Der ukrainische Wahlkampf wird schmutziger
Behörden und Kandidaten beschuldigen sich gegenseitig. Die Auseinandersetzungen zwischen Poroschenko und Tymoschenko scheinen aber nur dem Außenseiter Selenskyj zu nutzen. Eindrücke aus dem Wahlkampf von Ian Bateson
Wie viel kostet eine Stimme?
Laut der ukrainischen Präsidentschaftskandidatin Julija Tymoschenko kostet eine Stimme weniger als 34 Euro. Am vergangenen Freitag versammelte sie in ihrem Wahlkampf-Hauptquartier Journalisten und strahlte ihre Botschaft von Wahlfälschung live über Facebook und Instagram aus.
Poroschenko sei dabei im ganzen Land einen Plan zum Stimmenkauf umzusetzen. Für weniger als 34 Euro werden Stimmen gekauft, so die Anschuldigungen der Kandidatin. Teilnehmende bekommen die Hälfte vor der Wahl und die zweite Hälfte danach. Alle Teilnehmende werden mit den Geldscheinen fotografiert. Belege der Wahl sollen dann am Wahltag per Foto von den Wählern geliefert werden. Wenn der Verabredung nicht nachgekommen wird, würden ihre Fotos veröffentlicht, um sie zu diskreditieren.
Schock und Intrige. Aber wie häufig in der Ukraine wurden keine einschlägigen Beweise vorgelegt.
Vor Kurzem wurde auch Tymoschenko mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert, im Wahlkampf illegale Mittel einzusetzen und Stimmen zu kaufen. Zuletzt ließ Viktor Kononenko, der stellvertretende Leiter des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU) verlauten, dass ein großes Netzwerk von Menschen, die sich illegal für einen Präsidentschaftskandidat einsetzten, entlarvt worden sei. Der SBU habe mehr als 30 Durchsuchungen im ganzen Land durchgeführt. Ein ganzes „Netzwerk“ eines Parlamentsabgeordneten sei aufgedeckt worden, welches sich illegal für einen der Präsidentschaftskandidaten eingesetzt haben soll. Dieses „pyramidale Schema“ sollte alleine im Oblast Chmelnyzkyj 600.000 Menschen erreichen und dort im Wert von drei Millionen Hrywnja Stimmen kaufen. Tymoschenko, die Parlamentsabgeordnete ist, wurde zwar nicht namentlich erwähnt, aber am gleichen Tag wurden in Saporischschja Wohnungen von Mitgliedern Tymoschenkos Vaterland-Partei durchsucht. Laut Vitalii Ryabtsew, Vertreter der Vaterlandspartei, sei dies ein Versuch von Poroschenko, die Wahlkampagne von Tymoschenko zu stoppen.
Bis zur ersten Runde der ukrainischen Präsidentschaftswahl am 31. März bleiben nur noch ein Monat, aber die Rollen scheinen klar verteilt. Auf seiner Seite steht Poroschenko mit dem Sicherheitsdienst (SBU) und der Generalstaatsanwaltschaft, geführt von Jurij Lutsenko, der in den letzten Wochen mit schockierender Regelmäßigkeit neue Ermittlungsverfahren gegen politische Gegner Poroschenkos ankündigte. Auf der anderen Seite stehen Tymoschenko und der mächtige ukrainische Innenminister Arsen Awakow, dem die Polizei, die Nationalgarde und einige Freiwilligenbataillone unterstehen. Awakov betont regelmäßig, unabhängig zu sein und sich lediglich für freie und faire Wahlen einzusetzen. Die Polizei, die unter Awakows Kontrolle steht, hatte vor Kurzem Vertreter von Poroschenko in Sumy festgenommen. In einem neuen Interview ging Awakow ein Schritt weiter und sagte, dass Poroschenko einen Stimmenkaufplan mit fast 50 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt finanziere.
All dies deutet darauf hin, dass die verbleibende Wahlkampfzeit noch schmutzig werden könnte. Trotz hunderter Millionen Euro vom Westen und fünf Jahre andauernder Reformen bleiben gerade die zentralen ukrainischen Institutionen, wie der Sicherheitsdienst, die Generalstaatsanwaltschaft oder die Polizei stark politisiert. Damit sind sie unfähig, als neutrale Akteure in dieser unübersichtlichen, politischen Schlammschlacht für die Durchsetzung des Rechts zu sorgen.
Interessant ist, dass der Schauspieler und Kandidat Wolodymyr Selenskyj bisher in keinem dieser Skandale verwickelt wurde. Das mag daran liegen, dass er über keine ähnlichen Kampagnenstrukturen in den Regionen verfügt. Stattdessen setzt er konsequent auf seine enorme Gefolgschaft auf Social Media und den einflussreichen Fernsehkanal 1+1, der dem ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehört, um seine Wähler direkt anzusprechen. Selenskyj verwischt dabei absichtlich die Linien zwischen sich selbst und seiner Rolle in der erfolgreichen Serie „Diener des Volkes“, in welcher er einen schmerzhaft ehrlichen Lehrer spielt, der überraschend zum Präsidenten gewählt wurde.
Bisher rechneten die Wahlkampagnen und Polittechnologen von Poroschenko und Tymoschenko nicht damit, dass Selenskyj trotz hoher Umfragewerte es in die zweite Runde schafft. Mit 44 Kandidaten ist es quasi ausgeschlossen, dass ein Kandidat bzw. eine Kandidatin im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit von über 50 Prozent erreicht. Aber je länger Selenskyj die Umfragen zum Teil mit 15 Prozent Vorsprung anführt, desto schwieriger wird es, seinen Einzug in die zweite Runde zu verhindern. Die Gefahr für Poroschenko und Tymoschenko ist, dass ihr politisches Gerangel nur dem Außenseiter stärkt. In einer zweiten Runde würde es für sowohl Poroschenko als auch für Tymoschenko ganz schwer, sich gegen einen „ehrlichen Außenseiter“ wie Selenskyj durchzusetzen. Zu groß ist die Verachtung und Unzufriedenheit vieler Wählerinnen und Wähler.
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