„Diesmal wird er nicht abhauen können“
Am 31.03. konnte Wolodymyr Selenskyj mit fast doppelt so vielen Stimmen wie Petro Poroschenko die erste Wahlrunde für sich entscheiden. Ian Bateson war am Wahlabend in Selenskyjs Hauptquartier
Im hochmodernen Parkowy-Business-Centre, das im Volksmund als Janukowytsch-Helipad bekannt ist, bezog Wolodymyr Selenskyj am Wahlabend sein Hauptquartier. Das Gebäude, das dem geflohenen Präsidenten Janukowytsch als Hubschrauberlandeplatz diente, gilt als eines der Symbole des kleptokratischen Regimes. Bereits am Eingang wurde man von dieser Grafik begrüßt:
Der Text übersetzt sich zu “dieses mal wird er nicht abhauen können”. Die Botschaft war klar: jetzt wird was geändert.
Im Selenskyj-Hauptquartier erinnerte die Atmosphäre an einen vornehmen Klub oder an ein Start-Up-Unternehmen. Von schwarzen Tresen wurde Sekt und Wein kredenzt und in der Mitte des ersten Raumes wurden Kicker und Tischtennis gespielt. Der Gewinner des Tischtennisturniers durfte gegen Selenskyj selbst spielen. Bei dem Finalspiel vor Verkündung der ersten Hochrechnungen verlor Selenskyj gegen einen Journalisten, dem er im Gegenzug ein Interview versprach.
Aber die Anhänger Selenskyjs mussten nicht lange auf ihren nächsten Sieg warten. Um 20:00 Uhr kamen die ersten Umfragen zum Wahlausgang. Selenskyj hat 30,1 Prozent gewonnen und lag vor dem amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko und der ehemaligen Premierministerin Julija Tymoschenko. Die Stimmung war euphorisch. Das Team hatte gezeigt, dass ihre Wähler echt waren und dass sie tatsächlich mobilisiert werden konnten. In einer kurzen Rede hat Selenskyj Poroschenko getrollt und gesagt, “Umfragen zum Wahlausgang gibt es viele, aber es gibt nur einen Sieger.” Der offizielle Wahlspruch von Poroschenko lautet, “Kandidaten gibt es viele, aber es gibt nur einen Präsidenten”.
Am ersten April stellte sich heraus, dass Selenskyjs Sieg kein Scherz war. Nach der offiziellen Auszählung der Stimmen hat Selenskyj 30,24 Prozent gewonnen. Poroschenko hat 15,95 und Tymoschenko nur 13,40 Prozent erreichen können. Das bedeutet, dass Selenskyj gegen Poroschenko am 21. April in die Stichwahl muss. Damit ist Selenskyj nicht mehr nur ein Protestkandidat, sondern der Favorit auf den Sieg und womöglich der nächste ukrainische Präsident, der das Land führen und mit Putin verhandeln muss.
Schon am Wahlabend selbst ging Poroschenko in die Offensive. Selenskyj sei eine Puppe des ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj und genau der schwache ukrainische Präsident, den Putin sich wünsche. Es ist jetzt allen klar, dass Poroschenko, der selbst Oligarch ist, hart kämpfen muss. Aber die Nachrichten sind für Poroschenko nicht alle schlecht. Seine Umfrageergebnise steigen, und mit einem konkreten Gegner hat seine Kampagne endlich ein Ziel und den Schwung gefunden, den sie lange benötigte.
Die Verliererin ist Julija Tymoschenko. In letzten Monaten sind ihre Umfrageergebnisse immer weiter nach unten gerutscht. Es war ihr dritter Versuch und sie scheiterte das dritte Mal. Nach einer langen und intensiven Wahlkampagne konnte sie nur in einem Oblast die Mehrheit der Stimmen gewinnen. Kurz nach der Wahl behauptete Tymoschenko, dass die Wahlen gefälscht seien. Auf eine juristische Anfechtung der Ergebnisse verzichtete sie dennoch, da die Gerichte nach ihrer Auffassung von Poroschenko kontrolliert würden.
Die Ukrainer haben jetzt die Wahl zwischen einem Polit-Novizen, dessen schneller Aufstieg Ausdruck für das tiefe Misstrauen in die politische Elite ist, und dem erfahrenen Präsidenten, der im Westen sehr geschätzten wird. Poroschenkos Ausgangslage ist mehr als schwierig. Bisher wurde in den letzten 28 Jahren der unabhängigen Ukraine nur ein amtierender Präsident wiedergewählt. Poroschenko verspricht Erfahrung, Stabilität und Kontinuität. Aber Selenskyj verkörpert etwas Neues und Unbekanntes, er vermittelt einen bisher in der ukrainischen Politik unbekannten Flair. Zudem hat er auch echte Reformer in seinem Team, wie den ehemaligen Wirtschaftsminister Aivaras Abromavičius und den ehemaligen Finanzminister Oleksandr Danyljuk, die am Wahlabend im Wahlkampf-Hauptquartier waren und mit Journalisten redeten. Jetzt warten viele darauf, dass sich Selenskyj und seine Politik mehr erklärt. Der am vergangenen Sonntag angekündigte Antikorruptionsplan kann nur ein Anfang sein.
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