Orwell’sche Dys­to­pie oder neue Rea­li­tät? Wie die USA und Russ­land auf Kosten der Ukraine die Welt neu ordnen

Donald Trump
IMAGO /​ ZUMA Press Wire

Trump hat Putin ange­bo­ten, die Zukunft Europas unter Aus­schluss von Kyjiw und Brüssel zu ver­han­deln. Er stellt damit die euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung auf den Kopf und viele lieb­ge­won­nen Gewiss­hei­ten gleich mit. Auf einmal ist das über­fal­lene Land schuld am Krieg und der Kreml­chef ein Hüter legi­ti­mer Wahlen. Die Orwell’schen Meta­phern schrei­ben sich fast von selbst.

In gerade mal einem Monat hat Donald Trump es geschafft, die US-Politik prak­tisch um 180 Grad zu wenden: Innen­po­li­tisch baut Trump mit seinem Buddy Elon Musk die Demo­kra­tie ab und drückt einen Auto­kra­ti­sie­rungs­pro­zess in atem­be­rau­ben­dem Tempo durch. Auch außen­po­li­tisch greift er zum Vor­schlag­ham­mer, um die jahr­zehn­te­alte trans­at­lan­ti­sche Sicher­heits­ar­chi­tek­tur zu zer­schla­gen und den Welt­han­del mit diver­sen Straf­zöl­len gleich mit. Während Trump die eins­ti­gen demo­kra­ti­schen Partner brüs­kiert, hofiert er Auto­kra­ten wie Putin. Den ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten bezeich­net er wie­derum als „Dik­ta­tor“ und es zeich­net sich immer mehr ab, dass der neue Chef im Weißen Haus die Ukraine und Europa fal­len­lässt. Ist noch aus­zu­schlie­ßen, dass Trump irgend­wann für einen lukra­ti­ven Deal Panzer an Putin ver­kauft? Vor ein paar Wochen hätte kaum jemand die hier nur kurz skiz­zier­ten Ent­wick­lun­gen erwar­tet.  

Klar ist, die Gewiss­hei­ten und Sicher­hei­ten von gestern zählen heute nichts mehr. Die Welt scheint Kopf zu stehen. Das erin­nert mich stark an George Orwells „Krieg ist Frieden. Frei­heit ist Skla­ve­rei. Unwis­sen­heit ist Stärke“. Wir steuern auf eine neue, dys­to­pi­sche Welt­ord­nung zu, die droht, von auto­kra­ti­schen Macht­ha­bern in Russ­land und China bestimmt zu werden, weil der „neue Scher­riff in der Stadt“ eben zuneh­mend selbst ins Auto­ri­täre gleitet.  

„Krieg ist Frieden“

Die USA und Russ­land spre­chen – über die Köpfe der betrof­fe­nen Ukrainer:innen hinweg – von und über Frieden in der Ukraine. Dabei sollte die jüngste Geschichte uns lehren, dass der von Putin anvi­sierte „Frieden“ für die Ukraine nichts anderes wäre als eine Fort­füh­rung des Krieges mit anderen Mitteln. Wie das in der Praxis aus­sieht, kann man in den von Russ­land besetz­ten Gebie­ten bereits sehen. Die ukrai­ni­sche Frie­dens­no­bel­preis­trä­ge­rin und Men­schen­recht­le­rin Olek­san­dra Matvi­i­chuk, die rus­si­sche Kriegs- und Men­schen­rechts­ver­bre­chen doku­men­tiert, beschreibt die Situa­tion dort tref­fend mit den Worten: „Occu­pa­tion is not peace. It’s just another form of war“. Ver­schlep­pun­gen, Ent­füh­run­gen, Folter und Mord stünden an der Tages­ord­nung, wenn Putin mit seinem Dik­tat­frie­den durch­käme.  

„Frei­heit ist Sklaverei“

Was Moskau unter „Frei­heit“ ver­steht, sieht man in den von Russ­land „befrei­ten“ Gebie­ten der Ukraine, wo Moskau ein tota­li­tä­res System aufbaut. Auch in Russ­land selbst unter­drückt und über­wacht Putins neo-tota­li­tä­rer Über­wa­chungs­staat Anders­den­kende und Systemkritiker:innen per­ma­nent. Freie Medien? Fehl­an­zeige. Freie und faire Wahlen? Putin klebt durch gefälschte Wahlen seit 2000 an der Macht und hat die Ver­fas­sung ändern lassen, damit das auch bis 2036 so bleibt. Gleich­zei­tig spricht er Selen­skyj die Legi­ti­mi­tät ab, da dessen ursprüng­li­che Amts­zeit abge­lau­fen sei. Was Putin ver­schweigt: Das ist nur deshalb so, weil Russ­land die Ukraine über­fal­len hat, wor­auf­hin diese gezwun­gen war, das Kriegs­recht aus­zu­ru­fen, das Wahlen aus guten Gründen (Sicher­heit der Wahl, Mil­lio­nen Flücht­linge, hun­dert­tau­sende mobi­li­sierte Soldat:innen, Beset­zung von knapp 20 Prozent des Ter­ri­to­ri­ums durch Russ­land) aus­setzt. Wenn Putin tat­säch­lich um die Legi­ti­mi­tät von Selen­skyj besorgt ist, kann er seine Truppen jeder­zeit abzie­hen, damit den Krieg beenden und somit selbst Wahlen in der Ukraine ermög­li­chen. Tat­säch­lich geht es ihm viel­mehr darum, Selen­skyj als starken Ver­hand­lungs­part­ner los­zu­wer­den, in der Hoff­nung, dass ein russ­land­freund­li­che­rer Kan­di­dat an die Macht kommt, der die Frei­heit der Ukraine opfert und sie wieder in die rus­si­sche Ein­fluss­sphäre zurück­bringt.  

„Unwis­sen­heit ist Stärke“ 

Putins Stra­te­gie ist seit jeher, gezielt Lügen, Des­in­for­ma­tion, Pro­pa­ganda und Wider­sprü­che ein­zu­set­zen, um nach dem Motto „Nichts ist wahr und alles ist möglich“ eine Unsi­cher­heit bei seinen Gegner:innen zu erzeu­gen, die er als Stärke aus­nutzt. Mit Donald Trump, dessen Spre­che­rin einst den Begriff „alter­na­ti­ver Fakten“ prägte, regiert in Washing­ton wieder Putins Bruder im Geiste, der es mit der Wahr­heit ebenso wenig ernst nimmt. So griff Trump jüngst Putins Dele­gi­ti­ma­ti­ons­stra­te­gie auf und sagte (zufäl­li­ger­weise nur wenige Tage nach dem Tele­fo­nat mit Putin), Selen­skyjs Zustim­mung läge nur bei vier Prozent. Der ukrai­ni­sche Prä­si­dent ver­mu­tet dahin­ter eine gezielte rus­si­sche Des­in­for­ma­ti­ons­kam­pa­gne. Denn tat­säch­lich sind Selen­skyjs Umfra­ge­werte jüngst sogar wieder gestie­gen: Laut einer Umfrage des renom­mier­ten Kyiv Inter­na­tio­nal Insti­tute of Socio­logy von Februar 2025 genießt Selen­skyj das Ver­trauen von 57 Prozent der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung. 

Ein anderes Bei­spiel ist Trumps Behaup­tung, die USA hätten der Ukraine Mili­tär­hil­fen in Höhe von 300 bis 500 Mil­li­ar­den US-Dollar gewährt. Ein Blick in den Ukraine Support Tracker des Kieler Insti­tuts für Welt­wirt­schaft zeigt jedoch, dass seit Februar 2022 ins­ge­samt 114 Mil­li­ar­den Euro an Hilfen der USA für die Ukraine geflos­sen sind, umge­rech­net etwa 120 Mil­li­ar­den US-Dollar. Die Mili­tär­hil­fen belau­fen sich dabei laut dem Pen­ta­gon auf 65,9 Mil­li­ar­den US-Dollar – deut­lich weniger als das, was Trump sagt.  

Auch Trumps Schuld­zu­wei­sung, dass die Ukraine „eine Führung habe, die den Krieg zuge­las­sen hat“, ist Victim Blaming wie aus dem Lehr­buch: Es war Russ­land, das die Ukraine zweimal, erst 2014 und dann 2022 über­fiel, und nicht umge­kehrt.  

Im Zeit­al­ter der sozia­len Medien ist nicht mehr Wissen Macht, sondern Fake News sind die neue Stärke – und das nutzen Putin, Trump und auch Musk gna­den­los aus, um ihre poli­ti­schen Ziele zu errei­chen. 

Was folgt daraus? 

Die letzten Wochen haben ange­sichts der hier nur kurz skiz­zier­ten Ent­wick­lun­gen bei vielen Men­schen ein beklem­men­des Gefühl hin­ter­las­sen. In George Orwells „1984“ kämpfen drei Super­mächte in wech­seln­den 2:1 Bünd­nis­kon­stel­la­tio­nen gegen­ein­an­der: Eura­sien, ange­führt von der ehe­ma­li­gen Sowjet­union, deren heu­ti­ger Rechts­nach­fol­ger Russ­land ist; Ost­asien, das von China kon­trol­liert wird; sowie das von den USA domi­nierte Ozea­nien, das mal auf Seiten Eura­si­ens und mal Ost­asi­ens kämpfte.  

Die heutige Rea­li­tät ist kom­ple­xer als die Dys­to­pie von Orwell. Dennoch schei­nen wir aktuell gerade einen Wechsel der Bünd­nis­kon­stel­la­tio­nen zu erleben: Nicht mehr nur die auto­kra­ti­schen Groß­mächte China und Russ­land koope­rie­ren mit­ein­an­der, um ihre Inter­es­sen und ihre Macht aus­zu­bauen. Auch die USA ver­fol­gen nun – getrie­ben von Trumps Maxime „Make America Great Again“ – rück­sichts­lose Groß­macht­po­li­tik – und sägen eben­falls an der nach 1989/​1991 ent­stan­de­nen Welt­ord­nung.  

Die euro­päi­sche Idee basiert darauf, dass die Stärke des Rechts über dem Recht des Stär­ke­ren steht – wovon Trump, Putin und Xi wenig halten. Will Europa bei der dro­hen­den Neu­ord­nung der Welt nicht unter die Räder kommen, bedeu­tet es erstens, dass wir uns selbst stärker um unsere eigene Sicher­heit kümmern müssen – und das ent­schlos­sen und schnell. Einige haben das bereits ver­stan­den, wie die däni­sche Pre­mier­mi­nis­te­rin Mette Fre­de­rik­sen, die am 19. Februar fragte: „Sieht die Welt ange­spannt aus? Ja. Gibt es Grund zu glauben, dass das bald vorbei sein wird? Nein“. Daraus zog sie den Schluss für ihr Land: „Es gibt eine Bot­schaft für den Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter: Kaufen, kaufen, kaufen. Wenn wir nicht die beste Aus­rüs­tung bekom­men können, kaufen wir die nächst­beste. Jetzt zählt nur noch eines – und das ist Geschwin­dig­keit.Das sollten auch die anderen EU-Staaten beher­zi­gen. Es wird eine enorme Kraft­an­stren­gung, aber das sollten uns unsere Frei­heit und Sicher­heit wert sein. 

Und zwei­tens müssen wir die Ukraine nicht nur als ein Land am Rande Europas sehen, sondern als inte­gra­len Bestand­teil einer gemein­sa­men euro­päi­schen Sicher­heits­po­li­tik – und sie eben­falls schnel­ler und ent­schlos­se­ner auf­rüs­ten, solange es noch die Zeit dafür gibt. Wenn die Ukraine gewinnt, wird Russ­lands Lust auf neue Feld­züge weiter in Rich­tung Westen vorerst gestoppt. Wenn sie ver­liert, wird der Kreml mit dem nächs­ten Land wei­ter­ma­chen – mit Kon­se­quen­zen, die einen noch grö­ße­ren, noch teu­re­ren Krieg in Europa nach sich ziehen könnten. Europa sollte es nicht dazu kommen lassen und daher jetzt rasch und ent­schie­den handeln – damit wir nicht eines Morgens auf­wa­chen und uns plötz­lich im Jahr 1984 befinden.

Portrait von Eduard Klein

Eduard Klein ist wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter an der For­schungs­stelle Ost­eu­ropa in Bremen und Redak­teur der Ukraine-Ana­ly­sen und des Ukrai­nian Ana­ly­ti­cal Digest.

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