Nach dem lustvollen Wahlkampf droht Ernüchterung
Am Sonntag geht ein emotionsgeladener Wahlkampf zu Ende. Danach droht Ernüchterung aber keine Apokalypse, kommentiert Inga Pylypchuk
Frisch nach dem ersten Wahlgang der ukrainischen Präsidentschaftswahl in Berlin angekommen, höre ich immer wieder die Frage: Wird wirklich ein Komiker der nächste ukrainische Präsident? Begleitet wird die Frage üblicherweise von einem tief besorgten Blick, als würde eine bejahende Antwort eine schlimme Diagnose bestätigen.
Zuerst denke ich kurz, die fragende Person mache sich Sorgen um die Ukraine. Ich schaue ihr länger in die Augen, dann wird es mir klar. Es geht um mehr. Würde Wolodymyr Selenskyj, ein Komiker und Schauspieler ohne politische Erfahrung, Präsident werden, dann wäre das der Beweis dafür, dass die Ukraine in eine populistische Falle getappt ist, genauso wie die USA, Brasilien, Italien, Großbritannien, Dänemark, Polen, Ungarn, Österreich etc. Die Welle des Populismus rolle also unerbittlich immer weiter über Europa und die ganze Welt.
Es ist auch durchaus etwas dran an der Erklärung, dass die Ukrainer mit ihrem naiven Glauben, es müsse doch einfache Lösungen geben für die komplexen Herausforderungen der Gegenwart, auf einer globalen Trendwelle mitschwimmen. Vom Schrecken des Krieges betäubt, von der Wirtschaftskrise zermürbt und desillusioniert, haben sie mit 30% der Stimmen einem Darsteller eines Fernsehmärchens zum Sieger des ersten Wahlgangs verholfen. In „Diener des Volkes“, so heißt die Serie, spielt Wolodymyr Selenskyj einen einfachen Lehrer, der zum Präsidenten wird und alles verändert.
Und doch ist Wolodymyr Selenskyj kein klassischer Populist. Er ist politisch weder dem rechten noch dem linken Lager zuzuordnen. Weder versprach er, den Gaspreis-Tarif um die Hälfte zu reduzieren, wie etwa die aus dem Wahlkampf bereits ausgeschiedene Julia Tymoschenko, noch die Krim zurückzuholen, wie etwa Petro Poroschenko. „Keine Versprechen, keine Entschuldigungen,“ lautete Selenskyjs Wahlplakat. Wähle mich nicht, weil ich etwas verspreche, sondern weil ich cool bin. Wähle mich nicht, weil ich ein guter Politiker bin, sondern weil ich keiner bin. Das war Selenskyjs Strategie, die aufging.
Womöglich gab es unter den 30% auch Menschen, die Selenskyj als erfolgreicher Geschäftsmann überzeugt hat (sein „Block 95“ ist die beliebteste Comedy Show in der Ukraine), oder sogar solche, die in ihm den neuen Prototyp eines jungen und geistreichen Politikers sahen, eine Projektionsfolie für eine neue Reformagenda. Doch die meisten Selenskyj-Wähler, die ich live erlebt habe, haben ihn gewählt, weil sie weder Poroschenko noch Tymoschenko wählen wollten. Weil sie die korrupte Elite satt sind. Und weil sie das Gefühl hatten, es mache doch keinen Sinn, für einen anderen Kandidaten zu stimmen, weil nur die drei laut Umfragen Chancen auf einen Sieg hatten. Ganz ehrlich, diese Umfragen sollte man einfach verbieten.
Wie dem auch sei: nun steht die Ukraine am 21. April vor der Wahl zwischen zwei Kandidaten. Der aktuelle Präsident Petro Poroschenko, ein guter Redner und schlechter Reformer, gegen Wolodymyr Selenskyj, den unerfahrenen Nicht-Politiker.
Der erste trifft sich mit der Zivilgesellschaft, zeigt sich reuig, gelobt Besserung. Und stellt gleichzeitig Billboards zwischen den frisch blühenden Kirschbäumen auf, die sein Gesicht gegenüber von Wladimirs Putins Gesicht zeigen. Das soll heißen: Nur ich kann dem Monster widerstehen. Wie verzweifelt muss der Präsident wohl sein, um den größten Feind der Ukrainer auf die ukrainischen Straßen zu bringen.
Wolodymyr Selenskyj versucht, sich auf den letzten Metern mit Profis im Team auszustatten, Ziele zu formulieren und das Ganze ins Absurde zu treiben. Er nimmt Videos auf, in denen er Petro Poroschenko auffordert, mit ihm in einem 70 000-Plätze-Stadion zu debattieren und einen Alkohol-und Drogentest abzugeben. Poroschenko nimmt ein Video auf, in dem er die Challenge annimmt. Im Netz kursieren die Bilder von Selenskyj und Poroschenko, denen Blut abgenommen wird. Und die Menschen, die eigentlich weder Selenskyj noch Poroschenko trauen, sind plötzlich bereit, sich für ihre Kandidaten zu prügeln. Zumindest virtuell.
Letzteres macht mir ehrlich gesagt mehr Sorgen, als die Tatsache, dass ein Komiker Präsident werden könnte. Es gibt viele Hinweise darauf, dass hinter Selenskyj der Oligarch Ihor Kolomojskyj steht, das ist auch bedenklicher als die reine Tatsache, dass ein Typ von der Bühne in die Politik geht. Aber auch das ist Nichts Neues für die Ukraine.
Und das ist die eigentliche schlechte Nachricht: Auch 5 Jahre nach dem Maidan hat sich die politische Kultur in der Ukraine nicht wesentlich verändert. Die gute Nachricht, das vergesse ich nie hinzuzufügen, wenn ich die besorgt Blickenden tröste, lautet: Auch mit Wolodymyr Selenskyj wird es keine Apokalypse geben.
Die Ukrainer haben den Zweiten Weltkrieg, Stalin-Repressionen und die Hungersnot (Holodomor), Tschernobyl, und zwei Revolutionen in den letzten 15 Jahren überlebt. Sie leben seit 5 Jahren mit einem Krieg. Sie werden es auch mit einem neuen Präsidenten irgendwie weiter schaffen. Aber der Westen und die EU sollten nicht vergessen, dass die Ukrainer auf ihre Unterstützung hoffen, egal, wer Präsident wird.
Denn der Feind ist immer noch da. Der Präsident des Nachbarlandes, den Petro Poroschenko auf sein Wahlplakat gebracht hat, ist keine Serienfigur. Er ist eine reale Gefahr, die vielen wieder bewusst sein wird, wenn das spaßige postmoderne Spiel namens Wahlkampf zu Ende ist.
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