Was läuft schief bei der Polizei in der Ukraine?

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In Kyjiw ging am 5. Juni ein alter Poli­zei­trans­por­ter in Flammen auf, als hun­derte Men­schen gegen Poli­zei­ge­walt demons­trier­ten. Dieser Poli­zei­wa­gen hatte zwar eine moderne Auf­schrift, war jedoch ein Sowjet­mo­del, welches perfekt den Status der ukrai­ni­schen Polizei wider­spie­gelt – kos­me­ti­sche Refor­men an der Ober­flä­che, aber ein altes, kor­rup­tes und kaput­tes System dar­un­ter. Eine Kolumne von Oksana Hrytsenko.

Seit den Sowjet­zei­ten haben Ukrai­ner auf die Polizei mit Furcht und teils mit Ver­ach­tung geschaut. Die Bürger wussten, dass die Polizei angrei­fen, bedro­hen, schla­gen und Schmier­geld ver­lan­gen kann. Darüber hinaus war allen bewusst, dass Poli­zei­be­amte auch in Ver­bre­chen ver­wi­ckelt sein können.

Im Jahr 2000 töteten und ent­haup­te­ten Poli­zei­be­amte den Jour­na­lis­ten Georgij Gon­gadze. Ich erin­nere mich an die Mas­sen­pro­teste in Kyjiw, bei denen die Ver­haf­tung der Mörder dieses furcht­ba­ren Ver­bre­chen gefor­dert wurde, das bis heute nicht voll­stän­dig auf­ge­klärt ist.

Im Jahr 2013 ver­ge­wal­tig­ten Poli­zei­be­amte in Wra­di­jiwka in der Süd­ukraine eine Frau und töteten sie beinahe. Wütende Bürger stürm­ten dar­auf­hin das Poli­zei­re­vier, und einige mar­schier­ten sogar hun­derte Kilo­me­ter weit nach Kyjiw. Ich erin­nere mich an Pro­test­rufe und Zusam­men­stöße vor dem Innen­mi­nis­te­rium, als die Demons­tran­ten die Haupt­stadt erreichten.

Die Polizei auf dem Euromaidan

In den Jahren 2013 und 2014 schlug das gegen­sei­tige Miss­trauen zwi­schen der Gesell­schaft und der Polizei in Hass um. Während der Pro­teste bei der Euro­mai­dan-Revo­lu­tion in Kyjiw warfen beide Seiten erst Steine und Rauch­gra­na­ten auf­ein­an­der und lie­fer­ten sich später Schuss­wech­sel. Poli­zei­be­amte töteten min­des­ten 78 Demons­tran­ten während min­des­tens 13 Poli­zis­ten von Pro­test­lern getötet wurden, haupt­säch­lich in den letzten Tagen des Euro­mai­dan im Februar 2014.

Danach annek­tierte Russ­land die Krim und ent­fachte einen Krieg in der Ost­ukraine, und viele Poli­zis­ten aus der Region wech­sel­ten zur rus­si­schen Seite. Ich erin­nere mich an Ver­kehrs­po­li­zis­ten, die zusam­men mit den von Russ­land unter­stütz­ten Sepa­ra­tis­ten die Erobe­rung von ukrai­ni­schen Pan­zer­fahr­zeu­gen feierten.

Es gab auch ent­ge­gen­ge­setzte Geschich­ten. Im Mai 2014 traf ich ehe­ma­lige Bereit­schafts­po­li­zis­ten und ehe­ma­lige Euro­mai­dan-Akti­vis­ten Seite an Seite, als diese einen Check­point nahe der Stadt Slo­wjansk ver­tei­dig­ten, die damals von rus­si­schen Scher­gen kon­trol­liert wurde. Obwohl Poli­zis­ten und Akti­vis­ten auf der selben Seite standen, hatten sie nichts mit­ein­an­der zu bereden.

Der gegen­sei­tige Hass war immer noch über­mäch­tig, und es war klar, dass sich etwas ändern musste.

Die Poli­zei­re­form

Im Jahr 2015 berief Innen­mi­nis­ter Arsen Awakow Eka Zgu­ladze zu seiner Stell­ver­tre­te­rin, die von 2006 bis 2012 in Geor­gien zur Poli­zei­re­form maß­geb­lich bei­getra­gen hatte.

Die Poli­zei­re­form bestand am Anfang darin, kor­rupte Ver­kehrs­po­li­zis­ten zu ent­las­sen und neue Poli­zei­strei­fen ein­zu­stel­len, die neue Autos fuhren, neue Uni­for­men trugen, lächeln konnten und Selfies mit Leuten auf der Straße machten.

Aber diese Reform leis­tete ansons­ten leider nicht viel. Eine Unter­su­chung der Polizei durch eine Kom­mis­sion im Jahr 2016 ergab, dass man bloß sechs Prozent der Poli­zis­ten ent­las­sen hatte, berich­tet Khatia Deka­no­idze, eine andere Refor­me­rin aus Geor­gien und ehe­ma­lige Lei­te­rin der Natio­nal­po­li­zei der Ukraine. Viele einst ent­las­sene Poli­zei­be­amte klagten sich später vor den Gerich­ten in den Poli­zei­ap­pa­rat zurück.

Außer­dem ver­lie­ßen 2016 viele Anti­kor­rup­ti­ons­ak­ti­vis­ten die Unter­su­chungs­kom­mis­sion und warfen Awakow vor, kor­rupte Beamte zu schüt­zen und vor der Ent­las­sung zu bewahren.

Im Mai 2016 trat Zgu­ladze zurück. Die äußer­lich nun gut auf­ge­stellte Strei­fen­po­li­zei bildete nur einen kleinen Teil des alten, kor­rup­ten Poli­zei­ap­pa­ra­tes. Dieser ent­puppt sich, wie zahl­rei­che Fälle nach 2016 zeigen, als hilflos, wenn es um die Auf­klä­rung von Delik­ten wie Dieb­stahl, Raub und Mord geht, deren Raten in der vom Krieg geplag­ten Ukraine ange­stie­gen sind.

Unge­klärte Morde und das alte kor­rupte System

Im Juli 2018 kippte ein Mann in der Stadt Cherson Säure über die städ­ti­sche Ange­stellte Kateryna Hand­sjuk, die wenige Monate später an den Folgen dieses Angriffs starb. Zuerst ver­haf­tete die Polizei wahllos einen Mann, der später frei­ge­las­sen werden musste, weil Jour­na­lis­ten dessen Alibi bestä­tig­ten. Erst nach einem öffent­li­chen Auf­schrei und mas­si­vem Druck fand die Polizei die mut­maß­li­chen Mörder, die von einem ehe­ma­li­gen Poli­zei­be­am­ten ange­führt worden waren. Die Ermitt­lun­gen gegen die Auf­trag­ge­ber des Mord­an­schla­ges dauern immer noch an. [Im April schloss der Geheim­dienst SBU seine Ermitt­lun­gen gegen die Haupt­ver­däch­ti­gen ab, dennoch bleibt der Fall wei­ter­hin offen. – Anmer­kung der Redaktion]

Ende Mai dieses Jahres sollen zwei Poli­zis­ten in der Stadt Kahar­lyk im Oblast Kyjiw eine Frau während einer Ver­neh­mung ver­ge­wal­tigt haben. Die Poli­zis­ten wurden anschlie­ßend ver­haf­tet und die Poli­zei­sta­tion auf­ge­löst. Dieser Vorfall, der eine erschre­ckende Ähn­lich­keit mit dem Fall in Wra­di­jiwka sieben Jahre zuvor auf­weist, führte zu Pro­tes­ten in der ganzen Ukraine und zu der Erkennt­nis, dass die alte Sowjet­po­li­zei immer noch existiert.

Die neuen Farben, Namen und Uni­for­men haben im Kern nichts geändert.

Bei den Pro­tes­ten am 5. Juni wurde vor allem der Rück­tritt von Innen­mi­nis­ter Awakow gefor­dert, der sein Amt seit Februar 2014 ausübt, unge­ach­tet zahl­rei­cher Kor­rup­ti­ons­skan­dale und des Schei­terns der Poli­zei­re­form. Aber Awakow ist immer noch im Amt. Heute ist er der am längs­ten amtie­rende Innen­mi­nis­ter der moder­nen Ukraine. Anstatt das Poli­zei­sys­tem zu refor­mie­ren, zemen­tiert Awakov seine Macht. Anstatt also die Gesell­schaft zu schüt­zen, schützt die Polizei jetzt Awakov und seine Herrschaft.

Ich glaube, so traurig es ist: Solange dieser Innen­mi­nis­ter an der Macht ist, wird die ukrai­ni­sche Polizei die gleiche bleiben. Und das, obwohl tief­grei­fende Refor­men so drin­gend not­wen­dig sind.

Textende

Portrait von Oksana Grytsenko

Oksana Gryt­senko ist eine frei­be­ruf­li­che Jour­na­lis­tin mit Sitz in Kyjiw, die zuvor lange bei Kyiv Post arbeitete.

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