Poroschenkos Rede an die Nation: Armee, Sprache, Glauben – und Russland
Mit seiner jährlichen Rede vor der Werchowna Rada begann der ukrainische Präsident Petro Poroschenko seinen Wahlkampf. Und zwar mit gewohnt scharfen Worten Richtung Russland, aber auch mit sehr viel Lob in eigener Sache. Seine Aussichten für die Präsidentschaftswahl im März 2019 bleiben dennoch eher durchwachsen.
Im September kehrten die Abgeordneten der Werchowna Rada aus ihrem Sommerurlaub zurück – und das nimmt der ukrainische Präsident traditionell zum Anlass, eine „Rede an die Nation“ vor dem Parlament zu halten. Ausgerechnet Petro Poroschenko, der im Mai 2014 in das höchste Amt des Landes gewählt wurde, mag dieses Format ganz besonders. Seine Reden werden im Normalfall etwa zwei Monate im Vorfeld von der Präsidialverwaltung und deren Chef Ihor Rainin vorbereitet – und sie sind normalerweise ziemlich lang. So sprach Poroschenko im letzten Jahr mehr als anderthalb Stunden in seiner gewohnt emotionalen Art, natürlich mit dem Schwerpunkt auf die russische Aggression gegen die Ukraine. Weil die patriotische Rhetorik des 52-Jährigen dem Durchschnittsukrainer längst bekannt ist, waren seine Jahresreden zuletzt kein außerordentliches Ereignis mehr. Diesmal ist jedoch vieles anders, unter anderem weil Ende März 2019 die Präsidentschaftswahlen ansteht, bei der Poroschenko nicht als klarer Favorit ins Rennen geht.
Poroschenkos Rede als rhetorischer Angriff auf Tymoschenko
So wird Ex-Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko, die derzeit verschiedene Umfragen anführt, am 21. September im Rahmen eines eigenen großen Forums ihr wirtschaftliches Programm vorstellen. Deswegen kommt es kaum überraschend, dass Poroschenko seine große Rede auf den Vortag terminierte. Der ukrainische Präsident hat also auf diese Art und Weise zumindest versucht, die Initiative zu übernehmen, auch durch den Versuch, die Rede knapper (unter einer Stunde) und knackiger zu gestalten. Und er legte mit der Forderung los, die von ihm vorgeschlagene Verfassungsänderungen zu unterstützen: Poroschenko würde nämlich die Ziele des EU- und NATO-Beitritt in der Verfassung verankern – eine Idee für die der ukrainische Präsident von verschiedenen Seiten kritisiert wurde. Dennoch stimmten anschließend 321 Abgeordnete für den Entwurf, der nun vom Verfassungsgericht geprüft werden soll. Außerdem bekräftigte Poroschenko gleich zum Anfang seiner Ansprache die Bedeutung der Visafreiheit mit dem Schengen-Raum und feierte die Tatsache, das mittlerweile zehn Millionen Ukrainer über biometrische Reisepässe verfügen.
Rede als Wahlkampf Eröffnung
Die grundsätzliche Botschaft, die Poroschenko an die Ukrainer senden wollte, war jedoch eine andere. „Armee, Sprache, Glauben“ ist mittlerweile auf vielen Poroschenko-Plakaten im ganzen Land zu sehen – zwar hat der offizielle Wahlkampf noch lange nicht begonnen, dennoch versuchen vor allem Poroschenko und Tymoschenko bereits, die Bürger mit optischer Wahlwerbung zu erreichen. „Es ist kein Slogan“, meinte der 52-Jährige. „Es ist vielmehr die Formel moderner ukrainischer Identität. Die Armee verteidigt unser Land, die ukrainische Sprache verteidigt unser Herz und die Kirche verteidigt unsere Seele.“ Die Armee war zum Zeitpunkt seiner Wahl in einer katastropalen Verfassung, sei mittlerweile aber kampferprobt und relativ gut ausgerüstet. Es gelinge immer mehr, die Ukrainer für die Nutzung der ukrainischen Sprache zu überzeugen. Und schließlich: Man wisse zwar noch nicht, wann die Autokephalie für die geplante unitäre und unabhängige Ukrainisch-Orthodoxe Kirche de jure ausgesprochen wird, dennoch ist die Ukraine dem Status heute näher als je zuvor. Das verbucht Poroschenko als seinen persönlichen Erfolg.
Andauernde Korruption und Krieg als „Rückschläge“
Zwar hat Poroschenko auch einige Fehler und Rückschläge im Kampf gegen die Korruption eingeräumt – und er meinte, die ukrainische Armee müsse weiter improvisieren können, weil die militärischen Möglichkeiten noch immer nicht voll ausreichend sind. Der 52-Jährige entschuldigte sich darüber hinaus wieder für das Versprechen, die Anti-Terror-Operation binnen Stunden zu beenden. Dennoch nutzte er die Parlamentsbühne erwartungsgemäß als die Chance, seinen eigenen Errungenschaften herauszustellen. Dabei deutete Poroschenko indirekt an, er wäre die beste und die einzige Option, um nach dem Superwahljahr 2019 die sogenannte „russische Revanche“ zu vermeiden. „Einige prorussische Kräfte könnten an die Macht kommen“, warnte Poroschenko direkt. Zudem sprach er einen brisanten Vorschlag aus: Die „Einflussagenten“ Russlands in der Ukraine sollten als „ausländische Agenten“ registriert werden – eine ähnliche international umstrittene Gesetzgebung gibt es seit einigen Jahren ausgerechnet in Russland.
Poroschenko kritisiert Russland scharf
In seiner Ansprache griff Poroschenko Russland mehrfach scharf an. Einmal bezeichnete Poroschenko Russland als „Moskowien“ – ein historischer Begriff mit beleidigender Konotation‑, außerdem betonte er, dass Russland kein Teil Europas sei, sondern ein „autoritäres Asiopa“, also eine Art Mischung aus Asien und Europa. Außerdem zitierte er den bekannten US-amerikanischen Politikberater Zbigniew Brzezinski auch diesmal mit der Äußerung, dass das russische Reich ohne die Ukraine unvorstellbar wäre.
Wirklich wichtig ist, dass die offizielle PositionKiews angesichts der möglichen VN-Friedenstruppe im Donbass unverändert bleibt. Die Blauhelmsoldaten sollten aus der Sicht der Ukraine auf dem gesamten von Separatisten besetzten Gebiet stationiert werden und somit in der Lage sein, die Grenze zu Russland zu kontrollieren. Sollte das Mandat der Mission diesen Kriterien nicht ensprechen, könne Kiew die Mission nicht akzeptieren. Angesprochen hat Poroschenko auch den Aufstieg der rechten und linken Parteien in Europa, der aus seiner Sicht von Russland unterstützt wird. Diese Entwicklung könnte für die Ukraine brandgefährlich werden.
Patriotische Rhetorik als Mobilisierung nicht mehr ausreichend
Wirklich Neues war von Petro Poroschenko jedoch nicht zu hören. Es war sein klassischer emotionaler Auftritt, der jedoch weniger strukturiert wirkte und teilweise einen komischen Eindruck hinterließ. So sprang der Präsident in seiner zum Teil erratisch wirkenden Ansprache plötzlich vom Thema zum Thema, obwohl es eigentlich seit seinem Auftritt auf der YES-Konferenz in Kiew vor einer Woche bereits die zweite große programmatische Rede innerhalb kürzester Zeit war. Natürlich ist es nach wie vor nicht ausgeschlossen, dass Petro Poroschenko im nächsten Jahr zum ukrainischen Präsidenten wiedergewählt werden kann. Doch ein wirklich guter Eindruck von den letzten Poroschenko-Auftritten bleibt dem Zuschauer einfach nicht hängen. Dies wiederum könnte damit zu tun haben, dass seine zum Teil aggressiv-patriotische Rhetorik und das damit verbundene Image, das er sich geben möchte, viereinhalb Jahre nach dem Beginn des Krieges im Donbas als zentrales Thema für Wählermobilisierung nicht mehr ausreicht.
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