Großer Schritt für das neue ukrainische Antikorruptionsgericht
Die Berufungsverfahren zu Schlüsselinstitutionen, dem Hohen Antikorruptionsgericht und dem Obersten Gerichtshof sind abgeschlossen. Das neue Antikorruptionsgericht könnte schon bald seine Arbeit aufnehmen. Von Iryna Shyba
[Redaktion] Der Winter 2019 ist für das Gerichtssystem der Ukraine von außerordentlicher Bedeutung: Die Berufungsverfahren zu Schlüsselinstitutionen, nämlich dem Hohen Antikorruptionsgericht und dem Obersten Gerichtshof sind abgeschlossen. Das Verfahren zum Antikorruptionsgericht gilt alles in allem als ein Erfolg, während das zum Obersten Gerichtshof eher als Misserfolg bewertet wird. Beide Gerichte müssen Entscheidungen von äußerster Wichtigkeit für die Ukraine fällen. Bislang war es die Hohe Qualifizierungskommission der Richter (engl.: HQCJ), die in beiden Fällen Hindernisse für faire Auswahlverfahren geschaffen und ungeeignete Kandidaten zu diesen äußerst wichtigen Gerichten zugelassen hat. Iryna Shyba, Projektleiterin bei der DEJURE-Stiftung, die aktiv an der Justizreform beteiligt ist, beschreibt die wichtigsten Herausforderungen während der Berufungsverfahren und erklärt die aktuellen Vorgänge. [Redaktion]
Am 6. März 2019 hat die Hohe Qualifizierungskommission der Richter (engl. High Qualification Commission of Judges (HQCJ)) die Ergebnisse der Berufungsverfahren zum Hohen Antikorruptionsgericht und zum Obersten Gerichtshof bekannt gegeben. Am 20. März folgte dann die Berufung des letztverantwortlichen Hohen Justizrates (engl. High Council of Judges) von 69 Richter zum Obersten Gericht und 35 Richtern zum Antikorruptionsgericht. In Kürze folgt dann die zeremonielle Ernennung der Richter durch den Präsidenten, der keinen Einfluss mehr auf die Auswahl hat.
Unter den erfolgreichen Bewerbern befanden sich zahlreiche Kandidaten, denen zivilgesellschaftliche Organisationen – inklsuive der Organisation, die ich führe – noch vor wenigen Monaten eine mangelnde Eignung bescheinigt hatten: Unter den bis dato berufenen Richtern für das Oberste Gericht befinden sich beispielsweise mindestens zehn und unter den berufenen Richtern für das neue Antikorruptionsgericht befinden sich acht Kandidaten mit fragwürdigen Hintergründen. Trotzdem gilt das Berufungsverfahren für das Hohe Antikorruptionsgericht unter Beteiligung internationaler Experten als Erfolg, während das zum Obersten Gerichtshof eher als Misserfolg zu beurteilen ist. Im Folgenden möchte ich kurz auf den komplexen Berufungsprozess eingehen und das näher erläutern.
Berufungsverfahren zum Antikorruptionsgericht
Seit Ende 2018 lief die Auswahl für das neugegründete Hohe Antikorruptionsgericht (HACC). Dort sollen insgesamt – inklusive Berufungsinstanz – 39 Richter arbeiten. Von insgesamt 342 Bewerben schafften es zunächst 113 Kandidat*innen in die finale Auswahl.
Das besondere an der Auswahl der Richter zum Hohen Antikorruptionsgericht war, das erstmalig internationale Experten in Form eines Expertengremiums in die Auswahl miteinbezogen wurden- ein auch im Westen bisher beispielloser Vorgang. Zum Öffentlichen Rat internationaler Experten (engl.: PCIE) gehören bekannte sechs Fachleute, die selbst als Richter oder Staatsanwälte tätig gewesen waren. Sie hatten in Dänemark, Großbritannien, Litauen, Mazedonien und Kanada Fälle gravierender Korruption verhandelt oder zur Anklage gebracht.
Der internationale Expertenrat (PCIE) war berechtigt, eine Bewerbung zu verwerfen, wenn substantielle Zweifel an der fachlichen Eignung oder der Integrität der Kandidaten aufkamen. Der PCIE hat dabei höchste Prüfstandards angelegt: Die Bewerber waren verpflichtet, jeden berechtigten Zweifel zu zerstreuen. Schriftlich bzw. im Interview (hierzu gab es Live-Streams) mussten die Kandidaten die internationalen Experten von ihrer Eignung, ein Amt als Richter am Hohen Antikorruptionsgericht zu bekleiden, überzeugen. 49 Bewerber haben dies bei den gemeinsamen Sitzungen des PCIE und der HQCJ versucht, davon wurden 42 von den internationalen Experten aussortiert.
Vier zivilgesellschaftliche Organisationen (die DE JURE-Stiftung, das Anti-Corruption Action Centre, Transparency International und Automaidan) erklärten, dass sie zuvor bei acht der erfolgreichen Bewerber Zweifel gehabt haben. Allerdings wurden drei dieser Bewerber (Tschorna, Woronko und Bilous) dann von internationalen Experten befragt, die daraufhin entschieden, dass bei ihnen die Zweifel an der Integrität überzogen gewesen seien. Andere Bewerber hatten ihre Erklärungen schriftlich vorgelegt.
Antikorruptions-Aktivisten machten während des Auswahlprozesses immer wieder darauf aufmerksam, dass geeignete Richter*innen durch juristische Winkelzüge aus dem Auswahlprozess ausgeschlossen wurden. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist die Richterin Larysa Holnik, die in der Ukraine und im Ausland als Whistleblowerin bekannt ist. Sie erhielt vom Hohen Justizrat kurz vor Beginn des Auswahlverfahren zum Hohen Antikorruptionsgericht eine offizielle Rüge. Die Verhängung einer Disziplinarstrafe verhinderte, dass Holnyk am Berufungsverfahren teilnehmen und Richterin am Hohen Antikorruptionsgericht werden konnte. Auch wenn der Oberste Gerichtshof die diese Entscheidung des Hohen Justizrates kürzlich für rechtswidrig befunden hat, ist die Richterin somit effektiv von der Auswahl ausgeschlossen worden.
Berufungsverfahren für den Obersten Gerichtshof
Beim Berufungsverfahren für den Obersten Gerichtshof hingegen, das zur gleichen Zeit stattfand, gab es keine Beteiligung internationaler Experten. Es wurde ein nationales Gremium, der sogenannte Öffentlichen Integritätsrates (engl.: PIC) an der Auswahl beteiligt.
Der PIC ist eine landesweite Einrichtung, zu der sich ukrainische zivilgesellschaftliche Aktivisten, Anwälte und Journalisten zusammengeschlossen haben (die alle ehrenamtlich tätig sind). Der Integritätsrat verfügt – anders als der internationale Expertenrat – nicht über ein absolutes Vetorecht. Selbst wenn der PIC einen Bewerber oder eine Bewerberin für unehrlich bzw. ungeeignet befindet, kann dieser oder diese nach einem entsprechenden Mehrheitsbeschluss der HQCJ immer noch berufen werden. Von den zum Obersten Gericht berufenen Richtern wurden 16 von 31 negativen Bewertungen des PICs von der Qualifizierungskommission (HQCJ) überstimmt.
Unter den zweifelhaften Bewerbern, denen die Qualifizierungskommission zu einem Verbleib im Berufungsverfahren verholfen hat, befinden sich drei Mitglieder eines anderen Gremiums des hohen Justizrates (engl. High Council of Justice (HCJ)): Ihor Benedysjuk, Natalja Wolkowyzka und Tetjana Malaschenkowa gehören dem Hohen Justizrat an.
Der Hohe Justizrat (HCJ) ist letztinstanzlich für die Berufung der Richter verantwortlich und soll gewährleisten, dass die Richter unabhängig sind und die Kriterien der richterlichen Berufsethik befolgen. Als Mitglieder des Hohen Justizrates hatten die genannten drei Bewerber keinerlei Anstrengung unternommen, als es darum ging, Fällen nachzugehen, bei denen während des Euromaidan politischer Druck auf Richter ausgeübt worden war, um Protestierende rechtswidrig zu verurteilen.
Darüber hinaus nahm Ihor Benedysjuk verbotenerweise vom Präsidenten eine Zeremonialwaffe entgegen. Benedysjuk, der Vorsitzende des Hohen Justizrates, ist zudem mehrfach von Journalisten auf seine russische Staatsangehörigkeit angesprochen worden, hat aber nie eine Antwort geliefert – in der Ukraine ist eine mehrfache Staatsangehörigkeit nicht erlaubt.
Auch andere erfolgreiche Bewerber für den Obersten Gerichtshof haben Menschenrechte verletzt, politisch motivierte Urteile gefällt oder enge Beziehungen zu hochrangigen Politikern unterhalten.
Das Berufungsverfahren zum Obersten Gerichtshof ist für Korruptionsbekämpfung so wichtig, da gravierende Korruptionsfälle werden letztinstanzlich dort verhandelt werden und eben nicht alleine vorm spezialisierten Antikorruptionsgericht.
Gibt es eine Möglichkeit, die Berufung dieser Kandidaten zu verhindern?
Die Auswahl der Richter wurde prinzipiell von der Hohe Qualifizierungskommission der Richter (HQCJ) getroffen. Das HQCJ übergab seine Liste Anfang März dann an den Hohen Justizrat (HCJ). Der Hohe Justizrat (HCJ) die Institution ist, die im Berufungsprozess das letzte Wort hat. Nach der Übergabe der finalen Auswahl des HQCJ prüft der Hohe Justizrat die Profile jedes Bewerbers noch mal und entscheidet wer dem Präsident zur Berufung vorgeschlagen wird. Der Präsident hat dann die Pflicht der Empfehlung des Hohen Justizrates nachzukommen.
Laut Gesetzt kann der Hohe Justizrat einen Bewerber, der das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen hat, wegen begründeter Zweifel an der Integrität und der Berufsethik des Kandidaten oder wegen Verstößen gegen das gesetzlich vorgegebene Verfahren der Berufung zum Richter ablehnen.
Die Sitzungen des Hohen Justizrates zur Begutachtung der Bewerber fanden zwischen dem 18. bis 20. März statt. Das Gremium befand in drei Tagen über 117 Bewerber (39 für das Hohe Antikorruptionsgericht und 78 für den Obersten Gerichtshof). Der Hohe Justizrat berief insgesamt 69 Richter zum Obersten Gericht und 35 zum Antikorruptionsgericht. Bis zum 28. März sollen weitere Berufungen folgen.
Reicht es, zweifelhafte Bewerber für das Hohe Antikorruptionsgericht auszuschließen?
Zur Sicherstellung der Unabhängigkeit des Hohen Antikorruptionsgerichts ist es darüber hinaus notwendig, einen geeigneten Vorsitzenden und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter des Gerichtsapparates zu finden. Derzeit ist Oleksij Shukow der provisorische Leiter der Verwaltung des Gerichts, ein ehemaliger Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft mit ambivalenten politischen Verbindungen. Da die Ausschreibung für den Posten eines ständigen Verwaltungsdirektors noch nicht verkündet wurde, besteht weiterhin das Risiko, dass Shukow ohne Auswahlverfahren zum ständigen Leiter des neuen Gerichts ernannt wird.
Darüber hinaus könnte der Hohe Justizrat immer noch mit Hilfe von Disziplinarverfahren, wie bei Richterin Holnyk, Druck auf die Richter des Antikorruptionsgerichts ausüben.
Die Beteiligung internationaler Experten mit starker Einspruchsbefugnis hat dazu beigetragen, dass das Berufungsverfahren für das Antikorruptionsgericht erfolgreich abgeschlossen wurde. Dieser Erfolg könnte allerdings durch die neue Zusammensetzung der Strafkammer für Berufungsverfahren am Obersten Gerichtshof wieder wettgemacht werden. Diese verhandelt in dritter Instanz Fälle von gravierender Korruption, Manipulationen durch den Apparat des Antikorruptionsgerichtes oder mit Hilfe von Druck auf Richter durch Disziplinarverfahren.
Empfehlungen
Um diese Risiken zu vermindern, sollte eine unabhängige Antikorruptionskammer unter Einbeziehungen internationaler Experten geschaffen werden. Ukrainische Experten haben dazu aufgerufen, die Zusammensetzung der richterlichen Selbstverwaltungsorgane zu ändern, die für die Auswahl und die Disziplinaraufsicht zuständig sind (HQCJ und Hoher Justizrat). Diese Gremien sollten zu mindestens 50 Prozent mit Vertretern der Zivilgesellschaft besetzt werden, die das Vertrauen der Gesellschaft genießen (Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Vertreter fachkompetenter NGOs), und oder mit angesehenen ausländischen Experten. Nur das kann langfristig eine effektive Justizverwaltung gewährleisten.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.