Der bekann­teste Come­dian der Ukraine tritt bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len an. Seine Chancen stehen gut.

In der Sil­ves­ter­nacht kün­digte Wolo­dymyr Selen­skyj, der bekann­teste Come­dian der Ukraine, seine Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tur an. Doch wofür steht der 40-jährige und wer unter­stützt ihn? Ein­ord­nun­gen des ukrai­ni­schen Jour­na­lis­ten Mykola Worobiow

Am Sil­ves­ter­abend ver­kün­dete Wolo­dymyr Selen­skyj, der bekann­teste Come­dian der Ukraine, dass er bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len kan­di­die­ren wird.

Der Zeit­punkt der Ankün­di­gung war bemer­kens­wert: Der kurze Clip von Selen­skyj wurde kurz vor der jähr­li­chen Anspra­che von Petro Poro­schenko auf 1+1, dem zweit­be­lieb­tes­ten Fern­seh­sen­der der Ukraine, über­tra­gen, der Ihor Kolo­mo­js­kyj gehört. Diese Abfolge brachte viele zu der Spe­ku­la­tion, dass der ukrai­ni­sche Olig­arch Kolo­mo­js­kyj hinter dem vier­zig­jäh­ri­gen Come­dian steht.

Portrait von Worobiow

Mykola Vorobiov ist ukrai­ni­scher Jour­na­list und Fellow an der Johns Hopkins Uni­ver­si­tät (SAIS).

2015 war Selen­skyj in der belieb­ten Fern­seh­se­rie Diener des Volkes als ukrai­ni­scher Lehrer auf­ge­tre­ten, der Prä­si­dent der Ukraine wird. Selen­skyj spielt da den ganz gewöhn­li­chen Lehrer Wasyl Holo­bo­rodko, dessen Tiraden gegen die ukrai­ni­schen Macht­ha­ber von einer ver­steck­ten Video­ka­mera fest­ge­hal­ten werden. Nachdem Holo­d­o­bo­rod­kos Schüler das Video auf Youtube ver­öf­fent­li­chen, wird ihr Lehrer äußerst populär, ver­lässt seine Arbeit und beschließt, mit Hilfe von Crowd­fun­ding bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len zu kan­di­die­ren. Holo­bo­rodko gewinnt die Wahl und ist ein lei­den­schaft­li­cher Prä­si­dent, der keine Schmier­gel­der nimmt. Er lebt mit seiner Familie in der Vor­stadt und nutzt auf dem Weg zur Arbeit öffent­li­che Verkehrsmittel.

Von Fern­se­hen in die Bankowa?

Nach dem großen Erfolg der Serie, kamen Gerüchte auf, dass Selen­skyj auch in Wirk­lich­keit Prä­si­dent werden wolle. Niemand wusste, ob er es mit einer Kan­di­da­tur ernst meinte. Und niemand wusste, wie sein Pro­gramm aus­se­hen würde bzw. was seine poli­ti­schen Ziele sein könnten. Zur glei­chen Zeit wei­gerte er sich, Inter­views zu geben und machte deut­lich, dass er am dritten Teil von Diener des Volkes arbeite.

Gleich­zei­tig stiegen Selen­skyjs Umfra­ge­werte und er begann, dem Amts­in­ha­ber und anderen bekann­ten Per­sön­lich­kei­ten Kon­kur­renz zu machen. In einer Umfrage vom Novem­ber ran­gierte er mit 11 Prozent an zweiter Stelle. Nur die ehe­ma­lige Minis­ter­prä­si­den­ten Julia Tymo­schenko schnitt mit 21 Prozent besser ab. Ergeb­nisse einer anderen Umfrage legen nahe, dass Selen­skyj sogar Tymo­schenko im zweiten Wahl­gang schla­gen könnte (es wird erwar­tet, dass keiner der Kan­di­da­ten die erfor­der­li­chen 50 Prozent der Stimmen im ersten Wahl­gang sichern kann). Ein hart­nä­cki­ges Gerücht besagt, dass Tym­schenko sich vor nie­man­dem fürch­tet – außer eben vor Selen­skyj, der ihr als sehr bekann­ter Pro­test­kan­di­dat tat­säch­lich den Schneid abkau­fen könnte.

Selen­skyj als neuer und ent­schei­den­der Akteur 

Selbst wenn Selen­skyj die Prä­si­dent­schafts­wah­len ver­lie­ren sollte, avan­ciert er gerade zu einem wich­ti­gen Akteur in der ukrai­ni­schen Politik. Es wird wohl darauf hin­aus­lau­fen, dass im ersten Durch­gang Selen­skyj, Tymo­schenko und Poro­schenko auf den ersten drei Plätzen landen- offen und natür­lich ent­schei­dend wird dann die Rei­hen­folge sein. Sollte Selen­skyj Dritter werden, könnte seine Unter­stüt­zung bzw. Ableh­nung das ent­schei­dende Züng­lein an der Waage sein und darüber ent­schei­den, wer den zweiten Durch­gang gewinnt. Und dann sind da noch die Par­la­ments­wah­len. Selen­skyjs Partei hat theo­re­tisch beste Aus­sich­ten, ins Par­la­ment ein­zu­zie­hen, auch wenn er bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len ver­lie­ren sollte.

Am Tag nach seiner Ankün­di­gung erschien Selen­skyj in einem kurzen Video, das ihn im ver­schnei­ten Kiew zeigt, wie er Frei­wil­lige für sein Team mobi­li­siert. Bislang haben sich über 200.000 Men­schen online gemel­det. Selen­skyj sagt selbst, er wolle jeden auf­neh­men, aller­dings unter einer Bedin­gung: Man muss neu in der Politik sein.

Nähe zu Kolo­mo­js­kyj als Reputationsproblem

Neben all der Auf­re­gung hat Selen­skyj ein Problem mit seiner Repu­ta­tion. Viele bringen ihn mit Kolo­mo­js­kyj  in Ver­bin­dung, dem ukrai­ni­schen Olig­ar­chen und ehe­ma­li­gen Vor­sit­zen­den der Admi­nis­tra­tion des Dni­pro­pe­trow­s­ker Gebiets (2014–2015). Nach seinem Kon­flikt mit der Regie­rung war Kolo­mo­js­kyj  nach Israel gegan­gen. Ihm gehört der Fern­seh­ka­nal 1+1, auf dem Diener des Volkes sowie Selen­sky­jjs Standup Commedy Show Quartal 95, die erfolg­reichste Commedy Show der Ukraine, gesen­det werden. Andere spe­ku­lie­ren, dass ange­sichts des lang­jäh­ri­gen per­sön­li­chen Kon­flikts zwi­schen Poro­schenko und Kolo­mo­js­kyj die Unter­stüt­zung Selen­skyjs durch den Olig­ar­chen eine Art Revan­che sein soll.

Selen­skyj und Kolo­mo­js­kyj haben beide in Inter­views behaup­tet, sie seien ledig­lich Geschäfts­part­ner. „Wir haben hier keine Skla­ve­rei und ich habe auch keinen Vertag mit meinem Blut unter­zeich­net“, sagte Selenskyj.

Es bleiben aller­dings trotz­dem viele Fragen: Wer wird Selen­skyjs Wahl­kampf finan­zie­ren, unter anderem die 2,5 Mil­lio­nen Hrywnja (rund 90 000 US-Dollar), die bei einer Regis­trie­rung seiner Kan­di­da­tur hin­ter­legt werden müssen? Wie sieht Selen­skyjs Pro­gramm aus, und wer wird zu seinem Team gehören (immer­hin sind es nur noch drei Monate bist zu den Wahlen)? Und schließ­lich: Welche Rolle wird der Sender 1 + 1 spielen?

Selen­skyj als Protestkandidat?

Viele ukrai­ni­sche Wähler sind noch unent­schlos­sen und eine Mehr­heit von ihnen traut schlicht­weg nie­man­dem mit Macht und Würden. Das eröff­net Selen­skyj tat­säch­lich die Chance auf einen der ersten drei Plätze. Wenn ich mit gewöhn­li­chen Wählern spreche, wird Selen­skyj von vielen mit Ronald Reagan ver­gli­chen, der ja vor seiner poli­ti­schen Kar­riere eben­falls Schau­spie­ler gewesen war. Aller­dings ist dieser vor seiner Prä­si­den­ten­zeit Gou­ver­neur von Kali­for­nien gewesen, während Selen­skyj ein völ­li­ger Neuling ist.

Jetzt wo die Ukrai­ner aus den Win­ter­fe­rien zurück­kom­men, wird der Wahl­kampf der fast vierzig Kan­di­da­ten volle Fahrt auf­neh­men. Einer­seits könnte Selen­skyj zu einem ernst­zu­neh­men­den Bewer­ber um das Prä­si­den­ten­amt werden, indem er das Bedürf­nis der Wähler nach neuen Gesich­tern in der Politik befrie­digt. Seine Bereit­schaft, ein Team aus Leuten auf­zu­bauen, die zuvor nie in der Politik gewesen waren, könnte vielen jungen berufs­tä­ti­gen Ukrai­nern einen Weg eröff­nen, auch in der Politik aktiv zu werden.

Ande­rer­seits wäre es naiv, die Olig­ar­chen zu unter­schät­zen, die über die ver­gan­ge­nen zwanzig Jahre hinweg die poli­ti­sche Land­schaft der Ukraine bestimmt haben. Die bevor­ste­hen­den Wahlen werden da wohl keine Aus­nahme sein.

Eines ist jedoch klar: Die Prä­si­dent­schafts­wah­len in der Ukraine werden alles andere als langweilig.

Der Text erschien zu erst im Ukraine-Alert des Atlan­tic Coun­cils. Über­set­zung von Hartmut Schröder.

Textende

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