Ökozid als Teil der rus­si­schen Aggression

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Russ­land zer­stört in der Ukraine sys­te­ma­tisch und bewusst die Umwelt: ein Ver­bre­chen nicht nur gegen die jetzige, sondern auch gegen künf­tige Gene­ra­tio­nen. Ilona Khme­leva über die Not­wen­dig­keit, Ökozid als Tat­be­stand in der inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­bar­keit zu ver­an­kern – und darüber, warum hier auch die Ukraine in der Bring­schuld ist.

Mehr als 50 Mil­li­ar­den US-Dollar – das sind nach aktu­el­len Berech­nun­gen des ukrai­ni­schen Minis­te­ri­ums für Umwelt­schutz und natür­li­che Res­sour­cen die Kosten der durch die umfas­sende rus­si­sche Inva­sion ver­ur­sach­ten Umwelt­schä­den. Mehr als 2.500 Fälle wurden doku­men­tiert: Zer­stö­rung von Natur­schutz­ge­bie­ten, Was­ser­ver­schmut­zung, Ver­mi­nung von Feldern, Wald­brände und vieles mehr. Die berech­ne­ten Kosten für die Folgen der Luft­ver­schmut­zung belau­fen sich auf 29,2 Mil­li­ar­den Dollar, der Boden­ver­schmut­zung auf 24,6 Mil­li­ar­den Dollar und der Ver­schmut­zung der Was­ser­res­sour­cen auf 1,6 Mil­li­ar­den Dollar. Ins­ge­samt gelang­ten 55.900 Tonnen Schad­stoffe in die Atmo­sphäre. Ins­ge­samt musste die Ukraine bereits 527.000 Tonnen zer­störte rus­si­sche Mili­tär­aus­rüs­tung entsorgen.

Umwelt­zer­stö­run­gen als gezielte Politik Russlands

Die Umwelt­zer­stö­run­gen in der Ukraine sind kein unbe­ab­sich­tig­ter Begleit­um­stand des Krieges, sondern eine gezielte Politik Russ­lands. Eines der tra­gischs­ten Bei­spiele ist die Zer­stö­rung des Kachowka-Stau­damms. Dieser Damm brach in den frühen Mor­gen­stun­den des 6. Juni 2023 und ver­ur­sachte massive Über­schwem­mun­gen entlang des Dnipro in der Region Cherson. Der Stau­damm befand sich unter der Kon­trolle des rus­si­schen Mili­tärs, das ihn bereits in den ersten Tagen der rus­si­schen Inva­sion besetzt hatte. Laut RadioFreeEurope/​RadioLiberty kamen viele Exper­ten zu dem Schluss, dass die rus­si­schen Streit­kräfte wahr­schein­lich einen Teil des Damms gesprengt haben, um die geplante ukrai­ni­sche Gegen­of­fen­sive zu verhindern.

Kata­stro­phale Umwelt­zer­stö­run­gen durch die Spren­gung des Kachowka-Staudammes

Für die Umwelt sind die Folgen der Über­schwem­mun­gen kata­stro­phal. Prä­si­dent Selen­skyj wandte sich mit fol­gen­den Worten an die Bevöl­ke­rung: „In mehr als 30 Sied­lun­gen wurde das Leben zer­stört. Für Hun­dert­tau­sende von Men­schen in vielen Städten und Dörfern wurde der Zugang zu Trink­was­ser erheb­lich erschwert. (...) Die Zahl der Öko­sys­teme, die durch diesen rus­si­schen Ter­ror­akt zer­stört oder an den Rand der Aus­lö­schung gebracht wurden, geht schon jetzt in die Tau­sende. Mehr als 50.000 Hektar Wald sind über­flu­tet worden, und min­des­tens die Hälfte von ihnen wird abster­ben. Zehn­tau­sende Vögel und min­des­tens 20.000 Wild­tiere sind vom Tod bedroht. Es ist offen­sicht­lich, dass sich der Kachowka-Stausee in ein rie­si­ges Grab für Mil­lio­nen von Lebe­we­sen ver­wan­delt hat. (...) Schad­stoffe und Gifte aus dem über­schwemm­ten Gebiet gelan­gen schnell in das Grund­was­ser, ver­gif­ten die Flüsse und gelan­gen auch in das Schwarzmeerbecken.“

Rus­si­sche Straf­ge­setz­bü­cher sehen Frei­heits­stra­fen für Ökozid vor

Leider hat die rus­si­sche Regie­rung bisher alle Anfra­gen inter­na­tio­na­ler Orga­ni­sa­tio­nen, ein­schließ­lich der UNO, abge­lehnt, die Zugang zu den rus­sisch besetz­ten Gebie­ten erhal­ten wollten. Das Para­doxe an dieser Situa­tion ist: Die Straf­ge­setz­bü­cher der meisten Staaten ent­hal­ten keine Artikel zu Ökozid. Aus­ge­rech­net das rus­si­sche Straf­ge­setz­buch dagegen erwähnt nicht nur den Ökozid, es sieht auch schwer­wie­gende Strafen vor: 12 bis 20 Jahre Frei­heits­ent­zug. Und dennoch ist der Ökozid Teil der rus­si­schen Aggres­sion. Und keine recht­li­che Defi­ni­tion, schon gar nicht die rus­si­sche natio­nale Gesetz­ge­bung, hält Russ­land davon ab, immer wieder neue Ver­bre­chen zu begehen. Russ­land igno­riert seine eigenen Gesetze.

Ökozid als fünftes Ver­bre­chen im Römi­schen Statut

Das ist ein wei­te­rer Grund, den Ökozid auf inter­na­tio­na­ler Ebene unter Strafe zu stellen. Dabei gibt es zwei Dimen­sio­nen: Das erste Ziel besteht darin, Ökozid in der Euro­päi­schen Union zu einem Ver­bre­chen zu erklä­ren, und das zweite, Ökozid – neben Völ­ker­mord, Kriegs­ver­bre­chen, Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit und dem Ver­bre­chen der Aggres­sion – in das Römi­sche Statut des inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs aufzunehmen.

Aner­ken­nung des Begriffs Ökozid im euro­päi­schen Recht

Nach einer his­to­ri­schen ein­stim­mi­gen Ent­schei­dung des Rechts­aus­schus­ses hat das Euro­päi­sche Par­la­ment im März 2023 seine Unter­stüt­zung für die Auf­nahme des Begriffs „Ökozid“ in die über­ar­bei­tete EU-Richt­li­nie für Umwelt­ver­bre­chen ange­kün­digt. Der letzte Schritt zur end­gül­ti­gen Aner­ken­nung des Begriffs Ökozid im euro­päi­schen Recht ist die Zustim­mung des Euro­päi­schen Rates und der Euro­päi­schen Kom­mis­sion zum Vor­schlag des Par­la­ments. Es wird einige Zeit dauern, bis diese Ent­schei­dung getrof­fen ist. Die EU hat in dieser Ange­le­gen­heit jedoch eine mora­li­sche Ver­ant­wor­tung. Schließ­lich handelt es sich nicht um ein theo­re­ti­sches Problem. Russ­land begeht de facto auf dem euro­päi­schen Kon­ti­nent einen Ökozid. Die EU kann dies nicht igno­rie­ren und taten­los bleiben.

Akti­ons­plan zur Kri­mi­na­li­sie­rung von Ökozid

Auch der Einsatz für die welt­weite Kri­mi­na­li­sie­rung des Ökozids geht voran. Eine Gruppe inter­na­tio­na­ler Juris­ten um den berühm­ten Rechts­an­walt Phil­ippe Sands arbei­tet seit langem an einer recht­li­chen Defi­ni­tion des Begriffs Ökozid und an Ände­run­gen des Römi­schen Statuts. Nach ihrem Vor­schlag für eine Defi­ni­tion besteht Ökozid in rechts­wid­ri­gen oder mut­wil­li­gen Hand­lun­gen, die in dem Wissen began­gen werden, dass dadurch wahr­schein­lich schwere und ent­we­der weit ver­brei­tete oder lang­fris­tige Umwelt­schä­den ver­ur­sacht werden. Sie ent­wi­ckel­ten einen klaren Akti­ons­plan, der vier Schritte umfasst:

· Antrag: Jeder Staat, der das Römi­sche Statut des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs rati­fi­ziert hat, kann einen Ände­rungs­an­trag vorschlagen.

· Zuläs­sig­keit: Eine Mehr­heit der Anwe­sen­den und Abstim­men­den auf der Jah­res­ver­samm­lung des Inter­na­tio­na­len Straf­ge­richts­hofs muss zustim­men, dass die Ände­rung in Betracht gezogen wird.

· Auf­nahme in das Statut: Hierfür ist eine Zwei­drit­tel­mehr­heit der Ver­trags­staa­ten erfor­der­lich, die sich für die Ände­rung aussprechen.

· Rati­fi­zie­rung: Die Ver­trags­staa­ten können dann das Gesetz rati­fi­zie­ren und müssen es ein Jahr später in ihrem Land in Kraft setzen.

Die Ukraine hat das Römi­sche Statut noch nicht ratifiziert

Auch die Ukraine könnte eine solche Ände­rung des Römi­schen Statuts in die Wege leiten. Doch leider gibt es ein Hin­der­nis: Die Ukraine hat das Römi­sche Statut noch nicht rati­fi­ziert, obwohl diese Ver­pflich­tung im Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men mit der EU fest­ge­schrie­ben ist. Wenn die Ukraine für Gerech­tig­keit sorgen will, muss sie daher zunächst so schnell wie möglich das Römi­sche Statut ratifizieren.

Ein wei­te­res wich­ti­ges Thema ist die Ent­schä­di­gung. Im Jahr 2022 ver­ab­schie­dete die UN-Völ­ker­rechts­kom­mis­sion 27 Grund­sätze für Umwelt­schut­zes im Zusam­men­hang mit bewaff­ne­ten Kon­flik­ten. In diesem Doku­ment werden Staaten und inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen auf­ge­for­dert, dafür zu sorgen, dass „der Schaden nicht unbe­ho­ben oder unent­schä­digt bleibt“.

Kein nach­hal­ti­ger Frieden ohne straf­recht­li­che Ver­fol­gung des Ökozids

Aus diesem Grund ist die Bekämp­fung des Ökozids einer der Punkte der ukrai­ni­schen Frie­dens­for­mel (Ukrai­nian Peace Formula). Ohne die Ver­ur­tei­lung des Ver­bre­chens des Ökozids, die straf­recht­li­che Ver­fol­gung der Täter und gemein­same Anstren­gun­gen zur Wie­der­her­stel­lung der Umwelt kann kein nach­hal­ti­ger Frieden erreicht werden.

Das Ver­bre­chen des Ökozids stellt eines der schlimms­ten von Russ­land began­ge­nen Ver­bre­chen dar. Während die inter­na­tio­nale Gemein­schaft nach neuen Instru­men­ten zur Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels und zur Bewäl­ti­gung glo­ba­ler Umwelt­pro­bleme sucht, fügt Russ­land der Natur vor­sätz­lich und sys­te­ma­tisch Schaden zu. Auch deshalb geht die Bedro­hung durch die rus­si­sche Aggres­sion weit über die Grenzen der Ukraine hinaus.

Portrait von Ilona Khmeleva

Ilona Khme­leva ist Juris­tin und Koor­di­na­to­rin des Pro­jek­tes „Die Ukraine in Europa: Par­la­men­ta­ri­sche Dimen­sion“ in der EEF. 

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