Zurück zur Breschnew-Doktrin
Ein Kommentar von Ralf Fücks zu Putins jüngstem geschichtspolitischem Manifest, das der Kreml in Englischer Sprache veröffentlicht hat.
Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: Wie bei Stalin dient die offizielle Geschichtsschreibung auch heute zur Begründung imperialer Machtpolitik. Putins geschichtspolitischer Exkurs zur Einheit von Russen und Ukrainern steht ganz in großrussisch-imperialer Tradition. Wenn die Ukrainer unbedingt eine Nation sein wollen, bitte sehr – aber nur im Verbund mit dem russischen Mutterland.
In Putins Narrativ war das russische Reich ein große Völkerfamilie, geeint durch Sprache, Kultur & Orthodoxie. Eroberer und Unterdrücker waren nur die anderen. Auch die Landnahme nach dem Hitler-Stalin-Pakt war nur eine Rückkehr historischer Besitztümer.
Interessant ist seine Klage, dass die Bolschewiki mit ihrer Nationalitätenpolitik die Axt an die Einheit des Imperiums legten. Der Zerfall der Sowjetunion 1991 ist ihm kein Akt der Befreiung, sondern eine historische Katastrophe. Putin klagt die abgefallenen Republiken des Nationalismus an (geschürt vom bösen Westen) – dass der Kreml in Georgien und der Ukraine gewaltsamen Separatismus ins Werk gesetzt hat, fällt ebenso unter den Tisch wie der russische Nationalismus als Kitt seines Regimes. Putins geschichtspolitische Doktrin bedient den russischen post-imperialen Phantomschmerz.
Er ist voller Verachtung für die heutige Ukraine. Sein Artikel ist eine kalte Drohung: Die Ukraine gehört in den russischen Orbit. Sie hat nicht die Freiheit, ihre Bündnisse zu wählen. Das ist die Rückkehr der Breschnew-Doktrin in neuem Gewand. Das russische Außenministerium bringt seine Botschaft auf den Punkt: „Ukrainer und Russen sind ein Volk, eine Einheit.“
Die Ukrainer werden das nicht akzeptieren. Putin hat selbst dafür gesorgt, dass sie ihre Unabhängigkeit in Abgrenzung von Russland suchen müssen. Man kann nur hoffen, dass der Westen sie nicht im Stich lässt. Ein Zurück zu Yalta, zur Aufteilung Europas in getrennte Einflusssphären, ist inakzeptabel. Die gleiche Souveränität aller Staaten und der Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik sind Ecksteine der europäischen Friedensordnung – ebenso wie die Achtung der Menschenrechte. Sie müssen auch Maßstäbe der deutschen und europäischen Russland-Politik sein.
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