Ein Fest der ukrainischen Demokratie
Die Favoriten Selenskyj, Poroschenko und Tymoschenko sind mit drei völlig unterschiedlichen Wahlstrategien in die Präsidentschaftswahl gegangen. Das führte zum interessantesten Wahlkampf in der Geschichte der unabhängigen Ukraine. Von Denis Trubetskoy
Der zurückliegende Wahlkampf wird wohl in die Geschichte der politischen Ukraine eingehen. Auch deswegen, weil man wenige Tage vor dem ersten Wahlgang nicht einmal sicher sagen kann, wer in die Stichwahl einziehen wird. Denn die drei Favoriten, der Komiker Wolodymyr Selenskyj, der amtierende Petro Poroschenko und die zweifache Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko, haben zwar natürlich unterschiedliche Ausgangslagen, können jedoch nach wie vor den Sprung in die Stichwahl am 21. April schaffen. Es ist eine durchaus lobenswerte Konstellation, die zeigt, wie demokratisch die Ukraine doch fünf Jahre nach der Maidan-Revolution geworden ist – bei allen Problemen, die das ukrainische Politiksystem hat. Für einen postsowjetischen Staat ist das eher unüblich.
Geld verdienen mit dem Wahlkampf
Doch wir haben es auch mit drei Wahlkampagnen zu tun, die einerseits unterschiedlicher nicht sein könnten – und die andererseits irgendwie brillant waren. Eine besondere Rolle spielt dabei natürlich Wolodymyr Selenskyj mit einem Wahlkampf, der nicht nur für die Ukraine einzigartig war. Statt bei Auftritten für sein Programm zu werben, tourte Selenskyj mit seinem Schauspielerensemble durch das Land, um seine beliebte Satire-Show Wetschirnij Kwartal („Das Abendquartal“) zu präsentieren und sich dort über politische Konkurrenten lustig zu machen. De facto haben also die Menschen dafür bezahlt, den führenden Präsidentschaftskandidaten zu sehen – und nicht umgekehrt, denn Aufwandsentschädigungen in Form von Geldzahlungen an Besucher von Politikerauftritten sind in der Ukraine gang und gäbe. Selensjykj ist also der erste der mit seinem Wahlkampf sogar Geld verdient hat. Wobei der Kandidat fast in jeder Stadt vor den kommerziellen Auftritten noch Gratis-Shows zeigte, was man nicht vergessen sollte.
Begrenztes öffentliches Auftreten von Selenskyj
Darüber hinaus beschränkte Selenskyj seine öffentlichen Auftritte auf ein absolutes Minimun. Er besuchte keine einzige Talkshow, was sowohl Poroschenko und Tymoschenko öfter machten, er gab fast keine Interviews – und wenn doch, dann versuchte sein Wahlkampfstab, davon maximal zu profitieren. Etwa von seinem Gespräch mit ausgewählten ausländischen Journalisten, das vom Wahlkampfteam gefilmt und schön zusammengeschnitten wurde. Stattdessen setzte Selenskyj auf schlichte Wahlplakate – und seinen Videoblog auf YouTube und seinen Instagram-Kanal, die beide tatsächlich sehr erfolgreich waren.
Dritte Staffel der Serie „Diener des Volkes“ als größtes Ass im Wahlkampf?
Die dritte Staffel der Serie Diener des Volkes, in dem Selenskyj Wassyl Goloborodko spielt, den ehemaligen Geschichtslehrer, der plötzlich zum ukrainischen Präsidenten wird, war seine größte Waffe im Wahlkampf.
Die aus drei Folgen bestehende dritte Staffel wurde am Mittwoch und Donnerstag bei 1+1, dem Sender des Oligarchen Ihor Kolomojskyj, ausgestrahlt. Die politische Botschaft war klar: Während Dmytro Surikow, eine Poroschenko-Kopie, und Schanna Boryssenko, die in extremer Weise Julija Tymoschenko ähnelt, in den ersten beiden Folgen scheitern, gelingt es Goloborodko im großen Finale, die Ukraine, die sich zu dem Zeitpunkt in 28 verschiedene Staaten auseinander gefallen war, zusammenzuführen. Übrigens war der satirische Blick auf das politische Leben des Landes teilweise richtig gut – und dennoch handelte es sich klar um Wahlwerbung mit einer eindeutigen Message.
Poroschenko mit klarem Wahlkampfschwerpunkt
Eine klare Message konnte auch der amtierende Präsident Petro Poroschenko durchaus vorweisen. Noch vor fünf Jahren präsentierte sich Poroschenko als gemäßigter Kandidat für das ganze Land, der vor allem für Stabilität in schwierigen Zeiten sorgen wollte. Poroschenko hatte diese Wahl auch in allen Wahlbezirken des Landes gewonnen, außer in einem der dreizehn Bezirke des Regierungsgebiets Charkiw. Der nationalistisch orientierte Wahlkampf des Präsidenten, der während des gesamten Wahlkampfsauf den Slogan „Armee! Sprache! Glauben!“ setzte, kam nicht überall gut an. Der heutige Poroschenko setzt nun einen klaren westukrainischen Akzent, nicht zuletzt deswegen absolvierte er seinen letzten großen Auftritt vor der Wahl am Donnerstag in Lwiw.
Zwar hat Poroschenko seine frühere Wählerschaft fast komplett verloren, was ihm nun einen erneuten Wahlsieg kosten kann. Wenige Wochen vor dem ersten Wahlgang wies Poroschenko regelmäßig das höchste Anti-Rating auf. 50 Prozent der Wähler gaben an, ihn unter keinen Umständen wählen zu wollen- ganze zweidrittel gaben an, ihn zu misstrauen.
Sein Wahlteam hat aber das Beste aus der schwierigen Ausgangssituation gemacht und Poroschenko zum großen Patrioten stilisiert, den der russische Präsident Wladimir Putin angeblich hasst. Bei der Präsidentschaftswahl wird entweder Poroschenko oder Putin gewinnen, hieß es bei der großen Veranstaltung im Kiewer Internationalen Kongresszentrum, als der 53-Jährige seine erneute Kandidatur verkündete. Mit seinem anderen Slogan, „Viele Kandidaten, ein Präsident“ versucht er auch, sich als staatstragende Person bestmöglich zu platzieren. Und das gelingt sogar teilweise: Poroschenko hat zwar nicht die besten Chancen auf eine Wiederwahl, aber er hat zurzeit eine Beachtliche Zahl von Fans, ganz abgesehen von einer Reihe von Bloggern, Journalisten und Meinungsmachern, die offensichtlich zentral gesteuert werden.
Julija Tymoschenko versuchte sich als Alternative zu inszenieren
Aber auch Julija Tymoschenko kann man kaum vorwerfen, einen schlechten Wahlkampf geführt zu haben, obwohl viel darüber diskutiert wurde, ob sie diesen nicht zu früh begonnen hatte. Tatsächlich hat Tymoschenko im Laufe des letzten Jahres eine Reihe von Expertenforen, etwa zur Verfassungsreform, zur Wirtschaft oder zum Krieg im Donbas, veranstaltet, auf denen die ehemalige Premierministerin versuchte, sich im Gegensatz zum Patrioten Poroschenko als konstruktiv darzustellen und ihren Ruf als gnadenlose Populistin abzustreifen. Der „Neue Kurs der Ukraine“ heißt ihr Wahlprogramm, das im Wesentlichen davon handelt, dass die Ukraine zu einer sogenannten Kanzlerrepublik mit mehr direkter Demokratie werden soll.
Der Nominierungsparteitag ihrer Vaterlandspartei und ihre Rede wirkten Ende Januar für viele Beobachter noch überzeugend, doch führt Tymoschenko, anders als im letzten Jahr, nicht mehr in den Umfragen. Viel mehr deuten die letzten Umfragen an, dass sie um den Einzug in die Stichwahl bangen muss. Das führte offenbar auch dazu, dass Tymoschenko seit Anfang des Jahres weniger konstruktiv auftritt und populistische Themen betont, zum Beispiel das Versprechen, den Gaspreis für die Bevölkerung zu halbieren. Diese Strategie scheint dennoch derzeit nicht besonders gut anzukommen, wobei Tymoschenko seit Jahren auf eine loyale Stammwählerschaft und einen Parteiapparat zurückgreifen kann. Mehr Wähler für sich zu gewinnen, das ist für sie aber schwer, denn ihre Umfragewerte waren nie wirklich deutlich höher als ihr Ergebnis bei der Wahl 2014, als sie fast dreizehn Prozent erlangte.
Am 31. März wird nun klar sein, welche der Wahlkampfstrategien die erfolgreichste war. Auf jeden Fall war der zurückliegende Wahlkampf trotz aller Skandale und Anschuldigungen der Manipulation ein Fest der ukrainischen Demokratie. Ob der nächste Präsidentschaftswahlkampf so offen wie dieser sein wird und wie es mit der ukrainischen Demokratie weitergeht, ist vollkommen offen.
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