Wie steht es um die Antikorruptionsmaßnahmen in der Ukraine?
Laufende Ermittlungen gegen hohe Funktionäre, Stillstand in der Gesetzgebung, Angriffe auf Akteure der Korruptionsbekämpfung – wo stehen die Antikorruptionsmaßnahmen in der Ukraine heute? Von Yaroslav Yurchyshyn
Seit dem Beginn der Antikorruptionsreformen im Oktober 2014, als im Parlament ein Paket von Antikorruptionsgesetzen verabschiedet wurde, nahmen drei neue Institutionen ihre Arbeit auf:
Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU, Leitung Artem Sytnyk) soll gezielt der politischen Korruption entgegenwirken. Es ermittelt in Korruptionsfällen ranghoher Politiker, Minister und ihrer Stellvertreter, Parlamentsabgeordneter, Gebietsverwaltungsleiter, Leiter von Rechtsschutzorganen und Richter sowie in Korruptionsfällen von mehr als einer Million Hrywna (ca. 320.000 Euro) Schaden.
Die spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAP, Leitung Nasar Cholodnyzkyj) ist eine eigenständige Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, die bevollmächtigt ist, vor Gericht Fälle zu vertreten, die unter die Jurisdiktion des NABU fallen.
Die Nationale Agentur für Fragen der Korruptionsprävention (NASK, Leitungsgremium, Vorstand Natalija Kortschak) soll Korruption präventiv entgegenwirken, z. B. durch die Überprüfung der elektronischen Deklarationen von Beamten, Kontrolle von Parteifinanzen und Interessenkonflikten von Beamten. Darüber hinaus soll sie über die Einhaltung der staatlichen Antikorruptionspolitik wachen.
Zudem wurden zahlreiche weitere Präventivmaßnahmen eingeleitet. Dazu zählen ein völlig neues elektronisches und transparentes Beschaffungswesen (Prozorro), ein elektronisches System zur Qualitätskontrolle im Gesundheitswesen (eHealth) und der Beitritt zum internationalen OpenOwnership-Register. Diese Schritte sorgen für Transparenz und Verantwortlichkeit und sind nicht nur auf nationaler Ebene von großer Bedeutung, sondern auch auf lokaler. Denn die städtischen Haushalte sind im Zuge der Dezentralisierung um das Drei- bis Vierfache gewachsen, wirksame Mechanismen zur Ausgabenkontrolle fehlten jedoch bisher.
NABU und SAP sind Lichtblicke
Nachdem 2014–2015 die gesetzlichen Grundlagen für eine Antikorruptionsreform geschaffen wurden, erfolgte 2015–2016 der institutionelle Aufbau. Anfang 2017 nahmen NABU und SAP ihre aktive Ermittlungsarbeit gegen führende politische Vertreter auf. So wurde im März 2017 der Leiter der Staatlichen Steuerbehörde Roman Nasirow, bis 2016 Abgeordneter der Regierungspartei Block Petro Poroschenko, wegen Korruptionsverdachts festgenommen. Nur wenig später folgte im April die Festnahme Mykola Martynenkos, ehemaliger Abgeordneter der Volksfront und einer der engsten Vertrauten von Expremier Arsenij Jazenjuk, wegen Veruntreuung. Im Juni wurden Maksym Poljakow (Volksfront) und Boryslaw Rosenblat (ehem. Block Petro Poroschenko) der Verwicklung in Amtsmissbrauch beschuldigt und ihre Immunität aufgehoben. Auch Jewhen Dejdej (Volksfront, Vertrauter des Innenministers Arsen Awakow) und Andrij Losowoj (rechte Hand des Vorsitzenden der Radikalen Partei Oleh Ljaschko) wurden der ungesetzmäßigen Bereicherung beschuldigt.
Jüngst deckten NABU und SAP zwei Fälle im Verteidigungssektor auf: So wird der stellvertretende Verteidigungsminister Ihor Pawlowskyj des Missbrauchs bei der Beschaffung von Kraftstoffen beschuldigt. Der ehemalige stellvertretende Innenminister Serhij Tschebotar soll zusammen mit dem Sohn des mächtigen Innenministers Awakow ebenfalls in Korruption verwickelt sein.
In allen Fällen laufen Ermittlungsverfahren und es wurden gerichtliche Auflagen verhängt.
Die korrupten Eliten schlagen zurück
Natürlich gibt es Versuche, diese Fälle als politisch motiviert darzustellen und zu verschleppen. Parallel dazu wurde immer wieder versucht, das NABU und die SAP zu diskreditieren. So gab es Versuche, die Vollmachten dieser Institutionen wieder der Staatsanwaltschaft, die sie bis 2015 innehatte, zu übertragen oder anderen Organen (Staatsanwaltschaft, Polizei und Sicherheitsdienst) zu genehmigen, gegen politische Eliten zu ermitteln. Denn wenn ein anderes Organ einen Fall einstellen würde, wäre es rechtlich unmöglich, ihn erneut aufzurollen. Das konnte vorerst verhindert werden.
Es gibt immer wieder Versuche, NABU und SAP zu diskreditieren
Weiterhin wurde versucht, politisch abhängige Mitglieder im Audit-Komitee für das NABU einzusetzen. Dieses kann die Absetzung der NABU-Leitung empfehlen. Aufgrund des zivilgesellschaftlichen Widerstands und der internationalen Aufmerksamkeit konnte auch das bisher verhindert werden.
Aber nicht nur auf die neuen Institutionen, sondern auch auf deren zivilgesellschaftliche Partner wuchs der Druck. Im März 2017 verfügte die Werchowna Rada auf Vorschlag von Tetjana Tschornowol (Volksfront), dass Antikorruptionsaktivisten elektronische Deklarationen über ihre Einkünfte abgeben müssen. Der Leiter des Zentrums für Korruptionsbekämpfung Witalij Schabunin wurde über manipulative Medienberichte unter Druck gesetzt. Vertreter der Volksfront setzten mithilfe von Desinformationen eine gezielte Diskreditierungskampagne gegen Transparency International Ukraine in Gang. Es kam sogar zu körperlichen Übergriffen: Im Oktober 2017 wurden die Vertreter des Charkiwer Antikorruptions-Zentrums Dmytro Bulach und Jewhen Lisitschkin zusammengeschlagen.
Die NASK ist ineffizient
Während die ersten beiden Institutionen ein recht hohes Maß an Professionalität und Unabhängigkeit zeigen – vor allem deshalb, weil die Leiter und Mitarbeiter über offene Bewerbungsverfahren unter Beteiligung der Zivilgesellschaft und internationaler Experten gewählt wurden – geriet die NASK sofort unter politische Kontrolle und erwies sich als ineffektiv. Die NASK schaffte es bisher lediglich, von den mehr als einer Million E‑Deklarationen etwa achtzig zu prüfen. Obwohl viele Spitzenbeamte unglaubliche Mengen an Bargeld und anderen Aktiva deklariert haben, deren Herkunft sie nicht erklären können, wurde bisher niemand zur Verantwortung gezogen. Nach der grassierenden Korruption unter Janukowytsch erwartete die Gesellschaft Ermittlungen. Dass diese nicht stattfinden, sorgt für große Entrüstung. Die NASK selbst ist in interne Konflikte verstrickt. Von den fünf nötigen Mitgliedern des Leitungsgremiums arbeiten derzeit nur drei. Ruslan Rjaboschapka, ehemaliger Mitarbeiter der NASK und einer der Koautoren der Gesetzentwürfe von 2014, war zurückgetreten, da er sich in seiner Arbeit behindert sah. Auch der stellvertretende Leiter der NASK Ruslan Radezkyj wurde unter Druck gesetzt und trat zurück. Die NASK hat sich als unfähig erwiesen, ihre Funktionen zu erfüllen, weshalb zwei Gesetzentwürfe eingereicht wurden, die einen Neustart vorschlagen. Allerdings kommt dem korrumpierten Teil der Regierung ein untätiges Organ, das leicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden kann, gelegen. So übt die NASK Druck aus, indem sie zum Beispiel Kontrollen des Zentrums für Korruptionsbekämpfung oder oppositioneller Abgeordneter initiiert – anstatt gegen Korruption hoher Staatsbediensteter vorzugehen.
Die Generalstaatsanwaltschaft agiert unberechenbar
Bevor NABU und SAP eingerichtet wurden, lag die politische Korruption im Verantwortungsbereich der Generalstaatsanwaltschaft. Auch hier sind positive Entwicklungen zu verzeichnen. Sie ermittelt nicht nur gegen Wiktor Janukowytsch, sondern hat im Mai 2017 mehr als zwanzig Personen aus dem engsten Umfeld des ehemaligen Ministers für Steuern Oleksandr Klymenko wegen Steuerdelikten verhaftet. Der Fall ist der bisher bedeutendste in der Geschichte der Ukraine, es wurden Vermögen und Aktiva im Wert von achtzig Milliarden Hrywna beschlagnahmt.
Die Generalstaatsanwaltschaft wird benutzt, um politischen Druck auszuüben
Zugleich sind einige Aktivitäten der Generalstaatsanwaltschaft kritikwürdig. Häufig wird die Generalstaatsanwaltschaft benutzt, um politischen Druck auszuüben. So wurden im Sommer gegen den reformorientierten Finanzminister Oleksandr Danyljuk Ermittlungen aufgenommen und dann wieder eingestellt. Hintergrund war seine Initiative, Roman Nasirow zu entlassen und eine vom Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) unabhängige Finanzpolizei einzurichten. Der SBU missbraucht seine Funktion häufig und übt Druck auf Unternehmer aus.
Das Justizsystem bleibt die größte Herausforderung
Die größte Herausforderung bleibt das Gerichtswesen. Zu Beginn der Reformen hat sich gezeigt, das selbst offene Bewerbungsverfahren keine Garantie bieten, geeignete Kandidaten in den Richterstand zu berufen. Vor allem, weil in den zuständigen Kommissionen Richter der alten Garde die Mehrheit bilden und offensichtlich unprofessionelle Kandidaten empfehlen. Da vom NABU eingebrachte Fälle vor Gericht oft verzögert behandelt werden, reichten reformorientierte Abgeordnete am 9. Februar 2017 einen Gesetzentwurf zur Einrichtung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts ein.
Die Einrichtung von Antikorruptionsgerichten würde erstmals professionelle, effektive und politisch unabhängige Verfahren wegen politischer Korruption ermöglichen. Doch obwohl IWF und EU ihre Kredite zum Teil von der Etablierung des Antikorruptionsgerichts abhängig machen, brachte erst eine Einschätzung der Venedig-Kommission einen neuen Impuls. Präsident und Premierminister haben die Schaffung eines Antikorruptionsgerichts in der ersten Hälfte des Jahres 2018 versprochen. Dafür müsste das entsprechende Gesetz bis Ende 2017 verabschiedet werden. Die Werchowna Rada nahm – entgegen des Vorschlags der Venedig-Kommission – den eingebrachten Gesetzentwurf zur Etablierung von Antikorruptionsgerichten nicht zurück. Das wäre jedoch erforderlich, damit der Präsident seinen Gesetzentwurf zur Schaffung von Antikorruptionsgerichten einbringen kann. Somit verschleppt Poroschenkos eigene Partei das Verfahren.
Dabei würde die Schaffung eines Antikorruptionsgerichts sowie ein Neustart der NASK tatsächlich einen ernstzunehmenden Kampf gegen die Korruption in naher Zukunft anregen. Ob dies bis zum Wahljahr 2019 gelingt, wenn Präsident und Parlament neu gewählt werden, werden die nächsten Monate zeigen.
Aus dem Ukrainischen von Lydia Nagel.
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