ist bemer­kens­wert, dass sie dabei kein ein­zi­ges Schiff von angeb­lich Hun­der­ten nennen, der von uns fest­ge­hal­ten wäre.“

Da die Ukraine weder über mili­tä­ri­sche noch poli­ti­sche Druck­mit­tel gegen­über Russ­land verfügt, scheint sie der rus­si­schen Kano­nen­boot­po­li­tik derzeit hilflos ausgeliefert.

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