“Mission erfüllt”? Warum der Rockstar Wakartschuk zum zweiten Mal das Parlament verlässt
Der ukrainische Rockstar und Gründer der Partei Stimme (Holos) Swjatoslaw Wakartschuk verlässt das Parlament. Er erklärte, er habe seine Mission erfüllt, indem er neue Gesichter in die Politik gebracht hat. Was passiert jetzt mit seiner Partei? Eine Kolumne von Angelina Kariakina
Vor einigen Wochen fragte einer meiner Freunde: Wohin ist eigentlich Wakartschuk verschwunden? Ich dachte nach. Anfang März hatte er ja seine Nachfolgerin bei der Holos-Partei vorgestellt:
Kira Rudyk, eine energische junge Abgeordnete, die aus dem IT-Bereich in die Politik kam und nunmehr schon die dritte Parteichefin nach Swjatoslaw Wakartschuk ist.
In letzter Zeit hat meistens sie die Partei bei politischen Talkshows vertreten. Anfang April war Swjatoslaws Vater, der ehemalige Bildungsminister und Wissenschaftler Iwan Wakartschuk, verstorben. Offenbar musste Swjatoslaw aus familiären Gründen eine Zeit lang in seiner Heimatstadt Lwiw bleiben. Man hat tatsächlich schon ziemlich lange nichts von ihm gehört.
Letzte Woche stellte sich dann heraus, dass seine Abwesenheit in der Öffentlichkeit geplant war. Der ukrainische Rockstar hat nun bekannt gegeben, dass er sein Abgeordnetenmandat niederlegt. Während dieser ganzen letzten Monate hat er sich bewusst aus der Öffentlichkeit herausgehalten, um den jungen Politikern, die er in die Werchowna Rada geführt hat, die Chance zu geben, sich zu profilieren. Dies ist sozusagen schon die zweite Demarche des Musikers: 2008, nach nur einem Jahr in der „Unsere Ukraine“-Fraktion von Wiktor Juschtschenko, hatte er sein Mandat ebenfalls niedergelegt.
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“Slawa, warum bloß?“, schrieb der bekannte ukrainische Schriftsteller Serhiy Zhadan auf seiner Facebook-Seite.
In der Partei versicherte man, Wakartschuk bleibe Parteimitglied und werde „Holos“ bei den Lokalwahlen im Oktober diesen Jahres helfen. Tatsächlich hat die Nachricht von der Niederlegung seines Mandats keine große Resonanz in den ukrainischen Medien ausgelöst. Sie wird überschattet von anderen Ereignissen: Der neuen IWF-Tranche, dem neuen Format des Minsker Friedensprozesses und dem aufsehenerregenden Kriminalfall des Aktivisten Serhiy Sternenko aus Odessa, der beschuldigt wird, einen Angreifer getötet zu haben. Viele “Holos”-Wähler wurden jedoch von Wakartschuks Entscheidung unangenehm überrascht. „So etwas macht man nicht“, sagte ein Anhänger der Partei neulich zu mir. „Mit einem solchen Namen war es kein großes Kunststück, neue Politiker ins Parlament zu bringen. Die Menschen waren bereit, ihm bei der Präsidentenwahl ihre Stimme zu geben, und dann dreht er sich einfach um und geht“.
Wakartschuk und die Politik
Die Geschichte der Kandidatur Wakartschuks bei den Präsidentschaftswahlen war tatsächlich eine regelrechte Intrige. Der Musiker hat seine Präsidentschaftskandidatur nie erklärt. Er hat sich jedoch oft zu aktuellen gesellschaftlich-politischen Fragen geäußert, sich mit einem potenziellen Team beraten und kurz vor den Wahlen hat er einen Aufenthalt an der Stanford University absolviert.
Sein Dozent in Stanford, der amerikanische Historiker Francis Fukuyama, hat ihn öffentlich unterstützt und sagte, die Ukraine brauche frisches Blut in der Politik.
Vor Eröffnung des Wahlkampfs im Januar lag Wakartschuk in den Umfragen (zusammen mit Selenskyj, der zum damaligen Zeitpunkt seine Pläne ebenfalls noch nicht veröffentlicht hatte) stabil unter den ersten fünf Kandidaten, noch vor Petro Poroschenko. Swjatoslaw Wakartschuks Schweigen hat das Gerücht über seine bevorstehende Kandidatur jedoch nach und nach zu einem Internet-Phänomen werden lassen. Auch Selenskyj hat Wakartschuk in einem seiner Videos scherzhaft dazu aufgefordert, sich zu äußern: „Slawa, ist es nun ein ‚ja‘ oder ein ‚nein‘? Wenn ja, dann sind wir zusammen. Und wenn wir zusammen sind – können wir [die] alle“. Es war der Eindruck entstanden, dass jemand ihn einladen muss.
Dann hat Wakartschuk entschieden, nicht auf die Präsidentenwahl, sondern auf die Parlamentswahlen zu setzen. Im Juli 2019 bekam die neugegründete „Holos“-Partei 5,8% der Stimmen, und 20 neue junge Politiker inklusive Wakartschuk konnten ins Parlament einziehen. Es waren Journalisten und Aktivisten mit westlicher Bildung, und allesamt standen sie in klarer Opposition zu Selenskyj.
Die ersten aufsehenerregenden Aktivitäten der Partei waren damals die Auftritte gegen die Minsker Vereinbarungen, die Antikorruptionsinitiativen und etwas später die Aktionen gegen den Innenminister Awakow, so zum Beispiel das Sammeln von Unterschriften gegen ihn.
„In den letzten drei Jahren werde ich permanent in den Dreck gezogen, bekomme negative Presse. Am meisten von denen, die ich gerne zu meinen Freunden zählen würde. Wir nehmen ihnen wohl das Monopol, die größten Patrioten der Ukraine genannt zu werden“, sagte Swjatoslaw bei seinem letzten Briefing als Abgeordneter.
Die kleine Fraktion ist tatsächlich in den Kampf um den Titel des größten Patrioten eingestiegen. Und die Partei des Ex-Präsidenten Poroschenko „Europäische Solidarität“ wurde dabei zum Hauptkonkurrenten. Wie viele Wähler sich tatsächlich mit dem Programm von „Holos“ identifizieren, zeigt die letzte Erhebung des Internationalen Instituts für Soziologie in Kyjiw: Wenn die Parlamentswahlen Ende Mai-Anfang Juni stattgefunden hätten, wären 3,8 Prozent der Wähler bereit gewesen, Wakartschuks Partei zu unterstützen. Demnach hätte „Holos“ nicht mal die 5‑Prozent-Hürde geschafft.
In vier Monaten finden schon die nächsten Kommunalwahlen statt. „Holos“ muss nun ernsthafte Aufgaben lösen, wenn die Partei sich als nationale Kraft darstellen möchte: Ein Netz von lokalen Vertretungen aufzubauen, die Stimme der Menschen zu hören und die Interessen der Kommunen im Parlament und bei den Ministerien in Kyjiw besser zu vertreten. Im Mai hatte die Partei noch keine Büros im Donbas, in den Gebieten Sumy, Mykolajiw sowie in Transkarpatien.
Ohne signifikante finanzielle Unterstützung, loyale Medien und ohne einen bekannten, populären Parteichef sind diese Aufgabe kaum zu lösen.
Dafür sprechen ebenfalls die neuesten Erfahrungen der „Eurooptimisten“ und der Partei „Selbsthilfe“ („Samopomitsch“). Vielleicht betrachtet Wakartschuk seine persönliche Mission als erfüllt; die Mission seiner politischen Partei dagegen ist jetzt umso schwieriger geworden.
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