Das Donezker Foltergefängnis „Isoljazija“
Die aus Moskau angeführten ostukrainischen „Separatisten“ betreiben seit mehr als sechs Jahren eine Art Konzentrationslager in der Stadt Donezk. Außerhalb jeder regulären Gerichtsbarkeit werden Männer und einige Frauen täglich auf eine Weise physisch und psychisch gequält, die an die dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte erinnert. Von Stanislaw Asejew und Andreas Umland
Während des schicksalhaften Jahres 2014 gelang es den Massenmedien, Sprechern und Freunden des russischen Staates, weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeit ein Zerrbild des militärischen Konflikts im Donezbassin (Donbas) vermitteln. Viele Beobachter übernahmen seitdem die Erzählung des Kremls, dass der Krieg in der Ostukraine angeblich in Menschenrechtsverletzungen der Zentralregierung in Kyjiw wurzelt. Im März 2014 setzten sich russischsprachige Ukrainer, so das Moskauer Narrativ, gegen ein neues „faschistisches“ Regime zur Wehr, das aus der Euromaidan-Revolution hervorgegangen war. Ostukrainische „Rebellen“ – so das Kremlnarrativ – erhoben sich, um vorgeblich verletzte Rechte von Russen und Russischsprechenden zu verteidigen.
Ohne sich sonderlich für den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse vor Ort zu interessieren, haben seither zahlreiche westeuropäische Politiker, Aktivisten und Journalisten Moskaus Erklärung der Quellen und der Natur des Donbas-Krieges teilweise oder sogar vollständig übernommen. Die Dominanz verzerrter Analysen in der westlichen Öffentlichkeit hat nicht nur zu einer verspäteten, verhaltenen und bislang weitgehend wirkungslosen Sanktionspolitik Brüssels gegenüber Moskau geführt. Es hat die EU – als der weiterhin mit Abstand größte Handels- und Investitionspartner Russlands – auch in ein ethisches Niemandsland geführt. Während das westliche Medieninteresse für ukrainische rechte Randgruppen und deren gelegentliche Übergriffe weiter lebhaft ist, finden weit schwerwiegendere, systematischere, gezieltere und häufigere Menschenrechtsverletzungen der kremlgesteuerten lokalen Machtorgane auf der Krim und im besetzten Donbas im Westen weniger Beachtung. Dies betrifft unter anderem das harsche Strafvollzugs- beziehungsweise Foltersystem in den besetzten Gebieten, in denen selbst Russlands mangelhafter Rechtsstaat nur partiell funktioniert.
So unterhält die sogenannte Donezker Volksrepublik seit Sommer 2014 in der Stadt Donezk eines der brutalsten Gefängnisse des Pseudostaates im Osten der Ukraine. Diese geheime und besonders düstere Einrichtung wird inoffiziell „Isoljazija“ (Isolation) genannt. Sie wurde auf dem Territorium eines ehemaligen Werks für Isoliermaterial errichtet. Nachdem die Fabrik beschlagnahmt worden war, errichteten die aus Moskau geführten Separatisten dort eine Militärbasis. Die Verwaltungsgebäude der ehemaligen Fabrik und ein System von Bombenschutzräumen wurden in Gefängniszellen und Folterkammern umgewandelt. Das Gefängnis „Isoljazija“ ist de facto ein Konzentrationslager, in dem Folter, Erniedrigung, Vergewaltigung von Frauen und Männern sowie schwere körperliche Zwangsarbeit Alltag sind.
Einer der Autoren dieses Artikels ist ein ehemaliger Häftling der „Isoljazija“. Als ostukrainischer Journalist wurde Stanislaw Asejew im Mai 2017 vom „Ministerium für Staatssicherheit“ der sogenannten Donezker Volksrepublik unter dem Vorwurf der Spionage festgenommen. Er verbrachte 31 Monate in Haft, davon 28 Monate im Konzentrationslager „Isoljazija“. Dort wurde er Opfer verschiedener Formen von Folter. Ende Dezember 2019 wurde Asejew im Rahmen eines russisch-ukrainischen Gefangenenaustauschs freigelassen.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich in der „Isolation“ acht gewöhnliche Zellen mit jeweils mehreren Häftlingen, zwei disziplinarische Isolationszellen, ein Bombenkeller zur Unterbringung Gefangener sowie mehrere Folterkeller. Drei der acht Zellen waren Frauenzellen. Die ungefähre Höchstzahl gleichzeitig in der „Isolation“ festgehaltener Häftlinge betrug insgesamt bis zu achtzig Personen.
Das Gefängnis hat extrem strenge Haftregeln, die selbst Foltermittel sind. Außerhalb der Zellen sind die Gefangenen verpflichtet, sich nur mit Säcken oder Beuteln über dem Kopf zu bewegen. Wird die Zellentür geöffnet, muss sich der oder die Gefangene umdrehen, sich mit dem Gesicht zur Zellenwand drehen und einen Sack über den Kopf stülpen, die Hände auf den Rücken legen sowie stillstehen, bis die Tür wieder geschlossen wird. Während Asejews Inhaftierung gab es eine Periode, in der die Gefangenen im Keller auf Anordnung der Verwaltung gezwungen waren niederzuknien und die Beine zu verschränken. Das Liegen auf den Kojen ist verboten. Dieses Recht kann in der „Isolation“ erst nach längerer disziplinierter Haft, d. h. sechs Monate oder länger, erlangt werden.
Die Gefangenen werden 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche überwacht. Die Zellen sind ständig beleuchtet. Es ist streng verboten, das Licht auszuschalten. Diese Regel hat eine tiefe psychologische Wirkung auf die Gefangenen.
Am berüchtigtsten ist das Isoljazija-Gefängnis jedoch für seine besonders grausame physische Folter, die bei Gefangenen jeden Alters und Geschlechts angewandt wird. Das häufigste Folterinstrument ist Elektrizität. Neu angekommene Häftlinge werden in einen Folterkeller geführt, nackt ausgezogen, an einen Metalltisch gekettet und mit zwei Drähten eines militärischen Feldtelefons verbunden. Dann wird Wasser über die Person gegossen und elektrischer Strom freigesetzt. Unter den Häftlingen des Konzentrationslagers gilt man als Glückspilz, wenn die Drähte an Fingern oder Ohren festgebunden sind. Häufiger wird ein Draht mit den Genitalien verbunden und der zweite in den After eingeführt.
Der Häftling kann auch gezwungen werden, „die Wand zu halten“. Dies ist eine Foltermethode, bei der sich die Person an die Wand stellt, die Beine weit spreizt und die Hände über dem Kopf an die Wand legt – und so mehrere Stunden bis mehrere Tage stehen muss. Wenn es dem Gefangenen schlechter geht und er die Hände sinken lässt oder versucht sich hinzusetzen, wird er von einem Gefängniswärter mit einem Rohr auf die Genitalien geschlagen.
Schwere Zwangsarbeit und Vergewaltigung sind weitere Formen von Folter in der „Isolation“. Zu jeder Jahreszeit werden vor allem männliche Sträflinge mit langer Haftzeit gezwungen, im Industrieteil der ehemaligen Fabrik zu arbeiten. Oder sie werden zu Bauarbeiten auf einem nahegelegenen Truppenübungsplatz gebracht. Abgesehen von der Folter durch die Gefängnisverwaltung unterliegt die Häftlingsgemeinschaft der „Isolation“ einer besonders harten Version des eigentümlichen Systems informeller Regeln und Konzepte (ponjatija), nach denen sich Kriminelle in den Strafvollzugssystemen des postsowjetischen Raums organisieren.
So gibt es zum Beispiel eine Kaste der sogenannten „Herabgelassenen“ beziehungsweise Erniedrigten. Dabei handelt es sich um Gefangene, auf deren Lippen oder Stirn ein Gefängnisverwalter oder ‑wärter seinen Penis gelegt hatte, wodurch der Status des Verurteilten auf den eines „Herabgelassenen“ herabgestuft wurde. Diese Männer müssen im Anschluss die schmutzigste und härteste Arbeit im Gefängnis verrichten. Sie können auch als „Werkzeuge“ dienen, um andere Gefangene in diesen spezifischen Häftlingsstatus zu versetzen.
Ein Großteil des westlichen Diskurses über den Donbaskonflikt dreht sich unter dem Einfluss russischer oder prorussischer Sprecher weiter um das Thema ukrainischer Menschenrechtsverletzungen in der Ostukraine. Doch sieht die Realität vor Ort anders aus. Skandalöse Verstöße gegen elementare Menschenrechte, wie die hier skizzierten im Donbas, werden auch von der annektierten Krim gemeldet. Etliche weitere Menschenrechtsverletzungen innerhalb der besetzten Gebiete geschehen außerhalb ihrer besonders harten Gefängnissysteme.
Diese Verstöße sind seit 2014 fester Bestandteil des öffentlichen Lebens und entscheidende Machtinstrumente in den von Russland kontrollierten Regionen der Ukraine geworden. Auf der Krim ist die größte indigene Gruppe der Halbinsel, die Krimtataren, zur Zielscheibe systematischen Terrors durch den russischen Staat geworden. Trotz dieser und zahlreicher anderer russischer Menschenrechtsverletzungen wurde im Sommer 2019 die russische Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, nachdem sie 2014 aus diesem Organ verbannt worden war, wieder zu den Sitzungen und Abstimmungen der Versammlung zugelassen.
Der Artikel wurde zusammen mit Dr. Andreas Umland verfasst.
Stanislaws Asejews Buch „Heller Weg: Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017–2019″ wurde vom ibidem-Verlag im Herbst 2021 in deutscher Übersetzung veröffentlicht.
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