Die ukrai­ni­sche Ver­wal­tungs­re­form: Fort­schritte unter­halb der Wahrnehmungsschwelle

Das regio­nale Ser­vice­zen­trum in Charkiw (© shut­ter­stock /​ Andrii Zhezhera)

Während einige Reform­vor­ha­ben stocken und die Par­la­ments- und Prä­si­dent­schafts­wah­len 2019 bereits ihren Schat­ten vor­aus­wer­fen, voll­zieht sich unter­halb der Wahr­neh­mungs­schwelle eine Reihe posi­ti­ver Ent­wick­lun­gen. Ein Bei­spiel ist die Reform der öffent­li­chen Verwaltung.

Die Ukraine rückt näher an Europa heran und passt sich zuneh­mend euro­päi­schen Stan­dards an. Das betrifft nun auch die ukrai­ni­sche Beam­ten­schaft. Während der Reform­pro­zess an einigen Stellen in jüngs­ter Zeit stockt – bei­spiels­weise bei der Ein­rich­tung eines unab­hän­gi­gen Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts – gibt es in anderen Berei­chen, die teils unter der (media­len) Auf­merk­sam­keits­schwelle liegen, erkenn­bare Fort­schritte. So nimmt ins­be­son­dere die Moder­ni­sie­rung der oftmals kor­rup­ten und inef­fek­ti­ven Ver­wal­tung an Fahrt auf.

Dabei sah es zu Beginn der Reform nicht danach aus, als würde dieses Vor­ha­ben von Erfolg gekrönt sein. Zwar hatten Zivil­ge­sell­schaft und inter­na­tio­nale Geld­ge­ber nach der Maij­d­an­re­vo­lu­tion 2014 eine grund­le­gende Refor­mie­rung der ukrai­ni­schen Büro­kra­tie gefor­dert. Auch fand sich das Vor­ha­ben im Regie­rungs­pro­gramm wieder. Greif­bare Resul­tate waren jedoch, abge­se­hen von ver­ein­zel­ten Ent­las­sun­gen in Verruf gera­te­ner Alt­ka­der (Stich­wort „Lus­tra­tion“), zunächst Mangelware.

Neues Gesetz refor­miert ver­al­tete Ver­wal­tung grundlegend

Das änderte sich 2015. Nach langem poli­ti­schen Tau­zie­hen ver­ab­schie­dete die Wer­chowna Rada im Dezem­ber 2015 ein neues Gesetz über den Staats­dienst, das für ukrai­ni­sche Maß­stäbe weg­wei­send ist und sich auch im euro­päi­schen Ver­gleich durch­aus nicht zu ver­ste­cken braucht. Das neue Gesetz, nur ein Teil einer weit­rei­chen­den Reform der staat­li­chen Ver­wal­tung, welche die Regie­rung auf ver­schie­de­nen Ebenen vor­an­treibt, soll chro­ni­sche Intrans­pa­renz und Miss­wirt­schaft bekämp­fen und rechts­staat­li­che Stan­dards stärken.

Trans­pa­renz, Pro­fes­sio­na­lis­mus, Qua­li­fi­ka­tion sowie eine stär­kere poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit der Ver­wal­tung sind die Leit­li­nien der neuen gesetz­li­chen Rege­lung, die sich an Kri­te­rien der Euro­päi­schen Union ori­en­tie­ren, die EU-Part­ner­län­der bei der Ver­wal­tungs­mo­der­ni­sie­rung unter­stüt­zen sollen. Konkret äußert sich das in klaren Kri­tie­rien für den Ein­tritt in den Staats­dienst, trans­pa­rente Aus­wahl­ver­fah­ren, nach­voll­zieh­bare Gehalts­sche­mata und eine bessere Bezahlung.

Eine tief­grei­fende Reform in diesem seit Sowjet­zei­ten kaum refor­mier­ten Bereich war unum­gäng­lich. Das ver­deut­li­chen Umfra­gen, gemäß denen die Mehr­heit der ukrai­ni­schen Bürger ihren Insti­tu­tio­nen mit Miss­trauen ent­ge­gen­tre­ten, da sie sie für korrupt und wenig lösungs­ori­en­tiert halten. Dies gilt auch für die öffent­li­che Ver­wal­tung und so hängt den gut 400.000 Staats­die­nern ein ent­spre­chend schlech­tes Image an.

Trans­pa­rente Aus­wahl­ver­fah­ren sind großer Erfolg

Neue Ansätze mussten her, die im neuen Gesetz nun auch juris­tisch ver­an­kert wurden. Eine der zahl­rei­chen Neue­run­gen stellt der Aus­wahl­me­cha­nis­mus für lei­tende Beamte und Staats­se­kre­täre dar. Wurden diese früher nicht selten nach per­sön­li­chem Gut­dün­ken ein­ge­stellt (und häufig ebenso schnell wieder ent­las­sen), müssen sie heute ein mehr­stu­fi­ges Aus­wahl­ver­fah­ren durch­lau­fen, Qua­li­fi­ka­tio­nen und Sprach­kennt­nisse nach­wei­sen und ihren Pri­vat­be­sitz dekla­rie­ren, um etwaige Zweifel an ihrer Inte­gri­tät aus­zu­räu­men. Die Aus­wahl­ver­fah­ren sind öffent­lich, werden live im Inter­net über­tra­gen und zivil­ge­sell­schaf­li­che Ini­ti­ta­ti­ven sind in den Aus­wahl­gre­mien vertreten.

Nach einigen Anlauf­schwie­rig­kei­ten beschei­ni­gen mitt­ler­weile selbst kri­ti­sche Beob­ach­ter, dass durch diese Ände­run­gen weit­rei­chende Fort­schritte erzielt wurden und die Ver­fah­ren tran­s­a­pa­rent ablau­fen. Ins­ge­samt 1.000 neue Stellen im mitt­le­ren und höheren Ver­wal­tungs­dienst wurden geschaf­fen und mehrere hundert Aus­wahl­ver­fah­ren haben bereits statt­ge­fun­den. In zahl­rei­chen Fällen konnten gut aus­ge­bil­dete junge Men­schen von außer­halb des Systems in ver­ant­wort­li­che Posi­tio­nen gelan­gen – früher prak­tisch unmög­lich –, wo sie zen­trale zukunfts­ge­rich­tete Struk­tur­re­for­men vor­an­trei­ben können.

Die neuen Staats­die­ner ver­die­nen ver­gleichs­weise gut, was die Attrak­ti­vi­tät erhöhen und gleich­zei­tig das Bestechungs­ri­siko ver­rin­gern soll. Glei­ches gilt für die neu geschaf­fe­nen Stellen der Staats­se­kre­täre, die poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit genie­ßen und nicht ohne wei­te­res von den jewei­li­gen Minis­tern ent­las­sen werden können. So soll poli­ti­schen Gefäl­lig­kei­ten für die Chef­eta­gen der Minis­te­rien ein Riegel vor­ge­setzt werden. Die Arbeit von Regie­rung und Ver­wal­tung wird pro­fes­sio­na­li­siert und sta­bi­li­siert so auch den Staat an sich – in Zeiten des Krieges gewis­ser­ma­ßen ange­wand­tes nation buil­ding.

Ver­wal­tungs­re­form wirkt sich posi­tive auf andere Reform­vor­ha­ben aus

Die gesell­schaft­li­che Rele­vanz dieser Reform, die die aus­ge­spro­chene Unter­stüt­zung von Minis­ter­prä­si­dent Hro­js­man genießt und von einem Son­der­mi­nis­ter koor­di­niert wird, hat auch die Euro­päi­sche Union erkannt und enga­giert sich ver­stärkt in Form von tech­ni­scher und finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung. Für den Zeit­raum 2017–2021 hat die EU rund 106 Mil­lio­nen Euro zur Ver­fü­gung gestellt, um die Reform der öffent­li­chen Ver­wal­tung zu fördern. So wurde nicht zuletzt durch diese Unter­stüt­zung die Zahl der Ser­vice­zen­tren, die kom­pe­tent und bür­ger­nah öffent­li­che Dienst­leis­tun­gen anbie­ten, im Zeit­raum von 2013 – 2017 um 50% von ca. 500 auf fast 750 erhöht.

Auch unab­hän­gige Exper­ten aus dem In- und Ausland sind in die Ent­schei­dungs­pro­zesse mit ein­ge­bun­den und bringen sowohl das not­wen­dige Know-how als auch kri­ti­sche Exper­tise ein. Zwar voll­zieht sich die Moder­ni­sie­rung der öffent­li­chen Ver­wal­tung ver­gleichs­weise langsam, aber auf lange Sicht stellt sie eine wich­tige Struk­tur­re­form dar, die die Erneue­rung der Ukraine beschleu­ni­gen wird – ist der Aufbau einer pro­fes­sio­nel­len, effi­zi­en­ten und hand­lungs­fä­hi­gen Ver­wal­tung für das Gelin­gen anderer Refor­men von zen­tra­ler Bedeutung.

Trotz Rück­schlä­gen jetzt schon ein Erfolg

Wie mit so vielen Moder­ni­sie­rungs­vor­ha­ben mussten Initia­to­ren und Unter­stüt­zer der Reform jedoch auch Rück­schläge hin­neh­men. Zum einen sind die Wider­stände von­sei­ten alter Seil­schaf­ten, die vom Status quo pro­fi­tie­ren, beträcht­lich. So wird etwa ein wei­te­res Gesetz, dass die neuen Bestim­mun­gen auf Ange­stellte zahl­rei­cher staat­li­cher Son­der­be­hör­den aus­deh­nen würde, bislang im Par­la­ment nach Kräften blo­ckiert. Auch wurden auf Druck des Prä­si­den­ten die Aus­wahl­ver­fah­ren für die Leiter der Bezirks­ver­wal­tun­gen wieder abge­schafft und diese von den neuen Regeln teil­weise aus­ge­nom­men. Der Ver­lo­ckung, den Ver­wal­tungs­ap­pa­rat für die Siche­rung seiner Macht ein­zu­set­zen, konnte offen­bar auch Poro­schenko (wie viele seiner Vor­gän­ger), nicht wider­ste­hen, zumal er kom­men­des Jahr wie­der­ge­wählt werden will.

Daten belegen den Erfolg der Reform. So hat die Ukraine sich im Global Com­pe­te­ti­ve­ness Rating des Welt­wirt­schafts­forms 2017–2018 um 34 Posi­tio­nen auf den 65. Platz ver­bes­sert und im Open Data Index um 23 Ränge auf Platz 31 nach vorn gescho­ben. Zehn Minis­te­rien befin­den sich nun unter der Leitung eines neu ein­ge­rich­te­ten Koor­di­na­ti­ons­zen­trums in einem Restruk­tu­rie­rungs­pro­zess. Dop­pel­struk­tu­ren sollen so Zug um Zug eli­mi­niert und die Minis­te­rien von bloßen Ver­wal­tungs­or­ga­nen zu poli­tik­ge­stal­ten­den Ana­ly­se­zen­tren umge­stal­tet werden. Mit­tel­fris­tig besteht darüber hinaus die Aus­sicht, dass die wach­sende Zahl an qua­li­fi­zier­ten, jungen und moti­vier­ten neuen Beamten das System zum Bes­se­ren ver­än­dert. Zusam­men­fas­send kann die Reform als Etap­pen­er­folg gelten, ver­deut­licht sie doch, dass ein grund­le­gen­der Wandel auch unter äußerst schwie­ri­gen Rah­men­be­din­gun­gen möglich ist.


Dieser Beitrag basiert auf einer Mas­ter­ar­beit des Autors zum Thema „Der Reform­pro­zess in der Ukraine seit 2014 – Durch­bruch oder Schei­tern? Eine Fall­stu­die zur Reform der öffentlichen Verwaltung.”

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