„Das NABU hat bewie­sen, dass die ‚Kaste der Unan­tast­ba­ren‘ nicht mehr unan­tast­bar ist”

Artem Sytnyk (© Oleksii Chumachenko)

Artem Sytnyk, Leiter des Natio­na­len Anti­kor­rup­ti­ons­bü­ros der Ukraine, gilt vielen als Hoff­nungs­trä­ger der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung. Seine Behörde scheut selbst Ermitt­lun­gen gegen die „großen Fische” nicht. Im Inter­view spricht er über Erfolge und Risiken seiner Arbeit.

Kor­rup­tion gilt als eines der größten Übel in der Ukraine. Was genau unter­nimmt ihre Behörde dagegen und wie unter­schei­det sich das NABU von bis­he­ri­gen Ver­su­chen, die Kor­rup­tion im Land zu bekämpfen?

Nach dem Majdan war die Bekämp­fung der Kor­rup­tion eine der zen­tra­len For­de­run­gen der Zivil­ge­sell­schaft und unserer inter­na­tio­na­len Partner. Zu diesem Zweck wurde am 16. April 2015 das Natio­nale Anti­kor­rup­ti­ons­büro der Ukraine (NABU) gegrün­det und in Rekord­zeit errich­tet, so dass bereits acht Monate später erste Unter­su­chun­gen ein­ge­lei­tet werden konnten.

In nur drei Jahren haben wir in 140 Fällen gegen 220 Amts­trä­ger ermit­telt. Mehr als 600 weitere Ermitt­lun­gen laufen derzeit. 

Unser Kom­pe­tenz­be­reich ist klar in der Straf­pro­zess­ord­nung gere­gelt: Wir unter­su­chen die soge­nannte poli­ti­sche Kor­rup­tion, d.h. Kor­rup­ti­ons­straf­ta­ten, die von höchs­ten Amts­trä­gern (z. B. Minis­tern, Abge­ord­ne­ten, Leitern von Staats­un­ter­neh­men, Rich­tern) began­gen werden und dem Staat einen Schaden von min­des­tens 800.000 Hrywnja (ca. 25.000 Euro) zufügen. In nur drei Jahren haben wir in 140 Fällen gegen 220 Amts­trä­ger ermit­telt. Mehr als 600 weitere Ermitt­lun­gen laufen derzeit.

Von anderen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den unter­schei­det uns unsere Unab­hän­gig­keit, die öffent­li­che Wahr­neh­mung sowie der inter­na­tio­nale und gesell­schaft­li­che Rück­halt des NABU. Unsere Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zun­gen sind trans­pa­rent, aber auch hoch, so dass die Aus­wahl­pro­ze­dur es erlaubt, ver­trau­ens­wür­dige, integre und hoch­mo­ti­vierte Fach­leute zur Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung zu gewin­nen. Von 700 Stellen sind nur noch 50 unbesetzt.

Sie koope­rie­ren sowohl mit der Zivil­ge­sell­schaft als auch mit staat­li­chen Insti­tu­tio­nen. Wie sind ihre bis­he­ri­gen Erfah­run­gen der Zusammenarbeit?

Wir arbei­ten auf ver­schie­de­nen Ebenen mit gesell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen zusam­men, z. B. bei der Aus­wahl­pro­ze­dur, aber auch während der Untersuchungen.

Es gibt ein zivil­ge­sell­schaft­li­ches NABU-Kon­troll­gre­mium, das aus 15 Per­so­nen besteht, die von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Anti­kor­rup­ti­ons­in­itia­ti­ven gewählt werden. Bei den Aus­wahl­ge­sprä­chen können die Ver­tre­ter des Gre­mi­ums Fragen an die Kan­di­da­ten stellen, z. B. über deren Ein­kom­mens­quel­len, und zusam­men mit anderen Kom­mis­si­ons­mit­glie­dern Emp­feh­lun­gen über die Taug­lich­keit der Bewer­ber abgeben. Zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen geben uns häufig Hin­weise, die zur Auf­nahme von Ermitt­lun­gen führen.

Auf regel­mä­ßi­gen Treffen tau­schen wir uns mit Anti­kor­rup­ti­ons­ak­ti­vis­ten aus und suchen gemein­sam nach Lösun­gen, wie wir Kor­rup­tion effek­ti­ver bekämp­fen können. Dank der engen Zusam­men­ar­beit von NABU, ukrai­ni­scher Zivil­ge­sell­schaft und inter­na­tio­na­len Part­nern hat das Par­la­ment über die Schaf­fung des Obers­ten Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts abge­stimmt. Dieses Gericht soll die Ver­fah­ren, in denen das NABU ermit­telt, verhandeln.

Was die Zusam­men­ar­beit mit staat­li­chen Insti­tu­tio­nen angeht, so haben wir mit einigen Kooperations‑, Infor­ma­ti­ons­aus­tausch- und andere Abkom­men getrof­fen, um gemein­sam besser gegen Kor­rup­tion vor­ge­hen zu können.

Was war ihr bisher größter Erfolg als NABU-Chef? 

Es ist schwer, einen bestimm­ten Moment her­aus­zu­he­ben. Die Tat­sa­che, dass das Büro immer noch exis­tiert, ist bereits ein Erfolg. Es zeigt, dass die in der Ukraine imple­men­tier­ten Anti­kor­rup­ti­ons­re­for­men effek­tiv sind. Zum ersten Mal in 27 Jahren Unab­hän­gig­keit wird gegen hoch­ran­gige Funk­tio­näre ermit­telt, zum Bei­spiel gegen den Vor­sit­zen­den der Steu­er­auf­sicht, den Vor­sit­zen­den der Zen­tra­len Wahl­kom­mis­sion, Abge­ord­nete, stell­ver­tre­tende Minis­ter und Vor­sit­zende von Staats­un­ter­neh­men. Das NABU hat bewie­sen, dass die soge­nannte „Kaste der Unan­tast­ba­ren“ eben nicht mehr unan­tast­bar ist. Viele spek­ta­ku­läre Ver­fah­ren wurden eröff­net, viele Kor­rup­ti­ons­sche­mata wurden auf­ge­deckt und still­ge­legt, die dem Staats­haus­halt jähr­lich Kosten in Mil­li­ar­den­höhe ver­ur­sach­ten. Nun wird es auf das Oberste Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richt ankom­men. Die NABU-Ermitt­ler und die ukrai­ni­sche Gesell­schaft hoffen auf Gerechtigkeit.

Ein erklär­tes Ziel Ihrer Behörde ist es, durch Kor­rup­tion ver­si­ckerte Gelder wieder der Staats­kasse zurück­zu­füh­ren. Wie erfolg­reich waren Sie bisher damit und was geschieht mit den zurück­ge­führ­ten Geldern?

Das NABU konnte in zwei Jahren 253 Mil­lio­nen Hrywnja (8,2 Mio. Euro) an den Staat zurück­ge­ben und das Ver­si­ckern von wei­te­ren rund zwei Mil­li­ar­den Hrywnja (64 Mio. Euro) ver­ei­teln. Mehr als 670 Mil­lio­nen Hrywnja (21 Mio. Euro) sind derzeit kon­fis­ziert. Sollten die Ange­klag­ten in den lau­fen­den NABU-Ver­fah­ren schul­dig gespro­chen werden, würden min­des­tens weitere 400 Mil­lio­nen Hrywnja (13 Mio. Euro) sowie eine Viel­zahl von Immo­bi­lien an den Staat zurückgehen.

Der Druck auf ihre Behörde ist hoch, auch, weil Sie nicht davor zurück­schre­cken, gegen ein­fluss­rei­che Offi­zi­elle zu ermit­teln. Wie schwie­rig ist die Arbeit für Sie und ihre Ermitt­ler „on the ground“? Wird Ihre Arbeit behin­dert, und wenn ja, wie?

Die ersten Hin­der­nisse, auf die wir stießen, gab es bei der Über­gabe der Ermitt­lungs­fälle an die Gerichte. Ab diesem Zeit­punkt hat die poli­ti­sche Elite ver­stan­den, dass wir unseren Auftrag tat­säch­lich erfül­len, der Kor­rup­tion nach­ge­hen und diese ver­hin­dern. Wir sind regel­mä­ßig mit geziel­ten Falsch­in­for­ma­tio­nen über unsere Arbeit kon­fron­tiert und auch mit der Blo­ckie­rung not­wen­di­ger Geset­zes­in­itia­ti­ven zur wirk­sa­men Korruptionsbekämpfung.

Im Sommer 2016 wurden zwei unserer Mit­ar­bei­ter, die eine ver­deckte Ope­ra­tion durch­ge­führt haben, von der Gene­ral­staats­an­walt­schaft ent­tarnt und entführt. 

Auch wurden Gesetze erlas­sen, die unseren Hand­lungs­spiel­raum ein­schrän­ken und die Ermitt­lungs­ar­beit erschweren.

Im Sommer 2016 wurden zwei unserer Mit­ar­bei­ter, die eine ver­deckte Ope­ra­tion durch­ge­führt haben, von der Gene­ral­staats­an­walt­schaft ent­tarnt und ent­führt. Sie wurden gewalt­sam fest­ge­hal­ten und phy­sisch und psy­chisch ange­gan­gen. Das ist nur ein Bei­spiel, aber solche Fälle kommen leider immer wieder vor. Doch solange wir die gesell­schaft­li­che und inter­na­tio­nale Unter­stüt­zung haben, machen wir unsere Arbeit weiter, ermit­teln und über­rei­chen unsere Ankla­ge­schrif­ten an die Gerichte.

Kom­pli­zier­ter ist es mit den Geset­zes­in­itia­ti­ven. So ist seit zwei Jahren ein Gesetz­ent­wurf in War­te­schleife, der es uns erlau­ben würde, unab­hän­gige Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung durch­zu­füh­ren (derzeit ist das NABU dafür auf den Ukrai­ni­schen Sicher­heits­dienst SBU ange­wie­sen, der jedoch oft die Arbeit des NABU sabo­tiert, Anm. d. Red.). Andere Geset­zes­ent­würfe hin­ge­gen werden sehr schnell ein­ge­bracht. So wurde Ende letzten Jahres von der Rada ein Gesetz ein­ge­bracht, das die Kün­di­gung des NABU-Direk­tors vereinfacht.

Vor kurzem wurde ein Gesetz zur Schaf­fung eines unab­hän­gi­gen Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts ver­ab­schie­det. Warum ist das Gericht so wichtig, wann wird es seine Arbeit auf­neh­men können und welche Hoff­nun­gen setzen Sie in das neue Gericht?

Die Ver­ab­schie­dung des Geset­zes über das Oberste Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richt ist ein wich­ti­ger Schritt auf dem Weg der Bildung einer unab­hän­gi­gen Gerichts­in­sti­tu­tion, die sich spe­zi­ell mit Kor­rup­tion befasst. Dieses Gericht bildet die Abschluss­etappe der Anti­kor­rup­ti­ons- und Gerichts­re­for­men in der Ukraine.

Die Eta­blie­rung dieser Insti­tu­tion wird nicht einfach werden. Die Schaf­fung des NABU hat jedoch gezeigt, dass es möglich ist, inner­halb eines Jahres eine funk­ti­ons­fä­hige Insti­tu­tion aufzubauen.

Es ist wichtig, dass die ukrai­ni­sche Zivil­ge­sell­schaft und unsere inter­na­tio­na­len Partner wei­ter­hin dieses Thema im Blick haben, sonst wird das Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richt die­sel­ben Schwä­chen haben, wie andere Gerichte unseres Justizsystems.

Wie kann die inter­na­tio­nale Gemein­schaft Ihre Arbeit unterstützen?

Die Rolle der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft ist uner­mess­lich wichtig für das NABU und für die Ukraine ins­ge­samt. So wurde nicht zuletzt dank der beharr­li­chen Posi­tion unserer inter­na­tio­na­len Partner das Gesetz über das Oberste Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richt erlas­sen oder der Gesetz­ent­wurf über die ver­ein­fachte Ent­las­sung des NABU-Direk­tors und des Anti­kor­rup­ti­ons­staats­an­walts abgelehnt.

Wir sind dieser Unter­stüt­zung sehr dankbar und hoffen darauf, mit gemein­sa­men Kräften die Kor­rup­tion in der Ukraine zu bekämpfen.

Es gibt immer wieder Indi­zien, das Poli­ti­ker im Par­la­ment gekauft seien und regel­mä­ßig für bestimmte Abstim­mun­gen Schmier­geld erhal­ten. Bisher gehen Sie jedoch nur gegen eine über­schau­bare Anzahl von Abge­ord­ne­ten vor – ist das nicht eine selek­tive Vorgehensweise?

Das NABU geht nicht selek­tiv vor. Wir handeln strikt im Ein­ver­ständ­nis mit dem Gesetz. Weder ich, noch die Ermitt­ler haben Listen mit Per­so­nen, die wir vor­ran­gig durch­leuch­ten wollen. Gibt es Hin­weise auf Kor­rup­tion, gehen wir diesen nach und die Ermitt­ler leiten Unter­su­chun­gen ein.

Es ist uns gelun­gen, ein pro­fes­sio­nel­les Team auf die Beine zu stellen, das bei den Ermitt­lun­gen keine Rück­sicht nimmt auf die Posten oder Posi­tion der Ver­däch­ti­gen. Egal ob es sich um Minis­ter, Abge­ord­nete oder mei­net­we­gen den Vor­sit­zen­den der Ukrai­ni­schen Natio­nal­bank handelt – die Detek­tive ermit­teln selbst­stän­dig und unab­hän­gig und laden sie zu Ver­neh­mun­gen vor.

Geor­gien wird im Bereich der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung häufig als Vor­zei­ge­bei­spiel im post­so­wje­ti­schen Raum ange­führt, da dort inner­halb weniger Jahre die Kor­rup­tion merk­lich ein­ge­dämmt wurde. Was können Sie vom geor­gi­schen Bei­spiel lernen, was haben Sie viel­leicht sogar schon übernommen?

Mein Erster Stell­ver­tre­ter stammt aus Geor­gien. Er ist für die Arbeit der Ermitt­ler und Ana­ly­ti­ker zustän­dig. Wie auch in Geor­gien haben wir ein junges und hoch­mo­ti­vier­tes Team, das dazu bereit sind, Über­stun­den zu machen, um unser Land zu ver­än­dern. Dafür bin ich ihnen allen gren­zen­los dankbar.

Das NABU arbei­tet nach aktu­el­len inter­na­tio­na­len Stan­dards im Bereich der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung. Wir pro­fi­tie­ren dabei nicht nur von den Erfah­run­gen aus Geor­gien, sondern auch vieler anderer Staaten wie den USA, Groß­bri­tan­nien, Polen oder Rumänien.

Nicht nur Ihre Behörde, sondern auch Ihre Person steht unter Druck und man hört immer wieder, dass viele Kräfte des alten Systems Sie lieber gestern als heute los­wer­den möchten. Was würde mit dem NABU und der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung in der Ukraine pas­sie­ren, wenn man Sie morgen sus­pen­die­ren würde?

Mein obers­tes Ziel ist es alles daran zu setzen, dass die Arbeit des NABU auch ohne mich genauso fort­ge­führt werden kann. Ich per­sön­lich habe keine Angst vor Bedro­hun­gen. Man gewöhnt sich sehr schnell an sie. Mein Team, mit dem wir maxi­male Anstren­gun­gen unter­neh­men, um die Kor­rup­tion in der Ukraine zu bekämp­fen, hilft dabei, diesem Druck zu widerstehen.


Die Fragen stellte Eduard Klein.

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