Der öko­no­mi­sche Druck auf Mariu­pol und Berdjansk wächst

 

Seit vier Jahren wächst der Druck auf die Hafen­städte Mariu­pol und Berdjansk. Zu lange wurde das igno­riert. Vom 28. bis zum 31. Januar besucht eine EU-Dele­ga­tion die Region am Asow­schen Meer, um sich ein Bild von der wirt­schaft­li­chen und sozia­len Situa­tion zu machen. Anschlie­ßend soll über mög­li­che Hilfs­pro­gramme für die von der rus­si­schen Blo­ckade gebeu­telte Region ent­schie­den werden.

Die Ent­schei­dung, eine EU-Beob­ach­ter­mis­sion in die Region zu ent­sen­den, fiel nach sechs Monaten aktiver rus­si­scher Blo­ckade des See­ge­biets im Asow­schen Meer und zweier ukrai­ni­scher Hafen­städte an der Küste. Im Dezem­ber war bereits eine bri­ti­sche Beob­ach­ter Mission vor Ort, die „öko­no­mi­sche Kriegs­füh­rung“ und „lang­same Abschot­tung“ der Region durch Russ­land kritisierte.

Portrait von Elena Ostanina

Sasha E. Ostanina ist Co-Direk­to­rin und Lei­te­rin der Sicher­heits­ri­si­ko­ana­lyse beim Euro­pean Resi­li­ence Studies Centre.

Mariu­pol liegt circa 20–30 Kilo­me­ter süd­west­lich der Donbas-Kon­takt­li­nie, die Regie­rungs- und Sepa­ra­tis­ten­trup­pen von­ein­an­der trennt. Zivilist*innen, die in den öst­li­chen Stadt­tei­len leben, hören fast täglich Schuss­wech­sel zwi­schen den beiden Seiten. Laut Schät­zun­gen der UN fielen den Kampf­hand­lun­gen seit 2014 13.000 Men­schen zum Opfer. Seit Kriegs­be­ginn haben sich 60.000 Bin­nen­ver­trie­bene in Mariu­pol nie­der­ge­las­sen. Ins­ge­samt sind von den 450.000 Einwohner*innen 160.000 Rentner*innen und 40.000 Sozialhilfeempfänger*innen, zusam­men 45% der Stadt­be­völ­ke­rung. Weniger als hundert Kilo­me­ter weiter süd­west­lich liegt die noch klei­nere Stadt Berdjansk, in der die wirt­schaft­li­che Situa­tion noch schlech­ter ist.

Wirt­schaft­li­che Invasivchirurgie

Beide Städte wurden nicht zuletzt dadurch bekannt, dass Streit­kräfte der Rus­si­schen Föde­ra­tion im Novem­ber 2018 drei Schiffe der ukrai­ni­schen Marine von der Ein­fahrt ins Asow­sche Meer hin­derte, diese rammte, beschoss und kaper­ten sowie die 24 Matro­sen gefan­gen nahmen. Was inter­na­tio­nal weniger bekannt ist und mög­li­cher­weise von den ukrai­ni­schen Obrig­kei­ten nicht aus­rei­chend addres­siert wird, ist die Tat­sa­che, dass beide Städte bereits seit vier Jahren massiv unter einer Wirt­schafts­blo­ckade leiden. Bis zu einem gewis­sen Grad wurde die Blo­ckade auf­grund der Infra­struk­tur durch die lang­jäh­rige Tren­nung der Gegend vom Rest des Landes ver­ur­sacht: die natio­na­len Auto­bah­nen, die die Region mit den von ukrai­nisch gehal­te­nen Gebie­ten im Westen ver­bin­den, sind in einem deso­la­ten Zustand; der inter­na­tio­nale Flug­ha­fen von Mariu­pol wurde aus Sicher­heits­grün­den geschlos­sen; mit der Zug­ver­bin­dung aus sowje­ti­scher Zeit benö­tigt man mehr als 17 Stunden für die 800 Kilo­me­ter lange Strecke von Mariu­pol in die Haupt­stadt Kiew; der Güter­trans­port nimmt ab, weil es an Fracht­füh­rern mangelt. Der letzte Schritt, der die wirt­schaft­li­chen Ver­bin­dun­gen mit dem Rest des Landes kappt, ist jedoch das Abtren­nen der See­hä­fen – die letzten Trans­port- und Inves­ti­ti­ons­ar­te­rien der Region.

See­blo­ckade erhöht Druck auf die Region

Die Häfen von Mariu­pol und Berdjansk decken 5% des natio­na­len Güter­trans­por­tes, ein­schließ­lich 20% aller Stahl- und 5% aller Getrei­de­aus­fuh­ren. Der Krieg in der Nach­bar­schaft führte aber zu stän­di­gen Schwan­kun­gen bei der Fracht­ab­wick­lung und zur Aus­set­zung fast aller Inves­ti­ti­ons­pro­jekte in den Häfen. Seit 2014 belie­fen sich allein in Mariu­pol die finan­zi­el­len Ver­luste auf­grund der Unsi­cher­heit auf 220 Mil­lio­nen US-Dollar (ca. 192 Mio. Euro). Im Jahr 2018 sank der Umschlag der beiden Häfen Berdjansk und Mariu­pol gegen­über dem Vorjahr um ent­spre­chend 24% und 10%, davon der Umschlag von Getreide und Metall in Berdjansk um ent­spre­chend 12% und 43%. Die Schlie­ßung der Straße von Kertsch für eine Woche durch die rus­si­schen Behör­den Ende Novem­ber 2018 (offi­zi­ell auf­grund der Wet­ter­lage) ließ die Fracht­rate zu den Ass­wo­schen Häfen um 30% steigen und machte sie dadurch fast doppelt so teuer wie die Häfen im Schwar­zen Meer. Das Stahl- und Minen­un­ter­neh­men Met­in­vest in Mariu­pol, größter Nutzer des Hafens, kal­ku­liert gegen­wär­tig für seine Geschäfte neue Routen, um den See­ver­kehr zu umgehen – genau wie es die meisten land­wirt­schaft­li­chen Unter­neh­men tun werden.

Eine weitere Begren­zung des Zugangs zum Asow­schen Meer geht wie­derum vom Meer selbst aus. Im Dezem­ber 2018 ver­öf­fent­lichte die Ukrai­ni­sche Hafen­be­hörde (USPA) – ein staat­li­ches Unter­neh­men, das für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der ukrai­ni­schen See­hä­fen ver­ant­wort­lich ist – Aus­schrei­bun­gen für das Aus­bag­gern der See­hä­fen in Mariu­pol und Berdjansk. Die zuneh­mende Untiefe des Was­ser­be­reichs hatte die öko­no­mi­sche Nach­hal­tig­keit der Häfen bereits zuvor infrage gestellt: 2017 senkte die USPA die erlaubte Tauch­tiefe in zwei Hafen­zu­fahrts­ka­nä­len von 9,75 und 9,15 Metern auf 7,5 Meter. 2017/​18 miss­lang es der UPSA auf­grund der unge­nü­gen­den Zahl der Auk­ti­ons­bie­ter vier Mal, eine Firma für das Aus­bag­gern zu ver­pflich­ten. Die Folgen dieser vier Jahre dau­ern­den unsicht­ba­ren und der sechs­mo­na­ti­gen aktiven Blo­ckade der Region um das Assw­sche Meer gipfeln aus­ge­rech­net vor dem Super­wahl­jahr in der Ukraine.

Pro-Rus­si­sche poli­ti­sche Instabilität

Im Jahr 2019 finden in der Ukraine sowohl Prä­si­dent­schafts- als auch Par­la­ments­wah­len statt. Kürz­lich durch­ge­führte Mei­nungs­um­fra­gen zeigen auf, dass es eine der zen­tra­len For­de­run­gen der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung – an egal welche poli­ti­sche Person oder Partei – ist, den mili­tä­ri­schen Kon­flikt im Donbass bei­zu­le­gen (57% der Befrag­ten lan­des­weit). Da den Oblas­ten Donetzk und Sapo­rischschja beson­ders an einer Bei­le­gung der mili­tä­ri­schen Kon­fron­ta­tion gelegen ist, könnte die wider­sprüch­li­che Politik der ukrai­ni­schen Poli­ti­ker die Wahr­schein­lich­keit von Anti-Regie­rungs­pro­tes­ten und die Unter­stüt­zung pro-rus­si­scher Kandidat*innen steigen lassen.

Es gibt außer­dem noch eine weitere Her­aus­for­de­rung für die amtie­ren­den ukrai­ni­schen Macht­ha­ber: die Kom­bi­na­tion von Sicher­heits­wah­rung und Wahl­er­folg. Die Ukrai­ni­schen Streit­kräfte geben 2019 der Eta­blie­rung einer mili­tä­ri­schen Flot­ten­ba­sis an der Küste eine zen­trale Prio­ri­tät, um die Russen daran zu hindern, erneut das Asow­sche Meer zu blo­ckie­ren. Auf­grund der zukünf­tig zu erwar­ten­den erhöh­ten Durch­fahrt ukrai­ni­scher Kriegs­schiffe durch die Straße von Kertsch haben die rus­si­schen Behör­den begon­nen, mili­tä­ri­sches Gerät in der Nähe des ukrai­ni­schen Fest­lan­des zu sammeln. Die rus­si­sche Armee hat Hun­derte von Kampf­pan­zern in der rus­si­schen Oblast Rostow, 18 Kilo­me­ter östlich der von der Sepa­ra­tis­ten-Miliz kon­trol­lier­ten Gebiete, zusam­men­ge­zo­gen. Auf dem Mili­tär­flug­ha­fen Belbek auf der Krim wurden Berich­ten zufolge über Hundert Su-27 und Su-30 Kampf­flug­zeuge sta­tio­niert. Vor Kurzem wurden offi­zi­ell zehn solcher Kampf­flug­zeuge aus Russ­land dorthin verlegt. Gleich­zei­tig berich­ten Bewohner*innen der Krim von Konvois mit mili­tä­ri­scher Aus­rüs­tung, die auf dem Weg zur Ver­wal­tungs­grenze zwi­schen der Ukraine und den Sepa­ra­tis­ten seien. All dies ist aber Berich­ten zufolge nur Ergän­zung der Ein­hei­ten von 80.000 Soldat*innen nebst großer Anzahl mili­tä­ri­scher Aus­rüs­tung, ein­schließ­lich vier S‑400 Flug­ab­wehr­sys­teme, die sich bereits auf der Krim und in den von den Separatist*innen kon­trol­lier­ten Gebie­ten befin­den. Die Ukraine schickt ihre Truppen eben­falls näher an die von den rus­si­schen Sepa­ra­tis­ten kon­trol­lier­ten Gebiete: Panzer nach Mariu­pol, Luft­streit­kräfte ans Schwarze Meer und an die Küste des Aswo­schen Meeres – man testet auch das Neptun Anti-See­ziel­flug­kör­per­sys­tem auf dem Übungs­platz in Odesa, aber die mili­tä­ri­sche Leis­tungs­fä­hig­keit dürfte höchst­wahr­schein­lich wesent­lich gerin­ger als die rus­si­sche sein.

Das Ass im Ärmel

Auch wenn es unwahr­schein­lich ist, dass es inner­halb dieses Jahres zu einer mili­tä­ri­schen Offen­sive in der Nähe des Ass­wo­schen Meeres von Seiten Russ­land kommt, darf der Westen seine Augen vor dem Schick­sal der Region nicht ver­schlie­ßen. Vier Jahre Krieg und sechs Monate schi­ka­nie­rende Blo­ckade-Politik Russ­lands haben den öko­no­mi­schen Druck auf die ohnehin gebeu­telte Region enorm erhöht. Russ­land nutzt seine mili­tä­ri­schen Mittel geschickt aus, um die Region langsam vom Rest der Ukraine abzu­schnei­den. Während die Donbas-Kon­flikt­zone von Russ­land immer noch benutzt wird, um die mili­tä­ri­sche und poli­tisch Ein­fluss auf die Ukraine und ihre künf­tige Ent­wick­lung zu nehmen, ent­wi­ckelt sich die Gegend um das Asow­sche Meer all­mäh­lich zu einem öko­no­mi­schen Ass im Ärmel des Kremls. Diese Tat­sa­che ist vier Jahre lang igno­riert worden. Jetzt wird es Zeit, dass die EU und die ukrai­ni­sche Regie­rung schnell Maß­nah­men ergrei­fen, um Infra­struk­tur zu ver­bes­sern, um so drin­gend benö­tigte Inves­ti­tio­nen zu ermög­li­chen. Der Vor­schlag, einen Teil neuer, deut­scher Kredite für den (Aus-)Bau der 226 km langen Straße von Mariu­pol bis Sapo­rischschja zu benut­zen, kann nur ein Anfang sein. Bleibt zu hoffen, dass die EU-Beob­ach­ter Mission schnell, kon­krete Vor­schläge erar­bei­tet und diesen dann ebenso schnell Taten folgen.

Aus dem Eng­li­schen über­setzt von Doro­thea Traupe.

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