LibMod bei der Füh­rungs­aka­de­mie in Baden-Württemberg

Foto: Füh­rungs­aka­de­mie Baden-Württemberg

Am 28. Sep­tem­ber 2022 war LibMod bei der Füh­rungs­aka­de­mie Baden-Würt­tem­berg zu Gast.

Im Rahmen des 27. Füh­rungs­lehr­gangs – ein Fort­bil­dungs­for­mat, an welchem etwa 25 Füh­rungs­kräfte der öffent­li­chen Ver­wal­tung des Bun­des­lands teil­nah­men – orga­ni­sierte LibMod eine Ver­an­stal­tung zu den Her­aus­for­de­run­gen für die Demo­kra­tie und zur Rolle der Ukraine.

Ralf Fücks, Mit­grün­der und Geschäfts­füh­rer von LibMod sprach über die Zukunft der libe­ra­len Demo­kra­tie. In seinem Vortrag zeigte er, inwie­fern wir seit 2017 einen welt­wei­ten Rückzug der Demo­kra­tie erleben. 2017 lebten min­des­tens 59 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung in elek­to­ra­len Demo­kra­tien, heute sind es nur noch 48 Prozent. Auch im Westen wird die Demo­kra­tie auf die Probe gestellt und erlebt illi­be­rale Ten­den­zen. Die Gründe dafür sind divers: unter anderem wach­sende wirt­schaft­li­che Ungleich­heit, das Gefühl von Unsi­cher­heit in Zeiten grund­le­gen­der und schnel­ler Ver­än­de­run­gen (Erosion sta­bi­li­sie­ren­der sozia­ler Systeme wie Kirche, Arbei­ter­kul­tur, Gene­ra­tio­nen­fa­mi­lie), soziale Pola­ri­sie­rung statt Auf­wärts­mo­bi­li­tät, schwin­den­des Ver­trauen in den demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen und Zweifel an der Leis­tungs­fä­hig­keit der demo­kra­ti­schen Regie­rung. Es gibt keine ein­fa­chen Rezepte. Unter anderem sollte man öffent­li­che Insti­tu­tio­nen stärken und ihre Effi­zi­enz (Leis­tung) ver­bes­sern. Außer­dem sollte die Ukraine unter­stützt werden, damit sie den Krieg gewinnt. Damit hätte die libe­rale Demo­kra­tie welt­weit bessere Chancen.

Foto: Füh­rungs­aka­de­mie Baden-Württemberg

Danach fand ein Work­shop in Form einer Podi­ums­dis­kus­sion unter dem Titel „Die Ukraine zwi­schen Post­ko­lo­nia­lis­mus und Frei­heit: Bedeu­tung des Aus­gangs des Krieges für Demo­kra­tie welt­weit“ statt. Es dis­ku­tier­ten Dr. Mat­thäus Wehow­ski, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter des Hannah-Arendt-Insti­tuts für Tota­li­ta­ris­mus­for­schung an der TU Dresden, Dr. Olek­san­dra Keudel, Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin und seit 2018 Lec­tu­rer an der Kyiv School of Eco­no­mics, und Dr. Iryna Solo­nenko, Ukraine Pro­gramm­di­rek­to­rin beim Zentrum Libe­rale Moderne.

Im Jahr 1991 erklärte die Ukraine ihre Unab­hän­gig­keit. Für viele Men­schen im Westen war dies eine uner­war­tete Ent­wick­lung, die sie nicht in den brei­te­ren Kontext der Geschichte Europas ein­ord­nen konnten. Zudem wurde die Ukraine wei­ter­hin als Teil der rus­si­schen Ein­fluss­sphäre wahr­ge­nom­men. Ins­be­son­dere Deutsch­land hat Russ­land tra­di­tio­nell als seinen wich­tigs­ten Partner in Ost­eu­ropa ange­se­hen – eine Kon­stel­la­tion, in der die Bedeu­tung der Ukraine über­se­hen wurde. Dies änderte sich nach 2014 nur gering­fü­gig, obwohl es der ukrai­ni­schen Gesell­schaft gelang, den auto­kra­ti­schen und post-sozia­lis­ti­schen Prä­si­den­ten Janu­ko­witsch zu stürzen und ihr Enga­ge­ment für Demo­kra­tie und euro­päi­sche Werte zu demons­trie­ren. Doch als Russ­land im Februar 2022 mit der groß ange­leg­ten Inva­sion begann, glaub­ten viele im Westen, dass die Ukraine inner­halb weniger Tage besiegt sein würde. Jetzt, mehr als sechs Monate nach der rus­si­schen Inva­sion, kämpfen die Ukrai­ner weiter und drängen die rus­si­sche Armee, die sich selbst als zweit­stärkste Armee der Welt bezeich­net, sogar erfolg­reich zurück.

Warum kämpfen die Ukrai­ne­rIn­nen so tapfer und zeigen eine so hohe Ent­schlos­sen­heit? Wofür kämpfen sie? Kann die Geschichte der Ukraine viel­leicht Auf­schluss darüber geben? Wie hat sich die Ukraine in den 30 Jahren ihrer Unab­hän­gig­keit ver­än­dert? Was hat der Westen viel­leicht nicht über die Ukraine und Russ­land ver­stan­den, was zu einer solchen Politik führte, die diesen Krieg nicht ver­hin­dern konnte? Welche globale Bedeu­tung haben dieser Krieg und dessen mög­li­chen Ausgang? Diese und andere Fragen standen im Zentrum der Dis­kus­sion. Die zen­trale Bot­schaft des Panels war, dass die Ukraine den Westen lehrt, dass Demo­kra­tie nicht als selbst­ver­ständ­lich ange­se­hen werden darf. Sie ist es wert, dafür zu kämpfen und Risiken einzugehen.

Dr. Mat­thäus Wehow­ski betonte, dass in Deutsch­land und gene­rell im Westen die Ukraine nicht als han­deln­des Subjekt wahr­ge­nom­men wird. Dies hängt mit den feh­len­den Kennt­nis­sen zur Geschichte der Ukraine zusam­men. Schon in 17. Jahr­hun­dert began­nen auf dem Ter­ri­to­rium der heu­ti­gen Ukraine, genau wie im übrigen Europa, Pro­zesse, die zur Bildung von Staat­lich­keit führten. Nach dem Auf­stand von 1648 riefen die Kosaken ein unab­hän­gi­ges Hetm­anat aus, das bereits einige Attri­bute euro­päi­scher Staat­lich­keit aufwies. Zwar exis­tierte das Hetm­anat etwa 150 Jahre lang, doch es geriet schnell in Abhän­gig­keit vom Zaren­reich, bis es Katha­rina die Große auf­lö­sen ließ. Nach dem Zusam­men­bruch der Zaren­herr­schaft erhielt die ukrai­ni­sche Rada im Juli 1917 zunächst Auto­no­mie, die sie nach der Okto­ber­re­vo­lu­tion und dem rus­si­schen Bür­ger­krieg schritt­weise erwei­terte. Die Ukraine erklärte schließ­lich im Januar 1918 ihre Unab­hän­gig­keit mit eigener Regie­rung und Außen­po­li­tik.  Doch die feh­lende Kon­so­li­die­rung nach Innen und Außen ver­hin­derte eine erfolg­rei­che Staats­bil­dung. Nach dem Sieg der Roten Armee wurde die Ukraine 1922 in die Sowjet­union ein­ge­glie­dert. Als Ukrai­ni­sche Sozia­lis­ti­sche Sowjet­re­pu­blik erlangte sie ab 1945 (zunächst nur formale) Sou­ve­rä­ni­tät und wurde als (Gründungs-)Mitglied in die Ver­ein­ten Natio­nen auf­ge­nom­men. Eine dau­er­hafte und erfolg­rei­che Unab­hän­gig­keit erreichte die Ukraine erst im Dezem­ber 1991 als sich die über­wie­gende Mehr­heit die Bevöl­ke­rung in einem Refe­ren­dum dafür aus­sprach. Somit ist für die Ukrainer:Innen der Wider­stand gegen Russ­lands Angriffs­krieg selbst­ver­ständ­lich, da sie die Sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­riale Inte­gri­tät ihres Landes verteidigen.

Foto: Füh­rungs­aka­de­mie Baden-Württemberg

Dr. Iryna Solo­nenko machte die Teil­neh­me­rIn­nen darauf auf­merk­sam, dass die Ukraine – im Gegen­teil zu vielen post-sowje­ti­schen Ländern – seit ihrer Unab­hän­gig­keit 1991 einen regel­mä­ßi­gen poli­ti­schen Macht­wech­sel durch Wahlen erlebt. Obwohl sie unter Kor­rup­tion, olig­ar­chi­scher Macht und einem Mangel an unab­hän­gi­ger und fairer Justiz gelit­ten hat, war sie eine weit­ge­hend plu­ra­lis­ti­sche Gesell­schaft mit poli­ti­schem Wett­be­werb, freien Medien und einer leben­di­gen Zivil­ge­sell­schaft. In den Jahren 2004 und 2014 hatte die ukrai­ni­sche Gesell­schaft den Mut, sich gegen unde­mo­kra­ti­sche Ent­schei­dun­gen der poli­ti­schen Macht­ha­ber zu stellen und die Rich­tung der Ent­wick­lung im Lande zu bestim­men. Die soge­nannte Revo­lu­tion der Würde, die im Februar 2014 mit dem Sturz des pro­rus­si­schen und auto­ri­tä­ren Prä­si­den­ten Janu­ko­witsch endete, ebnete den Weg für die Unter­zeich­nung des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens mit der EU. Durch die Umset­zung des Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­mens führte die Ukraine zahl­rei­che Refor­men durch und erreichte in vielen Berei­chen einen hohen Grad an Inte­gra­tion mit der EU. So gesehen war die Ver­lei­hung des Status eines EU-Bei­tritts­kan­di­da­ten an die Ukraine im Juni 2022, mitten im Krieg, kein Geschenk, sondern eine wohl­ver­diente Aner­ken­nung der Bereit­schaft der Ukraine für die neue Phase der Inte­gra­tion in die EU. Sie betonte auch, dass es im heu­ti­gen Krieg nicht nur um die Sou­ve­rä­ni­tät der Ukraine geht, sondern um einen Angriff auf die Regel-basierte Ordnung und Demo­kra­tie. Wenn Werte und Regeln künftig gelten sollen, müsse der Westen in der Lage sein, sie zu ver­tei­di­gen und durchzusetzen.

Dr. Olek­san­dra Keudel sprach über Dezen­tra­li­sie­rung und lokale Ver­wal­tung in der Ukraine und nannte viele Bei­spiele dafür, wie auf dieser Ebene Demo­kra­tie aus­ge­übt wird. Die Dezen­tra­li­sie­rungs­re­form in der Ukraine, die auch von Deutsch­land sehr stark unter­stützt wurde, schaffte die Rah­men­be­din­gun­gen dafür, dass auf lokaler Ebene die Ver­wal­tung, Zivil­ge­sell­schaft und Unter­neh­men eng zusam­men­ar­bei­ten, um die mit dem Krieg ver­bun­de­nen Krisen zu bewäl­ti­gen. Beson­ders für die Unter­brin­gung der Bin­nen­flücht­linge und die huma­ni­täre Hilfe in Gemein­den ist diese Zusam­men­ar­beit wichtig: Sie ermög­licht es, Angebot und Nach­frage für Hilfe schnell zusam­men­zu­brin­gen. Diese Zusam­men­ar­beit ent­stand nicht erst mit dem groß-ange­leg­ten rus­si­schen Krieg, sondern bereits nach dem Euro­mai­dan. Im Laufe der letzten acht Jahre eta­blierte sich beson­ders in den Groß­städ­ten eine Anti-Kor­rup­ti­ons­be­we­gung, der nicht nur Aktivist:innen, sondern auch einige Politiker:innen und Mit­glie­der der Ver­wal­tung und Wirt­schaft ange­hö­ren. Im Laufe der Zusam­men­ar­beit dieser lokalen Akteure in den Berei­chen Trans­pa­renz und Bür­ger­be­tei­li­gung in der Ver­wal­tung, schaff­ten sie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­näle, die heute auch nütz­lich sind. Zum Bei­spiel, werden offi­zi­elle digi­tale Kanäle wie Chat­bots und Face­book-Gruppen benutzt, um gegen  Des­in­for­ma­tion im hybri­den Krieg zu agieren. Diese Refor­men schaff­ten Ver­trauen in die lokalen Ver­wal­tun­gen, was grund­le­gend für die heutige Zusam­men­ar­beit ist.

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