Hintergrundgespräch zu Übergriffen auf Akteure der ukrainischen Zivilgesellschaft und der Lage im Asowschen Meer
Am Mittag des 04. Dezembers lud das Zentrum Liberale Moderne eine Reihe von Experten, Journalisten und politischen Akteuren zum Mittagsgespräch ein. Beim Fachgespräch ging es um die gestiegene Anzahl von Übergriffen auf Akteure der ukrainischen Zivilgesellschaft und der Lage im Asowschen Meer. Ein Verastaltungsbericht von Mattia Nelles.
Am Mittag des 04. Dezembers lud das Zentrum Liberale Moderne eine Reihe von Experten, Journalisten und politischen Akteuren zum Mittagsgespräch ein. Die Gäste und Inputgeber des Fachgesprächs waren Herr Oleksandr Solontai, Mitbegründer der ukrainischen Partei Sila Ludjej (Kraft der Menschen) und langjähriger Aktivist, sowie Wilfried Jilge, Associate Fellow und Ukraine-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Themen der Runde waren die Übergriffe auf die ukrainische Zivilgesellschaft sowie die Lage im Asowschen Meer.
Die Angriffe auf Aktivistinnen und Aktivisten aus Politik und Zivilgesellschaft nehmen in der Ukraine seit der Revolution der Würde zu. Die ukrainische Zivilgesellschaft spricht von insgesamt 55 Vorfällen alleine seit 2017. Der grausame Tod von Kateryna Handsjuk, die Ende Juli vor ihrem Haus im südukrainischen Cherson mit Schwefelsäure angegriffen wurde und schwerste Hautverletzungen erlitt, hat der internationalen Öffentlichkeit auf tragische Weise vor Augen geführt, dass die Angriffe sehr ernst zu nehmen sind.
Nach Angaben der Experten ist die Anzahl von Aktivisten, die den Mut haben verschiedenste Missstände auf lokaler Ebene, von illegaler Bebauung oder Rodung, der Zerstörung von Parks etc. öffentlich anzuprangern, seit 2014 stark gestiegen. Die lokale Zivilgesellschaft, mutige neuer Lokalpolitiker und Journalisten stören mit ihren umfassenden Aktivitäten die bestehenden Korruptionsschemen der lokalen Eliten.
Die Strafverfolgungsbehörden sind in vielen Fällen nicht in der Lage, effektive Untersuchungen durchzuführen, in einigen Fällen vermuten Aktivisten sogar absichtliche Sabotage. Oft werden zwar die unmittelbaren Täter gefasst, in fast allen Fällen wurden jedoch die Auftraggeber nicht ermittelt. In der Diskussion wurde dabei auch die These vertreten, dass anders als in der Janukowytsch Zeit die physischen Angriffe nicht von der Zentralregierung ausgingen, sondern primär auf lokaler Ebene ohne Mitwirkung Kiews stattfinden.
Trotzdem wirkt Kiew, durch die Staatsanwaltschaft und Polizei wenig positiv auf die Ermittlungen ein. Die wenigen medialen Äußerungen führender ukrainischer Politiker der Regierung zu den Übergriffen, wecken daher nicht den Eindruck, dass die Regierung an umfassender Aufklärung interessiert sei. Das Desinteresse führten die Experten auf die anstehenden Wahlen zurück. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 wird gerade der in Umfragen schwächelnde Präsident Poroschenko auf Unterstützung der lokalen Machteliten angewiesen sein.
Deswegen sei es von großer Bedeutung, dass der Westen weiterhin die Angriffe beobachtet und sich für die lückenlose Aufklärung dieser einsetzt. Im Zuge der erfolgreichen Dezentralisierungsreform, die der Westen und vor allem Deutschland maßgeblich unterstützen, bleibt es zu prüfen, wie der Mehrgewinn an lokaler Entscheidungskompetenz mit einer verbesserten Transparenz und Kontrollfunktion der Verwendung lokaler Mittel in Einklang gebracht werden können. Die stockende Reform der Polizei gerade auf lokaler Ebene ist daher von großer Bedeutung, um künftige Missstände effektiver angehen zu können.
Lage im Asowschen Meer
Der militärische Zwischenfall wurde ebenfalls umfassend diskutiert. Am 25. November wurden drei ukrainische Marineboote, die aus Odessa in das Asowsche Meer unterwegs waren, von der russischen Marine und Küstenwache gerammt, beschossen und anschließend inklusive der 24 Matrosen an Bord festgesetzt. Für die politische Beurteilung der Lage sei es besonders wichtig den genauen Verlauf der Ereignisse schnellstens zu prüfen, um auszuschließen, dass die ukrainische Seite Russland unnötig provoziert habe.
Nichtsdestotrotz verfolge Russland durch seine sichtbar erhöhte militärische Präsenz das Ziel, die Nördliche Schwarzmeerregion unter seine militärische Kontrolle zu bringen. Die Krim-Brücke und die massive Flotten- und Militärpräsenz ermöglicht es Russland, die Ukraine dabei zu hindern, Marine-Schiffe ins Asowsche Meer zu verlegen. Gleichzeitig unterzieht Russland seit spätestens April 2018 primär ukrainische Schiffe, die ins oder aus dem Asowschen Meer unterwegs sind, schikanierenden Kontrollen. Diese zum Teil mehrtätigen Durchsuchungen der Frachtschiffe stören den Schiffverkehr. Ende August schloss Russland wegen massiver Kontrollen meist ukrainischer Schiffe für mehrere Tage die Straße von Kertsch. Das bedeutet für die Reedereien zum Teil schwere Verluste und setzt die Häfen in Mariupol und Berdjansk, die auf den Export von Stahl und Kohl via Schiff angewiesen sind, wirtschaftlich enorm unter Druck.
Bei der Diskussion wurde betont, dass im deutschen medialen Diskurs zwar die möglichen innenpolitischen Motive des ukrainischen Präsidenten betrachtet wurden, nicht jedoch die des russischen Präsidenten Putins. Dem Verhalten des Kremls im Asowschen Meer läge ein ganzes Bündel von Motiven zugrunde, wozu neben außen‑, militärstrategischen und geopolitischen auch innenpolitische Motive gehörten. So müsse auch die nicht zuletzt wegen der Debatten um die russische Rentenform und schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Russen sinkende Beliebtheit des russischen Präsidenten berücksichtigt werden: Die selbstherrliche Demonstration militärischer Stärke nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern auch dem Westen diene der Ablenkung von ungelösten Problemen im Innern. Kritisch beurteilt wurde die schwache Reaktion des Westens auf die Konfrontation Rund um das Asowsche Meer. So habe Russland den Westen aufzeigen wollen, dass es in seinem „Vorgarten“ tun und lassen kann was es will. Sollte der Vorfall also gänzlich unbeantwortet werden, würde ein falsches Signal an den Kreml gesendet und möglicherweise weitere Aggression ermöglichen.
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