Wer wird korrupte Politiker und Beamte in der Ukraine verurteilen?
Die Berufung des mit großer Spannung erwarteten Hohen Antikorruptionsgerichts (HACC) hat einen wichtigen Meilenstein erreicht. Im Dezember findet unter Beteiligung internationaler Experten die engere Auswahl der finalen Kandidaten statt. Was zu beachten ist und wie es weitergeht analysiert Iryna Shyba.
Insgesamt bewarben sich 342 auf die insgesamt 39 ausgeschriebenen Stellen am neu gegründeten Hohen Antikorruptionsgericht. Unter allen Bewerbern befanden sich 155 Richter, 135 Anwälte, 44 Wissenschaftler und 8 Anwälte mit wissenschaftlichem Abschluss. Nach der formalen Prüfung der Bewerbungen wurden einige Bewerber aufgrund mangelnder Erfahrung oder fehlender vollständiger Unterlagen aus dem Bewerbungsprozess ausgeschlossen. Die übrigen Kandidaten absolvierten einen umfassenden Wissenstest, den insgesamt 156 Bewerber passierten und sich so für die nächste Runde qualifizierten.
Während die zuständige Hohe Qualifikationskommission für Richter (HQCJ) die praktischen Aufgaben für die verbleibenden Bewerber entwirft, kamen sechs internationale Experten nach Kiew. Um die Beteiligung unabhängiger, internationaler Experten wurde bis kurz vor Verabschiedung des Gesetzes des Antikorruptionsgericht gerungen. Ihre Aufgabe ist es, die die Integrität und die Kompetenz der Kandidaten zu beurteilen. 4 Richter und 2 Staatsanwälte wurden in den sogenannten Public Council of International Experts (PCIE) berufen. Sie haben 30 Tage Zeit, um alle verfügbaren Informationen über die Kandidaten zu bewerten und ihre Bedenken gegenüber der HQCJ darzulegen. Auf Antrag von 3 Mitgliedern des PCIE wird die Integrität und Professionalität eines Kandidaten auf einer gemeinsamen Sondersitzung des HQCJ und des PCIE geprüft, bei der fragwürdige Kandidaten vom Wettbewerb ausgeschlossen werden können.
Diejenigen, die nicht ausgesiebt werden, müssen sich dann einem speziellen Hintergrundcheck und psychologischen und praktischen Tests unterziehen. Die letzte Phase ist ein Interview, das via Stream im Internet verfolgt werden kann. Anschließend veröffentlicht das HQCJ pro Kandidaten eine Endnote. Anschließend wird eine Liste der erfolgreichen Kandidaten an den Hohen Rat der Justiz (HCJ) weitergeleitet – ein Justizgremium, das befugt ist, die endgültige Entscheidung über die Ernennung von Richtern zu treffen. Nach der Entscheidung des HCJ ist der Präsident verpflichtet, per Dekret die empfohlenen Richter zu ernennen.
Warum braucht die Ukraine bei so vielen beteiligten nationalen Institutionen immer noch die Unterstützung ausländischer Experten?
Leider haben die Justizverwaltungsorgane der Ukraine seit 2014 immer wieder gezeigt, dass sie nicht immer in der Lage sind, die am besten qualifizierten Kandidaten für die höchsten Richter-Positionen auszuwählen. In zahlreichen Fällen wurden überraschenderweise sogar unabhängige und bekannte Richter trotz hoher Integrität und Qualifikation vom Wettbewerb ausgeschlossen. So wurde beispielsweise die bekannte Richterin und Whistleblowerin Larysa Golnyk wegen eines Facebook-Posts vom Wettbewerb zum HACC ausgeschlossen. 2015 hatte Golnyk einen gegen enormen Druck der lokalen Elite einen Korruptionsfall gegen den Bürgermeister der Stadt Poltawa übernommen. Der Fall wurde ihr schnell entzogen und sie wurde zuletzt im November 2017 angegriffen und verletzt. Golnyk zeichnete den persönlichen Druck von Seiten des Bürgermeisters und des Gerichts gegen sie auf. Nach dem ihr der Fall entzogen wurde, wurde sie zur Whistleblowerin und machte den dokumentierten Druck gegen sie öffentlich.
Im Mai dieses Jahres sprach der HCJ eine offizielle Verwarnung gegen Richterin Golnyk aus. Grund dafür war ihr Facebook-Post, in dem sie die Wiederwahl desjenigen Richters in Poltawa scharf kritisierte, der sie zuvor illegal unter Druck gesetzt hatte. Nach ukrainischem Recht ist es Richtern, gegen die Disziplinarverfahren laufen, für einen Zeitraum von einem Jahr untersagt, an Wettbewerben für freie Richterposten teilzunehmen. Nach Ansicht der HCJ untergrub Golnyks Aussage die „Autorität der Justiz“.
Disziplinarverfahren sind leider des Öfteren ein erfolgreiches Mittel, kritische Richter daran zu hindern, eine Richterposition im neuen Anti-Korruptionsgericht einzunehmen.
Ein weiteres trauriges Beispiel ist Richter Viktor Fomin, der sich für HACC-Richters beworben hat. Kurz nach seiner Bewerbung trafen sechs Beschwerden gegen ihn bei der HCJ ein. Als Untersuchungsrichter hatte Fomin seit Januar 2018 wichtige Anträge in Fällen geprüft, in denen Mitglieder des Parlaments (Oleh Lyashko, Ihor Mosiychuk), der Sohn des Innenministers Arsen Avakov und stellvertretender Leiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine Pavlo Demchyna betroffen waren.
Diese Aktionen gegen Golnyk Fomin und einige andere Richter werden von zahlreichen ukrainischen Rechtsexperten als illegitim verurteilt. Vielmehr zeigen die Fälle, dass eine erfolgreiche Justizreform in der Ukraine nicht alleine durch den HCQJ oder den HCJ durchgeführt werden kann. Die Einbeziehung unabhängiger Beobachter und Experten ist daher gerade wegen der spezifischen Situation der Ukraine dringend notwendig. Genau so sieht es eben auch die Venedig-Kommission, die eine Beteiligung externer Experten explizit empfiehlt.
Ein Outsourcing bzw. eine Beteiligung externer Experten bei der Integritätsprüfung ukrainischer Richter ist keineswegs eine neue Sache. So nahm beispielsweise der Public Integrity Council – bestehend aus fast zwei Dutzend ukrainischen Experten – am ersten Wettbewerb des Obersten Gerichtshofs teil. Dabei analysierte der PIC 380 Kandidaten. 51 Kandidaten wurden aufgrund einer negativen Stellungnahme des PIC blockiert, trotzdem wurden 30 von 119 Kandidaten, gegen die der PIC wegen vorheriger Urteile und fragwürdiger Vermögenserklärungen starke Bedenken anmeldete, als Richter zum Obersten Gerichtshof berufen.
Mängel bei der Auswahl, zahlreiche Manipulationen und Fehler des HQCJ während des Wettbewerbsprozesses wurden umfassend vom PIC sowie der Zivilgesellschaft dokumentiert. Während Auswahl des HACC wurde der PIC durch den PCIE ersetzt. Der Rest des Verfahrens bleibt im Wesentlichen unverändert. Experten der DEJURE Foundation [Anmerkung der Redaktion: für die die Autorin arbeitet] haben mehrfach auf Probleme hingewiesen, mit denen der PIC während des Auswahlverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof konfrontiert war und mit denen die PCIE daher wahrscheinlich während des Wettbewerbs vor dem Antikorruptionsgericht konfrontiert sein könnte.
Um zu verhindern, dass sich dieses negative Szenario wiederholt und fragwürdige Richter in das so wichtige neue Korruptionsgericht berufen werden, haben eine Reihe Organisationen wie das Anti-Corruption Action Center, AutoMaidan, DEJURE Foundation und Transparency International Ukraine eine Erklärung abgegeben, in der sie darlegten, was genau von der HQCJ getan werden kann, um eine umfassende und effektive Arbeit des PCIE bei der Auswahl der Richter für das Hohe Anti-Korruptionsgericht zu gewährleisten. Der Bedarf ist kurz zusammengefasst wie folgt:
- Gewährleistung eines uneingeschränkten Zugangs für die PCIE-Mitglieder und ihr Sekretariat zu den Materialien der Bewerber, einschließlich personenbezogener Daten aus den Bewerberdossiers und Daten aus den Staatsregistern.
- Sicherstellung des Zugangs des PCIE und seines Sekretariats zu den praktischen Aufgaben der Kandidaten während der Prüfung.
- Festlegung klarer Kriterien für die Beurteilung der Integrität der Kandidaten und Festlegung von Standards für den Nachweis der Einhaltung oder Nichteinhaltung dieser Kriterien durch die Kandidaten.
- Modifizierung der Methodik zur Bewertung von Kandidaten zugunsten objektiver Indikatoren.
- Offenlegung der Bewertungen, die die Kandidaten von jedem der HQCJ-Mitglieder für jeden der Bewertungsindikatoren erhalten haben, sowie Begründung der Bewertungen für alle Kandidaten.
Es ist alleine die Angelegenheit der HQCJ, die Anträge anzunehmen oder nicht. Für Änderungen des Auswahlprozesses sind keine Gesetzesänderungen erforderlich- die HQCJ kann einfach seine eigene Geschäftsordnung ändern.
Viele Beobachter setzen große Hoffnung auf die Besetzung des HACC. So könnte das neue Korruptionsgericht endlich und gegen den expliziten hohen Druck der politischen Elite hochrangige, korrupte Staatsbedienstete und Politiker verurteilen. Da die Besetzung des Gerichts jetzt in die heiße Phase geht, wird es extrem wichtig sein auch während der Feiertage den Auswahlprozess zu beobachten. Besonders das entscheidende gemeinsame Treffen zwischen dem HQCJ und PCIE, bei dem Bewerber aussortiert werden können, könnte vor Heiligabend stattfinden. Es heißt also maximal wachsam zu bleiben!
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