Die ukrainische Verwaltungsreform: Fortschritte unterhalb der Wahrnehmungsschwelle
Während einige Reformvorhaben stocken und die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019 bereits ihren Schatten vorauswerfen, vollzieht sich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle eine Reihe positiver Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Reform der öffentlichen Verwaltung.
Die Ukraine rückt näher an Europa heran und passt sich zunehmend europäischen Standards an. Das betrifft nun auch die ukrainische Beamtenschaft. Während der Reformprozess an einigen Stellen in jüngster Zeit stockt – beispielsweise bei der Einrichtung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts – gibt es in anderen Bereichen, die teils unter der (medialen) Aufmerksamkeitsschwelle liegen, erkennbare Fortschritte. So nimmt insbesondere die Modernisierung der oftmals korrupten und ineffektiven Verwaltung an Fahrt auf.
Dabei sah es zu Beginn der Reform nicht danach aus, als würde dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sein. Zwar hatten Zivilgesellschaft und internationale Geldgeber nach der Maijdanrevolution 2014 eine grundlegende Reformierung der ukrainischen Bürokratie gefordert. Auch fand sich das Vorhaben im Regierungsprogramm wieder. Greifbare Resultate waren jedoch, abgesehen von vereinzelten Entlassungen in Verruf geratener Altkader (Stichwort „Lustration“), zunächst Mangelware.
Neues Gesetz reformiert veraltete Verwaltung grundlegend
Das änderte sich 2015. Nach langem politischen Tauziehen verabschiedete die Werchowna Rada im Dezember 2015 ein neues Gesetz über den Staatsdienst, das für ukrainische Maßstäbe wegweisend ist und sich auch im europäischen Vergleich durchaus nicht zu verstecken braucht. Das neue Gesetz, nur ein Teil einer weitreichenden Reform der staatlichen Verwaltung, welche die Regierung auf verschiedenen Ebenen vorantreibt, soll chronische Intransparenz und Misswirtschaft bekämpfen und rechtsstaatliche Standards stärken.
Transparenz, Professionalismus, Qualifikation sowie eine stärkere politische Unabhängigkeit der Verwaltung sind die Leitlinien der neuen gesetzlichen Regelung, die sich an Kriterien der Europäischen Union orientieren, die EU-Partnerländer bei der Verwaltungsmodernisierung unterstützen sollen. Konkret äußert sich das in klaren Kritierien für den Eintritt in den Staatsdienst, transparente Auswahlverfahren, nachvollziehbare Gehaltsschemata und eine bessere Bezahlung.
Eine tiefgreifende Reform in diesem seit Sowjetzeiten kaum reformierten Bereich war unumgänglich. Das verdeutlichen Umfragen, gemäß denen die Mehrheit der ukrainischen Bürger ihren Institutionen mit Misstrauen entgegentreten, da sie sie für korrupt und wenig lösungsorientiert halten. Dies gilt auch für die öffentliche Verwaltung und so hängt den gut 400.000 Staatsdienern ein entsprechend schlechtes Image an.
Transparente Auswahlverfahren sind großer Erfolg
Neue Ansätze mussten her, die im neuen Gesetz nun auch juristisch verankert wurden. Eine der zahlreichen Neuerungen stellt der Auswahlmechanismus für leitende Beamte und Staatssekretäre dar. Wurden diese früher nicht selten nach persönlichem Gutdünken eingestellt (und häufig ebenso schnell wieder entlassen), müssen sie heute ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen, Qualifikationen und Sprachkenntnisse nachweisen und ihren Privatbesitz deklarieren, um etwaige Zweifel an ihrer Integrität auszuräumen. Die Auswahlverfahren sind öffentlich, werden live im Internet übertragen und zivilgesellschafliche Inititativen sind in den Auswahlgremien vertreten.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bescheinigen mittlerweile selbst kritische Beobachter, dass durch diese Änderungen weitreichende Fortschritte erzielt wurden und die Verfahren transaparent ablaufen. Insgesamt 1.000 neue Stellen im mittleren und höheren Verwaltungsdienst wurden geschaffen und mehrere hundert Auswahlverfahren haben bereits stattgefunden. In zahlreichen Fällen konnten gut ausgebildete junge Menschen von außerhalb des Systems in verantwortliche Positionen gelangen – früher praktisch unmöglich –, wo sie zentrale zukunftsgerichtete Strukturreformen vorantreiben können.
Die neuen Staatsdiener verdienen vergleichsweise gut, was die Attraktivität erhöhen und gleichzeitig das Bestechungsrisiko verringern soll. Gleiches gilt für die neu geschaffenen Stellen der Staatssekretäre, die politische Unabhängigkeit genießen und nicht ohne weiteres von den jeweiligen Ministern entlassen werden können. So soll politischen Gefälligkeiten für die Chefetagen der Ministerien ein Riegel vorgesetzt werden. Die Arbeit von Regierung und Verwaltung wird professionalisiert und stabilisiert so auch den Staat an sich – in Zeiten des Krieges gewissermaßen angewandtes nation building.
Verwaltungsreform wirkt sich positive auf andere Reformvorhaben aus
Die gesellschaftliche Relevanz dieser Reform, die die ausgesprochene Unterstützung von Ministerpräsident Hrojsman genießt und von einem Sonderminister koordiniert wird, hat auch die Europäische Union erkannt und engagiert sich verstärkt in Form von technischer und finanzieller Unterstützung. Für den Zeitraum 2017–2021 hat die EU rund 106 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Reform der öffentlichen Verwaltung zu fördern. So wurde nicht zuletzt durch diese Unterstützung die Zahl der Servicezentren, die kompetent und bürgernah öffentliche Dienstleistungen anbieten, im Zeitraum von 2013 – 2017 um 50% von ca. 500 auf fast 750 erhöht.
Auch unabhängige Experten aus dem In- und Ausland sind in die Entscheidungsprozesse mit eingebunden und bringen sowohl das notwendige Know-how als auch kritische Expertise ein. Zwar vollzieht sich die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung vergleichsweise langsam, aber auf lange Sicht stellt sie eine wichtige Strukturreform dar, die die Erneuerung der Ukraine beschleunigen wird – ist der Aufbau einer professionellen, effizienten und handlungsfähigen Verwaltung für das Gelingen anderer Reformen von zentraler Bedeutung.
Trotz Rückschlägen jetzt schon ein Erfolg
Wie mit so vielen Modernisierungsvorhaben mussten Initiatoren und Unterstützer der Reform jedoch auch Rückschläge hinnehmen. Zum einen sind die Widerstände vonseiten alter Seilschaften, die vom Status quo profitieren, beträchtlich. So wird etwa ein weiteres Gesetz, dass die neuen Bestimmungen auf Angestellte zahlreicher staatlicher Sonderbehörden ausdehnen würde, bislang im Parlament nach Kräften blockiert. Auch wurden auf Druck des Präsidenten die Auswahlverfahren für die Leiter der Bezirksverwaltungen wieder abgeschafft und diese von den neuen Regeln teilweise ausgenommen. Der Verlockung, den Verwaltungsapparat für die Sicherung seiner Macht einzusetzen, konnte offenbar auch Poroschenko (wie viele seiner Vorgänger), nicht widerstehen, zumal er kommendes Jahr wiedergewählt werden will.
Daten belegen den Erfolg der Reform. So hat die Ukraine sich im Global Competetiveness Rating des Weltwirtschaftsforms 2017–2018 um 34 Positionen auf den 65. Platz verbessert und im Open Data Index um 23 Ränge auf Platz 31 nach vorn geschoben. Zehn Ministerien befinden sich nun unter der Leitung eines neu eingerichteten Koordinationszentrums in einem Restrukturierungsprozess. Doppelstrukturen sollen so Zug um Zug eliminiert und die Ministerien von bloßen Verwaltungsorganen zu politikgestaltenden Analysezentren umgestaltet werden. Mittelfristig besteht darüber hinaus die Aussicht, dass die wachsende Zahl an qualifizierten, jungen und motivierten neuen Beamten das System zum Besseren verändert. Zusammenfassend kann die Reform als Etappenerfolg gelten, verdeutlicht sie doch, dass ein grundlegender Wandel auch unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen möglich ist.
Dieser Beitrag basiert auf einer Masterarbeit des Autors zum Thema „Der Reformprozess in der Ukraine seit 2014 – Durchbruch oder Scheitern? Eine Fallstudie zur Reform der öffentlichen Verwaltung.”
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