Wahlkampf in der Ukraine – so schmutzig wie selten, so demokratisch wie nie
Am 31. März steigt der Auftakt der Präsidentschaftswahl in der Ukraine. Christoph Brumme zieht ein Resümee des bisherigen Wahlkampfes
Seit fast fünf Jahren herrscht Krieg im Osten der Ukraine. Täglich erfahren die Ukrainer aus den Nachrichten, mit welchen Waffen der Feind angreift, ob mit Panzern oder Artillerie, ob Scharfschützen ukrainische Soldaten töteten. Russland aber bestreitet noch immer trotz unzähliger Beweise, mit eigenen Truppen im Donbas zu kämpfen.
Nun soll am 31. März in der Ukraine ein neuer Präsident gewählt werden. Eigentlich hatte man vor allem einen Zweikampf zwischen Tymoschenko und Poroschenko erwartet. Favorit in den Umfragen ist aber der Comedian und Superstar Wolodymyr Selenskyj.
Ein Clown als Präsident, diese Vorstellung treibt viele Ukrainer zur Weißglut. Ein Kameramann schreibt gar auf Facebook, „dies wird das Ende der Ukraine sein, er ist der ukrainische Trump“. Andere behaupten, er sei ein Vertreter der Mafia, es ginge ihm nur um die Macht und er verkörpere die „Russische Welt“. Er wird als „Watnik“, als Verräter der Ukraine beschrieben, sogar nachdem sein Team einen Film veröffentlichte, in man sieht, dass Wolodymyr Selenskyj in den letzten Jahren ins Kriegsgebiet gefahren ist, dort kostenlose Konzerte für ukrainische Soldaten gab und Autos und einen Bus für die Armee spendete.
Selenskyj will die Feindseligkeiten in Donbas auch offiziell als Krieg zwischen der Ukraine und Russland bezeichnen und nicht als antiterroristische Operation. „Wir haben vom ersten Tag an einen Krieg, einen echten Krieg zwischen Russland und der Ukraine“, sagte er. Die offizielle Bezeichnung als Krieg aber hätte enorme juristische und politische Konsequenzen. Viele ausländische Investoren müssten dann Risikoaufschläge erheben.
Wirtschaftliche Probleme plagen die Wähler
Außer dem Krieg sind das größte Problem in der Ukraine die niedrigen Einkommen und Renten. Der durchschnittliche Bruttolohn betrug im Dezember umgerechnet 333 Euro und war damit um 71 Euro höher als 2013 vor dem Maidan. Nach Abzug der Einkommenssteuer von 18 Prozent und der Kriegsabgabe von 1,5 Prozent verblieben den Ukrainern netto im Schnitt nur etwa 269 Euro.
So blüht die Schattenwirtschaft und mit ihr die Korruption. Die Korruption zu besiegen, ist unter diesen Umständen nahezu unmöglich. Es sind eben nicht nur die paar Oligarchen daran schuld, deren Namen man von der Forbes-Liste kennt. Oligarchische Verhältnisse herrschen auch in Gebiets- und Kreisstädten, ja selbst in Siedlungen. Oft besitzen zwei, drei Clans die wichtigsten Geschäfte, Produktionsstätten und Transportunternehmen. Eine Hand wäscht die andere, ein Handschlag gilt oft mehr als ein schriftlicher Vertrag, mit dem man ja Spuren hinterlassen und der als Beweismaterial dienen könnte.
Der favoritiserte Kandidat Selenskyj wirft Zweifel auf
Selenskyjs Fans sehen im Falle seines Sieges die Chance für eine kulturelle Revolution. Der Staat soll den Bürgern dienen, nicht umgekehrt, erklärt Selenskyj immer wieder. Doch er war noch nie als Politiker tätig, so gilt auch seine Unerfahrenheit als seine größte Schwäche.
Auch seine Geschäftsbeziehung zu dem Oligarchen Igor Kolomojskyi wird ihm vorgeworfen, weil seine Shows seit langem in dessen Fernsehprogamm laufen. Selenskyj sei nur die „Puppe“ oder die Marionette des Oligarchen, wird behauptet. Selenskyj bestreitet das natürlich. „Alle Fernsehsender und großen Unternehmen gehören Oligarchen“, sagte er im Interview mit der BBC. „Heißt das, dass alle 40 Millionen Ukrainer, die für solche Unternehmen arbeiten, keine Prinzipien haben?“
Der Multi-Milliardär Igor Kolomojskyi besitzt außer der ukrainischen auch die israelische und zypriotische Staatsbürgerschaft, er ist Präsident einer der wichtigsten jüdischen Organisationen in der Ukraine und hat zusammen mit einem Geschäftsfreund in seiner Heimatstadt Dnipro das größte jüdische Gemeindezentrum der Welt errichtet, mit Synagoge, Bibliothek, Konferenzsälen, Hotels und koscheren Restaurants. Bei Ausbruch des Krieges finanzierte er Freiwilligen-Verbände und setzte Kopfgelder auf gefangene Separatisten aus. Er ließ sich in einem T‑Shirt“ fotografieren, auf dem das jüdische Emblem der Menorah mit dem ukrainischen Dreizacksymbol verbunden war, alles in Rot und Schwarz, den Farben der ukrainischen Nationalisten. Unter diesen Symbolen stand „Zhidobandera“ – eine Kombination eines abwertenden Wortes für Juden und der Namens Stepan Bandera, der umstrittensten historischen Persönlichkeit in der Geschichte der Ukraine (Haartez). Wladimir Putin bezeichnete er als „Psychopathen“ und „kleinwüchsigen Schizophrenisten“.
Desto erstaunlicher, dass man seiner „Marionette“ Wolodymyr Selenskyj vorwirft, er wolle die Ukraine an Russland verraten.
Auch Selenskyj hat einen teils jüdischen Familienhintergrund, doch „bemerkenswerter Weise ist dieser Umstand – mindestens bislang – kein Gegenstand breiter öffentlicher Diskussion geworden, wie auch die jüdische Herkunft des Ministerpräsidenten Wolodymyr Hrojsman in der Ukraine selten erwähnt wird“, wie der Politologe Andreas Umland bemerkte.
Poroschenko und Tymoschenko beschuldigen sich gegenseitig der Korruption
Ohne die Kandidatur Wolodymyr Selenskyjs hätte es wohl wieder einen Zweikampf gegeben, diesmal zwischen dem Amtsinhaber Petro Poroschenko und der früheren Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko. Für beide geht es diesmal ums politische Überleben. Beide rechnen damit, in einem zweiten Wahlgang gegen Selenskyj zu gewinnen, beide liegen in den letzten Umfragen mit jeweils 16 Prozent gleichauf, während Selenskyj mit 25 Prozent derjenigen, die sich bereits auf einen Kandidaten festgelegt haben, in den Umfragen führt.
Julija Tymoschenko hat wegen der letzten Korruptionsvorwürfe gegen Petro Poroschenko gar die Aufnehme eines Amtsenthebungsverfahren gegen ihn wegen Staatsverrats verkündet. In den Provinzen kam es zu ersten Skandalen. Die Vertreter beider Parteien bezichtigen sich gegenseitig, den Kauf von Wählerstimmen zu organisieren.
Wie brutal und schmutzig dieser Wahlkampf ist, erkennt man auch daran, dass selbst der Innenminister Arsen Awakow den Präsidenten der Korruption bezichtigt. Awakow gilt als Verbündeter Tymoschenkos, ihm unterstehen die Polizei und die Nationalgarde. Poroschenko wiederum verfügt mit dem Sicherheitsdienst (SBU) und der Generalstaatsanwaltschaft ebenso über mächtige Machtinstrumente.
Eine Untersuchung von Journalisten ergab, dass Julija Tymoschenko im vorigen Jahr die höchste Lügenquote aller ukrainischen Politiker erreichte, etwa die Hälfte ihrer Aussagen sollen falsch, übertrieben oder sinnentstellend gewesen sein. In ihrem Wahlprogramm soll es 400 Plagiate geben. Laut ihrer Vermögensdeklaration besitzt die frühere Milliardärin weder Haus noch Wohnung, was einen Gast in meiner Stammkneipe zu der Frage verleitete, wie denn ein Mensch einen Staat leiten könne, der als Erwachsene noch nicht einmal eine eigene Wohnung habe. Ganz auf Gefühl getrimmt, fordert sie die Wähler auf, „mit dem Herzen zu denken“.
Petro Poroschenko wiederum wird von den meisten Ukrainern vorgeworfen, zu wenig gegen die Korruption unternommen zu haben. Immerhin dürfte er den arrogantesten Wahlspruch gewählt haben – „Kandidaten gibt es viele, aber nur einen Präsidenten“. Ein Spruch, den auch Wladimir Putin schon benutzte.
Am 25. Februar wurde im Fernsehprogramm „Unser Geld“ aufgedeckt, dass einer von Poroschenkos engen Freunden an der illegalen Einfuhr militärischer Ausrüstung aus Russland verdient haben soll, man spricht von hunderten Millionen Griwna. Oleh Gladkowskyj, der Vize-Chef des Nationalen Sicherheitsrats, soll die Geräte zusammen mit seinem Sohn zu überhöhten Preisen an staatliche Waffenfirmen weiterverkauft haben.
Wolodymyr Selenskyj nutzt es, dass Tymoschenko und Poroschenko sich gegenseitig so hart bekämpfen, auch weil er und sein Team in ihrer Kampagne bisher darauf verzichten, „nicht über den Spott ihrer Gegner zu sprechen“ und ihre Kampagne „so positiv wie möglich gestalten“, wie Michail Fedorov, der Leiter der digitalen Abteilung des Selenskyj-Teams, in einem Interview mit der Ukrainskaja Prawda erklärte.
Dichtes Kandidatenfeld
Angesichts der korrupten politischen Elite und der zynischen Realität, mit der sich viele Bürger im täglichen Überlebenskampf gegenüber sehen, sind die guten Umfragewerte für Wolodymyr Selenskyj leicht zu verstehen. In der ukrainischen Politik kann man vieles nur noch als Comedy- oder Dallas-Show wahrnehmen.
Der spaßigste unter allen Kandidaten ihnen ist aber nicht Selenskyj, sondern Igor Schewschenko, dessen Wahlplakate eigentlich Kontaktanzeigen sind. Er stellt sich mit einer Rose in der Hand dar, der eine Frau sucht. „Möchtest du die Ehefrau des Präsidenten werden?“ Es könnte die teuerste Kontaktanzeige in der Geschichte der Ukraine sein, denn jeder Kandidat muss 2,5 Millionen Griwna für die Registrierung bezahlen, umgerechnet 83.000 Euro. Ein weiches Herz hat Schewschenko aber nicht, denn er fordert die Todesstrafe für „Korruptionäre“.
Ein verwirrender Scherz ist offenbar auch die Kandidatur eines Jurij Wolodymyrowytsch Tymoschenkos, dessen Name und Initialen auf der langen Wahlliste leicht zu verwechseln sind mit denen Julija Wolodymyriwna Tymoschenkos, der früheren Ministerpräsidentin. Jurij gilt als „technischer Kandidat“ der Präsidentenadministration und soll seiner Namensvetterin einige Mikroprozente „abjagen“. Angeblich wurden ihm fünf Millionen Griwna im Dollar-Äquivalent für einen Verzicht auf seine Kandidatur geboten. Er hat den Bestechungsversuch brav der Generalstaatsanwaltschaft gemeldet, und die beiden Personen wurden festgenommen, die ihn bestechen wollten.
Den bisher peinlichsten Auftritt leistete sich der in Poltawa beheimatete Kandidat Sergej Kaplin. Er ist im Parlament der Ukraine Bevollmächtigter der 18 ukrainischen Gewerkschaften und Vorsitzender einer von zwei sich sozialdemokratisch nennenden Parteien. In einem Interview im 5.Kanal las ihm der Moderator zwanzig Minuten aus seinem Parteiprogramm vor. Kaplin bestätigte die Echtheit des Programms, bis der Moderator sich nicht mehr beherrschen konnte und laut lachte. Er hatte Kaplin aus dem 25-Punkte-Parteiprogramm der NSDAP vorlesen, das Adolf Hitler 1920 verkündet hatte. „Nun, Lenin sprach über dieses und jenes und vieles andere“, verteidigte sich Kaplin nach der Sendung.
Wahl des geringeren Übels?
Viele politische Beobachter wie Michail Dubinjanskij sind sich darin einig, dass in der Stichwahl die Ukrainer nicht sosehr „für“, als vielmehr „gegen“ jemanden stimmen und das geringere Übel wählen werden. Und das Anti-Rating, in dem gefragt wird, welchen Kandidaten man keinesfalls wählen werde, wird vom Präsidenten Poroschenko angeführt. Vierzig Prozent der Wähler möchte keine zweite Amtszeit dieses Präsidenten. Von Julija Tymoschenko wollen etwa ein Drittel der Wähler keinesfalls regiert werden. Selenskyj kommt nur auf eine Ablehnungsquote von 10 Prozent.
Doch ein Viertel der Wähler ist noch völlig unentschlossen, weshalb eigentlich alle Umfragen nur Tendenzen aufzeigen. So könnte als vierter aussichtsreicher Kandidat am Ende der ehemalige Verteidigungsminister Anatoli Hrizenko siegen. Denn falls er in die Stichwahl kommt, könnte er den Umfragen zufolge wohl gegen alle drei Favoriten gewinnen. Ein typischer Kompromisskandidat, der wenig eigene Anhänger hat, jedoch auch nicht solche starken Abwehrreaktionen hervorruft wie die anderen. Anatoli Hrizenko wird auch von prowestlichen Reformkräften und Maidan-Aktivisten wie unterstützt, obwohl er in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister unter Wiktor Janukowytsch die Armee abgerüstet und militärisches Gerät verkauft haben soll.
Ein weiterer spannender und unabhängiger Kandidat ist der frühere Chef des Sicherheitsdienstes SBU. Ihor Smeschko. Er ist Professor für internationale Medienkommunikation an der Kyjiwer Taras-Scheschenko-Universität. Besonders in der zentralen Ukraine traut man ihm eine erfolgreiche Präsidentschaft zu.
Die einzige sichere Prognose ist, dass der Ausgang der Wahl völlig offen ist. Insofern kann man von einer lebendigen Demokratie sprechen. Allerdings ist das Risiko politischen Abenteurertums ebenfalls sehr hoch. Man weiß nicht, ob man den Ukrainern gratulieren oder sie bedauern soll angesichts dieses Wahlkampfes.
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