Zwei Leben

Im „Veter­ano Brownie“ arbei­ten Kriegs­ve­te­ra­nen und –ver­trie­bene. Die Besit­zer des Kaf­fee­hau­ses wollen eine Brücke schla­gen zwi­schen Men­schen mit Kriegs­er­fah­rung und Men­schen ohne.

Roman und Julia sind glück­lich. Und wenn man die beiden Besit­zer des „Veter­ano Brownie“-Kaffeehauses im Kyjiwer Stadt­teil Podil beob­ach­tet, dann sieht man ihnen den Krieg nicht an. Wie frisch Ver­liebte sitzen sie an einem der Tische, geben sich einen Kuss auf die Wange und einen auf die Schul­ter. Jeden Gast, der durch die Glastür tritt, heißen sie per­sön­lich will­kom­men. Auf dem Plat­ten­spie­ler dreht sich eine Beatles-Scheibe, später David Bowie. Hinter der Theke han­tiert ein Mit­ar­bei­ter mit der Küchen­waage, mit Nüssen und Butter für das nächste Blech Kuchen. Es riecht nach Scho­ko­lade und Kaffee.

Portrait von Daniela Prugger

Daniela Prugger arbei­tet als freie Jour­na­lis­tin über die Ukraine.

Vor fünf Jahren haben sich die beiden auf einer Party ken­nen­ge­lernt. Julia Koche­tova-Nabozhniak arbei­tete zu dieser Zeit bereits als Foto­gra­fin im Donbass. Roman Nabozhniak wurde wenig später als Soldat in die Armee ein­ge­zo­gen und an die Front abkom­man­diert. Seit drei Jahren tragen beide sil­berne Ehe­ringe an ihren Fingern und seit März die Schlüs­sel zu ihrem eigenen Kaf­fee­haus an ihren Schlüs­sel­bun­den. Beide wissen, dass ihr Leben auch ganz anders hätte aus­se­hen können.

„Nach dem Mili­tär­dienst habe ich mit dem Backen ange­fan­gen. Ich war so begeis­tert, endlich wieder normale Lebens­mit­tel zu haben und nicht mehr nur die, die wir im Militär hatten“, sagt der 29-jährige mit dem Drei­tage-Bart und dem schwar­zen Batman-Tattoo am linken Unter­arm. Er ist einer von 355.000 Kriegs­ve­te­ra­nen, die während der ver­gan­ge­nen Jahre in der Ost­ukraine gedient haben.

Die Frage, was es bedeu­tet ein Veteran zu sein, kann Roman nicht sofort beant­wor­ten. Er fühle sich nicht als etwas Beson­de­res, nicht als Held. „Ich glaube, ein Kriegs­ve­te­ran ist eine Person, die ver­steht wie zer­brech­lich mensch­li­che Körper und unsere Welt sind.“ Das wurde ihm zum ersten Mal bewusst, als er in Schy­ro­kyne ankam, einer Sied­lung am Asow­schen Meer, die früher als Kurort mit Som­mer­camps für Kinder bekannt war. „Ich sah den Ort auf der Karte ein­ge­zeich­net. Aber da war alles bom­bar­diert. Die Men­schen lebten dort nicht mehr.“

Bis Oktober 2016 diente Roman 14 Monate lang im Militär, davon zehn in der Ost­ukraine. Dabei wurde er nicht ver­letzt. Auch das Schick­sal von mehr als 13.000 Men­schen, die laut den Ver­ein­ten Natio­nen seither umge­kom­men sind, blieb ihm erspart.

Roman kehrte zurück in sein Leben nach Kyjiw, in die Groß­stadt, wo Freunde und die Familie leben. Sie alle hatten akzep­tiert, dass er im Krieg gewesen war. „Manche meiner Bekann­ten wussten nicht, ob sie mir nun Blumen bringen oder die ganze Zeit weinen sollten.“ Trotz­dem fiel es ihm am Anfang schwer, sich zurecht­zu­fin­den. „Es war schwie­rig für mich, mit den Leuten zu kom­mu­ni­zie­ren“, sagt er. Er hatte Alb­träume, konnte wochen­lang nur bei Licht schlafen.

Julia, 26, langes, mit­tel­brau­nes Haar, hatte sich auf die Rück­kehr vor­be­rei­tet, indem sie Bücher über post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­run­gen las und die Kon­takte zu The­ra­peu­ten orga­ni­sierte. „Ich habe davor schon ver­wun­dete Sol­da­ten foto­gra­fiert und die Sym­ptome gesehen”, sagt sie. Sym­ptome, die auch bei Roman auf­tra­ten. Eine Woche nachdem er zurück gekom­men war, ging das Paar gemein­sam in die The­ra­pie­sit­zung, so, wie sie es vor seinem Dienst­an­tritt im Jahr 2015 bespro­chen hatten.

Im Gegen­satz zu vielen anderen lernte Roman mit dem Erleb­ten umzu­ge­hen. Nicht alle schaf­fen das. Seit dem Kriegs­be­ginn haben sich min­des­tens 1.000 Vete­ra­nen in der Ukraine umge­bracht. „Ich kenne genug Fami­lien von Vete­ra­nen, die vor ganz anderen Her­aus­for­de­run­gen stehen als wir. Man kann nie­man­den zwingen, eine The­ra­pie zu machen“, sagt Julia.

Sie holt ein dickes Buch von einer Abla­ge­flä­che im Kaf­fee­haus. Einen Foto­band mit ihren Auf­nah­men, die zivile Opfer an der ost­ukrai­ni­schen Front zeigen, einen Sol­da­ten an seinem ersten Dienst­tag, zer­störte Häuser. Sie erin­nert sich an den Anfang des Krieges im Jahr 2014. „Es gab keine Taxis oder Busse. Wir Jour­na­lis­ten sind früher oder später immer in einem selt­sa­men Auto gelan­det. In einem von ihnen war der Rück­sitz blut­ver­schmiert, weil der Fahrer auch ver­wun­dete Sol­da­ten trans­por­tiert hatte.“

Julia hatte ihren Job in einer Nach­rich­ten­agen­tur in Kyjiw gekün­digt, um auf eigene Faust in den Osten zu fahren und die Ereig­nisse zu doku­men­tie­ren. Und mit Roman fand sie ein neues Projekt. Sie wollte ihn filmen und her­aus­fin­den, wie der Krieg ihren Freund ver­än­dert, der fünf Instru­mente spielt und in einer IT-Firma gear­bei­tet hat. Für Julia waren es zwei Welten, die in diesem Men­schen auf­ein­an­der­tra­fen. Auf dem Tisch lag plötz­lich neben der Kla­ri­nette eine Waffe.

Seinen Einsatz als Soldat stellte Roman nicht infrage. „Wir waren Teil dieses Pro­zes­ses“, sagt er, seitdem er auf dem Kyjiwer Unab­hän­gig­keits­platz demons­trierte. „Das war doch unser Land, das alles pas­sierte mit uns. Wir sind das Land, und wir können nicht dane­ben­ste­hen, wenn so etwas passiert.“

Mit „Veter­ano Brownie“ kämpft das junge Ehepaar nun auch auf eine andere Art für sein Land. Das Kaf­fee­haus ist ein sozia­les Unter­neh­men, das Kriegs­ve­te­ra­nen und Men­schen, die aus der Ost­ukraine und von der Krim ver­trie­ben wurden, beschäf­tigt. „Die Tat­sa­che, dass wir Men­schen ein­stel­len, die Kriegs­ve­te­ra­nen und Kriegs­ver­trie­bene sind, macht uns zur Brücke zwi­schen diesen Men­schen“, sagt Julia. „Wir möchten zeigen, dass wir gemein­sam etwas auf­bauen können.“ Zehn Prozent der Ein­nah­men werden an Fami­lien gefal­le­ner Sol­da­ten gespendet.

Ange­fan­gen hat alles Ende 2016 mit einem Brownie-Rezept aus dem Inter­net und einem Face­book-Posting von Leonid Ost­al­zew, eben­falls Veteran und Gründer des Veter­ano-Netz­wer­kes: „Wenn du ein Veteran bist und eine Idee hast, dann lade ich dich ein, dich mit mir zu unter­hal­ten“, stand da, wie sich Roman erin­nert. Die beiden haben sich getrof­fen und unter­hal­ten. „Er hat uns beraten, und ich habe ange­fan­gen zu Hause zu backen, das Rezept wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und die Brow­nies an Kaffees und private Kunden zu liefern.“

Ost­al­zew hat im Jahr 2015, nach seiner Rück­kehr im Donbass, die „Piz­ze­ria Veter­ano“ auf­ge­macht und inter­na­tio­nale Medien, von New York Times bis arte, haben darüber berich­tet. „Davon haben wir natür­lich pro­fi­tiert“, sagt Julia, die von Anfang an das Mar­ke­ting über­nom­men hat. Julia und Roman bewei­sen, dass es für Kriegs­ve­te­ra­nen eine andere Zukunft gibt, als Ange­stell­ter in einer Sicher­heits­firma zu sein. Aber Julia weiß: „Wir sind hier in unserer Blase. Außer­halb von Kyjiw ist die Situa­tion anders.“

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