Ein Schritt vor, zwei zurück?
Aus Kyjiw kommen schlechte Nachrichten. Der Kampf in der Ukraine zwischen den Reformern und jenen, die sich im alten System gut eingerichtet hatten, nimmt an Härte zu. Von Marieluise Beck
Der ehemalige georgische Staatspräsident Saakaschwili, der seine Zelte inzwischen in der Ukraine aufgeschlagen hat, ist mitnichten ein lupenreiner Demokrat. Dennoch sei daran erinnert, dass es der Präsident selber war, der seinen Studienfreund über Nacht zum Gouverneur von Odesa ernannte. Diese Freundschaft ist offenbar zerbrochen und der Kampf wird nun auf absurde Weise ausgetragen. Man würde der Ukraine wünschen, dass politische Seifenopern, wie sie derzeit on stage sind, dem geplagten Land erspart blieben.
Man möchte der Regierung einen gelasseneren Umgang mit Saakaschwili anraten. Das Land hat größere Sorgen. Schon seit geraumer Zeit fällt Präsident Poroschenko den Reformern in den Rücken. Sein Generalstaatsanwalt attackiert zusammen mit dem Sicherheitsdienst SBU die Antikorruptionsagentur NABU. Damit gerät die einzige unabhängige Institution, die der endemischen Korruption entschlossen zu Leibe rückt, noch stärker unter Druck.
Bisher war es möglich, mit dem Druck der EU-Institutionen, des IWF und auch der ukrainischen Zivilgesellschaft dem Präsidenten Reformschritte abzuringen. Es stellt sich die Frage, ob sich Poroschenko nunmehr offen über diese Akteure hinwegsetzen will und kann. Möglicherweise geht er von der Einschätzung aus, dass Fördermittel der internationalen Gemeinschaft verzichtbar sind, wenn eine scheinbar konsolidierte Ukraine wieder auf dem internationalen Kreditmarkt agieren kann. Nunmehr kann sich als Paradoxon erweisen, dass die Visaliberalisierung zwar das Land der EU nähergebracht hat, aber zugleich die externen Einflussmöglichkeiten verminderte, weil das wichtigste Zwischenziel für viele Ukrainer damit erreicht ist. Ein Beitritt zur Europäischen Union steht angesichts der internen Konflikte und der Erweiterungsmüdigkeit der europäischen Öffentlichkeit ohnehin in den Sternen. Es hilft nichts: wenn die EU in ihrem eigenen Interesse an einer stabilen und demokratischen östlichen Nachbarschaft den Reformprozess der Ukraine weiter befördern will, braucht es eine Kombination aus Unterstützung und Druck. Wer die Ukraine abschreibt, überlässt sie dem Zugriff des Kremls.
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