Chancen und Her­aus­for­de­run­gen für Swja­to­s­law Wakart­schuk bei den ukrai­ni­schen Parlamentswahlen

Am 16. Mai stellte der Rock­sän­ger und Akti­vist Swja­to­s­law Wakart­schuk in Kyjiw seine neue Partei „Golos“ vor. Doch wie stehen die Chancen für Wakart­schuks Partei bei den anste­hen­den Par­la­ments­wah­len? Von Ruslan Kermach

Swja­to­s­law Wakart­schuk – bekann­ter Front­sän­ger der ukrai­ni­schen Band Okean Elsy und sozia­ler Akti­vist – hat beschlos­sen, in die Politik zurück­zu­keh­ren und bei den anste­hen­den Par­la­ments­wah­len zu kan­di­die­ren, nachdem er zur Ent­täu­schung vieler Wähler*innen bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len im Früh­jahr 2019 nicht ange­tre­ten war. Wakart­schuk prä­sen­tierte sein Team für die Par­la­ments­wah­len und die poli­ti­sche Agenda der neuen Partei „Golos“ (Stimme) am 16. Mai 2019 in Kyjiw. Unter den vor­ge­stell­ten Mit­glie­dern seines Teams befin­den sich bekannte Refor­mer wie Jaros­law Jur­schy­schyn, Julia Kli­menko oder Pawel Kuchta sowie andere pro­mi­mente Gesichter.

Portrait von Ruslan Kermach

Ruslan Kermach frei­be­ruf­li­cher poli­ti­scher Analyst und asso­zi­ier­ter Experte bei der Ilko Kuche­riv Demo­cra­tic Initia­ti­ves Foun­da­tion (DIF).

Doch wie sind die Aus­sich­ten für Wakart­schuk bei den anste­hen­den Par­la­ments­wah­len? Auf welche Wähler*innenstimmen kann sich die Partei stützen und welchen Her­aus­for­de­run­gen wird sich Wakart­schuk mög­li­cher­weise gegenübersehen?

Vom poten­ti­el­len Spit­zen­rei­ter zum poli­ti­schen Außenseiter

Der Fall Swja­to­s­law Wakart­schuk – Poli­ti­ker gewor­de­ner Musiker und Person öffent­li­chen Inter­es­ses – scheint ein Para­de­bei­spiel dafür zu sein, wie sich bei einem poli­ti­schen Start auf­grund von Zöger­lich­keit und unge­nutz­ter Gele­gen­hei­ten plötz­lich Mög­lich­kei­ten für andere, ent­schie­de­nere Kandidat*innen eröffnen.

Viele ver­mu­ten berech­tig­ter­weise, dass der beein­dru­ckende Anstieg der Unter­stüt­zung und schließ­lich erd­rutsch­ar­tige Sieg des Komiker-Kan­di­da­ten Wolo­dymyr Selen­skyj bei den ukrai­ni­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len weniger wahr­schein­lich gewesen wäre, wenn Swja­to­s­law Wakart­schuk eben­falls kan­di­diert hätte.

Vor einem Jahr wurde Wakart­schuk, ein ver­gleichs­weise „neues Gesicht“ in der ukrai­ni­schen Politik, noch als einer der poten­ti­el­len Favo­ri­ten bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len gehan­delt, dem es gelin­gen könne, die Wahl­kampf­stra­te­gien erfah­re­ner poli­ti­scher Schwer­ge­wichte wie Petro Poro­schenko oder Julija Tymo­schenko zu durchkreuzen.

Mit der gestie­ge­nen öffent­li­chen Erwar­tung klet­terte auch die Zustim­mungs­rate für Wakart­schuk laut Mei­nungs­um­fra­gen im Früh­ling und Sommer 2018 auf 9–10 Prozent (unter den bereits ent­schie­de­nen Wählern). Ein so großes Wäh­ler­po­ten­tial weit im Vorfeld der eigent­li­chen Wahlen war bemerkenswert.

Mög­li­cher­weise haben Wakart­schuks Bekannt­heit als Musiker und die Tat­sa­che, dass er zum dama­li­gen Zeit­punkt zu den öffent­li­chen Per­so­nen gehörte, denen die Men­schen das meiste Ver­trauen ent­ge­gen­brach­ten, zu seinem poli­ti­schen Erfolg bei­getra­gen. 2018 waren laut KIIS-Umfrage 38 Prozent der Ukrainer*innen Swja­to­s­law Wakart­schuk gegen­über positiv ein­ge­stellt und nur 12 Prozent der Befrag­ten bekun­de­ten eine nega­tive Haltung, 41,5 Prozent standen ihm neutral gegen­über. Die feh­lende Klar­heit seiner poli­ti­schen Ambi­tio­nen bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len sowie öffent­li­che Auf­tritte, die weit von den Themen des dama­li­gen Vor­wahl­kamp­fes ent­fernt waren, ent­täusch­ten die Öffent­lich­keit jedoch und die Zustim­mungs­werte sanken zu Beginn der Prä­si­dent­schafts­wahl­kamp­fes 2019 auf 2–3 Prozent. Das ihm ent­ge­gen­ge­brachte Ver­trauen der Öffent­lich­keit ver­schlech­terte sich ver­gli­chen mit den Werten des ver­gan­ge­nen Jahres eben­falls (im April 2019 waren nur noch 25,4 ihm gegen­über positiv ein­ge­stellt, 18 Prozent negativ).

Erwar­tun­gen an die Parlamentswahlen

Die Mei­nungs­um­fra­gen der letzten Zeit sahen für die Unter­stüt­zung einer mög­li­chen „Swja­to­s­law-Wakart­schuk-Partei“ bei den nahen­den Par­la­ments­wah­len eine Fort­set­zung des Abwärts­trends voraus, der sich im letzten halben Jahr auch bei der Bewer­tung von Wakart­schuks Person bemerk­bar gemacht hatte.

Laut der letzten KIIS-Umfrage vom April 2019 sagten nicht mehr als 1,5 Prozent der (bereits ent­schie­de­nen) Wähler*innen der genann­ten hypo­the­ti­schen Partei ihre Unter­stüt­zung zu, wohin­ge­gen im April 2018 noch 8.6 Prozent der Ukrainer*innen bereit gewesen wären, der „Swja­to­s­law-Wakart­schuk-Partei“ ihre Stimme zu geben, wenn zu der Zeit gewählt worden wäre.

Offen­sicht­lich hat Wakart­schuk mit seiner ver­spä­te­ten Ent­schei­dung, nicht als Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat anzu­tre­ten, die Öffent­lich­keit ent­täuscht und viele in ihn gesetzte Hoff­nun­gen zer­stört. Wolo­dymyr Paniotto, ein ukrai­ni­scher Sozio­loge und Direk­tor des KIIS, glaubt jedoch: „Wenn er [Wakart­schuk] seine Absicht erklärt, bei den Par­la­ments­wah­len anzu­tre­ten [vor­aus­sicht­lich vor­ge­zo­gene Neu­wah­len im Juli 2019], wird er zu dem Niveau [der Unter­stüt­zung] zurück­keh­ren, das er vor sechs Monaten hatte.“

Es scheint als ob diese Beob­ach­tung zutrifft. Nach der jüngs­ten Prä­sen­ta­tion der Partei, stieg Golos in den jüngs­ten Umfra­gen der Rating Group schnell auf 4,6 Prozent der Stimmen an. Damit belegt die neue Partei bereits den sechs­ten Platz und stünde kurz vor dem Einzug ins Parlament.

Zukünf­tige Umfra­gen nach der offi­zi­el­len Vor­stel­lung von Wakart­schuks neuer Partei werden zeigen, in welchem Maß er wirk­lich in der Lage ist, seine vor­he­ri­gen Unterstützer*innen zu reak­ti­vie­ren und neue Wähler*innen zu rekrutieren.

Als poten­ti­elle Unterstützer*innen von Wakart­schuks Partei gelten vor allem junge, pro-euro­päi­sche und moderat-patrio­ti­sche Wähler*innen, ins­be­son­dere aus dem Westen der Ukraine, vor allem aus Gali­zien, Lwiw und teil­weise auch aus Kyjiw. Ver­mut­lich wird Wakart­schuk ver­su­chen, in diesem elek­to­ra­len Segment ehe­ma­lige Unterstützer*innen zurück­zu­er­obern, die sich kürz­lich ent­schei­den mussten, ob sie ihre Stimme dem alter­na­ti­ven „neuen Gesicht“ von Wolo­dymyr Selen­skyj oder dem erfah­re­nen „alten Gesicht“ des damals noch amtie­ren­den Prä­si­den­ten Petro Poro­schenko geben würden.

Außer dem Team und der poli­ti­schen Agenda, die Wakart­schuk kürz­lich prä­sen­tierte, werden wahr­schein­lich noch andere Fak­to­ren Ein­fluss auf die poli­ti­sche Zukunft der neuen Partei haben. Der Musiker hatte vor einiger Zeit öffent­lich erklärt, dass er „so viele junge Berufs­tä­tige wie möglich, Men­schen der Zukunft, an die Macht bringen“ wolle. Wen genau Swja­to­s­law Wakart­schuk damit meinte, werden wir wahr­schein­lich bald wissen, sobald er seine Par­tei­lis­ten für die Ende Juli anste­hen­den Par­la­ments­wah­len vorstellt.

Plan B

Auch wenn Expert*innen glauben, dass Wakart­schuk seine vor­ma­li­gen Unterstützer*innen rasch reak­ti­vie­ren könne, ist es doch möglich, dass bis zur Wahl gewisse Pro­bleme auf­tre­ten könnten.

Aus heu­ti­ger Sicht sind es zum einen die schwa­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen der neuen „Wakart­schuk-Partei“, die geringe Dauer bis zu den Par­la­ments­wah­len, die den Aufbau einer gut funk­tio­nie­ren­den poli­ti­schen Partei mit lokalen Struk­tu­ren erschwert sowie die zu erwar­tende große Kon­kur­renz im soge­nann­ten Post-Maidan-Segment, wo Wakart­schuk und seine Partei um Stimmen werben werden. Auch das Fehlen eines eigenen oder loyalen Medi­en­ka­nals erschwert einen schnel­len Aufstieg.

Um ins zukünf­tige Par­la­ment ein­zu­zie­hen, wird Wakart­schuk also mög­li­cher­weise nach Gemein­sam­kei­ten mit anderen Par­teien im demo­kra­ti­schen Lager suchen müssen, die hin­sicht­lich Ideo­lo­gie und Werten ähn­li­che Posi­tio­nen ver­tre­ten – das wären vor allem Ana­to­lyj Hryt­sen­kos Partei „Bür­ger­li­che Posi­tion“ und die „Selbsthilfe“-Partei unter Vorsitz des Lem­ber­ger Bür­ger­meis­ters Andryj Sadovyj. Mit Blick auf die jüngste Umfrage der Rating-Group wird klar, dass Wakart­schuk beson­ders diesen beiden Par­teien Wäh­ler­stim­men strei­tig macht. Die „Bür­ger­li­che Posi­tion“ liegt laut der Umfrage bei 2,3 und die „Selbsthilfe“-Partei sogar nur bei 1,4 Prozent. Andrij Sadowyj kün­digte aber bereits an, nicht mit Wakart­schuk pak­tie­ren zu wollen.

Andere libe­rale Kleinst­par­teien, wie die jüngst gegrün­de­ten „Handle mit uns“ [Diy z namy] oder „Men­schen zählen“ [Lyudy vazhlyvi] sowie die „Kraft der Men­schen“ [Sila Ludei] kämen eben­falls für eine Allianz in Frage.

Sollte die Unter­stüt­zung für Wakart­schuks Partei also nicht schnell anstei­gen, wäre es wohl die ratio­nalste Stra­te­gie, sich vor den Par­la­ments­wah­len mit den ideo­lo­gisch nahe­ste­hen­den, pro-euro­päi­schen, demo­kra­ti­schen Kräften zu einer gemein­sa­men poli­ti­schen Platt­form zusam­men­zu­schlie­ßen. Anders­falls bestünde die Gefahr, dass es keiner der genann­ten Par­teien, ein­schließ­lich Wakart­schuks „Golos“, gelänge, in das neu gewählte ukrain­sche Par­la­ment einzuziehen.

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