Angriff auf die Pressefreiheit?
Ein neuer Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Desinformation und Fake News sorgt derzeit in der Ukraine für Aufregung. Medienexperten warnen vor Selbstzensur.
Halina Petrenko kennt nicht alle Mitarbeiter im Ministerium für Kultur, Jugend und Sport persönlich. Aber jene, wie Kulturminister Wolodymyr Borodjanskij, die vor ihrer Politkarriere bei privaten Medien tätig waren, sehr wohl. „Die haben zwar im Mediensektor gearbeitet, aber nicht im Bereich der Desinformation“, sagt Petrenko, die der Medien-NGO „Detector“ als Präsidentin vorsteht. Und es sei genau diesem fehlenden Verständnis für unabhängigen Journalismus und Pressefreiheit geschuldet, sowie einer gewissen politischen Unprofessionalität, dass das Ministerium vor kurzem einen Gesetzesentwurf vorgestellt hat, den Petrenko als „autoritär“ bezeichnet.
Der neue Gesetzesentwurf
In einem 131-seitigen Dokument erklärt das Ministerium, wie Desinformation und Fake News künftig bekämpft werden sollen: Indem Journalisten in Berufskategorien eingeteilt werden. Der Staat habe eine neue Berufsorganisation geplant, die dann die Presseausweise vergeben soll. Staatliche Sonderbeauftragte sollen die Medieninhalte überwachen. Bei absichtlichen Fehlinformationen wird mit Geldbußen in Höhe von umgerechnet 195.000 USD gedroht. Online-Medien können per Erlass gesperrt werden. Und sogar von einer strafrechtlichen Anklage der Journalisten ist die Rede.
„Die Ukraine leidet unter Desinformation, unter russischer Desinformation“, sagt Petrenko. „Aber ich halte diese Strategie für falsch, weil sie sich gegen unsere Journalisten richtet und in einer Selbstzensur enden könnte.“ Der Gesetzesentwurf, der im März dem Parlament vorgelegt werden soll, sei keine effektive Maßnahme gegen Falschinformationen. Vielmehr stelle er eine Bedrohung für die Meinungs- und Pressefreiheit und die Journalisten an sich dar und damit für die seit der Euromaidan-Revolution hart erkämpfte Demokratie des Landes.
Einschränkung der Pressefreiheit?
Petrenko steht mit ihren Ansichten nicht alleine da. „Reporters without Borders“ zeigt sich ebenfalls besorgt. Denn laut dem Entwurf sollen nur Mitglieder des neuen Berufsverbandes den Status von „Fachjournalisten“ erhalten. Die restlichen Journalisten wären nicht mehr befugt, von staatlichen Stellen akkreditiert zu werden oder im Kriegsgebiet zu arbeiten. Außerdem übe die strafrechtliche Androhung übermäßigen Druck auf Journalisten aus und beschneide deren Recht auf freie Meinungsäußerung und Information. Auch die Vereinten Nationen und die OSZE warnen die ukrainische Regierung davor, die Pressefreiheit einzuschränken und erklären, dass der aktuelle Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Desinformation nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entspreche.
Überrascht war Petrenko nicht, als der kontroverse Gesetzesentwurf am 20. Januar vorgestellt wurde. Sie saß selbst in der Expertengruppe, die das zuständige Ministerium in dieser Sache beraten sollte. „Wir haben öfters wiederholt, dass dieser Entwurf nicht gut ist. Ich finde, er sollte komplett gekippt werden“, sagt Petrenko. Doch die Einwände und die Kritik der Experten wurden kaum bis gar nicht gehört.
Ähnlich erging es Oksana Romanjuk, der Direktorin des Instituts für Masseninformation, die vom Ministerium ebenfalls als Expertin eingeladen wurde. Romanjuk spricht von Dilettantismus. „Die Bekämpfung von Desinformation ist ein populistisches Thema. Die Denkweise ist, dass eine Regulierung deshalb gut ankommt.“ Sie habe erwartet, dass Wolodymyr Borodjanskij, derzeit Kulturminister und vormals Chef der StarLightMedia Gruppe, einen Rückzieher mache. Doch dieser kündigte nach der weitgehenden Kritik lediglich mehr Transparenz für die Öffentlichkeit an.
Weder die ukrainischen Journalisten, die sich laut Petrenko geschlossen gegen den Gesetzesentwurf stellen, noch die Medienexperten selbst bestreiten, dass Desinformation und Falschnachrichten ein großes Problem darstellen. Hartnäckige Narrative und Meldungen, wonach die Ukraine ein „failed state“ sei, Neonazis Einfluss auf das Parlament ausüben oder die Ukraine vom „Westen“ kolonialisiert werde, müssen durchbrochen werden. „Das größte Problem stellt noch immer die russische Desinformation da. Aber dieser Gesetzesentwurf ist keine wirksame Maßnahme dagegen, denn er zielt lediglich auf die ukrainischen Journalisten und Medien ab“, sagt Petrenko.
Ein besserer Weg könnte eine Kooperation mit der „East StratCom“ darstellen, einer eigens zur Bekämpfung von Desinformation eingerichteten Task Force der Europäischen Union. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir einen neuen Gesetzesentwurf brauchen.“ Viel wichtiger sei es, die Situation gründlich zu analysieren. Denn diesen ersten Schritt habe bis dato noch niemand gemacht.
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