Medien in der Ukraine in Gefahr?
Wolodymyr Selenskyj und sein Medienteam waren jahrelang in der TV-Branche tätig. Sie haben vorrangig für TV-Sender gearbeitet, die sich im Besitz von Oligarchen befinden. Wie sieht ihre Reformagenda für die Medienbranche des Landes aus? Von Anna Korbut
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt zählten private TV- und Hörfunkkanäle sowie unabhängige Print- und Onlinemedien zu den wichtigsten Informationsquellen in der Ukraine. Doch so wie im Rest der Welt hat sich der Medienmarkt hierzulande stark verändert. Heute ist er diffus, fragmentiert, volatil. Längst bestimmen Algorithmen die Reichweite von Inhalten. Neue Medien und Plattformen kämpfen um die Aufmerksamkeit und Zeit ihres Publikums, das vorhandene Budget und die Werbekunden. Das Internet ist zu einem Raum geworden, in dem sich falsche Informationen schnell verbreiten, Diskussionen polarisieren und das Publikum manipuliert werden kann.
Doch abgesehen von diesen weltweiten Herausforderungen gibt es am ukrainischen Markt einige Eigenheiten, die in die neue Medienära übergegangen sind. Die Werbewirtschaft und die Kaufkraft des ukrainischen Publikums schaffen es nicht, die Medien zu finanzieren. Dieser Umstand begünstigt den Einfluss von Oligarchen und politischen Akteuren. Und er erklärt, warum die Medien so abhängig von ihnen sind.
Gleichzeitig werden die großen Konzerne immer kommerzieller, schränken den Zugang zu ihren Inhalten ein und entwickeln mittlerweile ihre eigenen Abonnement-basierten Video-on-Demand-Plattformen. Dank ihrer finanziellen Ressourcen produzieren sie teure Unterhaltungsprogramme, modernisieren ihr Programm und expandieren ins Digitalgeschäft. Dadurch verschaffen sich diese Konzerne einen ernsthaften Wettbewerbsvorteil gegenüber den unabhängigen Medien.
Die Maßnahmen in den vergangenen Jahren
Seit dem Jahr 2014 hat die Ukraine eine Reihe von Schritten unternommen, um die Mängel in ihrer Medienlandschaft zu beseitigen. Im Jahr 2015 verabschiedete das Parlament ein Transparenz-Gesetz über die Eigentümerstrukturen von Rundfunkveranstaltern. Seither müssen diese ihre Begünstigten und die mit ihnen in Verbindung stehenden Personen regelmäßig auf ihren Webseiten offenlegen.
Ein weiteres Gesetz aus demselben Jahr schränkte das kommunale Eigentum an Medien ein. Diese Maßnahme traf insbesondere die regionale Presse, die zum großen Teil seit Sowjetzeiten oder den frühen 90er-Jahren über die lokalen Haushalte finanziert wurde und als Sprachrohr für die lokalen Behörden fungierte. Viele Medien mussten schließen, weil sie sich nicht weiterentwickelten. Die proaktiveren unter ihnen versuchten, neue Geschäftsmodelle zu finden und attraktivere Nachrichten-Websites für ihre lokalen Gemeinschaften zu schaffen.
Und schließlich startete der reformierte öffentlich-rechtliche Sender im Jahr 2017 mit einem ambitionierten Ziel neu: Er wollte eine Alternative zu Rundfunkanstalten in Oligarchen-Besitz werden, und sich durch Qualität und eine unvoreingenommene Berichterstattung zu unterscheiden.
Gemischte Reaktionen
Auch die neue Regierung unter Präsident Wolodomyr Selenskyj versucht die Medienbranche zu reformieren. Seit Ende 2019 wurden zwei Initiativen präsentiert: die Vorlage für ein Mediengesetz und ein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Desinformation und Fake News. Die politisch Verantwortlichen für die geplanten Maßnahmen sind Oleksandr Tkatschenko und Wolodymyr Borodiansky. Tkatschenko ist der Vorsitzende des Parlamentarischen Ausschusses für Humanitäres und Informationspolitik. Er war lange Jahre Geschäftsführer der Media Group 1+1, die mehrheitlich dem Milliardär Ihor Kolomojskyj gehört. Kulturminister Borodiansky war Topmanager der StarLightMedia-Gruppe, die der Oligarch Wiktor Pintschuk mitbesitzt.
Das geplante Mediengesetz löste in der Fachwelt gemischte Reaktionen aus, die von vorsichtiger Zustimmung bis hin zu Kritik und der Forderung nach einer Abänderung reichten. Das Mediengesetz beabsichtigt die Harmonisierung bereits bestehender Gesetze mit der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste – ein Zugeständnis gegenüber dem Europarat, das im Rahmen des Assoziierungsabkommens erfolgte. Das neue Gesetz soll aber auch die Regulierung der Branche vereinfachen und mindestens fünf Einzelgesetze für verschiedene Bereiche, wie die Presse oder Nachrichtenagenturen ersetzen.
Der Nationale Rundfunkrat soll zur Dachregulierungsbehörde für alle Medienakteure werden und diese künftig auch sanktionieren dürfen. Zu den Medienakteuren sollen neben konventionellen Medien wie TV, Hörfunk und Printmedien künftig auch Online-Plattformen wie Videodienste, Soziale Medien, Internet- und Kabelanbieter zählen.
Keine Verbesserung der Medien und der journalistischen Standards in Sicht
Begleitet von den aktuellen Bestrebungen einiger EU-Mitgliedsstaaten sprechen nun auch manche ukrainische Beamte davon, dass internationale Marktführer wie Google und Facebook ihre Vertretungen in der Ukraine registrieren und Steuern auf ihre erwirtschafteten Einnahmen zahlen sollen. Hier manifestieren sich die Unterschiede zur früheren Medienbranche. Das neue Gesetz könnte die Regierungsbehörde, die bisher nur wenig Macht hatte, effektiver machen. Andererseits machen Kritiker auf einige bedeutende Mängel in diesem Gesetzesentwurf aufmerksam – etwa die vagen Begrifflichkeiten und inhaltliche Unklarheiten.
In einer kürzlich eingereichte Kollektivbeschwerde wird beanstandet, dass Anbieter von Inhalten und Signalen, denen im Entwurf eine Art „redaktionelle Kontrolle“ zugeschrieben wird, mit Medien gleichgestellt werden. Medienexperten kritisieren außerdem, dass im Entwurf keine Anforderungen hinsichtlich redaktioneller Standards gestellt werden. Eine Möglichkeit, solche Anforderungen einzuführen, so der Vorschlag der Experten vom Institut für Information, wäre die Einigung auf einen Redaktionskodex basierend auf den Regeln des Qualitätsjournalismus. In der Theorie könnte der Entwurf ein Instrument zur Qualitätskontrolle sein. Doch Medienbeobachter bezweifeln, dass jene Unternehmen, die all die Jahre journalistische Standards ignoriert haben, nun dazu bewegt werden, ihre Arbeitsweise zu verbessern. Und obwohl künftig auch die Offshore-Strukturen von Medienunternehmen aufgelöst werden sollen, werden Oligarchen oder deren Einfluss auf die Redaktionslinie außen vor gelassen.
Ein neues Unterdrückungsinstrument gegen Medien?
Während die Kritiker beim Mediengesetz lediglich auf Verbesserungen pochen, zog der Gesetzesentwurf über Desinformation die Forderung nach einer kompletten Überarbeitung nach sich. Sogar jene Akteure in der Medienbranche, die sich schon lange für Maßnahmen gegen Desinformation einsetzen, sprechen sich gegen den Vorschlag aus. Denn der Vorschlag zielt auf die Regulierung von Medienunternehmen und Einzelpersonen ab, worunter auch Meinungsführer und Social Media-Nutzer fallen, die eine gewisse Anzahl von Followern erreicht haben.
Es soll Außerdem zwischen professionellen und nicht-professionellen Journalisten unterschieden und ein neuer Berufsverband eingerichtet werden. Ein Informations-Ombudsmann soll mit weitreichenden Befugnissen erhalten und unter anderem die Verbreitung von Falschinformationen und ihre Urheber sanktionieren dürfen.
Die Maßnahmen, die bislang präsentiert wurden, würden sich als ideales Unterdrückungsinstrument für jedes Regime eignen, das keine kritische Berichterstattung zulassen möchte. Die Implementierung der Gesetzgebung, erfordert eine komplexe und unabhängige Gerichtsbarkeit, die in der Ukraine noch immer nicht gegeben ist.
Der finanzielle und politische Rückhalt internationaler Partner haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es heute einen proaktiven Teil in der ukrainischen Mediengesellschaft gibt. Journalisten und Medienbeobachter zeigen, dass sie konstruktiv an der Debatte über Medienpolitik teilnehmen wollen. Diese Bestrebungen helfen der Ukraine, ihre Medienlandschaft weiter zu verbessern. Besonders hervorzuheben ist, dass der aktive und kritische Teil der Medienlandschaft im Kontrast zum gedämpften Informationsraum in Russland steht.
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