Sicherheitsrisiken im Schwarzen und Asowschen Meer im Jahr 2021
- Foto: Andrew Eder / U.S. Navy / Imago Images
Das US-Kommandoschiff USS Mount Whitney vor dem Lenkwaffenzerstörer USS Porter während einer gemeinsamen Patrouille mit NATO-Verbündeten am 12. November 2021 im Schwarzen Meer.
Seit der Annexion der Krim baut Russland die ukrainische Halbinsel konsequent zu einem militärischen Stützpunkt aus. Das dort konzentrierte Vernichtungspotenzial projiziert Moskaus Macht bis in den Nahen Osten und ins Mittelmeer. Der Westen muss der schleichenden Besetzung des Schwarzen Meeres schleunigst Einhalt gebieten, schreibt Andrij Klymenko.
1. Die Militarisierung der Krim und des Schwarzen Meeres: grundlegende Trends im achten Jahr der Besetzung
Seit den ersten Tagen der Besetzung der Krim gab es keinen Zweifel daran, dass der Hauptzweck dieser Spezialoperation à la Putin darin besteht, den russischen Militärstützpunkt in Sewastopol zu erhalten und auszubauen. Dabei zeigte sich Russland im ersten Jahr der Besatzung, also bis Mitte 2015, bemüht, der schockierten Weltöffentlichkeit sowie der eigenen Bevölkerung ein buntes Potpourri von Ideen nicht zur militärischen, sondern zur touristischen Entwicklung seiner Militärtrophäe als „neues Schaufenster Russlands“ zu verkaufen, besser noch als das olympische Sotschi.
Tatsächlich führte die Russische Föderation nur ein einziges Programm durch – die „militärische Inbesitznahme“ der Krim. Das zwei Wochen nach der Annexion gegründete „Ministerium für die Belange der Krim“ wurde bereits im Juli 2015 aufgelöst. Ein Jahr darauf, im Juli 2016, wurde der Status der Krim und Sewastopols durch die Auflösung des „Föderationskreises Krim“ herabgestuft. Die „Föderationssubjekte“ Republik Krim und Sewastopol wurden in den Föderationskreis Südrussland mit Rostow-am-Don als administratives Zentrum eingegliedert. Somit wurde die staatliche mit der militärischen Verwaltung zusammengeführt, da sämtliche militärischen Verbände Russlands auf der Krim von Anfang an Bestandteil des Südlichen Militärbezirks waren, dessen Stab seinen Sitz in Rostow-am-Don hat.
Die Militarisierung der Krim ist nicht nur zum Hauptinhalt der russischen Krimpolitik geworden, sondern auch zum maßgeblichen Wirtschaftstreiber der Halbinsel. Infolgedessen bestand die augenfälligste „Erfolgsgeschichte“ Russlands auf der Krim in der „militärischen Inbesitznahme“ ihres Territoriums:
- Es entsteht die europaweit größte Konzentration russischer Truppen;
- Es werden – im Vergleich zu anderen russischen Militärbezirken – vorrangig neue und neuartige Waffen und Geräte auf die Krim verlagert;
- Sämtliche aus Sowjetzeiten stammende Militärflugplätze (fast 10 Stück) werden wiederhergestellt, ebenso wie Raketenabschussrampen, Luftverteidigungseinrichtungen, Radaranlagen sowie Atomwaffenlager;
- Zur Stationierung neuer Verbände wird der Bau neuer und die Instandsetzung alter Militärlager und ‑unterkünfte vorangetrieben;
- Die Anzahl von Militär- und Spezialeinheiten nimmt zu;
- Aufgrund gezielt vergebener Militäraufträge nimmt die Tätigkeit von Schlüsselunternehmen des Militärisch-Industriellen Komplexes (Militärvorrichtungen, Schiffsbau und ‑wartung) an Fahrt auf; diese sind bereits in russische staatseigene Konzernstrukturen integriert.
Sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens – Gesellschaft, Menschenrechte, Öffentlichkeit, nationalstaatliche Politik – sind dieser „Brückenkopfideologie“ untergeordnet.
Die militärische „Inbesitznahme“ der Krim begann in den ersten Tagen der Besetzung der Halbinsel. Bereits am 9. Mai 2014 nahmen die mobilen Marschflugkörpersysteme „Bal“ und “Bastion‑P“ an einer Militärparade in Sewastopol teil. Im Mai/Juni 2014 wurden mobile Boden-Luft-Raketensysteme vom Typ „S‑400“ in der Nähe von Feodosija stationiert. Im November 2014 tauchten die ersten operativ-taktischen Raketensysteme vom Typ „Iskander‑M“ auf. Bereits im Jahr 2014 nahm der unterirdische, an der Küste bei Sewastopol gelegene Raketenschacht „Utes“ seinen Betrieb auf.
Im Jahr 2021 war die umfassende Stärkung der russischen Schwarzmeerflotte beinahe abgeschlossen. In dieser Zeit wurden 13 neue Raketenschiffe und U‑Boote herangeschafft (mit einer Salvenkapazität von mehr als 100 Marschflugkörpern); bis Ende 2022 wird ihre Zahl auf 18 steigen. Es sind die gleichen Flugkörper vom Typ „Kalibr“, die 2015 in Syrien zum Einsatz kamen und die westliche sicherheitspolitische Community in helle Aufregung versetzt haben. Sie sind in der Lage, Bodenziele auf den britischen Inseln sowie Spanien zu erreichen und können mit einem Nuklearsprengkopf bestückt werden.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass nukleare Sprengköpfe für Marine- und Küstenraketensysteme seit 2015/16 auf dem Territorium der Krim stationiert sind. Bereits zwischen März und Mai 2014 übernahm das russische Militär die Kontrolle über eines der größten Atomwaffenlager der UdSSR – die Anlage „Feodosia-13“. Im Januar 2015 wurde ein territoriales Organ der Krim als 12. Hauptdirektion des Generalstabs des russischen Verteidigungsministeriums gegründet, dem die Aufsicht über die nuklearen Sprengköpfe unterstellt ist. Bereits im April 2015 wurden Güterwaggons mit „Radioaktiv“-Warn-Inschriften auf der Strecke zwischen Rostow und der Halbinsel registriert. Davor wurden ähnliche Ladungen wiederholt nahe der Stadt Sudak bemerkt.
Die Anlage „Feodosia-13“ im Dorf Kyzyltasch (Krasnokamjanka) im Gebirgszug zwischen Sudak und Koktebel ist seit 1955 in Betrieb und dient der Lagerung von nuklearer Munition. In der Anlage wurden Atomwaffen gelagert, die 1956 bei Übungen auf dem Testgelände Semipalatinsk zum Einsatz kamen. 1959 wurden die ersten Atomsprengköpfe aus Kyzyltash in die damalige DDR (nach Fürstenberg/Havel) verlagert. Im September 1962, am Vorabend der Kubakrise, wurden sechs in Kyzyltasch gelagerte Luftbomben nach Kuba verschickt.
Russland hat die Umrüstung der Krim zu einer militärisch-industriellen Basis abgeschlossen – mit Dienstleistungen in den Bereichen Schiffsbau und ‑wartung, Instandsetzung von Flugzeugen und der Nutzung von Raketen.
In den ukrainischen Vorzeigewerken der Halbinsel haben die russischen Besatzer bereits neun Raketenschiffe gebaut bzw im Bau, zwei weitere, für Russland einzigartige Angriffsschiffe sollen bis 2028 fertiggestellt sein. Diese Schiffe sind bestückt mit Hubschraubern, Drohnen sowie Senkrechtstartern. Ihre Geheimhaltung lässt vermuten, dass Russland in Wirklichkeit die Konstruktion mittelgroßer Flugzeugträger plant. Nicht weniger wichtig ist die zunehmende Spezialisierung der Krim auf solche Arbeitsbereiche wie die Reparatur und Wartung von Militärflugzeugen, Hubschraubern, Flugabwehr-Raketensystemen sowie in Küstengebieten stationierten Marschflugkörpern, die sich nicht nur auf der Krim befinden, sondern auch in Syrien.
Das auf der besetzten Krim in Form von Raketen konzentrierte Vernichtungspotenzial hat zu einem absoluten militärstrategischen Vorteil Russlands in der Schwarzmeerregion geführt und stellt eine Machtprojektion bis in den südlichen Kaukasus, den Nahen Osten sowie das Mittelmeer dar. Die Militarisierung der Halbinsel ist bereits zu einer Bedrohung für ganz Europa geworden.
Seit Ende 2015 ist die Krim einer der wichtigsten Brückenköpfe Russlands im Syrienkrieg. Die Schwarzmeerflotte ist einer der Hauptakteure am Kriegsschauplatz Syrien: von 100 abgefeuerten Marschflugkörpern des Typs „Kalibr“ kamen 56 von Schiffen der russischen Schwarzmeerflotte. Vom besetzten Sewastopol aus werden Waffen, Ausrüstung und Munition auf Schiffen der Schwarzmeerflotte an das Assad-Regime und an die russischen Militärstützpunkte in Syrien geliefert – der sogenannte Syrien-Express.
Erst die Existenz des während der Okkupation geschaffenen militärischen Potenzials auf der Krim hat die russischen Aktivitäten möglich gemacht, die wir jetzt beobachten können:
- Eine ständige militärische Drohung mit weiterer Aggression gegen die Ukraine;
- Die de-facto Besatzung des Schwarzen und des Asowschen Meeres;
- Die Schaffung von Hindernissen für den freien Schifffahrtshandel;
- Eine starke Zunahme von Marineübungen mit nicht-simuliertem Kampffeuer;
- Eine gefährliche Zunahme von Zwischenfällen auf See, die zu bewaffneten Zusammenstößen führen können.
Seit 2018 wird nicht nur immer wichtiger, was auf der besetzten Halbinsel selbst passiert, sondern auch, wie Russland die Krim zur militärischen Bedrohung nutzt.
Natürlich lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen, welche Szenarien Russland bei der Nutzung der militärischen Kapazitäten, die es auf der besetzten Halbinsel geschaffen hat, realisieren wird. Ein heißer Krieg im Schwarzen und im Asowschen Meer, ausgehend vom der Krim als Basis für Militäreinsätze gegen die küstennahen Regionen der Ukraine sowie gegen Georgien und die Republik Moldau – diese Szenarien sind durchaus real.
Die NATO ist sich der Bedrohung für die internationale Sicherheit durch die Militarisierung der Krim mittlerweile bewusst und hat mit einer Revision ihrer Pläne und Maßnahmen begonnen. Dabei hat sie jedoch bis heute keine endgültige Lösung für das Problem gefunden, wie Russlands Aktivitäten im Schwarzen Meer eingedämmt werden könnte.
2. Die Lage im Asowschen Meer
2.1. Schikanierung von Handelsschiffen durch die russische Küstenwache.
Die ständigen Schikanen gegen Handelsschiffe, die vom Schwarzen durch das Asowsche Meer zu den ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk und wieder zurückfahren, begann im Mai/Juni 2018 – unmittelbar nach Inbetriebnahme der Krim-Brücke. Russland begann, die Schiffe, die unter der Brücke durchfahren müssen, für angebliche Sicherheitsinspektionen aufzuhalten, um sie auf „Sabotagegruppen“ zu untersuchen, die das Ziel hätten, die Brücke (Putins Lieblingsprojekt) zu zerstören.
Von Mai bis Oktober 2018 hat „Black Sea News“ 110 solcher Kontrollen von Handelsschiffen (nach/von Mariupol und Berdjansk) während ihrer Fahrt durch das Asowsche Meer durch die russische Küstenwache dokumentiert. In 56 Fällen hatten die betroffenen Schiffe einen EU-Bezug (dazu gleich mehr). Ein erheblicher Teil dieser Kontrollen fand demonstrative fünf bis sieben Seemeilen vom Hafen Mariupol entfernt statt. Die Schikanen endeten im Oktober 2018. Dafür gibt es zwei Gründe:
- Patrouillen zweier kleiner gepanzerten Küstenschutzboote der ukrainischen Marine im Asowschen Meer entlang dem Seeweg „Straße von Kertsch – Berdjansk – Mariupol“;
- Politischer und diplomatischer Druck des Westens auf Moskau und Berichterstattung in westlichen Medien.
Doch die Schikanen gegen Schiffe in der Straße von Kertsch dauern bis heute an. Jeden Monat laufen 60 bis 100 Schiffe ukrainische Häfen an und passieren dabei auf der Hin- und Rückfahrt die Straße von Kertsch. Bis Mai 2018 betrug die durchschnittliche Wartezeit für eine Durchfahrtserlaubnis pro Schiff etwa fünf bis sieben Stunden; in der zweiten Jahreshälfte stieg die Wartezeit auf nie dagewesene 80 bis 115 Stunden pro Schiff. Seit Dezember 2018 ist diese Zeit infolge der drohenden Einführung internationaler Sanktionen gegen die russischen Häfen im Asowschen Meer auf 37,4 Stunden im Jahr 2019 und 29,6 Stunden 2020 gesunken. Für die ersten neun Monate des Jahres 2021 wurde ein erneuter Anstieg auf 39,9 Stunden pro Schiff registriert. Somit liegt die Wartezeit um das sieben- bis achtfache höher als vor Beginn der russischen Manöver.
Die Frachtschiffe liefern zwischen fünf und sieben Prozent der ukrainischen Exporte (hauptsächlich Metall und Getreide) aus. Etwa 50 Prozent der Schiffe sind auf die ein oder andere Weise mit der EU verbunden (entweder durch ihre Flagge, die Reederei, oder den Heimathafen). Die Beeinträchtigungen der Schifffahrt gelten als Druckmittel Russlands für andere Bereiche – etwa zur Wiederaufnahme der Dnjepr-Wasserversorgung der besetzten Krim.
Es bleibt festzuhalten, dass sich die Wartezeit für Schiffe, die russische Häfen anlaufen, nicht geändert hat.
2.2 Zwischenfall mit ukrainischen und russischen Militärbooten im April 2021
In der Nacht auf den 15. April 2021 kam es zu einem Zwischenfall im Asowschen Meer mit drei ukrainischen Marinebooten und fünf Booten sowie einem Schiff der russischen Küstenwache. Quellen von BlackSeaNews zufolge führten mindestens fünf russische Boote konzertierte Provokationsmanöver gegen die ukrainischen durch. Als Reaktion sahen sich die ukrainischen Seeleute gezwungen, auf ihre Bereitschaft zum Einsatz von Waffengewalt hinzuweisen. Der Vorfall ereignete sich 25 Seemeilen von der Straße von Kertsch entfernt, während die ukrainischen Boote Handelsschiffe eskortierten.
Im Rahmen des russischen Truppenaufmarsches vom Frühjahr 2021 verlegte am 14. April 2021 eine Gruppe von Schiffen der russischen Flottille im Kaspischen Meer – 11 Lande- und Küstenschutzboote – auf die besetzte Krim. Dabei kam es zu einem Versuch, ukrainische Marineboote abzudrängen, um zu verhindern, dass sie sich der kaspischen Flottille nähern.
2.3. Vorfall zwischen ukrainischen und russischen Küstenschutzbooten im Mai 2021
Ende Mai 2021 führte die ukrainische Marine gemeinsam mit der Küstenwache taktische Übungen im Asowschen Meer durch. Daran waren 10 ukrainische Militärboote beteiligt. Das Übungsareal wurde für die Schifffahrt gesperrt, worüber die ukrainische Marine die russische Seite im Vorfeld in Kenntnis gesetzt hatte, was jene aber bewusst ignorierte.
Drei Schiffe der russischen Küstenwache versuchten, die Übungen zu stören. Eines der Schiffe nahm Kurs auf die ukrainischen Boote und versuchte diese, sämtliche Warnungen ignorierend, von ihrem Kurs abzubringen. Als die Mannschaft auf dem russischen Schiff erkannte, dass sich die ukrainischen Küstenschutzboote schnell näherten, gaben sie die Meldung aus, die Warnung verstanden zu haben und der Aufforderung zum Verlassen des Übungsareals nachzukommen.
3. Die Lage im Schwarzen Meer
3.1. Ausbau des russischen Marineverbunds im März/April 2021
Ende März 2021 ließ Russland entlang der Grenze zur Ukraine in den Gebieten Brjansk, Woronesch und Rostow, sowie in den besetzten Gebieten des Donbas und der Krim, zur Vorbereitung auf das im September stattfindende Militärmanöver „Sapad 2021“ eine große Zahl von Truppen – darunter auch Teile der Seekriegsflotte – aufmarschieren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Russland fast sämtliche Schiffe seiner Schwarzmeerflotte im Schwarzen Meer konzentriert – also die Zahl der vor der syrischen Küste als Teil des russischen „Mittelmeergeschwaders“ stationierten Schiffe reduziert.
Am 15. April 2021 erreichte ein Verbund von 15 Schiffen der Kaspischen Flottille, darunter 8 Hochgeschwindigkeits-Landungsboote und drei Küstenschutzboote, die Krim durch den Wolga-Don-Kanal und das Asowsche Meer.
Am 17. April 2021, auf dem Höhepunkt des russischen Aufmarsches, liefen an einem einzigen Tag vier große Landungsschiffe anderer russischer Flotten in das Schwarze Meer ein: zwei aus der Nordmeerflotte, zwei aus der Baltischen Flotte. Zusammen mit der russischen Schwarzmeerflotte befanden sich an dem Tag insgesamt 11 Landungsschiffe vor Ort. Sie konnten gleichzeitig 3.700 Landungstruppen und bis zu 150 Panzer (alternativ 230 Schützen- oder 150 Lastkraftwägen) aufnehmen.
Die Konzentration dieses Verbundes von Schiffen zeugt von der Fähigkeit großer Landungsoperationen an der ukrainischen Schwarzmeerküste. Diese zusätzlichen Seestreitkräfte blieben bis zum 6./7. Juli im Schwarzen Meer.
3.2. Der „Krieg der Militärübungen“ im Vorfeld von Sea Breeze 2021
Im Sommer 2021 kam es – das zweite Jahr in Folge – zu der Situation, dass die ukrainische Marine, vereinfacht gesagt, einige Areale des Schwarzen Meeres für die internationale Militärübung Sea Breeze 2021 „reserviert“ hatte, die vom 28. Juni bis 10 Juli 2021 stattfand. Ebenfalls das zweite Jahr in Folge „übersah“ das Hydrographische Institut der spanischen Marine, das für Warnungen (Coastal Warnings) vor Sperrungen im Schwarzen Meer zuständig ist, hartnäckig die ukrainischen Meldungen. Gleichzeitig veröffentlicht es Warnungen der russischen Schwarzmeerflotte, die viel später herausgegeben wurden. Infolgedessen kommt es zu Situationen, in denen feindlich gesinnte Staaten im selben Areal Marineübungen durchführen.
Auf Ersuchen des ukrainischen Marinekommandos gab der Staatliche Hydrographiedienst der Ukraine noch am 5. Juni 2021 eine Küstenwarnung heraus – die entsprechenden Gebiete sind auf der Karte grau markiert und mit gelbem Text unterlegt.
Der internationale Koordinator (die spanische Regierung, vertreten durch das Instituto Hidrográfico de la Marina mit Sitz in Cádiz) hat diese ukrainische Warnung 20 Tage lang – vom 5. bis zum 24. Juni 2021 – nicht auf seiner Homepage veröffentlicht. Dafür veröffentlichte das spanische institut in diesem Zeitraum eine Reihe von Meldungen der russischen Schwarzmeerflotte über die Sperrung von acht Arealen, die zwischen dem 12. und dem 14. Juni 2021 bekanntgegeben wurden (auf der Karte durch rote Linien gekennzeichnet).
Das Problem wurde erst nach einer Intervention des ukrainischen Außenministeriums und der ukrainischen Botschaft in Spanien gelöst. Weitere Details zu dem Vorfall finden Sie hier.
3.3. Virtuelle Manifestationen des hybriden Krieges Russlands: GPS-Spoofing im Vorfeld von Sea Breeze 2021
Als GPS-Spoofing bezeichnet man ein künstlich erzeugtes Signal, das die tatsächliche Position von Schiffen auf den Karten elektronischer Seedienste verfälscht.
Am 18./19. Juni 2021 wurden infolge eines Hackerangriffes die Transpondersignale des britischen Zerstörers HMS Defender (D 36), der niederländischen Fregatte HNLMS Evertsen (F 805) sowie des US-Zerstörers USS Ross (DDG-71) gestört. Auf den Navigationsmonitoren erschien ein Bild, demzufolge sich die ersten beiden Kriegsschiffe dem besetzten Sewastopol nähern und das dritte durch die Straße von Kertsch in das Asowsche Meer fuhr. Tatsächlich befanden sich alle Schiffe zu diesem Zeitpunkt im ukrainischen Hafen Odesa.
Ähnlich gelagerte Vorfälle dokumentieren wir seit 2017. Im Juni 2017 etwa beklagten sich knapp 20 Schiffe im Schwarzen Meer über GPS-Unregelmäßigkeiten, so dass der angezeigte Standort der Schiffe nicht mit ihrem tatsächlichen Standort übereinstimmte. Diese Unregelmäßigkeiten wurden etwa an der russischen Schwarzmeerküste rund um das als „Putins Palast“ bekannt gewordene Bauwerk bei Gelendschik beobachtet.
3.4. Der Vorfall mit dem britischen Zerstörer HMS Defender
Am 23. Juni 2021 versuchten russische Schiffe, die Überfahrt des britischen Zerstörers HMS Defender (D 36) auf der Route von Odesa nach Batumi (Georgien) zu behindern.
Diese internationale Route hat sich seit der Sowjetzeit nicht geändert und ist auf allen Seekarten verzeichnet. Dabei ragt sie drei Meilen in die Zwölfmeilenzone der ukrainischen Hoheitsgewässer vor der Krim.
Die russische Korvette „Pawel Derschawin“ warnte zunächst das britische Schiff, zur eigenen Sicherheit den Kurs zu ändern. Der britische Kapitän antwortete, dass er die Nachricht empfangen habe und weiter auf Kurs bleiben werde.
In der Folge änderte der britische Zerstörer seinen Kurs nicht, trotz russischer Warnungen vor möglichem Beschuss und russischen Manöverschüssen unweit davon sowie bis zu 20 Überflügen. Das Verhalten der HMS Defender sind als Operation zur Unterstützung der Schifffahrtsfreiheit (Freedom of Navigation Operations) zu interpretieren – also als demonstrativen Widerstand gegen überzogene Ansprüche seitens Russland.
3.5. Vorfall mit der niederländischen Fregatte HNLMS Evertsen
Am 24. Juni 2021 – während des Aufenthalts der niederländischen Fregatte HNLMS Evertsen (F 805) im Schwarzen Meer – provozierten russische Flugzeuge in der Nähe dieses Schiffes eine gefährliche Situation. Nach Angaben des niederländischen Verteidigungsministeriums flog ein Flugzeug wiederholt und riskant niedrig über das Schiff und simulierte dabei Angriffe. Die Fregatte Evertsen habe sich dabei in internationalen Gewässern befunden“, betonte das Ministerium in einer am 29. Juni veröffentlichen Erklärung.
Verteidigungsministerin Ank Bijleveld bezeichnete Russlands Vorgehen als unverantwortlich: „Die Evertsen hat jedes Recht, sich in den Gewässern aufzuhalten. Es gibt also keine Ausrede für solch aggressives Verhalten, welches die Gefahr von Zusammenstößen erhöht“, erklärte sie.
3.6. Neue Praktiken der russischen hybriden Kriegsführung – eine Barriere aus Fake-Übungen rund um die Krim
Im September 2021 blockierte Russland unter dem Vorwand, Übungen abhalten zu wollen, erstmals die Gewässer um die Krim in ihrer gesamten Ausdehnung – außerhalb der 12-Meilen-Zone.
Die nachfolgende Karte zeigt die russischen Sperrzonen im Schwarzen Meer am 21. September 2021. Die entsprechenden Gebiete sind gelb markiert:
Die Sperrung der Südflanke der Krim durch Russland dauerte fast drei Monate – vom 17. September bis zum 9. Dezember 2020. Zwei neuerliche Sperrungen fanden vom 15. Januar bis 8. Februar 2021, sowie vom 22. Februar bis 13. März 2021 statt. Die Sperrungen fielen in der Regel mit der Präsenz von Kriegsschiffen aus NATO-Staaten, die keine Schwarzmeeranrainer sind, zusammen.
Die russische Praxis, riesige Areale im Schwarzen Meer zu sperren ist nicht neu – aber in der Regel wird das Areal größer und die Sperrung länger. Die letzte dauerte mehr als sechs Monate – vom 16. April bis zum 31. Oktober 2021. So testet Moskau die Reaktionen für seine nächsten Schritte.
Zudem wurden beim letzten Manöver erstmals die Zugänge zur Straße von Kertsch blockiert – zunächst nur für militärische Schiffe und solche, die unter staatlicher Flagge fahren. Zuvor war dort stets ein Korridor zwischen den gesperrten Arealen geblieben.
Russland untergräbt damit das internationale System, das die Sicherheit im Schiffsverkehr gewährleisten soll, und setzt Schritt für Schritt sein Ziel der Verwandlung des Schwarzen Meeres in ein „russisches Gewässer“ durch.
3.7. Festnahme ukrainischer Fischer aus Otschakiw durch die russische Küstenwache am 20. April 2021
Die lila Linie auf der Karte markiert die Zwölfmeilenzone (Territorialgewässer der Ukraine)
Am 20. April 2021 griff die russische Küstenwache 40 Seemeilen nordwestlich des Kaps von Tarchanut (50 Meilen von Odesa) das ukrainische Fischerboot „YaOD-2483“ aus Otschakiw auf. Die russische Seite rechtfertigte das Vorgehen mit der Bahuptung, die Fischer hätten Steinbutte in der russischen Wirtschaftszone (!!)gefangen. Am 21. April wurde der Kapitän von einem russischen Gericht der Wilderei schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Boot wurde auf die besetzte Krim gebracht, die Fischer wurden nach Zahlung der Geldstrafe freigelassen.
3.8. Ansprüche Russlands auf die ausschließliche Seewirtschaftszone der Ukraine, die an die Krim grenzt
Der Zwischenfall mit den Fischern ist kein Einzelfall. Einzigartig ist daran lediglich, dass Russland die Schwarzmeerregion, in der die Fischer festgenommen wurden, in der Öffentlichkeit zunehmend als „ausschließliche Seewirtschaftszone der Russischen Föderation“ bezeichnet.
Dabei geht es nicht nur um Fischer. Mit solchen „Argumenten“ sowie der Durchführung von Militärübungen werden Areal-Sperrungen im Schwarzen Meer begründet, welche den freien Schiffsverkehr um die besetzten Krim behindern. Auch wird damit russische Gasförderung auf 2014 eroberten ukrainischen Offshore-Plattformen auf dem Schelf des Schwarzen Meeres gerechtfertigt.
Somit beansprucht Russland nach der Besetzung der Krim den relevanten Teil der ausschließlichen Seewirtschaftszone der Ukraine im Schwarzen Meer.
4. Prognose der Ereignisse im Schwarzen und Asowschen Meer
Russlands Ansprüche auf ukrainische Gewässer und die ausschließliche Seewirtschaftszone könnten an Intensität zunehmen.
95 Prozent der ukrainischen Seeausfuhren werden über die Häfen der Regionen Odesa, Mykolajiw und Cherson abgewickelt. Somit liegen die wichtigsten Export/Import-Routen der Ukraine im Schwarzen Meer und führen über den Bosporus. Gleichzeitig liegen entlang der Seewege von Odesa zum Bosporus sowie von Odesa nach Batumi und zu den türkischen Schwarzmeerhäfen ukrainische Gas- und Ölbohrinseln, die von Russland 2014 beschlagnahmt wurden.
Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass russische Kriegsschiffe damit beginnen, Handelsschiffe zu überprüfen, die von ukrainischen Häfen aus den Bosporus ansteuern, vorbei an den beschlagnahmten ukrainischen Gas- und Ölbohrplattformen auf dem Schelf, die Russland schon lange als seinen Besitz betrachtet. Die Grundlage für solche Inspektionen ist die „Asowsche Legende“, also die Anwesenheit von Saboteuren und Sprengstoff.
In naher Zukunft ist eine Zementierung der faktischen russischen Besetzung des ukrainischen Schelfs im Schwarzen Meer fast bis an die Küste der Region Odesa zu erwarten.
5. Maßnahmen zur Verhinderung eines Krieges im Schwarzen Meer
5.1. Politik der Nichtanerkennung der Krim-Anexion sowie der schleichenden Besetzung des Schwarzen und Asowschen Meeres
Im maritimen und seemilitärischen Bereich, einschließlich der Navigation und Kartographie, müssen internationale Regeln geschaffen werden, welche die UN-Resolution vom 27. März 2014 über die Nichtanerkennung des rechtswidrig durch Russland geänderten Status der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol weiterentwickeln und konkretisieren. Wichtig ist zudemdas Unterlassen von Handlungen oder Schritten, die als Anerkennung der Annexion ausgelegt werden könnten. Dazu gehört etwa ein Verbot der Publikation, Verbreitung und Darstellung von Karten jedweder Form, in denen die Halbinsel Krim sowie die ausschließliche Seewirtschaftszone der Ukraine im Schwarzen und im Asowschen Meer als zu Russland gehörend verstanden werden könnten.
Darüber hinaus kann dies ein Verbot von Wartungsleistungen für Kriegs- und Unterstützungsschiffe der russischen Marine in NATO- und EU-Häfen beinhalten.
5.2. Anwendung eines aktualisierten „Sanktionspaketes Krim-Asow“
Es ist höchste Zeit, internationale sektorale Sanktionen gegen das gesamte russische Schiffbaugewerbe zu verhängen – gegen die Tätigkeit von Unternehmen, die in dieser Branche tätig sind und in den eroberten ukrainischen Betrieben auf der besetzten Krim militärische Produkte und Waffen herstellen, sowie gegen die Organisation und Beteiligung an der Wartung von Schiffen und Raketensystemen der Schwarzmeerflotte in den eroberten ukrainischen Betrieben auf der Krim. In der vorliegenden Arbeit wurden fast 150 russische Rüstungs- und andere Betriebe von Kaliningrad bis Wladiwostok ermittelt, von denen die überwiegende Mehrheit keinen Sanktionen unterliegt.
Es sollten internationale Sanktionen gegen diejenigen russischen Reedereien verhängt werden, die den Betrieb von Seeschiffen gewährleistet haben, die die Halbinsel Krim an- und so die Sanktionen unterlaufen.
Internationale Sanktionen sollten gegen russische Häfen im Asowschen und im Schwarzen Meer verhängt werden – namentlich die Häfen Kawkas, Rostow-am-Don, Temrjuk, Asow und Noworossijsk. Es wird vorgeschlagen, Sanktionen für Transporte von diesen Häfen auf die besetzte Krim zu verhängen.
Dieses Sanktionspaket könnte folgende Elemente umfassen:
- Ein Verbot jeglicher Art von Wartungsdienstleistungen für Handelsschiffe, die aus den oben genannten Häfen auslaufen, in den Häfen der Ukraine und der EU, des britischen Commonwealth und weiterer Länder (mit Ausnahme von Notfällen und Katastrophen);
- Ein Verbot von Überfahrten zu den genannten Häfen aus Häfen der Ukraine und der EU, den USA, des britischen Commonwealth und weiterer Länder;
- Ein Verbot der Annahme und Weiterleitung von Seeverkehrsgütern in Häfen der Ukraine und der EU, der USA, des britischen Commonwealth und weiterer Länder, die im russischen Hafens Kawkas umgeschlagen wurden oder für den Umschlag vorgesehen sind (sog. transshipment).
5.3. Aktionspaket zur Abschreckung russischer Aggression im Schwarzen Meer
Die Ukraine muss dabei unterstützt werden, die UN dazu zu bringen, eine Seegrenze zu Russland im Schwarzen und im Asowschen Meer sowie in der Straße von Kertsch einzurichten und die Seegebiete mit Russland auf Grundlage des UN-Seerechtsübereinkommens gegeneinander abzugrenzen.
Langfristig sollte ein A2/AD-Areal (anti-access and area denial) in der Gegend zwischen Devesel (Rumänien) und Odesa (Ukraine) geschaffen werden, und zwar so, dass es den See- und Luftraum entlang der Schwarzmeerküsten der Ukraine, Bulgariens und Rumäniens schützt und die einzige Route für kommerzielle Schifffahrt zu den ukrainischen Schwarzmeerhäfen sicherstellt, die nicht unter russischer Kontrolle stehen.
Schließlich sollte eine ständige Marinepatrouille entlang der Hauptroute der Handelsschiffe im Schwarzen Meer vom Bosporus in Richtung Odessa eingeführt werden – solange, bis die ukrainische Marine eine ausreichende Anzahl neuer Schiffe erhält. Dies erfordert eine Erhöhung der Zahl von Schiffen aus NATO-Ländern, die ihren Dienst im Schwarzen Meer versehen, sowie die Schaffung eines gemeinsamen Marineformats zwischen der NATO und ihren Partnerländern (Ukraine und Georgien).
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