Beschlag­nah­mung rus­si­scher Ver­mö­gen: Der Teufel steckt im Detail

Foto: Mikhail Teresh­chenko /​ Imago Images

Wie können die von west­li­chen Staaten ein­ge­fro­re­nen rus­si­schen Ver­mö­gen beschlag­nahmt und für den Wie­der­auf­bau der Ukraine ver­wen­det werden? Die Jour­na­lis­tin Anna Roman­dash sprach darüber mit dem ukrai­ni­schen Juris­ten Timur Bon­dar­jew, der eine inter­na­tio­nale Umset­zungs­stra­te­gie fordert.

„Die zivi­li­sierte Welt hat endlich einen Konsens darüber erreicht, dass Russ­land zur Rechen­schaft gezogen werden und für den Krieg bezah­len muss“, sagt Timur Bon­dar­jew, Gründer und Gesell­schaf­ter von Arzin­ger, einer der füh­ren­den Anwalts­kanz­leien der Ukraine, „das ist die gute Nach­richt. Die schlechte Nach­richt ist, dass es dabei viele Hin­der­nisse geben wird.“

Bon­dar­jew hat sich ein­ge­hend mit einer mög­li­chen Ent­schä­di­gung der Ukraine durch Russ­land beschäf­tigt. Er ist vor­sich­tig opti­mis­tisch: „Die Länder suchen sehr aktiv nach Ent­schä­di­gungs­me­cha­nis­men“, so der Anwalt, „sie arbei­ten bereits an natio­na­len Gesetz­ge­bun­gen. Es gibt erste Mög­lich­kei­ten, ein­ge­fro­rene Ver­mö­gen zu beschlag­nah­men, nicht nur jene, die dem rus­si­schen Staat, sondern auch jene, die staats­na­hen Olig­ar­chen gehören.“

Die ein­ge­fro­re­nen rus­si­schen Ver­mö­gen, auf die sich Bon­dar­jew bezieht, stehen unter west­li­chen Sank­tio­nen, seit Russ­land am 24. Februar seine umfas­sende Inva­sion in der Ukraine begann. Derzeit sind unter anderem in den USA, der EU, dem Ver­ei­nig­ten König­reich und Kanada Ver­mö­gens­werte der rus­si­schen Zen­tral­bank in Höhe von etwa 300 Mil­li­ar­den US-Dollar ein­ge­fro­ren, wobei der Betrag noch deut­lich höher liegen dürfte, da es dauert, bis alle Ver­mö­gens­werte und Mittel sank­tio­nier­ter Stellen iden­ti­fi­ziert sind. Hinzu kommen die Ver­mö­gen staats­na­her rus­si­scher Olig­ar­chen. In der EU und den USA gibt es Ein­satz­grup­pen, die nach ver­bor­ge­nen rus­si­schen Ver­mö­gen suchen, die ein­ge­fro­ren werden sollen. Viele Olig­ar­chen haben ihr Ver­mö­gen kurz vor Inkraft­tre­ten der Sank­tio­nen ver­la­gert oder die Eigen­tü­mer­schaft ver­bor­gen, was die Ange­le­gen­heit erschwert.

Das ukrai­ni­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium schätzt, dass das Land rund 600 Mil­li­ar­den US-Dollar für den Wie­der­auf­bau benö­ti­gen wird. Dieser Betrag wird sich mit der Fort­set­zung der Kriegs­hand­lun­gen wahr­schein­lich noch erhöhen. Die ukrai­ni­sche Wirt­schaft wird infolge der rus­si­schen Inva­sion im Jahr 2022 vor­aus­sicht­lich um 50 Prozent schrump­fen. Mehr als zehn Mil­lio­nen Men­schen wurden ver­trie­ben, 40 Prozent der kri­ti­schen Infra­struk­tur des Landes beschä­digt oder zerstört.

Recht­li­che Lage und prak­ti­sche Schwierigkeiten

„Unser Fall ist ein­zig­ar­tig, weil Russ­land der Aggres­sor ist und viele Länder das aner­kannt haben“, sagt Bon­dar­jew, „deshalb schlie­ßen wir nicht aus, dass trotz des völ­ker­recht­lich garan­tier­ten Schut­zes von Staats­ei­gen­tum Aus­nah­men für Russ­land und seine Ver­mö­gens­werte gelten werden. Das inter­na­tio­nale Recht bietet uns keinen ein­fa­chen Weg für die Beschlag­nah­mung rus­si­scher Ver­mö­gen. Es gibt noch kein Instru­ment, das es erlau­ben würde, der Ukraine diese Ver­mö­gens­werte zu über­tra­gen oder Objekte zu ver­kau­fen, um das Geld der Ukraine zukom­men zu lassen.“

Für den Juris­ten liegen die Schwie­rig­kei­ten nicht nur in der feh­len­den Gesetz­ge­bung, sondern auch in der prak­ti­schen Umset­zung. „Es tauchen Zweifel auf, wenn man über die Durch­füh­rung von Beschlag­nah­mun­gen spricht, denn man kann nicht jeman­dem sein Eigen­tum weg­neh­men, ohne seine Schuld zu bewei­sen und ihm das Recht ein­zu­räu­men, Beru­fung ein­zu­le­gen“, erklärt Bon­dar­jew, „es klingt zwar richtig, rus­si­sches Geld für die Ukraine zu ver­wen­den, aber das der­zei­tige Rechts­sys­tem funk­tio­niert nicht so.“

Die Beschlag­nah­mung staat­li­cher Ver­mö­gen könnte durch natio­nale Gesetz­ge­bun­gen erleich­tert werden. Bei den Geldern der Olig­ar­chen könnte es jedoch schwie­ri­ger werden, da man nach­wei­sen müsste, dass ihr Ver­mö­gen in direk­tem Zusam­men­hang mit der Inva­sion steht und zu dem vom Kreml geführ­ten Krieg bei­trägt. Davon abge­se­hen ist es wahr­schein­lich, dass die Olig­ar­chen klagen werden, sollte ihr Ver­mö­gen beschlag­nahmt werden, sodass die Länder sich gegen mög­li­che Gerichts­ver­fah­ren absi­chern müssten. Darüber hinaus ist das Abrufen von Olig­ar­chen­gel­dern auf­grund von Off­shore-Konten und Mit­ei­gen­tü­mer­schaf­ten eine Her­aus­for­de­rung. Ein Ausweg könnte darin bestehen, von den sank­tio­nier­ten Per­so­nen die Offen­le­gung ihres Eigen­tums zu ver­lan­gen und es andern­falls als Verstoß gegen die Sank­tio­nen zu werten.

„Jeder Besit­zer von Ver­mö­gen hat das Recht, Ein­spruch zu erheben, wenn ihm sein Ver­mö­gen ent­zo­gen wird“, sagt Bon­dar­jew, „die Zeit wird zeigen, ob die sank­tio­nierte Partei – oder die sank­tio­nie­rende Partei – bewei­sen kann, dass die Beschlag­nah­mung recht­mä­ßig war oder nicht.“

Erste Gesetze zur Beschlag­nah­mung ein­ge­fro­re­ner Vermögen

Kanada hat als erstes Land ein Gesetz ver­ab­schie­det, das die Beschlag­nah­mung ein­ge­fro­re­ner rus­si­scher Ver­mö­gen ermög­licht. Gemäß diesem neuen Gesetz können die Behör­den alle Ver­mö­gens­werte beschlag­nah­men, die unter Sank­tio­nen stehen. Das gilt für sämt­li­che Ver­mö­gens­werte, die im Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Kon­flik­ten ein­ge­fro­ren wurden, wobei der Schwer­punkt derzeit auf dem Krieg zwi­schen Russ­land und der Ukraine sowie der Unter­stüt­zung der ukrai­ni­schen Opfer liegt.

Obwohl das Gesetz bereits im Sommer ver­ab­schie­det wurde, ist es bisher noch nicht zu Beschlag­nah­mun­gen gekom­men. „Ich kann mir vor­stel­len, dass Kanada mit Gerichts­ver­fah­ren rechnen muss, wenn es mit der Beschlag­nah­mung rus­si­scher Ver­mö­gen beginnt“, so Bon­dar­jew, „ich kann nicht aus­schlie­ßen, dass einige Per­so­nen, deren Ver­mö­gen beschlag­nahmt wurde, bewei­sen können, dass ihr Eigen­tum nicht mit der rus­si­schen Inva­sion in Ver­bin­dung steht.“

Der Anwalt äußert die Über­zeu­gung, dass die west­li­chen Staaten eine Mög­lich­keit der Zusam­men­ar­beit finden und einen inter­na­tio­na­len Beschlag­nah­mungs­me­cha­nis­mus schaf­fen werden, anstatt einzeln zu arbei­ten: „Es wäre sinn­voll, ein gemein­sa­mes System auf­zu­bauen. Das inter­na­tio­nale Recht ist relativ ein­heit­lich, und auch die natio­na­len Rechts­sys­teme sind inzwi­schen sehr har­mo­ni­siert. Auf dieser Grund­lage werden wir einen Vor­schlag sehen, wie Russ­land zur Rechen­schaft gezogen werden und sein ein­ge­fro­re­nes Staats­ver­mö­gen sowie die Ver­mö­gen der Olig­ar­chen beschlag­nahmt werden können. Jedes Land wird einen auf seine natio­nale Gesetz­ge­bung zuge­schnit­te­nen Mecha­nis­mus haben, aber die Staaten werden dabei zusam­men­ar­bei­ten.“ Das hieße, dass es bei der Frage nach einer Beschlag­nah­mung rus­si­scher Ver­mö­gen nicht darum geht, ob diese möglich ist, sondern viel­mehr, wann und wie.

„Wir brau­chen einen prak­ti­schen Mechanismus“

Laut Bon­dar­jew ist es wichtig, eine effek­tive Umset­zungs­stra­te­gie zu ent­wi­ckeln. „Das größte Problem ist, dass wir, selbst wenn sich alle Länder zusam­men­tun und damit begin­nen, sank­tio­nierte Ver­mö­gens­werte zu beschlag­nah­men und sie zu ver­kau­fen, um der Ukraine das Geld zukom­men zu lassen, keinen Mecha­nis­mus haben, um dieses Geld zu ver­wal­ten“, so der Jurist. Zum Bei­spiel gebe es ca. 13 Mil­li­ar­den US-Dollar an sank­tio­nier­ten Olig­ar­chen­ver­mö­gen in ver­schie­de­nen euro­päi­schen Ländern. „Nehmen wir an, dass diese Ver­mö­gens­werte ver­kauft werden und das Geld an die Ukraine fließt. Nun wissen wir nicht, wie wir dieses Geld auf mög­lichst trans­pa­rente und faire Weise an die Ukraine wei­ter­ge­ben können. Es exis­tiert eine Poli­ti­sie­rung dieses Themas, weil jeder das Geld für Häuser und Infra­struk­tur ver­wen­den möchte. Aber wir wissen auch, dass es viele Unter­neh­men gibt, die zer­stört wurden und viel Geld ver­lo­ren haben, und niemand spricht über deren Wiederherstellung.“

Bon­dar­jew zufolge müssten die Ukraine und die Welt­ge­mein­schaft ein Instru­ment schaf­fen, das sämt­li­che Schäden berück­sich­tigt. Dieser inter­na­tio­nale Mecha­nis­mus solle nicht nur die Ver­luste von Ein­zel­per­so­nen, sondern auch jene von Unter­neh­men bewer­ten, die die ukrai­ni­sche Wirt­schaft wie­der­auf­bauen, Men­schen beschäf­ti­gen und Steuern zahlen. „Wir brau­chen eine Art Koali­tion der Ukraine und der Länder, die sie unter­stüt­zen,“ so der Experte, „die Ver­bün­de­ten könnten eine Kom­mis­sion ein­rich­ten, die die ent­spre­chen­den Mittel und Ver­fah­ren ver­wal­tet. Formal müssen diese Länder erklä­ren, dass die Gelder nicht mehr Russ­land, dem Aggres­sor, gehören, und die Ver­ant­wor­tung dafür über­neh­men, die Gelder umzu­lei­ten. Das würde bedeu­ten, dass im Falle eines Rechts­streits oder einer Beru­fung das Land, das die Ver­mö­gens­werte beschlag­nahmt hat, die Ver­ant­wor­tung für sein Handeln trägt – und nicht die Ukraine. Deshalb müssen sich die sank­tio­nie­ren­den Länder es gut über­le­gen, bevor sie einen solchen Mecha­nis­mus ein­füh­ren, denn sie müssten sich vor vielen poten­zi­el­len Gerichts­ver­fah­ren seitens rus­si­scher Olig­ar­chen und des rus­si­schen Staates schüt­zen. Alles muss mit großer Prä­zi­sion erfolgen.“

Ein inter­na­tio­na­ler Mecha­nis­mus kann die Trans­pa­renz erhöhen und mehr Ver­trauen zwi­schen der Ukraine und ihren Ver­bün­de­ten schaf­fen. Laut Bon­dar­jew ist wichtig, dass die Gelder nicht für poli­ti­sche Kam­pa­gnen oder popu­lis­ti­sche For­de­run­gen ver­wen­det werden. Jede Poli­ti­sie­rung des Themas müsse ver­mie­den werden: „Wir brau­chen eine inter­na­tio­nale Kom­mis­sion, die über­wacht, wie das Geld umge­lei­tet und später ver­wen­det wird.“ Das gelte auch für die Mittel, die die west­li­chen Staaten der Ukraine aus ihren eigenen Haus­hal­ten zukom­men lassen. „Die Umset­zung ist nicht so einfach, wie es schei­nen mag,“ schließt der Experte, „und wir müssen darüber nach­den­ken, wie wir die Opfer der mili­tä­ri­schen Aggres­sion am besten unter­stüt­zen können.“

Geför­dert durch

Portrait Anna Romandash

Anna Roman­dash ist Jour­na­lis­tin aus der Ukraine. 

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