Tymoschenkos und Poroschenkos politische Schlammschlacht nutzt nur Selenskyj
Der ukrainische Wahlkampf geht in die heiße Phase. In den letzten Wochen beschuldigen sich Tymoschenko und Poroschenko gegenseitig der Wahlmanipulation. Diese Schlammschlacht scheint aber nur dem Außenseiter Selenskyj zu nutzen. Ein Update vom Wahlkampfgeschehen.
Der ukrainsche Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Es bleiben wenige Wochen bis zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. In den vergangenen Wochen haben Journalisten und Ermittlungsbehörden mehrere Ermittlungen und Anschuldigungen gegen Poroschenko und Tymoschenko publik gemacht. Zudem beschuldigen sich die Kandidaten öffentlich gegenseitig der (versuchten) Wahlmanipulation. Diese politische Schlammschlacht scheint bisher nur dem Außenseiter Selenskyj zu nutzen.
Selenskyj legt weiter zu, Tymoschenko stürzt ab
Zum ersten Mal ist eine aggregierte poll of polls-Umfrage erstellt worden. texty.org hat alle bis dato vorliegenden Umfrageergebnisse zu einem Gesamtbild zusammengefasst. Die Autoren betonen, dass ihre Ergebnisse nur aggregierte Wahrscheinlichkeiten darstellen, sie können nicht für die Zuverlässigkeit der einzelnen Umfragen garantieren.
Das Modell zeigt einen starken Anstieg beim Wählerzuspruch für Wolodymyr Selenskyj, der gegenwertig in allen Umfragen vorn liegt. Auch ist der starke Rückgang von Tymoschenkos Werten seit Januar offensichtlich, genauso wie der Anstieg für Petro Poroschenko, der gegenwärtig auf dem zweiten Platz rangiert. Interessant ist zudem die Altersstruktur der Wählerschaft des jeweiligen Kandidaten. Tymoschenko stützt sich vor allem auf ältere Wähler, die als loyale Stammwähler gelten. Poroschenko wird nahezu gleichermaßen von allen Altersgruppen unterstützt.
Die Ergebnisse zeigen die Unterstützung nach Altersgruppe: Selenskyj (grün), Tymoschenko (rot) und Poroschenko (blau).
Auseinandersetzungen zwischen Poroschenko und Tymoschenko
In den letzten Wochen haben vor allem Tymoschenko und Poroschenko umfassende Anschuldigung der Wahlmanipulation gegeneinander erhoben.
Tymoschenko landete den ersten Schlag. Als ihre Umfragewerte zu sinken begannen, zeigte sie Poroschenko wegen Verletzung der Vorschriften für den Wahlkampf an und beschuldigte ihn, illegal Finanzmittel für seinen Wahlkampf eingesetzt zu haben. Der Oberste Gerichtshof wies jedoch am 24. Februar Tymoschenkos Klage in der Berufung ab.
Es folgten Anschuldigungen des ukrainischen Geheimdienstes SBU (dessen Leiter vom Präsidenten ernannt wird) an Tymoschenkos Adresse. Am 21. Februar erklärte der SBU, er habe eine illegale „Wählerpyramide“ aufgedeckt [eine Art Schneeballsystem zum Stimmenkauf]. Der SBU nannte zwar nicht den Namen des betroffenen Kandidaten, führte aber am Tag der Bekanntmachung über 30 Hausdurchsuchungen in Wohnungen von Personen durch, die Tymoschenkos Partei nahestehen. Zudem wurde Waleri Dubil, ein Abgeordneter von Tymoschenkos Partei, zur Befragung in die Generalstaatsanwaltschaft vorgeladen. Auch deren Leiter ist vom Präsidenten ernannt worden.
Julija Tymoschenko erklärte, die Anschuldigungen des SBU seien ein „Hirngespinst, das von Provokateuren innerhalb des SBU verbreitet“ werde. Sie lobte darüber hinaus Arsen Awakow, den vom Parlament ernannten Innenminister: „Ich glaube, dass das Innenministerium und Minister Awakow daran arbeiten werden, Betrug und Bestechung zu verhindern“.
Das tat dieser dann auch: Am gleichen Tag untersuchten Polizisten im Oblast Sumy das örtliche Büro von Poroschenkos Partei, um dem Verdacht auf Wählerbestechung nachzugehen. Die Staatsanwaltschaft des Oblast Sumy reagierte hierauf mit der Eröffnung eines Verfahrens wegen Übertretung der Amtsbefugnisse.
Zuvor hatte Arsen Awakow mehrfach erklärt, das Wahlkampfteam von Poroschenko verletze die Vorschriften, weil es seine „freiwilligen“ Wahlkämpfer bezahle, und es habe ein riesiges Netz von Leuten geschaffen, die in sämtlichen Regionen versuchen, die Leute vor Ort zur Stimmabgabe für Poroschenko zu bewegen.
Die Zentrale Wahlkommission stellte jedoch klar, dass Wahlkämpfer per Gesetz zwar Freiwillige sein müssen, dass Kampagnen der Kandidaten aber berechtigt seien, Entschädigung für Ausgaben zu leisten, etwa für Verpflegung, Reisen, Telefonguthaben etc.
Schließlich wurden am 25. Februar Ergebnisse eines Journalistenkollektivs veröffentlicht, die zeigen sollen, dass der Sohn eines engen Poroschenko Vertrauten in ein umfassendes Korruptionsschema im Verteidigungssektor involviert sein soll. Insgesamt sollen 9,2 Millionen US-Dollar gewaschen worden sein. Auch wenn Poroschenko umgehend Aufklärung ankündigte und seinen engen Vertrauten entließ, beschädigen solche Nachrichten seinen Ruf als Oberbefehlshaber.
Tymoschenko verkündete nach der Veröffentlichung der Rechercheergebnisse den Beginn eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Poroschenko. Das Verfahren hat aufgrund der bestehenden Bestimmungen der ukrainischen Verfassung keine Chance vor den Wahlen zum Ende zu kommen.
In einer zweiten Recherche wurde Tymoschenko Ziel investigativer Ermittlungen. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen sollen zeigen, dass Tymoschenko jahrelang falsch deklarierte Spenden entgegengenommen haben soll.
Und was ist mit Selensky?
Die gegenseitigen Beschuldigungen scheinen das Vertrauen der Wähler in die politische Klasse weiter zu belasten. Alle Skandale dürften eher Wasser auf die Mühlen des Komikers Selenskij sein. Während sich Tymoschenko und Poroschenko medial begleitet gegenseitig beschuldigen, ist Selenskyj im öffentlichen Raum kaum präsent. Indem er sich aus der politischen Schlammschlacht heraushält, und diese gelegentlich per Social Media kritisiert, kann er sich weiter als Außenseiter und Anti-Establishment-Kandidat profilieren.
Bisher wird Selenskyj fast nichts vorgeworfen, seine russischen Geschäfts- und Offshore-Aktivitäten einmal ausgenommen. Er hat mit seinem außergewöhnlichen und unterhaltsamen Wahlkampf in Form einer TV-Serie und als „neues Gesicht“ recht gute Aussichten.
In einem kürzlich veröffentlichen Statement machte Selenskyj Poroschenko Vorwürfe und wiederholte dabei nahezu wortwörtlich Propaganda des Kreml: „Leute, die mit Blut an die Macht gekommen sind, verdienen mit Blut ihr Geld“. Er griff damit, gewollt oder ungewollt, zwei Thesen des Kremls auf, denen zufolge der Euro-Majdan angeblich ein Staatsstreich war, um in der Ukraine einen Machtwechsel herbeizuführen, und dass der Krieg in der Ukraine weitergehe, weil die Eliten des Landes davon profitierten. Zudem war er in die Kritik geraten, weil er die Sängerin Maruv unterstützte, die vor Kurzem den ukrainischen ESC-Vorentscheid gewonnen hatte, aber sich weigerte den Vertrag mit dem Öffentlich-Rechtlichen zu unterschreiben.
Die politischen Schlammschlachten zwischen Poroschenko und Tymoschenko machen es immer wahrscheinlicher, dass Selenskyj aus der zweiten Runde nicht mehr wegzudenken ist. Wie sich die Ukrainer*innen dann in der zweiten Wahlrunde am 21. April entscheiden, ist bisher vollkommen offen.
Aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schröder.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.