Petro Poroschenko muss um Wiederwahl bangen
Petro Poroschenko wurde nach den Majdan-Protesten im Mai 2014 in der ersten Wahlrunde zum vierten ukrainischen Präsidenten gewählt. Heute muss der Amtsinhaber um seine Wiederwahl bangen. Ein Porträt von Steffen Halling
Petro Poroschenko Petro Oleksijowytsch Poroschenko wurde 1965 im Oblast Odesa geboren. 1982 begann er ein Studium an der prestigeträchtigen Fakultät für Internationale Beziehungen der Taras-Schewtschenko-Universität in Kyjiw. Nach dem Militärdienst schloss er 1989 sein Studium der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ab. Während seines Studiums arbeitete Poroschenko als Berater für Im- und Exportgeschäfte. Anfang der 1990er Jahre wurde er dann selbst im Außenhandel aktiv und handelte mit Kakaobohnen. Später gründete er zusammen mit seinem Vater den Industrie- und Investmentkonzern »Ukrprominvest«, der zahlreiche Beteiligungen in der Lebensmittel‑, Agrar‑, Maschinenbau‑, Rüstungs- und Automobilindustrie erwarb. Unterschiedliche Medienbeteiligungen, allen voran der Fernsehsender »5. Kanal«, kamen hinzu. 1996 erfolgte die Gründung des Süßwarenkonzerns »Roshen«, der Poroschenko später den Namen »Schokoladenkönig« einbrachte. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2014 kündigte Poroschenko an, seine Unternehmensbeteiligungen verkaufen zu wollen, sollte er Präsident werden. Für die Verwaltung und den Verkauf seiner Unternehmen beauftrage er eine Treuhandgesellschaft. Veröffentlichungen im Zusammenhang der »Panama Papers« im April 2016 haben jedoch Zweifel an Poroschenkos Versprechen bestärkt. Die ukrainische Wochenzeitschrift »Nowoe Wremja« schätzte 2018 sein Vermögen auf 1,1 Mrd. US-Dollar.
Politischer Karrierebeginn
Poroschenkos Image als »ultimativer Insider« kommt nicht von ungefähr: Kaum ein anderer ukrainischer Politiker hat so oft die Seiten gewechselt wie er. Seine politische Karriere begann 1998, als er im Alter von 32 Jahren mit einem Direktmandat aus der Stadt Winnyzja, dem bis heute wichtigsten Produktionsstandort von »Roshen«, in die Werchowna Rada einzog. Poroschenko gehörte zu diesem Zeitpunkt der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei der Ukraine (SDPU(o)) an. Unter der Führung von Wiktor Medwedtschuk – heute zentraler Strippenzieher im kremltreuen Oppositionslager und ein guter Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin (der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter Darina ist) – galt diese Partei damals zusammen mit der Partei Demokratytschnyj Sojuz (Demokratische Union) und der Partei Trudowa partija Ukrajiny (Arbeiterpartei der Ukraine) als eine von drei »Oligarchen-Parteien«. Ihnen gelang es, zur Jahrtausendwende den Weg für die Privatisierung jener Großbetriebe zu ebnen, die einen maßgeblichen Vermögensanteil der heutigen ukrainischen Oligarchen darstellen. Der Parlamentsfraktion der SDPU(o), in deren Namen sich Poroschenko 1999 unter anderem noch über das »aggressive Verhalten der NATO gegenüber Jugoslawien« echauffierte, gehörte der heutige ukrainische Präsident knapp zwei Jahre an. Im Jahr 2000 verließ er die SDPU(o) und gründete die Fraktion Solidarnist (Solidarität), die er kurz darauf als Partei registrierte. 2001 war Solidarnist zusammen mit vier weiteren Parteien Gründungsmitglied der Partei der Regionen. Poroschenkos Hoffnung, deren Führung übernehmen zu können, zerschlug sich jedoch.
Orange Revolution
Während die Partei der Regionen sich als Donezker Elitenprojekt etablierte und zur späteren »politischen Maschine« Wiktor Janukowytschs wurde, stellte sich Poroschenko nun auf die Seite des 2001 entlassenen Ministerpräsidenten Wiktor Juschtschenko. Hier wurde er zunächst Leiter des Führungsstabs von Juschtschenkos Wahlblock Nascha Ukrajina (Unsere Ukraine) und nach der Parlamentswahl 2002 auch Mitglied der gleichnamigen Fraktion. Eine Schlüsselrolle spielte er schließlich bei der Orangen Revolution: Die Kandidatur Juschtschenkos, dem Taufpaten von Poroschenkos Zwillingstöchtern, unterstützte er nicht nur finanziell, sondern insbesondere auch durch den von ihm 2003 gegründeten Fernsehsender »5. Kanal«. Anders als alle übrigen bedeutenden TV-Kanäle, berichtete Poroschenkos Sender rund um die Uhr über die Wahlfälschungen des Janukowytsch-Lagers, übertrug Bilder der Massendemonstrationen aus Kyjiw in die Wohnzimmer und Küchen der Nation und wurde so zum wichtigsten Sprachrohr der Opposition. Im Januar 2005 berief Präsident Juschtschenko Poroschenko, der auch als möglicher Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten gehandelt wurde, an die Spitze des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates. Ministerpräsidentin wurde Julija Tymoschenko. Zwischen diesen beiden Protagonisten der Orangen Revolution flammten schnell persönliche Fehden auf, die für eine schwere innenpolitische Krise und einen herben Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber der »orangen Koalition« sorgten. Unter gegenseitigen Korruptionsvorwürfen mussten Poroschenko und Tymoschenko im September 2005 ihre Ämter aufgeben.
Euromajdan und Wahl zum Präsidenten
Nach einem kurzen Intermezzo als Außenminister zwischen 2009 und 2010 war Poroschenko 2012 für etwa ein halbes Jahr Wirtschaftsminister unter Präsident Janukowytsch. Aus Sicht von Janukowytschs Partei der Regionen erfolgte die Einbindung Poroschenkos, der als liberal und reformorientiert galt, offensichtlich zu dem Zweck, die Verhandlungen über das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union voranzutreiben. Im Zuge der Parlamentswahl 2012, bei der Poroschenko als unabhängiger Kandidat erneut erfolgreich um ein Direktmandat in Winnyzja kandidierte, schied er aus der Regierung aus und wurde fraktionsloser Abgeordneter. Das Zwischenspiel mit Janukowytsch sollte dem wendigen Poroschenko im weiteren Verlauf seiner Karriere keinen Abbruch tun. Im Zuge der Euromajdan-Proteste gegen Janukowytsch im Winter 2013/2014 zeigte sich, dass es Poroschenko erneut gelungen war, sich rechtzeitig auf die »richtige« Seite zu stellen. Er unterstützte von Beginn an die Proteste gegen den unbeliebten Präsidenten und es gelang ihm, sich glaubhaft als »pro-europäischer« Politiker, zugleich aber auch als durchsetzungsstarker zukünftiger Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte zu präsentieren. Vor allem letzteres hatte unter dem Eindruck der Annexion der Krim durch Russland sowie der ersten militärischen Auseinandersetzungen im Donbas höchste Priorität gewonnen, sodass Poroschenko im Mai 2014 bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt wurde. Seine Partei, der Block Petro Poroschenko, der sich aus der wiederbelebten Partei Solidarnist zusammensetzte und mit der Partei UDAR von Witalij Klytschko verbündet hatte, ging aus der anschließenden vorgezogenen Parlamentswahl im Oktober 2014 als stärkste Kraft hervor.
Wiederwahl?
Poroschenkos Präsidentschaftsbilanz sieht bestenfalls gemischt aus. Gemessen an der Reformbegeisterung, die die Ukraine nach dem Euromajdan trotz (oder auch gerade wegen) der Bedrohung durch Russland ergriffen hatte, ist Poroschenko weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Zwar wurden beispielsweise makroökonomische und sicherheitspolitische Reformen angegangen und die regionale Selbstverwaltung im Zuge der Dezentralisierung erfolgreich gestärkt. Auch im Bereich der Korruptionsbekämpfung lassen sich zumindest zaghafte Erfolge vorweisen. Mit Inkrafttreten des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU sowie der Einführung der Visafreiheit für Reisen von Ukrainern in die EU konnte Poroschenko zudem wichtige Landmarken setzen. Allerdings ist es ihm im Laufe der vergangenen Jahre nicht gelungen, sich dem Eindruck zu entledigen, dass Reformen, die dem Rechtsstaat und der Disziplinierung der Eliten dienlich sind, auch ohne Druck von der ukrainischen Zivilgesellschaft und internationalen Akteuren vollzogen worden wären. Im Gegenteil: Auch unter Poroschenko haben informelle Praktiken, Hinterzimmerdeals und Günstlingswirtschaft nach wie vor Hochkonjunktur. Ähnlich wie Janukowytsch hat auch Poroschenko in den vergangen Jahren Schlüsselpositionen im Staat mit Personen besetzt, die sich nicht durch ihre Qualifikation, sondern durch ihre Loyalität zum Staatsoberhaupt auszeichnen. Das eklatanteste Beispiel stellt gewiss der Fall Jurij Luzenko dar, für dessen Ernennung zum Generalstaatsanwalt gar das Gesetz geändert werden musste, da er nicht die dafür eigentlich nötige Qualifikation als Jurist besaß. Trotz der allgemeinen Frustration über Poroschenko, die sich in Umfragen unter anderem darin ausdrückt, dass etwa 50 Prozent der Ukrainer angeben, dass sie ihn keinesfalls wählen würden, ist die von ihm angestrebte Wiederwahl nicht aussichtslos. Zuletzt konnte er sich aus einem Umfragetief befreien: In aktuellen Umfragen würden zwischen 15–18 Prozent der Wähler, die sich bereits entschieden haben, für den aktuellen Amtsinhaber stimmen. Poroschenko profitierte dabei unter anderem von der jüngst erzielten Autokephalie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die ein zentraler Markenkern seiner patriotischen Wahlkampflosung »Armee, Sprache, Glaube« ist. Sollte Poroschenko der Einzug in die Stichwahl gelingen, so wird er wohl vor allem versuchen, seine Kontrahentin/seinen Kontrahenten als unberechenbares Risiko für die nationale Sicherheit und die Unabhängigkeit der Ukraine auszubooten und sich selbst als »Stabilitätsanker« und Garant für den pro-westlichen Kurs zu profilieren.
Der Artikel ist als Teil einer Kooperation mit den Ukraine-Analysen (Nr. 213) entstanden, wo er parallel veröffentlicht wurde.
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