Konsultativrat in Minsk: Risiken & Konsequenzen
Am 11. März wurde eine vorläufige Vereinbarung über die Einrichtung eines neuen Gremiums innerhalb der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk getroffen. Der neue Konsultativrat für den Donbas ist hochumstritten und birgt Gefahren, analysiert Mariia Solkina
Die langfristigen Bestrebungen, die Konfliktlösung für den Donbas nach dem Normandie-Gipfel in Paris voranzutreiben, endeten mit einer Art Paketlösung, die von der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk am 11. März vereinbart wurde. Zentraler Bestandteil dieser Vereinbarung war die Idee, einen sogenannten Konsultativrat zu bilden, als gänzlich neues Gremium innerhalb der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk (TKG). Wenn auch die Entscheidung noch nicht unterzeichnet wurde, so hat der Entwurf mit Angabe des beabsichtigten Formats, der Aufgaben und der Arbeitsweise dieses neuen Gremiums innerhalb der TKG schon ernstzunehmende Einwände und streitbare Kritiker auf den Plan gerufen. Dies ist einer der Gründe, die zu einer neuen Haltung der ukrainischen Unterhändler geführt haben: Statt eher entschlussfreudig ist sie nun, kurz nach dieser Kompromissfindung, bedächtiger mit dem Wunsch nach Fortsetzung der Beratungsgespräche. Dies führte dazu, dass in der Videokonferenz der TKG in Minsk vom 24. bis 26. März keine konkreten Vereinbarungen getroffen wurden und dass die Beratungsgespräche zu dieser Initiative andauern sollten. Russland lehnt jegliche Änderungen an der ersten Version ab, aus der es wesentliche Vorteile zieht. Worin genau bestehen daher diese Risiken, sowohl kurz- als auch langfristig, die bis dato die endgültige Unterzeichnung verhindert haben? Und welche Warnungen der Ukraine sollten die Normandie-Partner berücksichtigen, bevor sie diesem Konsultativrat beitreten, und sei es nur als Beobachter?
Neuer Status und Rolle für die selbsternannten „Republiken“: Übergang zur Legalisierung?
Eines der Hauptprobleme im Zusammenhang mit dem vorgeschlagenen Konsultativrat ist dessen Zusammensetzung, und zwar aus einer Delegation der Ukraine auf der einen Seite und „Vertretern gewisser Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk“ auf der anderen. Wenn dem so zugestimmt wird, wäre dies erstmals ein offiziell anerkanntes Format für direkte Konsultation und den direkten Dialog, in dem diese „Vertreter“ die einzigen Beteiligten an Verhandlungen mit der Ukraine sind. In der ersten Version ist die Zusammensetzung des Rats „10 zu 10“ mit gleichem Entscheidungsgewicht für jede Stimme festgelegt. Dies scheint für die Ukraine absolut inakzeptabel. Das Überschreiten einer ihrer „roten Linien“ – der tabuisierte direkte Dialog mit Vertretern der besetzten Regionen – wird definitiv die Verhandlungsposition der Ukraine strategisch schwächen. Es könnte argumentiert werden, dass „Vertreter“ besetzter Gebiete ohnehin an der TKG in Minsk teilgenommen haben und wesentliche Vereinbarungen unterschrieben haben, was also ist neu auf diesem Gebiet?
Erstens sind sie nicht Mitglieder der TKG, sondern eingeladene Parteien. Zweitens haben sie niemals irgendwelche Dokumente als offiziell anerkannte Vertreter des nicht kontrollierten Donbas unterzeichnet, sondern nur als Einzelpersonen, wenn auch alle wussten, warum sie eingeladen waren. Im Gegensatz dazu erschienen ihre Unterschriften am 11. März erstmals unter der Definition „Bevollmächtigte Vertreter bestimmter Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk“. Drittens bedeutet dieses Vorhaben zwar nicht die vollständige Anerkennung der selbsternannten Instanzen, wird aber auf jeden Fall deren politische Subjektivität durchsetzen und bedeutet im Mischkonflikt tatsächlich eine indirekte Legalisierung. Das Unterzeichnen von Dokumenten mit diesen „Vertretern“, in denen konkrete Verfahren für eine Einbeziehung in die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Behörden und die Standards des Arbeitsregimes mit ihnen festgelegt sind, sowie eine (zumindest politische) Anerkennung der Ergebnisse dieser Arbeit, stellen eine Bewegung in Richtung ihrer Legalisierung als „zweite Partei“ im Konflikt dar.
Die Idee, dass sich diese Delegationen aus Vertretern der Zivilgesellschaft „beider Seiten“ zusammensetzen, hält einer Kritik nicht stand. Laut dem kürzlich veröffentlichen Freedom-House-2019-Bericht gibt es in den sogenannten „VRD“ und „VRL“ weder unabhängige Nichtregierungsorganisationen noch zivilgesellschaftliche Organisationen oder ‑bewegungen (nicht einmal humanitäre). Sie sind alle vollständig von den selbsternannten Instanzen abhängig. Darüber hinaus heißt es in dem Bericht, dass die dafür wichtigen Grundrechte dort nicht gewahrt werden (wie Redefreiheit, Versammlungsfreiheit usw.). In dieser Situation ist die Idee einer „Zivilgesellschaft“, die für die Seite der besetzten Gebiete am Konsultativrat teilnimmt, überhaupt nicht realistisch.
Neue Logik der Minsker Verhandlungen
Diese Initiative wird außerdem den Status Russlands im heikelsten, politischen Teil der Verhandlungen verändern. Hier hat Moskau stets auf einem direkten Dialog zwischen der Ukraine und den Pseudorepubliken beharrt. Im vorgeschlagenen Format wird es sein Ziel fast vollständig erreichen. Russland soll eigentlich nur Beobachter in der Konsultativgruppe sein, wie die Vertreter Deutschlands oder Frankreichs. Somit besteht allgemein die Möglichkeit des Anbruchs einer neuen Ära in den Minsker Verhandlungen. Einmal begonnen, wird selbst ein „beratender Dialog“ unter der Beaufsichtigung eines „Beobachters“ wie Russland nahezu irreversibel.
Nicht mehr „Sicherheit an erster Stelle“?
Ein weiteres Risiko ist der völlige Mangel an Fortschritten bei der Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen. Beim Pariser Gipfel legten die Staats- und Regierungschefs der Normandie-Vier fest, dass ein vollständiger Waffenstillstand dringend umgesetzt werden müsse. Das Fehlen diesbezüglicher Fortschritte erlaubt es nicht, den politischen Weg fortzusetzen. Der geplante Konsultativrat sollte die Hauptplattform werden, auf der politische und rechtliche Vorschläge für die Umsetzung des Minsker Abkommens zu erarbeiten sind, solange im Sicherheitsbereich keine Fortschritte erzielt werden. Diese Asymmetrie bedeutet, dass bei Beginn einer politischen Diskussion die Sicherheitsvoraussetzung automatisch von der Tagesordnung gestrichen wird.
Internationale Folgen
Die Ukraine sollte auch eine Änderung bezüglich der internationalen Dimension ihres Konflikts mit Russland erwarten. Langfristig wird die internationale Bereitschaft zurückgehen, Russland mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen entgegenzutreten, wenn die Ukraine selbst zu einem „internen Dialog“ übergeht. Politisch wird der Konflikt beginnen, die Merkmale einer internen Auseinandersetzung anzunehmen, worauf Moskau schon seit langem besteht, anstatt als internationaler bewaffneter Konflikt akzeptiert zu werden. Und mit diesem de facto direkten Dialog mit den selbsternannten Republiken werden weitere Argumente für diesen „inländischen“ Charakter des Konflikts im Osten geliefert. Zudem wird es die Position der Ukraine in internationalen rechtlichen Verfahren gegen Russland unterminieren. Diplomatisch wird dies es Russland ermöglichen, mit mehr Aussicht auf Erfolg für die Aufhebung der Sanktionen zu kämpfen.
Risiken für Deutschland und Frankreich: Nicht in die Falle gehen
Eine der Neuerungen bei dieser Umbildung des Minsker Prozesses ist es, je einen deutschen und französischen Beobachter mit in den Konsultativrat einzubeziehen. Am 26. März warfen die selbsternannten Republiken nicht nur der Ukraine direkt vor, die Entscheidung zum Konsultativrat nicht unterzeichnet zu haben, sondern auch Deutschland und Frankreich, dass sie nicht bereit waren, diese Idee zu unterstützen. Obwohl solche Behauptungen normalerweise im Zusammenhang mit Propagandazielen stehen, könnten sie in diesem Fall die Realität beschreiben. Was sind daher die Warnhinweise für die internationalen Partner, wenn sie sich an diesem Format beteiligen und die Idee eines de facto direkten Dialogs unterstützen?
Erstens werden deutsche und französische Vertreter kaum vermögen, die ungenaue Form und unvorhersehbaren Ergebnisse von Verhandlungen mit den De-facto-Instanzen in den besetzten Gebieten zu beeinflussen. Zweitens werden sie auch als Beobachter in einer schwächeren Position erscheinen als der dritte „Beobachter“ – Russland. Russland wird, obwohl es vorgibt, nicht Teil der Verhandlungen, sondern ebenso wie Deutschland, Frankreich und die OSZE Mediator zu sein, tatsächlich direkten Einfluss auf die „Vertreter“ der besetzten Republiken haben. Dies erzeugt ein Ungleichgewicht zwischen den Beobachtern und sollte Deutschland und Frankreich von der Beteiligung an einem solchen Vorhaben abhalten. Drittens werden die oben genannten Aspekte durch die politische Verantwortung der westlichen Teilnehmer verstärkt. Somit gibt es trotz voller politischer Verantwortung für die Ergebnisse keinen wesentlichen Einfluss auf den Prozess. Aus diesem Grund ist Russland der einzige „Beobachter“, der auf jeden Fall vom vorgeschlagenen Format profitiert. Deutschland und Frankreich, wenn auch an dem Fortschritt der Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine interessiert, sollten nicht an einem zweifelhaften Format teilnehmen, um keine Verantwortung für eine hybride Legalisierung des Dialogs mit den besetzten Gebieten zu übernehmen.
Daher scheint die derzeitige Idee, den politischen Dialog in bestimmten Bereichen zu fördern, aus Sicht sowohl der ukrainischen als auch der internationalen Partner inakzeptabel und eher riskant. Kritiker innerhalb der ukrainischen Gesellschaft sind eine Reihe von Experten, NGOs, Think Tanks und sogar mehr als 50 Abgeordnete der Fraktion des Präsidenten „Diener des Volkes“. Ein erhebliches Problem ist, dass die mangelnde Zustimmung der Ukraine zum Konsultativrat dazu führt, dass mit Russland auch über humanitäre und sicherheitspolitische Fragen nicht verhandelt werden kann. Dennoch sollten strategische politische Zugeständnisse nicht zum Preis für asymmetrische und nicht garantierte „Versprechen“ Russlands werden. Alle Maßnahmen bezüglich des Waffenstillstands, neuer Kontrollpunkte und des Gefangenenaustauschs sind seit langem Tagesordnungspunkte in Minsk und müssen in jedem Fall umgesetzt werden, nicht als Russlands Reaktion auf die Schaffung des Rats. Letzterer bedeutet eine neue Verhandlungslandschaft; nicht nur dort wird die Position der Ukraine schwächer sein als heute.
Aus dem Englischen von Meike Temberg übersetzt.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.