Ökologisierung der ukrainischen Agrarindustrie: Chancen und Risiken
Der Agrarsektor trägt über zehn Prozent zum BIP der Ukraine bei und umfasst knapp 40 Prozent der Gesamtexporte. Die Ukraine ist ein wichtiger Akteur auf dem globalen Agrarmarkt; sie trägt eine Mitverantwortung für die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung und kann sich der grünen Wende in Europa nicht entziehen. Welche Faktoren die Ökologisierung des ukrainischen Agrarsektors beeinflussen und welche Chancen und Risiken die Greening-Strategie der Landwirtschaft birgt, analysiert Kateryna Shor.
Die ukrainische Agrarindustrie und der Klimawandel
Die Europäische Union ist ein wichtiger Partner der Ukraine, und die Politik der EU beeinflusst die Innenpolitik des Landes in vielen Aspekten. So unterstützen ukrainische Regierungsvertreter grundsätzlich den Ende 2019 beschlossenen European Green Deal und diskutieren aktiv die Möglichkeiten und Mechanismen zu seiner Umsetzung in verschiedenen Bereichen. Es fehlt aber noch an konkreten Schritten.
Die Notwendigkeit eines grünen Kurses leitet sich aus der Natur selbst ab – jenen Klimakatastrophen, die sich bereits in der Ukraine und der gesamten Welt als Folge menschlichen Verhaltens ereignen. Laut offizieller Statistik wird in der Ukraine eine Fläche von 41,4 Millionen Hektar für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. Davon sind 32,7 Millionen Hektar – also fast 79 Prozent – Ackerland. Dessen Anteil an der Gesamtfläche sind 54 Prozent – einer der höchsten der Welt. Gleichzeitig sind die Effizienz der Nutzung und Produktivität der Agrarindustrie sehr niedrig. Der Anteil der vom Pflügen erodierten Böden nimmt jedes Jahr zu und beträgt offiziellen Daten zufolge ca. acht Millionen Hektar oder bis zu 20 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Nach Angaben des Umweltministeriums ist die Gesamtemission von Treibhausgasen im Agrarsektor der Ukraine im Jahr 2018 um 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewachsen. Insgesamt entfallen 13 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf die Landwirtschaft. Und während in der EU fast 70 Prozent aller Emissionen der Agrarindustrie auf die Nutztierhaltung entfallen, so entfallen in der Ukraine nach Angaben der FAO 70 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf den Pflanzenanbau. Auch hier sind die Emissionen hauptsächlich auf das Umpflügen der Erde zurückzuführen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, ohne den landwirtschaftliche Tätigkeit nicht denkbar ist, betrifft die Verfügbarkeit von Wasserressourcen. Nach aktuellen Untersuchungen des World Resources Institute führen die Ukraine und die Republik Moldau die Rangliste der Länder mit dem höchsten Dürrerisiko an.
Der Klimawandel, ein Mangel an Wasserressourcen, ineffiziente und erschöpfende Bodennutzung sind alles Faktoren, die keine sonderlich positiven Szenarien für die ukrainische Agrarindustrie zeichnen.
Ukraine ist das erste nicht-EU-Land, das die Umsetzung des Green Deals diskutiert
Seit der Bekanntgabe des European Green Deals – also seit bereits zwei Jahren – wird eine Debatte um die Ökologisierung des Agrarsektors geführt. Die Ukraine ist wohl das erste nicht-EU-Land, welches den grünen Kurs unterstützt und damit begonnen hat, über die Möglichkeiten seiner Umsetzung zu diskutieren. Darüber hinaus passt sich das Land weiterhin dem Acquis communautaire der EU, also dem gesamten EU-Recht, im Rahmen des Assoziierungsabkommens (AA) an, wo ein Großteil der Probleme mit der Verbesserung der Gesetzgebung in den Bereichen Umweltschutz- und Agrarindustrie zusammenhängt. Leider wurde ein erheblicher Teil der AA-Gesetze noch nicht umgesetzt.
Auch der Entwurf des zweiten nationalen Klimaschutzbeitrags der Ukraine zum Pariser Abkommen (Klimabeitrag) bot Anlass zu Diskussionen. Der aktualisierte nationale Beitrag wurde am 30. Juli 2021 durch das Ministerkabinett genehmigt und bereits an das Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen übermittelt. Schätzungen des Sekretariats zufolge erfordern die Anpassungen des Agrarsektors im Rahmen des Klimabeitrags bis 2030 Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro. Dies provoziert wohl die meisten Fragen und Unzufriedenheit der Unternehmen.
Während das AA in erster Linie als Chance für den Auf- und Ausbau von Märkten angesehen wird, so werden der Green Deal und der nationale Klimaschutzbeitrag zusammen mit den Maßnahmen zu seiner Umsetzung von den landwirtschaftlichen Großbetrieben und auch von manchen Politikern eher zurückhaltend aufgefasst.
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken. Die Internationale Finanz-Corporation (IFC) schätzt, dass ukrainische Landwirte in den vergangenen 20 Jahren Verluste in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar zu beklagen hatten, und dass die Verluste künftig noch zunehmen werden, sollten sich die landwirtschaftlichen Ansätze nicht grundlegend ändern. Dagegen schätzt die IFC das Investitionspotenzial der Ukraine im Bereich der klimaorientierten Landwirtschaft auf 11 Milliarden US-Dollar ein.
Das Investitionspotenzial der Agrarindustrie
Laut dem Informationsverzeichnis „Agrobusiness Ukraine 2019/2020“ wurden im Jahr 2019 549 Millionen US-Dollar in die Landwirtschaft investiert; davon entfallen etwa 293 Millionen auf Einjahreskulturen, 173 Millionen auf die Nutztierhaltung, 42 Millionen auf Nachernte- und ähnliche Tätigkeiten sowie 21 Millionen auf Dauerkulturen. 2013 erreichten die Investitionen knapp 780 Millionen US-Dollar, seit Anfang 2021 sind in der Branche wieder steigende Investitionen zu verzeichnen. Wenn in den nächsten zehn Jahren durchschnittlich rund 300 Millionen USD pro Jahr in Einjahres- und Dauerkulturen investiert werden, dann wird die Investitionshöhe, die zur Umsetzung des Klimabeitrags notwendig ist, erreicht werden. Dabei bleiben die Großinvestitionen in die Branche, die sich 2019 auf rund 60 Millionen US-Dollar beliefen, unberücksichtigt.
Die Geschäftsmodelle im Agrarsektor müssen die mit dem Klimawandel und den Wetterphänomenen verbundenen Risiken berücksichtigen und die Versicherungskosten darin einbeziehen (die Entwicklung der Agrarversicherungen steht in der Ukraine erst am Anfang). Es ist notwendig, sich an die neuen Bedingungen der Agrarwirtschaft und ihre Abhängigkeit von Temperaturschwankungen, Humidität etc. anzupassen. Solche Anpassungsentscheidungen können technologische Veränderungen beim Anbau traditioneller Kulturen, die Umstellung von Kulturpflanzen auf dürreresistente oder endemische Pflanzenarten, den Einsatz von Technologien zur reduzierten Bodenbearbeitung oder umweltfreundlichere Bewirtschaftungsmethoden wie etwa biologische Produktion, die Anwendung von Präzisionssystemen oder eine Verbesserung der Fruchtfolge und anderes mehr umfassen.
Finanzielle Mechanismen für Landwirte existieren natürlich bereits jetzt in der Ukraine. Diese umfassen den Ukrainischen Staatsfond zur Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe, die Staatliche Förderung zur Entwicklung der Nutztierhaltung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, eine Teilkompensation der Kosten für landwirtschaftliche Maschinen und Anlagen zur heimischen Produktion, eine finanzielle Unterstützung für Maßnahmen im agrarindustriellen Bereich zur vergünstigten Kreditaufnahme sowie eine Ausgabenkompensation für Garten‑, Wein- und Hopfenanbau. 2020 kamen zudem Ausgleichsprogramme für die ökologische Landwirtschaft, den Kartoffelanbau und andere dazu. Im Vergleich zu den Landwirtschafts-Beihilfen in der EU sind dies kleine Beträge, sie sind aber für Kleinerzeuger von großer Bedeutung. Nicht nur als direkte staatliche Unterstützung, sondern auch als Umverteilung der verfügbaren finanziellen Ressourcen in der Branche sowie möglicher Risiken und Verluste.
Ukraine: viertgrößter Lieferant der Bio-Produktion in die EU
Die biologische Produktion könnte eines der Flaggschiffe beim Übergang zu einer nachhaltigen Landwirtschaft sein. Nach Angaben des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft der Ukraine wurden Ende 2019 etwa 468.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zur ökologischen Produktion genutzt. Davon haben etwa 385.000 Hektar den Status von biologischen Anbauflächen. Somit nehmen Flächen mit ökologischer Produktion lediglich 1,1 Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen des Landes ein. Von den 617 Bio- Betrieben, zu denen auch Händler und Verarbeiter zählen, insgesamt 470 landwirtschaftliche Bio-Produzenten.
Die Mehrheit der Bio-Produzenten sind nach Standards zertifiziert, die der EU-Bio-Gesetzgebung entsprechen. 73 Prozent aller Bio-Exporte gehen in die EU, was die Ukraine zum viertgrößten Lieferanten von Bio-Produkten in EU-Länder macht. Insgesamt werden fast 85 Prozent aller ukrainischen Bio-Produkte exportiert, der Rest geht in die Verarbeitung oder den Binnenkonsum.
Untersuchungen, die im Rahmen des Projekts „Bewertung des technologischen Bedarfs in der Ukraine – Technologien zur Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft“ durchgeführt wurden, haben die ökologische Produktion als eine der Technologien identifiziert, die zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen beitragen kann. Das Einsparpotenzial beträgt rund eine Tonne CO2-Äquivalent pro Hektar und Jahr, bei Einführung von Technologien zur Minimalbodenbearbeitung beläuft sich das Minderungspotenzial auf 0,7 Tonnen. Gleichzeitig können rund vier Millionen Hektar Land in der Ukraine für den ökologischen Landbau genutzt werden.
Laut der vom Ministerkabinett im März 2021 verabschiedeten Nationalen Wirtschaftsstrategie der Ukraine sollen bis 2030 drei Prozent der landwirtschaftlich genutzten Gesamtfläche in der Ukraine für den ökologischen Landbau genutzt werden – dies entspricht rund 1,3 Millionen Hektar. Der zweite nationale Klimaschutzbeitrag bezeichnet den ökologischen Landbau ebenfalls als eine der Prioritäten, um die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen zu erreichen, zu der sich die Ukraine verpflichtet hat.
Bodenreform
Viele sind der Meinung, dass erst mit dem Beginn der Bodenreform und der im Juli 2021 erfolgten Öffnung des Bodenmarktes der eigentliche Prozess der Bodeninventur in der Ukraine begann. Denn viele Eigentümer von Grund und Boden waren bisher nicht an konkrete Grundstücke gebunden, ein Teil der Grundbesitzakte erhielt keine Katasternummern. Ähnlich verhielt es sich mit den Grenzen, etwa bei Objekten des Naturschutzfonds der Ukraine, wenn die Objekte auf dem Papier bestehen, ihre Grenzen jedoch nicht im Geokataster-System markiert und in Natura realisiert werden. Aktuell können wir viele enttäuschende Beispiele beobachten, bei denen Ländereien des Naturschutzfonds als landwirtschaftliche Nutzflächen auf Auktionen versteigert werden. Es ist weitgehend unbekannt, wie viele geschützte Gebiete auf solcher illegalen Grundlage bearbeitet werden.
Die Ukraine muss die Menge an Ackerland sorgfältig überprüfen und reduzieren, ein Teil davon sollte ganz aus dem Kreislauf genommen werden, um seine Regeneration zu gewährleisten. Dies wird auch im Klimabeitrag festgehalten, dessen Zweck eine weitere Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen ist. aDies ist nicht verbunden mit einer Zunahme von naturbelassenen Landschaften, wie es etwa in der EU-Strategie zur Biodiversität vorgesehen ist. Es ist noch unklar, wie eine solche Rücknahme oder ein Rückkauf von Grundstücken sichergestellt werden könnte – insbesondere mit Blick auf die Öffnung des Bodenmarktes.
Wie sich die Landreform und die Öffnung des Bodenmarktes auf die weitere Entwicklung des ökologischen Landbaus und anderer klimafreundlicher Technologien auswirken wird, lässt sich vorerst nur schwer vorhersagen. Auf der einen Seite haben Bio-Produzenten auf die Marktöffnung gewartet, um endlich die von ihnen gepachteten Parzellen kaufen zu können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob sie eine Einigung mit ihrem Verpächter erzielen können, und ob sie genügend Geld zum Erwerb der Grundstücke haben.
Im Gegensatz zur traditionellen Landwirtschaft gibt es im ökologischen Landbau eine Übergangszeit, die bei einjährigen Kulturen 24 Monate vor der Aussaat beginnt. Das bedeutet, dass die Produktion frühestens drei Jahre nach Beginn einer solchen Aktivität den Bio-Status erhalten kann. Zudem reduzieren sich im Laufe dieser Übergangszeit die Erträge erheblich. Daher ist der Einstieg in den ökologischen Landbau mit langfristigen Planungen und Investitionen verbunden, was auf gepachteten Grundstücken nur schwer umsetzbar ist. Zu den Anforderungen an den ökologischen Landbau gehört der Anbau von obligatorischen Pufferzonen (etwa Ackerrand- oder Blühstreifen). Somit sind die Erzeuger auf Verpächter angewiesen, die ihr Grundstück, welches sich innerhalb eines Bio-Bauernhofs befindet, überhaupt verkaufen können. Darüber hinaus verlagert die neue EU-Öko-Basisverordnung 2018/848, die am 1. Januar 2022 in Kraft tritt, alle Verantwortung selbst für eine versehentliche Kontamination von Bio-Pflanzen vollständig auf den Erzeuger.
Jegliche Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer klimafreundlichen Landwirtschaft erfordert zumindest mittelfristig sorgfältige Planung. Risiken und Perspektiven des Klimawandels und des Einsatzes neuer Technologien sind dabei zu berücksichtigen. Schließlich ist es wichtig, dem neuen Kontext der Bodenreform Rechnung zu tragen. Der Übergang zum ökologischen Landbau in der Ukraine ist unvermeidlich, und die Erzeuger müssen begreifen, dass sie jetzt damit beginnen müssen.
Übersetzung aus dem Ukrainischen von Johann Zajaczkowski.
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